Kreislaufwirtschaft: Verzaubernde Perspektiven oder ein Mythos?
-
Christina Klusch
, Frieder RubikChristina Klusch , Institut für ökologische Wirtschaftsforschung. and Patrick SchöpflinDr. Frieder Rubik , Institut für ökologische Wirtschaftsforschung.Patrick Schöpflin , Institut für ökologische Wirtschaftsforschung.
Zusammenfassung
Die Transformation hin zu einer Kreislaufwirtschaft wird in Deutschland und der Europäischen Union als zentraler Teil einer nachhaltigen Entwicklung vorangetrieben. Die praktische Umsetzung steht jedoch noch am Anfang. Wir beleuchten vier Schlüsselbereiche, die „Bruchstellen“ zur bisherigen linearen Wirtschaft im Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft darstellen: (1) die Digitalisierung zur Verbesserung des Informationsaustauschs und der Rückverfolgbarkeit von Produkten, (2) die Regionalisierung und Umstrukturierung von Lieferketten, (3) die Überwindung von Obsoleszenz zur Verlängerung der Produktlebensdauer und (4) die Förderung einer gemeinsamen Nutzung (Sharing) von Produkten und Ressourcen. Wir schließen mit Handlungsempfehlungen für Politik, Unternehmen und Bürger*innen.
Abstract
The transformation towards a circular economy is being driven forward in Germany and the European Union as a central part of a sustainable development. However, its practical implementation is still in its infancy. We highlight four key areas that represent “breaking points” to the previous linear economy in the transition to a circular economy: (1) digitization to improve information exchange and traceability of products, (2) regionalization and restructuring of supply chains, (3) overcoming obsolescence to extend product lifetimes, and (4) promoting sharing of products and resources. We conclude with recommendations for action for policy, businesses and citizens.
1 Einleitung
In den letzten Jahren gewann die Erkenntnis, dass eine Transformation des Wirtschaftens für eine nachhaltige Entwicklung erforderlich ist, in der politischen Sphäre zunehmend an Gewicht. Deutlich machen dies der New Green Deal der Europäischen Kommission[1] sowie der Koalitionsvertrag der Ampelparteien der Bundesregierung[2]. Dabei ist ein zentrales Element der Übergang von einem linearen zu einem zirkulären Wirtschaften: Die Europäische Kommission (Europäische Kommission 2020) und die Bundesregierung (BMU 2020) haben zahlreiche Initiativen ergriffen, die auf eine Kreislaufwirtschaft abzielen; in Deutschland wird derzeit eine Kreislaufwirtschaftsstrategie erstellt, die 2024 fertiggestellt sein soll.
Mit dem Übergang zu einem zirkulären Wirtschaften werden fast verzaubernde Perspektiven versprochen: Ökonomische, soziale und ökonomische Vorteile, wie etwa Jobsicherung, Reduktion des Ressourcenverbrauchs, Verhindern von Abfallströmen usw. – also ein umfassendes Win-Win-Paket? Oder in den Worten der Europäischen Kommission (2020: 2): „Die Ausweitung der Kreislaufwirtschaft von den Vorreitern auf die etablierten Wirtschaftsakteure wird entscheidend dazu beitragen, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung zu entkoppeln und zugleich die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der EU zu sichern und niemanden zurückzulassen“.
Ist dies tatsächlich so einfach? Ist damit ein neuer Zauber geschaffen? Darauf gehen wir im Fortgang ein: Zunächst befassen wir uns mit der Kreislaufwirtschaft und der Wachstumsfrage (Kapitel 2); danach gehen wir auf Gegentendenzen im bisherigen Wirtschaftsmodell ein (Kapitel 3) und stellen in Kapitel 4 einige Ansatzpunkte zusammen, die der bisherigen linearen Logik entgegenwirken. Wir schließen mit Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen (Kapitel 5).
