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Alphabetisierungsbedarfe im beruflichen Kontext erheben: Die Deutscheinschätzung für fremdsprachige Stellensuchende

  • Olaf Bärenfänger

    ist Direktor des Sprachenzentrums an der Universität Leipzig. Er lehrt zudem am Herder-Institut der Universität Leipzig Deutsch als Fremd- und Zweitsprache und ist Gründungsvorstand des Instituts für Testforschung und Testwissenschaft e.V. Zu seinen Forschungsinteressen gehören Deutsch als Bildungssprache, Deutsch als Berufssprache, Kompetenzdiagnostik, Qualität in der Bildung, Lernen mit digitalen Medien, Forschungsmethodologie und Fremdsprachenerwerb. Für den DAAD ist Olaf Bärenfänger im Beirat Germanistik tätig, am Goethe-Institut als stellvertretender Vorsitzender des Beirats Sprache, beim Bundesinnenministerium des Inneren als Mitglied der Bewertungskommission und beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales als Mitglied des Expertenbeirats.

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Published/Copyright: October 19, 2022

Zusammenfassung

Eine beträchtliche Zahl der Teilnehmenden an Deutsch-als-Zweitsprache-Kursen weist eine unzureichende Vertrautheit mit dem lateinischen Schriftsystem auf. Für den Erwerb allgemeiner oder berufsbezogener Sprachkenntnisse, die für eine Teilhabe an der Zielgesellschaft oder die Aufnahme einer Berufstätigkeit erforderlich sind, stellt eine vollumfängliche Alphabetisierung allerdings offensichtlich eine notwendige Voraussetzung dar. Um Kursteilnehmende mit Alphabetisierungsbedarf zuverlässig identifizieren und hierauf aufbauend zielgerichtete Förderentscheidungen treffen zu können, gab das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich als optionalen Subtest der Deutscheinschätzung für fremdsprachige Stellensuchende ein diagnostisches Instrument in Auftrag, das ebenso unterschiedliche Grade von Alphakompetenz erfasst wie auch die Ursachen einer nicht bzw. unzureichend ausgeprägten Alphabetisierung. Der vorliegende Beitrag skizziert zunächst einige Rahmenbedingungen der Testentwicklung wie die Zielgruppe. Weiterhin wird die übergeordnete Zielsetzung des Tests erläutert, nämlich belastbare Informationen über die berufssprachliche Kompetenz der Zielgruppe zu erheben. In diesem Zusammenhang werden auch einige Besonderheiten von berufsbezogener Sprachverwendung thematisiert. Im Anschluss wird anhand konkreter Beispiele aus dem Prüfungsteil „Alpha“ das Vorgehen bei der Testerstellung geschildert. Hier steht als Erstes die Beschreibung des Testkonstrukts im Vordergrund, das sich an die Beschreibung unterschiedlicher Niveaustufen von Alphakompetenz des LEA-Projekts anlehnt. Weiterhin wird gezeigt, wie dieses Konstrukt in konkreten Aufgabenstellungen und Bewertungskriterien operationalisiert wurde. Mit Blick auf die Validierung des Prüfungsteils „Alpha“ werden die Verfahrensschritte bei der Pilotierung und Massenvalidierung erläutert. Ein kurzes Fazit beschließt den vorliegenden Beitrag.

Abstract

A considerable number of participants in German-as-a-Second-Language courses show insufficient familiarity with the Latin writing system. However, for the acquisition of general or vocational language skills, which are necessary for participation in the target society or for taking up a job, full literacy is obviously a necessary prerequisite. In order to reliably identify course participants with literacy needs and to be able to make targeted support decisions based on this, the Amt für Wirtschaft und Arbeit of the Canton of Zurich commissioned a diagnostic instrument as an optional subtest of the German Assessment for Foreign-Language Job Seekers, which records different degrees of literacy as well as the causes of a lack of or insufficiently developed literacy. This article first outlines some general conditions of the test development such as the target group. Furthermore, the overall objective of the test is explained, namely to collect reliable information about the professional language competence of the target group. In this context, some special features of occupational language use are also discussed. Subsequently, the procedure for creating the test is described on the basis of concrete examples from the „Alpha“ part of the test. In this respect, the test construct is described, which is based on the description of different levels of alpha competence of the LEA project. Furthermore, it is shown how this construct was operationalized in concrete tasks and assessment criteria. With regard to the validation of the examination part „Alpha“, the procedural steps of piloting and mass validation are explained. A short summary concludes this article.

1 Einleitung

Im Zuge der massiven Migrationsbewegungen in die deutschsprachigen Länder hat sich eine demografisch außerordentlich heterogene Population an Deutschlernenden herausgebildet. In den Jahren 2019 und 2020 kamen beispielsweise mit 14,2 bzw. 12,5 Prozent die meisten Teilnehmenden am bundesdeutschen Integrationskurs aus Syrien, gefolgt von Teilnehmenden aus Rumänien (7,0 % bzw. 7,5 %), der Türkei (5,7 % bzw. 6,9 %), Afghanistan (5,5 % bzw. 5,3 %), Bulgarien (4,3 % bzw. 4,0 %), dem Irak (4,3 % bzw. 3,3 %), Polen (3,3 % bzw. 3,3 %), dem Kosovo (2,9 % bzw. 3,2 %), Italien (2,8 % bzw. 2,9 %) und dem Iran (3,9 % bzw. 2,6 %) (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2021: 7). Ebenso wie die geografischen Herkunftsregionen sind auch die Bildungsbiografien der Zugewanderten sehr unterschiedlich. Obschon das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge keine Zahlen zum Bildungsniveau der Teilnehmenden am Integrationskurs veröffentlicht, so zeigt sich doch speziell am unteren Ende des Kompetenzspektrums, dass in den Jahren 2005 bis 2018 durchschnittlich 14,9 Prozent aller Teilnehmenden am Integrationskurs einen Alphabetisierungskurs belegen mussten, weil sie nicht ausreichend mit dem lateinischen Schriftsystem vertraut waren (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2021: 5). Mit 16,9 Prozent 2019 und 14,9 Prozent 2020 hat sich der Anteil von Teilnehmenden am Alphabetisierungskurs kaum verändert (ebd.).