2 Kreislaufwirtschaft im Lichte der Ressourcen- und Wachstumsfrage
Obwohl wissenschaftliche Konzepte und Politiken zur Kreislaufwirtschaft schon lange bekannt sind, steckt deren Umsetzung noch in den Kinderschuhen: Der jährlich erscheinende Circular Gap Report[3] analysiert den Grad der globalen Zirkularität: Waren dies 2018 noch 9,1 %, so ist der Anteil auf 7,2 % in 2023 gesunken (ebd., 8). Es zeigt sich: Die Lücke verringert sich nicht, sie wird größer. Einzelne Länder sind dabei unterschiedlich weit[4]: So liegt Schweden beispielsweise bei einem Anteil von 3,4 %, während die Zirkularitätsrate vom Spitzenreiter Niederlande bei 24,5 % liegt.
Diese Zahlen zeigen, dass eine extrem große Lücke zu einer globalen Kreislaufwirtschaft besteht. Dies gilt für viele Staaten. Selbst die Niederlande streben eine komplette Zirkularität erst bis 2050 an. Daraus lässt sich allein mathematisch ableiten, dass jedes weitere Wirtschaftswachstum noch erheblich mehr Anstrengungen erfordern würde, die Zirkularitätslücke zu vermindern, als dies ohne ein solches Wachstum erforderlich wäre. Und selbst wenn dies gelänge, wäre der sich über mehrere Jahrzehnte erstreckende Zeitraum mit Blick auf die planetaren Grenzen nicht tolerierbar.
3 Gegentendenzen in Zeiten der Krisen
In Zeiten der Klimakrise und insbesondere im Zusammenhang mit der COVID-19 Pandemie entwickeln sich Gegentendenzen zum bisher dominanten Paradigma der Effizienzerhöhung, Rationalisierung und Just-in-time Produktion. So wurde vom „Economist“ der Begriff „Slowbalization“ (24.1.2019) geprägt, um die Verlangsamung von Globalisierungstendenzen zu beschreiben. Die damit verbundene Rückverlagerung von Fertigungskapazitäten in Länder des Globalen Nordens wird unter dem Begriff „Reshoring“ geführt (Butollo/Staritz 2022). Treiber dieser Gegentrends werden in der Reorientierung der Handels- und Industriepolitik, auch in Reaktion auf die beschriebenen Krisen, sowie in gestiegenen Arbeitskosten gesehen.
Nicht zuletzt hat die Zielgröße „Resilienz“ an Bedeutung gewonnen, nachdem die COVID-19 Pandemie die Störanfälligkeit globaler Produktionsnetzwerke eindrucksvoll verdeutlicht hat. „Reshoring“ wird als ein möglicher Weg diskutiert, um die gewünschte Resilienz zu erhöhen (Soroka et al. 2016). Gleichzeitig kann eine Reaktion auf die Anfälligkeit des Produktionssystems jedoch auch eine noch weitere Diversifikation der Lieferketten und Geschäftspartner sein, um flexibler auf Störungen reagieren zu können, beispielsweise durch lokale Extremwettereignisse (Choudray et al. 2022). In der Wirtschaftspraxis lässt sich, insbesondere bei den großen global agierenden Unternehmen, auch eher diese Ausrichtung beobachten (Butollo/Staritz 2022).
Somit ist es keineswegs ausgemacht, dass die Gegentendenzen das dominante Paradigma infrage stellen; sie können auch als Verfeinerung und Risikostreuung verstanden werden.
4 „Bruchstellen“ identifizieren & ausbauen
Bruchstellen werden von uns als Möglichkeiten verstanden, neue Pfade einzuschlagen, die in Richtung Kreislaufwirtschaft weisen und dabei planetare Grenzen beachten (helfen). Diese können auch dazu beitragen, das herrschende paradigmatische Narrativ zu hinterfragen. Wir haben hier vier Bruchstellen zusammengestellt, die sicherlich noch in anderen Bereichen bzw. auf anderen Ebenen ergänzt und ausgebaut werden könnten.