Fraglos stellt eine umfassende Alphabetisierung nicht nur eine essenzielle Voraussetzung für die gesellschaftliche Teilhabe im Zielland dar, zu der die Belegung des Integrationskurses primär befähigen soll. Vielmehr ist Alphabetisierung auch unerlässlich für die Teilnahme an Bildungsprozessen generell sowie für die erfolgreiche Ausübung eines Berufs. Naheliegenderweise können aufgrund erheblich voneinander abweichender Lerngeschwindigkeiten nicht oder nur unzureichend alphabetisierte Kursteilnehmende schwerlich zusammen mit Kursteilnehmenden unterrichtet werden, die diese Kompetenzen bereits sicher beherrschen. Vor diesem Hintergrund haben staatliche Systeme zur Vermittlung allgemeiner und/oder berufssprachlicher Deutschkenntnisse in der Regel eigene Kurstypen entwickelt, die im Sinne von Grundbildung auf die Vermittlung von Schriftkompetenzen abzielen. Ein Beispiel hierfür sind die oben genannten Alphabetisierungskurse als Bestandteil des bundesdeutschen Integrationskurssystems sowie Zweitschriftlernerkurse[1]. Im Vorfeld der Kursteilnahmen stellt sich nun die Herausforderung, Kursteilnehmende mit potenziellem Alphabetisierungsbedarf zuverlässig zu identifizieren.

Der vorliegende Beitrag stellt es sich zur Aufgabe, das methodische Vorgehen bei der Konzeption, Umsetzung und Validierung eines Tests zur Identifikation von Kursteilnehmenden mit Alphabetisierungsbedarf ausführlich darzustellen. Den Ausführungen beispielhaft zugrunde liegt die Deutscheinschätzung für fremdsprachige Stellensuchende, die das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich als optionalen Prüfungsteil für einen Gesamttest zur Ermittlung berufssprachlicher Deutschkompetenzen im Niveaubereich zwischen A0 und C1 in Auftrag gegeben hatte. Neben der grundsätzlichen Feststellung eines Alphabetisierungsbedarfs vermag der im Fokus stehende Test, ebenso unterschiedliche Grade von Alphabetisierungskompetenz zu erfassen wie auch die Ursachen einer nicht bzw. unzureichend ausgeprägten Alphabetisierung. Die Ausprägung der bereits vorhandenen Schriftkompetenz wird dabei für die Fertigkeiten Lesen und Schreiben getrennt ermittelt. Das nachfolgende Kapitel geht ebenso ausführlich auf die Zielsetzung der Deutscheinschätzung ein wie auf ihre Zielgruppe, Aspekte der berufsbezogenen Sprachkompetenz, ein Modell der Alphakompetenz sowie das hieraus abgeleitete Testdesign der Deutscheinschätzung mit Details zu den Testaufgaben und ihrer Bewertung.

2 Der Prüfungsteil „Alpha“ der Deutscheinschätzung für fremdsprachige Stellensuchende

2.1 Zielsetzung

Der optionale Prüfungsteil „Alpha“ steht im Kontext der Deutscheinschätzung für fremdsprachige Stellensuchende, mithilfe derer im Kanton Zürich Stellensuchende mit sprachlichem Förderbedarf passgenau in berufsbezogene Deutschkurse eingeteilt werden (Bärenfänger 2021). Eine weitere Funktion der Deutscheinschätzung besteht darin, den Kurserfolg zu überprüfen.

Die Deutscheinschätzung für fremdsprachige Stellensuchende umfasst neben dem Prüfungsteil „Alpha“, der Schriftkompetenzen getrennt für die Fertigkeiten Lesen und Schreiben erhebt, Prüfungsteile mit Fokus auf die Fertigkeiten Lesen, Hören, Sprechen und Schreiben. Es liegen Aufgaben für das Kompetenzspektrum A0 bis C1 vor, wobei die Testteilnehmenden nach einem kurzen Vortest einer der drei folgenden Leistungsgruppen zugeteilt werden: A0 bis A2, A2 bis B2 und B2 bis C1. Die Zuteilung der Testteilnehmenden zu diesen drei Leistungsgruppen erfolgt über einen berufsspezifischen C-Test. Um möglichst differenzierte Förderentscheidungen treffen zu können, werden die Ergebnisse in den Prüfungsteilen mit Ausnahme des Prüfungsteils „Alpha“ in Teilniveaustufen dokumentiert (z. B. Niveau A2.1).

Mit dem optionalen Prüfungsteil „Alpha“ sollen auf möglichst ökonomische und praktikable Art und Weise drei Gruppen von Personen mit Alphabetisierungsbedarf identifiziert werden: (a) primäre Analphabeten, das heißt Personen, die Lesen und Schreiben nie erlernt haben; (b) sekundäre bzw. funktionale Analphabeten, das heißt Personen, die Lesen und Schreiben bereits erlernt hatten, die diesbezüglichen Kompetenzen jedoch nur partiell aufgebaut oder aber wieder verlernt haben und deren Kompetenzen den Anforderungen in der Schweiz nicht genügen; sowie (c) Zweitschriftlernende, die mit dem lateinischen Alphabet zwar ungenügend vertraut oder gänzlich unvertraut sind, aber bereits ein anderes Schriftsystem erworben haben (zu diesen Begrifflichkeiten Ritter 2010). Da beim Prüfungsteil „Alpha“ die Testteilnehmenden einzeln von einem Testleiter bzw. einer Testleiterin begleitet werden, können auch Personen mit sehr gering ausgeprägtem Kompetenzstand am Test teilnehmen. Je nach Ergebnis im Prüfungsteil „Alpha“ erfolgt die Zuweisung dann in einen geeigneten Kurs, zum Beispiel für Zweitschriftlernende.

2.2 Zielgruppe

Die Deutscheinschätzung für fremdsprachige Stellensuchende richtet sich an Arbeitslose im Kanton Zürich, deren Deutschkenntnisse für die erfolgreiche Ausübung eines Berufs noch nicht ausreichen. Um ihnen den Einstieg in eine Erwerbstätigkeit zu erleichtern, erhalten diese Personen vom kantonalen Amt für Wirtschaft und Arbeit finanzierten Unterricht in berufsbezogenen Deutschkursen. Die passgenaue Zuordnung der Kursteilnehmenden zu für sie geeigneten Kursen erfolgt über die Deutscheinschätzung.

Im Vorfeld der Testerstellung der Deutscheinschätzung wurde eine detaillierte empirische Zielgruppenanalyse durchgeführt. Diese beruht auf Datensätzen des Amts für Wirtschaft und Arbeit aus den Jahren 2014–2017. Ausgewertet wurden dabei für den Kanton Zürich im Berichtszeitraum 2014–2016 die Daten von 64.955 Arbeitssuchenden mit einer anderen Erstsprache als Deutsch. Für das Jahr 2016 sowie das erste Semester 2017 lag zudem ein kleinerer Datensatz von 2.972 Arbeitssuchenden mit einer anderen Erstsprache als Deutsch vor, für die zusätzlich das Sprachniveau bekannt war. Es wurden Angaben zu den Herkunftsländern der Kursteilnehmenden, ihrem Geschlecht, dem Alter, dem Bildungsniveau, zu früheren ausgeübten Tätigkeiten, zur Branche des erlernten bzw. ausgeübten Berufs, zum Sprachstand sowie zu einer möglicherweise unzureichenden Alphabetisierung ausgewertet.

Die Analyse der Datensätze ergab neben zahlreichen anderen Befunden für ca. sechs Prozent der Population einen wie auch immer gearteten Alphabetisierungsbedarf. Hinsichtlich der Herkunftsländer der Analphabeten stechen Italien (17,1 %), Portugal (22,3 %), die Schweiz (8,6 %), Spanien (5,7 %) sowie Sri Lanka (5,1 %) hervor. Die verbleibenden 41,2 Prozent verteilen sich auf 27 weitere Länder. Hinsichtlich der vertretenen Branchen werden Personen mit Alphabetisierungsbedarf primär im Baugewerbe, im Gastgewerbe sowie im Bereich Reinigung, Hygiene und Körperpflege tätig. Ganz überwiegend übten Personen mit Alphabetisierungsbedarf nur eine Hilfstätigkeit aus. Damit ist die Gruppe der Personen mit Alphabetisierungsbedarf selbst als relativ heterogen zu bezeichnen. Auch lässt sich die unzureichende schriftsprachliche Kompetenz in jedem Fall nicht ausschließlich durch die Notwendigkeit, ein fremdes Schriftsystem zu erlernen, erklären. Vor dem Hintergrund eines, wie andere Daten belegen, insgesamt niedrigen Bildungsniveaus in der Zielgruppe ist davon auszugehen, dass viele Arbeitssuchende zwar bereits mit dem lateinischen Alphabet in Berührung gekommen sind, dabei allerdings noch keine ausreichend hohe Alphakompetenz aufbauen konnten.

2.3 Berufsbezogene Sprachkompetenz

Durch ihren Charakter als diagnostisches Instrument im Kontext von arbeitsmarktbezogenen Fördermaßnahmen sollten alle Elemente der Deutscheinschätzung gemäß Auftrag einen dezidierten Berufsbezug aufweisen. Dieser kommt bereits im Einstufungstest zum Tragen; der zugrunde liegende C-Test beruht auf Texten wie E-Mails, in denen die Testteilnehmenden nach einem kanonischen Prinzip getilgte Lücken korrekt ergänzen müssen. Mehr noch als im Prüfungsteil „Alpha“ wird der Berufsbezug in den Prüfungsteilen Lesen, Hören, Sprechen und Schreiben sichtbar, in denen die Testteilnehmenden unter Beweis stellen sollen, dass sie kommunikative Situationen, die für den Beruf relevant und typisch sind, sprachlich erfolgreich meistern können. Zu diesem Zweck wurde vor dem Hintergrund einer Sprachbedarfsanalyse ein umfassendes Modell berufsbezogener Sprachkompetenz erstellt. Im Detail hatte die oben genannte Zielgruppenanalyse ergeben, dass die Deutscheinschätzung schwerpunktmäßig vier Subgruppen berücksichtigen sollte:

  1. Baugewerbe und verarbeitende Berufe

  2. Gastgewerbe, Gesundheitswesen, Reinigung, Hygiene und Körperpflege

  3. Handel und Verkauf, kaufmännische und administrative Berufe

  4. Kaderfunktionen

Dementsprechend wurden für die Beschreibung des Sprachbedarfs im Rahmen einer Literaturrecherche einerseits solche Informationen zusammengetragen, die Auskunft über die spezifischen sprachlichen Anforderungen an Angehörige dieser vier Subgruppen geben. Andererseits sollten auch solche sprachlichen Anforderungen identifiziert werden, die sich im Sinne eines Querschnitts an alle Berufsgruppen stellen. Mit Blick auf das zugrunde liegende Kompetenzmodell folgt die vorliegende Beschreibung des Sprachbedarfs dem aufgabenbasierten Ansatz des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (Europarat 2001). Ein Sprachbedarf charakterisiert sich demgemäß als Summe derjenigen sprachlichen Funktionen und Mittel, die für die Zielgruppe zur erfolgreichen Bewältigung einer kommunikativen Aufgabe erforderlich sind (Avermaet/Gysen 2006) und damit im gegebenen Fall zu einer effektiven Teilhabe am Arbeitsmarkt beitragen. Die durchgeführte Beschreibung des Sprachbedarfs zielte mithin darauf ab, diejenigen Kommunikationssituationen, die für die Zielgruppen relevant sind, so exhaustiv wie möglich zu beschreiben. Des Weiteren finden sich Ausführungen zu sprachlichen Anforderungen mit Blick auf die in den kommunikativen Situationen typischerweise auftretenden Textsorten. Eine möglichst umfassende und präzise Bestandsaufnahme des sprachlichen Bedarfs ist im Zuge der Testerstellung notwendig, um auf ihrer Grundlage besonders häufige bzw. relevante oder typische Kommunikationssituationen auszuwählen, die dann wiederum Gegenstand des Testkonstrukts bzw. der einzelnen Testaufgaben werden.

2.4 Alphakompetenz

Die Alphabetisierung von Migrantinnen und Migranten hat seitens der Forschung und der Didaktik seit den 1990er-Jahren zunehmend Aufmerksamkeit erfahren (Ritter 2010). An dieser Stelle kann nicht auf die wachsende Zahl von empirischen Forschungsarbeiten oder methodischen Ansätzen eingegangen werden (für einen Überblick Feick/Schramm 2016 sowie jüngst Feldmeier Garcia 2022). Dem Prüfungsteil „Alpha“ liegt das Kompetenzmodell des Hamburger Projekts „Literalitätsentwicklung von Arbeitskräften“ (LEA) (Grotlüschen 2011) zugrunde. Dieses wurde seitens der Auftraggeberin der Deutscheinschätzung für fremdsprachige Stellensuchende festgelegt, um für deren Testzweck potenzielle Alphabetisierungsbedarfe von erwachsenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu identifizieren. Im Zuge des LEA-Projekts wurden getrennt für die Fertigkeiten Lesen und Schreiben Alphakompetenzen auf sechs Niveaustufen beschrieben. Diese Kompetenzbeschreibungen liegen analog zum Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen in der Form von Kann-Beschreibungen vor.

Für die Deutscheinschätzung sind lediglich die Kompetenzdeskriptoren für die Alpha-Levels 1, 2 und 3 relevant, da nur diese im Kontext des zweitsprachlichen Lernens einen eigenen Förderbedarf indizieren. Fehler, die auf den Alpha-Levels 4 und höher auftreten, sind für Zweitsprachenlernende aller Art auf den unteren Niveaustufen typisch und rechtfertigen keine Einteilung in einen Alphakurs. Nachfolgende Tabelle spezifiziert die einschlägigen Kompetenzbeschreibungen für die Fertigkeiten Lesen und Schreiben auf den im Prüfungsteil „Alpha“ operationalisierten Alpha-Levels 1, 2 und 3.

Tabelle 1

Kompetenzbeschreibungen für die Fertigkeiten Lesen und Schreiben auf den Niveaus Alpha 1, 2 und 3

Kompetenzbeschreibung Lesen Kompetenzbeschreibung Schreiben
Alpha-Level 1

(primäre Analphabeten)
1b)Kann KVK-Wörter mit bis zu 5 Graphemen phonologisch segmentieren

1c)Kann KVK-Wörter mit bis zu 5 Graphemen phonologisch synthetisieren (recodieren)

1d)Kann KVK-Wörter mit bis zu 5 Graphemen konstruierend decodieren
1d)Kann Wörter mit Silben, die aus einem Vokal oder Diphthong bestehen, schreiben (O-ma, Au-to)

1e)Kann Zahlen bis 20 als Zahl schreiben

1g)Kann kurze und geläufige Funktionswörter aufschreiben I (ist, ein, in, und, die, gegen)

1i)Kann Wörter mit weichen Stopp-konsonanten am Anfang des Wortes schreiben

1k)Kann am Anfang des Satzes groß-schreiben (SPO-Sätze, die mit Artikel oder Personalpronomen beginnen – der, die, das / ich, du, er, sie, es, wir, ihr, sie)

1l)Kann Eigennamen großschreiben (KVK, hohe Gebräuchlichkeit)

1m)Kann Wörter mit weichen Stopp-konsonanten in der Mitte des Wortes schreiben

1n)Kann Wörter mit offenen Silben schreiben (Na-se)
Alpha-Level 2

(sekundäre/ funktionale Analphabeten)
2b)Kann Wörter mit ansteigender Komplexität (Konsonantenhäufung) recodieren und decodieren 2a)Kann Eigennamen großschreiben (auch bei Konsonantenclustern und auch bei geringerer Gebräuchlich-keit)