4.1 Digitalisierung und Kreislaufwirtschaft
Eines der größten Hindernisse für die Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft ist derzeit, dass den Akteuren (wie Hersteller, Nutzer*innen und End-of-Use-Manager*innen) entlang des Lebenszyklus Produktinformationen, z. B. zu den Produkteigenschaften, den verwendeten Materialien oder dem Nutzungsstatus oft nicht zur Verfügung stehen (Alcayaga/Hansen 2022), um Produkte in einem Kreislauf zu führen. Digitale Technologien können dazu beitragen, dieses Hindernis zu überwinden, indem sie einen zuverlässigeren Informationsaustausch zwischen verschiedenen Akteuren ermöglichen (Bressanelli et al. 2022). Digitalisierung wird daher von Forschung, Wirtschaft und Politik als eine mögliche Schlüsselkomponente für die Transformation zu einer Kreislaufwirtschaft gesehen.[5] Die verschiedenen Anwendungspotenziale betreffen insbesondere die Verbesserung von Produkten und Geschäftsmodellen entlang von Wertschöpfungsketten. Oft basieren diese Potentiale auf der Nutzung digitaler Technologien für eine Datenerhebung und einen transparenten Datenaustausch.
Durch Produkt-Tracking und -Monitoring können Unternehmen Informationen zu dem aktuellen Zustand und dem Standort eines Produkts erheben oder erfahren, wie Kund*innen das Produkt nutzen und entsorgen. Über Sensoren können beispielsweise Daten über Nutzungshäufigkeit, Schäden und Verluste erfasst werden, um das Design, die Nutzung und das End-of-Use-Management zu optimieren.
Durch einen Datenaustausch zwischen verschiedenen Akteuren entlang von Wertschöpfungsketten können zum einen informierte und bewusste Kaufentscheidungen getroffen und zum anderen die Rückverfolgbarkeit und Recyclingfähigkeit der verwendeten Materialien erhöht werden (Beier/Pohl 2017). Der European Green Deal schlägt zu diesem Zweck die Entwicklung und Einführung eines digitalen Produktpasses, der Umwelt- und Materialdaten eines Produkts speichern kann, vor.
Aber es gibt auch Hürden bei der Umsetzung einer digitalen Kreislaufwirtschaft. Zum einen ist das Digitalisierungslevel in Unternehmen aktuell oft relativ gering, sodass ausreichend Zeit und Geld für eine Umstellung der Prozesse eingeplant werden muss. Zum anderen geht eine zunehmende Digitalisierung mit einem erhöhten Ressourcenverbrauch, u. a. von seltenen Erden, für die digitalen Komponenten einher. Digitalisierung sollte daher kein Selbstzweck sein, sondern ein Mittel, um Kreislaufprodukte und -prozesse effizienter zu gestalten. Für eine möglichst effiziente digitale Kreislaufwirtschaft sollten bestehende Dateninfrastrukturen genutzt, nur nötige Daten gesammelt und digitale Komponenten ebenfalls im Kreislauf geführt werden.
4.2 Regionalisierung und neue Lieferbeziehungen
Ein weiterer Pfad für eine Kreislaufwirtschaft ist in der Regionalisierung zu sehen. In diesem Kontext möchte die EU die industrielle Symbiose als Leitkonzept fördern. Im Fokus der industriellen Symbiose steht die Verwertung von Reststoffen als Inputfaktoren für andere Prozesse oder Sektoren, beispielsweise die Herstellung von Biogas und Düngemittel aus Bioabfallströmen und Klärschlamm, indem die entsprechenden regionalen Stoffströme und Akteure miteinander vernetzt werden (Vanhamäki et al. 2020). Eine solche Industriesymbiose kann zahlreiche Vorteile bringen: Die Steigerung der Ressourcenproduktivität, die Verringerung des Material-, Wasser- oder Energieverbrauchs sowie die Reduktion von Emissionen (Chen et al. 2022).
Die Frage einer regionalen Kreislaufwirtschaft geht allerdings über reine Industriesymbiosen hinaus: Vielmehr geht es um eine grundlegende Umstrukturierung von Lieferketten sowie das Zusammenspiel von Produktion und Konsum. Die Umstrukturierung erfordert die Entwicklung der Lieferbeziehungen von kurzfristigen und kontradiktorischen Beziehungen hin zu einer engeren Koordination und langfristigen Beziehungen mit ausgewählten Lieferanten (Bressanelli et al. 2022). Nur über die Integration der Konsument*innen können auch Distributionsverkehre reduziert werden und die Rücknahmelogistik, bei der Konsument*innen eine entscheidende Rolle spielen, ökologisch optimiert werden.