2c)Kann kurze und geläufige Funktions-wörter aufschreiben II (bei, oder, zum, sie, alle)

2d)Kann Satzschlusszeichen anwenden (Punkt)

2e)Kann Wörter mit schwierigen Dauerkonsonanten schreiben

2f)Kann am Anfang des Satzes Großschreibung beachten

2g)Kann Wörter mit harten Stoppkonsonanten schreiben

2h)Kann Konkreta großschreiben

2i)Kann Wörter mit Dauerkonsonanten (schm, schr, schl, schn) schreiben

2k)Kann Wörter mit der Vorsilbe „vor“ richtig schreiben
Alpha-Level 3

(sekundäre/ funktionale Analphabeten)
3a)Kann einzelne Wörter im Satzkontext erlesen

3b)Kann orthographisch komplexere Wörter erlesen

3d)Kann Sätze mit ansteigender Länge sinnerfassend lesen

3e)Kann SPO-Sätze und SPO-Sätze mit Einfügungen sinnerfassend lesen
3a)Kann kurze und geläufige Funktionswörter aufschreiben III (je, für, nur, ob)

3f)Kann die Auslautverhärtung bei Substantiven beachten (Bund, Krieg)

3g)Kann Wörter mit einer Dopplung des Konsonanten im Auslaut orthographisch richtig schreiben

3j)Kann Wörter mit einer Dopplung des Konsonanten zwischen den Silben schreiben

Das Alpha-Level 1 wurde in der Deutscheinschätzung einem primären Analphabetismus gleichgesetzt, die Alpha-Levels 2 und 3 einem sekundären bzw. funktionalen Analphabetismus (Illettrismus). Bei Zweitschriftlernenden muss zumindest rudimentäre Schreib- und Lesekompetenz in der zuerst erworbenen Schrift vorhanden sein, wobei sich die Operationalisierung aus testpraktischen Gründen auf die Fertigkeit Schreiben beschränkt.

2.5 Testdesign

Zu Beginn der Testdurchführung füllen die Testteilnehmenden ein Personenblatt mit Angaben zur eigenen Person und zur Bildungs- und Erwerbsbiografie aus. In diesem Zusammenhang sollen die Testteilnehmenden zudem acht Begriffe in ihrer Muttersprache benennen. Abbildung 1 gibt einen Ausschnitt aus dem entsprechenden Teil des Personenblatts wieder.

Abbildung 1 
						Ausschnitt aus dem Personenblatt der Deutscheinschätzung für fremdsprachige Stellensuchende
Abbildung 1

Ausschnitt aus dem Personenblatt der Deutscheinschätzung für fremdsprachige Stellensuchende

Für die Einschätzung der Korrektheit steht der Testleitung ein Lösungsblatt zur Verfügung, in dem die jeweiligen Begriffe in Englisch, Spanisch, Portugiesisch, Italienisch, Französisch, Bosnisch, Serbisch, Kroatisch, Mazedonisch, Albanisch, Polnisch, Tschechisch, Slowakisch, Türkisch, Ungarisch, Russisch, Arabisch und Chinesisch aufgeführt sind. Ziel dieses Elements ist es nicht zu erfassen, ob die Testpersonen das Schriftsystem ihrer Muttersprache fehlerfrei beherrschen. Es soll mit den acht vorhandenen Items lediglich festgestellt werden, ob bereits elementare Alphakompetenzen in einem anderen Schriftsystem als dem lateinischen vorhanden sind.

Um einer der drei Leistungsgruppen A1/A2, A2/B1/B2 oder B2/C1 der eigentlichen Deutscheinschätzung zugeteilt zu werden, bearbeiten die Testpersonen nach dem Ausfüllen des Personenblatts einen berufsbezogenen C-Test, der die zuverlässige Einteilung in Leistungsgruppen ermöglicht. Zeigt sich beim Ausfüllen des Personenblatts oder des C-Tests, dass eine Testperson möglicherweise eine Alphabetisierungsproblematik aufweist, nimmt sie bzw. er nicht an der regulären Deutscheinschätzung teil, sondern absolviert gemeinsam mit einer Testleiterin oder einem Testleiter den optionalen Prüfungsteil „Alpha“.

Die Testpersonen bearbeiten zunächst den Subtest „Alpha Lesen“ und im Anschluss den Subtest „Alpha Schreiben“. Jeder der beiden Subtests liegt den Testpersonen als Papierversion vor und nimmt einen zeitlichen Umfang von zehn Minuten in Anspruch; die gesamte Zeit für den Prüfungsteil „Alpha“ beträgt damit 20 Minuten. Die Durchführung des Prüfungsteils „Alpha“ startet mit dem Subtest „Alpha Lesen“. Die Testleitung teilt der Testperson zunächst das Aufgabenblatt zum Subtest „Alpha Lesen“ aus. Dann erklärt sie die Aufgabenstellung und paraphrasiert diese, falls notwendig. Falls die Testperson in Aufgabe 1 die Wörter nicht lesen kann, lässt sich die Testleitung deren Einzelgrapheme nennen. Wurde Aufgabe 1 abgeschlossen, geht der Testleiter oder die Testleiterin zu Aufgabe 2 über und danach zu Aufgabe 3. Er oder sie erklärt jeweils die Aufgabenstellung und gibt nötigenfalls Unterstützung. In Aufgabe 3 stellt die Testleitung der Testperson zudem vier Fragen mündlich zum gelesenen Text. Nach maximal zehn Minuten Bearbeitungszeit beendet die Testleitung den Subtest „Alpha Lesen“, und zwar unabhängig vom jeweiligen Bearbeitungsstand. Während der Durchführung des Subtests „Alpha Lesen“ dokumentiert die Testleitung im Bewertungsbogen, ob die Teilnehmerantworten angemessen bzw. korrekt waren.

Im Anschluss an den Subtest „Alpha Lesen“ geht die Testleitung zum Subtest „Alpha Schreiben“ über. Im Subtest „Alpha Schreiben“ gibt die Testleitung der Testperson wiederum das Aufgabenblatt und erklärt im Anschluss die Aufgabenstellung. In Aufgabe 1 diktiert die Testleitung der Testperson einzelne Laute bzw. Wörter, die die Testperson auf das Aufgabenblatt schreibt. Wurde Aufgabe 1 durch die Testperson vollständig bearbeitet, geht die Testleitung zu Aufgabe 2 über. Sie erklärt wiederum die Aufgabenstellung und diktiert der Testperson drei Sätze. Nach maximal zehn Minuten beendet die Testleitung den Prüfungsteil „Alpha Schreiben“.

Nachfolgend werden die einzelnen Aufgaben der beiden Subtests im Prüfungsteil „Alpha“ beschrieben. Der Subtest „Alpha Lesen“ umfasst drei Aufgaben von zunehmender Schwierigkeit. Bei Aufgabe 1 sollen die Testpersonen einzelne Wörter vorlesen. Die Testleitung bzw. der oder die Prüfungsdurchführende notiert unmittelbar im Anschluss, ob das jeweilige Wort korrekt vorgelesen werden konnte. Abbildung 2 zeigt einen Ausschnitt aus der betreffenden Prüfungsaufgabe.

Abbildung 2 
						Ausschnitt aus Aufgabe 1 des Prüfungsteils „Alpha Lesen“
Abbildung 2

Ausschnitt aus Aufgabe 1 des Prüfungsteils „Alpha Lesen“

Bei der Testkonstruktion wurden konsequent die skalierten Kompetenzbeschreibungen des LEA-Modells operationalisiert. Beispielsweise adressiert Item 1 von Aufgabe 1 Alphakompetenzen der ersten Kompetenzstufe, und zwar:

  1. Kann KVK-Wörter mit bis zu fünf Graphemen phonologisch segmentieren.

  2. Kann KVK-Wörter mit bis zu fünf Graphemen phonologisch synthetisieren (recodieren).

  3. Kann KVK-Wörter mit bis zu fünf Graphemen konstruierend decodieren.

Demgegenüber ist Item 15 den Alphakompetenzstufen 2 und 3 zugeordnet:

  1. Kann Wörter mit ansteigender Komplexität (Konsonantenhäufung) recodieren und decodieren.

  2. Kann orthographisch komplexere Wörter erlesen.

Im Vergleich zu Aufgabe 1 ist Aufgabe 2 des Prüfungsteils „Alpha Lesen“ anspruchsvoller. Die Testteilnehmenden sollen zunächst kurze Sätze vorlesen. Im Anschluss sollen sie bei fünf Aussagen entscheiden, ob diese sinnvoll sind oder nicht. Während es bei Aufgabe 1 also primär um die Kompetenz geht, einzelne Wörter vorlesen zu können, steht bei Aufgabe 2 neben dem Lesen kurzer Sätze die Kompetenz des sinnerfassenden Lesens im Vordergrund. Abbildung 3 gibt einen Ausschnitt aus Aufgabe 2 wieder.

Abbildung 3 
						Ausschnitt aus Aufgabe 2 des Prüfungsteils „Alpha Lesen“
Abbildung 3

Ausschnitt aus Aufgabe 2 des Prüfungsteils „Alpha Lesen“

Item 1 von Aufgabe 2 adressiert die folgenden Kompetenzen aus dem LEA-Modell:

  1. Kann Wörter mit ansteigender Komplexität (Konsonantenhäufung) recodieren und decodieren.

  2. Kann einzelne Wörter im Satzkontext erlesen.

  3. Kann orthographisch komplexere Wörter erlesen.

  4. Kann Sätze mit ansteigender Länge sinnerfassend lesen.

  5. Kann SPO-Sätze und SPO-Sätze mit Einfügungen sinnerfassend lesen.

Im Sinne einer weiteren Schwierigkeitsprogression zielen die vier Items von Aufgabe 3 allein auf die Kompetenzstufe 3 des LEA-Modells. Im Fokus steht dabei ein kurzer, einfacher Text, zu dem die Testpersonen Fragen beantworten sollen. Die Fragen liegen nicht schriftlich vor, sondern werden von der Testleitung gestellt. Abbildung 4 gibt diese Aufgabe wieder.

Abbildung 4 
						Aufgabe 3 des Prüfungsteils „Alpha Lesen“
Abbildung 4

Aufgabe 3 des Prüfungsteils „Alpha Lesen“

Das erste Item zu Aufgabe 3 besteht in der Frage „Wohin fährt Lara?“. Offensichtlich wird hier sinnverstehendes Lesen ganzer (sehr kurzer) Texte überprüft. Im Zentrum des Konstrukts stehen dabei die folgenden Kompetenzbeschreibungen auf Stufe 3 des LEA-Modells:

  1. Kann einzelne Wörter im Satzkontext erlesen.

  2. Kann orthographisch komplexere Wörter erlesen.

  3. Kann Sätze mit ansteigender Länge sinnerfassend lesen.

  4. Kann SPO-Sätze und SPO-Sätze mit Einfügungen sinnerfassend lesen.

Nach Beendigung des Prüfungsteils „Alpha Lesen“ führt die Testleitung ohne Unterbrechung den Prüfungsteil „Alpha Schreiben“ durch. Dieser umfasst zwei Aufgaben, die zunehmend schwieriger werden. In Aufgabe 1 sollen die Testpersonen einzelne Buchstaben und Wörter schreiben, die ihnen die Testleitung diktiert. Abbildung 5 gibt einen Ausschnitt aus Aufgabe 1 wieder. Die Zielgrapheme lauten bei 1 Geld, bei 2 Auge, bei 3 Kino, bei 4 leben und bei 5 Hotel.