Die Umsetzung bedarf einem hohen Grad an interorganisatorischer Zusammenarbeit, was häufig eine große Herausforderung in einer stark wettbewerbsorientierten Marktwirtschaft darstellt (Rincón-Moreno et al. 2020). Auch die langfristige Ausrichtung auf die Steigerung der Kreislauffähigkeit (Konsistenz) steht im Konflikt mit einem häufig vorherrschenden unternehmerischen Fokus auf kurzfristige Effizienzgewinne und dem Kauf- und Nutzungsverhalten der Konsument*innen. Daher spielen neben Unternehmen und Konsument*innen auch die Kommunen eine entscheidende Rolle, um als vermittelnder und ermöglichender Akteur die Transformation hin zu einer regionalen Produktions- und Kreislaufwirtschaft zu unterstützen (Christensen 2021).
4.3 Obsoleszenzen überwinden
Gebrauchsgüter werden irgendwann ausgemustert, dies kann etwa an ihrem technischen Verschleiß („Obsoleszenz“) oder auch an Modetrends liegen. Eine Verlängerung ihrer Nutzungsdauer – jenseits der Häufigkeit ihrer Nutzung (siehe unten) – hält die Güter so lange wie möglich funktionsfähig und reduziert damit die Inanspruchnahme von neuen Ressourcen. Allerdings bedeutet eine derartige Verlängerung, dass der Absatz von neuen Produkten zurückgehen könnte – aus Sicht der Wirtschaft, die verkaufen will, ein unerwünschter Effekt, sofern das bisherige lineare Geschäftsmodell beibehalten wird.
Entsprechend wird auch oft der Verschleiß von Produkten durch die Wirtschaft „geformt“, z. B. durch Sollbruchstellen, durch fehlende Austauschmöglichkeiten von Komponenten oder durch unzureichende Bevorratung von Ersatzteilen (Prakash et al. 2016): Dieser technische Verschleiß wird begleitet durch Marketingkonzepte, mit denen Unternehmen Trends kreieren, die auf vermeintliche Konsument*innenwünsche einwirken und dazu beitragen, Geräte vorzeitig auszumustern und neue anzuschaffen. Die Wirtschaft spielt also eine prägende Rolle, aber es darf auch das Konsumverhalten nicht unterschätzt werden.
Es gibt aber einige Ansatzpunkte für eine Trendumkehr: Eine Verlängerung der Lebensdauer von Produkten kann durch verschiedene Strategien, oft als „R-Strategien“ (Potting et al. 2018) bezeichnet, erreicht werden: Insbesondere durch ihre Wiederverwendung, durch Instandhaltung und Reparatur und durch Weiterverwendung einzelner Komponenten. Einige Unternehmen bieten als Teil ihres Geschäftsmodells bereits die Instandhaltung bzw. Reparatur ihrer Produkte an. Selbsthilfeinitiativen und zivilgesellschaftliche Akteure haben beispielsweise Repair-Cafés eingerichtet, wo in offenen Werkstätten können Bürger*innen selbstbestimmt kreativ arbeiten und auch ihre eigenen Güter schaffen oder reparieren. Diese Aktivitäten stellen sicherlich Einstiege in eine Trendwende dar. Allerdings verharren sie bisher eher in Nischen. Sie können als Symbole und Vorbilder eine gewisse Verbreitung finden, wirken jedoch zu wenig in die Breite und bringen noch keinen Trend zu einem Umstieg in eine Kreislaufwirtschaft voran.
Die Widerstände gegen eine Verlängerung der Nutzungsdauer begrenzen sich jedoch nicht nur auf die lineare Absatzlogik der Wirtschaft. Auch seitens der Konsument*innen gibt es Vorbehalte, etwa hinsichtlich der Qualität von Reparaturen, dem Erwerb von instandgesetzten Produkten oder dem Zeitaufwand. Daneben spielen auch Wissen und Wahrnehmung um Reparaturmöglichkeiten eine Rolle (Jensen et al 2021). Eine weitere entscheidende Barriere sind die (Lohn-)Kosten, die für die gewerbliche Reparatur von Gebrauchsgütern im Vergleich zu einem Neukauf von Produkten anfallen, die nach der linearen Kauf- und Wegwerflogik hergestellt wurden.