Abbildung 5 
						Ausschnitt aus Aufgabe 1 des Prüfungsteils „Alpha Schreiben“
Abbildung 5

Ausschnitt aus Aufgabe 1 des Prüfungsteils „Alpha Schreiben“

Aufgabe 1 des Prüfungsteils „Alpha Schreiben“ liegen wiederum die Deskriptoren des LEA-Modells zugrunde, und zwar auf den Niveaustufen 1 und 2. Bei Item 1 steht die Kompetenzbeschreibung „1i) Kann Wörter mit weichen Stoppkonsonanten am Anfang des Wortes schreiben“ im Fokus. Bei komplexeren Wörtern können für dasselbe Item mitunter zwei Kompetenzdeskriptoren relevant sein, etwa bei dem Wort „kommen“ die Beschreibung auf Kompetenzstufe 2 „g) Kann Wörter mit harten Stoppkonsonanten schreiben“ sowie die Beschreibung auf Kompetenzstufe 3 „3j) Kann Wörter mit einer Dopplung des Konsonanten zwischen den Silben schreiben“. In solchen Fällen werden die im Fokus stehenden Phänomene getrennt bewertet.

Aufgabe 2 des Subtests „Alpha Schreiben“ weist ebenfalls die Form eines Diktats auf, wobei hier aber drei ganze Sätze geschrieben werden sollen: „Max und Luka sind im Bus. Es ist schon 13 Uhr. Sie laufen zur Post.“ Bei den im Interesse stehenden Phänomenen handelt es sich um die folgenden Detailkompetenzen:

  1. Kann Zahlen bis 20 als Zahl schreiben.

  2. Kann kurze und geläufige Funktionswörter aufschreiben I (ist, ein, in, und, die, gegen).

  3. Kann am Anfang des Satzes großschreiben (SPO-Sätze, die mit Artikel oder Personalpronomen beginnen – der, die, das / ich, du, er, sie, es, wir, ihr, sie).

  4. Kann Eigennamen großschreiben (KVK, hohe Gebräuchlichkeit).

  5. Kann Eigennamen großschreiben (auch bei Konsonantenclustern und auch bei geringerer Gebräuchlichkeit).

  6. Kann kurze und geläufige Funktionswörter aufschreiben II (bei, oder, zum, sie, alle).

  7. Kann Satzschlusszeichen anwenden (Punkt).

  8. Kann am Anfang des Satzes Großschreibung beachten.

  9. Kann Konkreta großschreiben.

  10. Kann kurze und geläufige Funktionswörter aufschreiben III (je, für, nur, ob).

In lexikalischer Hinsicht orientiert sich der Prüfungsteil „Alphabetisierungsbedarf“ am Grundwortschatz „1.300 wichtige Wörter“ des Bundesverbandes Alphabetisierung und Grundbildung e.V. (2014). In grammatischer Hinsicht kommen lediglich einzelne Buchstaben, Silben, Wörter und sehr einfache Sätze vor.

2.6 Bewertung des Prüfungsteils „Alpha“

Beide Subtests des Prüfungsteils „Alpha“ werden während der Testdurchführung fortlaufend von der Testleitung bewertet. Für jeden Subtest steht ein eigenes Bewertungsblatt zur Verfügung, in dem für jedes Testitem festgehalten wird, ob es von der Testperson korrekt beantwortet wurde. Für jede korrekte Antwort wird ein Punkt vergeben. Für die Berechnung des Gesamtergebnisses werden alle Punkte addiert. Auf der Grundlage einer Korrespondenztabelle wird der Punktescore in eine abschließende Einstufung überführt.

Zusätzlich zur Ermittlung einer möglichen Alphabetisierungsproblematik ist die Testleitung gehalten, diesbezüglich relevante Beobachtungen zu dokumentieren. Auf dieser Basis können unter Umständen noch präzisere Förderentscheidungen getroffen werden. Abbildung 6 gibt die Bewertungsmatrix sowohl für Aufgabe 3 des Prüfungsteils „Alpha Lesen“ als auch für in diesem Zusammenhang aufschlussreiche Beobachtungen im Antwortverhalten der Testperson wieder.

Abbildung 6 
						Bewertungsmatrix für Aufgabe 3 des Prüfungsteils „Alpha Lesen“ sowie für Beobachtungen zur Testdurchführung
Abbildung 6

Bewertungsmatrix für Aufgabe 3 des Prüfungsteils „Alpha Lesen“ sowie für Beobachtungen zur Testdurchführung