4.4 Teilen statt erwerben
Eine weitere Unterstützung einer Kreislaufwirtschaft liegt in der gemeinsamen Nutzung (Sharing) von Produkten oder Ressourcen durch mehrere Personen oder Organisationen: Statt Gebrauchsgüter zu kaufen, die nur selten benutzt werden, ermöglichen neue Geschäftsmodelle wie Sharing-Plattformen den Zugang zu diesen Gegenständen, wenn sie tatsächlich benötigt werden. So können Nutzungshäufigkeit und Ressourceneffizienz erhöht sowie die Nachfrage nach neuen Produkten und damit Umweltbelastungen reduziert werden. Car- und Bike-Sharing-Dienste tragen beispielsweise dazu bei, die Zahl der Privatfahrzeuge zu reduzieren und damit Emissionen und Staus in städtischen Gebieten zu verringern. Aber auch das (nachbarschaftliche) Teilen von Werkzeugen oder Haushaltsgeräten birgt Potential, Aspekte der Kreislaufwirtschaft in das eigene Leben zu integrieren. Über den Schweizer Verein „Pumpipumpe“[6] (Verein Pumpipumpe, o. J.) kann man sich beispielweise Sticker von Alltagsgegenständen besorgen, um der Nachbarschaft anzuzeigen, welche Produkte geteilt werden könnten. Diese Art der gemeinschaftlichen Nutzung zeigt eine besondere Art der Regionalisierung von Wirtschaftstransaktionen in die unmittelbare lokale Umgebung der Nutzenden.
Neben diesen Potentialen gibt es jedoch auch Fallstricke einer geteilten Nutzung, die bei der Ausgestaltung einer Kreislaufwirtschaft unbedingt beachtet werden müssen:
Im Kontext einer gemeinsamen Nutzung von Produkten müssen Eigentumsrechte neu justiert werden: Anstatt eines auf Dauer angelegten privaten Produktbesitzes rücken Zugangs- und temporäre Nutzungsrechte in den Fokus.
Sharing-Modelle können zwar einen nachhaltigeren Konsum fördern, es besteht jedoch die Gefahr, dass sie einen übermäßigen Konsum fördern und Rebound-Effekte auslösen.
Mit der zunehmenden Kommerzialisierung von Sharing-Economy-Modellen besteht die Gefahr, dass das ursprüngliche Ethos des Teilens im Sinne der Nachhaltigkeit verloren geht. Wenn Sharing-Plattformen dem Gewinn Vorrang vor der Nachhaltigkeit einräumen, können sie Umweltauswirkungen übersehen oder zu übermäßigem Konsum verleiten.
In einer Sharing Economy hängt der Zugang zu gemeinsam genutzten Ressourcen und Produkten von Faktoren wie dem Standort, Mitgliedsbeiträgen oder digitalen Kenntnissen ab. Dies könnte zu Ungleichheiten führen, da einige Personen oder Gemeinschaften nicht den gleichen Zugang zu den Vorteilen von Sharing-Plattformen haben.
5 Handlungsoptionen
Lässt sich aus den vorangegangen Kapiteln nun ableiten, dass ein Übergang zu einer Degrowth-Ökonomie erforderlich ist, wie dies von deren Verfechter*innen (z. B. Hickel/Kallis 2020) gefordert wird? Oder können wir dem Wachstumsoptimismus vertrauen, der gerade in der Entfesselung der Marktkräfte sich eine transformative zirkuläre Schubumkehr erhofft (z. B. Terzi 2022). Diese Debatte ist weder theoretisch noch empirisch entschieden, wir vertreten eine differenzierte Position, die – unter anderem – ein systematisches Öffnen und Ausweiten von „Bruchstellen“ und neuer Pfade der gesellschaftlichen Entwicklung auslotet.
Die vorgestellten Bruchstellen zeigen, dass es Ansatzpunkte gibt, um einen Übergang von einem linearen zu einem zirkulären Wirtschaften voranzubringen. Allerdings ist dies kein Selbstläufer, sondern erfordert viele Aktivitäten und Maßnahmen auf mehreren Ebenen.