2.7 Testmethodische Qualitätssicherung

Die Konzeption, Testerstellung und Testdurchführung sollte gemäß Auftrag durch den Kanton Zürich den gängigen Qualitätsanforderungen an High-Stakes-Tests genügen und orientiert sich deshalb am kanonischen Code of Practice der Association of Language Testers in Europe (ALTE 1994). Unter dem Gesichtspunkt der Testentwicklung muss diesem System von Standards folgend jedes Testsystem die zu erfassende Zielkompetenz ebenso präzise beschreiben wie seinen Testzweck (Standard 1). Beides wurde über die Ausschreibung des Amts für Wirtschaft und Arbeit klar vorgegeben und im Zuge einer umfassenden Analyse von Sprachbedarfen im Beruf weiter elaboriert. Standard 2 verlangt eine Beschreibung der Zielgruppe. Dieser Arbeitsschritt wurde im Rahmen einer ausführlichen Analyse von demografischen Daten von 67.927 Arbeitssuchenden im Kanton Zürich aus den Jahren 2014–2017 erledigt und in Bärenfänger (2021) publiziert. Aus dieser Analyse wurden auch für den vorliegenden Artikel einige relevante Befunde berichtet. Standard 3 zielt auf die Offenlegung relevanter Messgrößen ab. Diese Anforderung wurde über eine ausführliche Beschreibung der Testkonstrukte erfüllt, die im LEA-Modell niedergelegt und in einem umfänglichen Testhandbuch dokumentiert sind. In Ergänzung dazu fordert Standard 4 eine detaillierte Beschreibung des Testerstellungsprozesses ein. Auch diese Anforderung wird über die Ausführungen im Testhandbuch eingelöst. Mit Blick auf die Auswahl der Testinhalte und der zu messenden Fertigkeiten sollen gemäß Standard 5 präzise Angaben gemacht werden. Diese ergeben sich im Fall des Prüfungsteils „Alpha“ direkt aus dem LEA-Kompetenzmodell. Demgegenüber soll der Testanbieter, wie Standard 6 verlangt, Beispielaufgaben, Instruktionen, Antwortbögen, technische Berichte oder auch komplette Testsätze veröffentlichen. Standard 7 hebt auf Verfahren ab zur Sicherstellung, dass jede einzelne Prüfung angemessen durchgeführt wird, und zwar insbesondere ungeachtet unterschiedlicher ethnischer Herkünfte und sprachlicher Hintergründe der Testteilnehmerinnen und Testteilnehmer. Unter diesen Vorzeichen stehen offensichtlich die Reliabilität der Prüfung sowie ihre Validität für die Zielgruppe im Vordergrund. Diesbezüglich wurden eine Reihe von Maßnahmen zur Standardisierung der Deutscheinschätzung getroffen; auch wurden im Rahmen von Benchmarking- und Standardsetting-Verfahren die Angemessenheit und die Zielgruppenadäquatheit der Deutscheinschätzung untersucht. Technische Berichte und das Testhandbuch belegen das Bemühen der Testentwickler um eine hohe Reliabilität und Validität der Deutscheinschätzung. Unter Standard 8 schließlich sollen Angaben dazu gemacht werden, unter welchen Rahmenbedingungen die Testdurchführung erfolgt und welche Voraussetzungen dafür erforderlich sind. Im Fall des Prüfungsteils „Alpha“ müssen die Testleiterinnen und Testleiter beispielsweise eine spezifische Schulung durchlaufen haben. Die entsprechenden Workshop-Unterlagen belegen die Erfüllung der Anforderungen von Standard 8. Insgesamt darf der Prüfungsteil „Alpha“ wie auch die gesamte Deutscheinschätzung für sich in Anspruch nehmen, durch die Vielzahl von getroffenen Maßnahmen zur Qualitätssicherung den hohen Ansprüchen an einen High-Stakes-Test gerecht zu werden.

3 Ausblick

Die vorangegangenen Ausführungen zielten darauf ab, das Vorgehen bei der Erstellung eines diagnostischen Instruments zur Erfassung von unzureichender Schriftkompetenz darzustellen. Zu diesem Zweck wurden die Rahmenbedingungen vorgestellt, unter denen der Prüfungsteil „Alpha“ der Deutscheinschätzung für fremdsprachige Stellensuchende entwickelt wurde. Insbesondere wurde gezeigt, wie auf der Grundlage eines etablierten Kompetenzmodells für den Testzweck und die Zielgruppe passgenaue Testitems entwickelt worden waren, wie die Teilnehmerleistungen gemäß dem Kompetenzmodell bewertet werden können sowie welche Maßnahmen zur Qualitätssicherung getroffen wurden. Im Ergebnis liegt ein robustes und ökonomisch durchzuführendes diagnostisches Instrument vor, das nicht nur die Identifikation von Lernenden mit Alphabetisierungsbedarf erlaubt, sondern auch die Bestimmung der jeweiligen Ausprägung von Schriftkompetenzen. Auf das diagnostische Instrument abgestimmte Fördermaßnahmen ermöglichen eine optimierte Sprachförderung und Eingliederung in den Arbeitsmarkt.

About the author

Olaf Bärenfänger

ist Direktor des Sprachenzentrums an der Universität Leipzig. Er lehrt zudem am Herder-Institut der Universität Leipzig Deutsch als Fremd- und Zweitsprache und ist Gründungsvorstand des Instituts für Testforschung und Testwissenschaft e.V. Zu seinen Forschungsinteressen gehören Deutsch als Bildungssprache, Deutsch als Berufssprache, Kompetenzdiagnostik, Qualität in der Bildung, Lernen mit digitalen Medien, Forschungsmethodologie und Fremdsprachenerwerb. Für den DAAD ist Olaf Bärenfänger im Beirat Germanistik tätig, am Goethe-Institut als stellvertretender Vorsitzender des Beirats Sprache, beim Bundesinnenministerium des Inneren als Mitglied der Bewertungskommission und beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales als Mitglied des Expertenbeirats.

Literaturverzeichnis

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Published Online: 2022-10-19
Published in Print: 2022-10-04

© 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 25.10.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/infodaf-2022-0064/html
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