Zuallererst ist hier die Politik gefordert, ein „Level playing field“, möglichst auf EU-Ebene, zu schaffen. Dazu gehören Vorgaben zum nachhaltigen Produktdesign, zur Veränderung der relativen Preise zwischen Arbeit und Ressourcen durch eine nachhaltige Steuerpolitik, zur Unterstützung sowie Befähigung eines Informations- und Datenmanagements entlang von Wertschöpfungsketten (etwa durch digitale Produktpässe) und zur Erweiterung der Produzentenverantwortung.
Auf Seiten der Unternehmen ist eine Evolution in Richtung zirkulärer Geschäftsmodelle erforderlich, die das bisherige lineare Modell ablösen. Gerade Innovationen, Experimente und das Suchen nach neuen Lösungen sind hierbei ein Herzstück, entwickelt von Start-Ups und auch von etablierten Unternehmen.
Bürger*innen haben zwar strukturell nur begrenzte Handlungsmöglichkeiten, die es aber auszunutzen und verantwortlich zu gestalten gilt. Erwerb, Nutzung und Rückführung von Ge- und Verbrauchsgütern können durchaus in Richtung Zirkularität neu ausgerichtet werden, die entsprechenden Rahmenbedingungen vorausgesetzt.
Über die Autoren
Christina Klusch, Institut für ökologische Wirtschaftsforschung.
Dr. Frieder Rubik, Institut für ökologische Wirtschaftsforschung.
Patrick Schöpflin, Institut für ökologische Wirtschaftsforschung.
Literatur
Alcayaga, Andres/Hansen, Erik G. 2022: Internet of Things Enabling the Circular Economy. An Expert Study of Digitalisation Practices in B2B Firms. Linz: Institute for Integrated Quality Design (IQD), Johannes Kepler Universität Linz (JKU). https://doi.org/10.35011/IQD.2022-02.Search in Google Scholar
Beier, Grischa/Pohl, Johannes 2017: Ökologische Nachhaltigkeit in der digitalen Produktion. In: Ökologisches Wirtschaften, 32(3), 18–20, https://doi.org/10.14512/OEW320318.10.14512/OEW320318Search in Google Scholar
BMU [Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit] 2020: Deutsches Ressourceneffizienzprogramm III 2020 – 2023 Programm zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz der natürlichen Ressourcen. https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Ressourceneffizienz/progress_iii_programm_bf.pdf.Search in Google Scholar
Bowen, Alex/Hepburn, Cameron 2014: Green growth: an assessment. In: Oxford University Press (Hg.): Oxford Review of Economic Policy, 30, 407–422, https://www.jstor.org/stable/43664656.10.1093/oxrep/gru029Search in Google Scholar
Bressanelli, Gianmarco/Adrodegari, Federico/Pigosso, Daniela C.A./Parida, Vinit 2022: Towards the Smart Circular Economy Paradigm: A Definition, Conceptualization, and Research Agenda. In: Sustainability 14(9), 4960, https://doi.org/10.3390/su14094960.10.3390/su14094960Search in Google Scholar
Butollo, Florian/Staritz, Cornelia 2022: Deglobalisierung, Rekonfiguration oder Business as Usual?. COVID-19 und die Grenzen der Rückverlagerung globalisierter Produktion. In: Berliner Journal für Soziologie 32(3), 393–425, https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s11609-022-00479-5.pdf?pdf=button.10.1007/s11609-022-00479-5Search in Google Scholar
Chen, Xinyi./Dong, Miaoxin/Zhang, Long/Luan, Xiaoyu/Cui, Xiaowei/Cui, Zhaojie 2022: Comprehensive evaluation of environmental and economic benefits of industrial symbiosis in industrial parks. In: Journal of Cleaner Production, 131635, https://doi.org/10.1016/j.jclepro.2022.131635.10.1016/j.jclepro.2022.131635Search in Google Scholar
Choudhary, Nishat Alam/Ramkumar, M./Schoenherr, Tobias/Rana, Nripendra P./Dwivedi, Yogesh K. 2022: Does reshoring affect the resilience and sustainability of supply chain networks? The cases of Apple and Jaguar Land Rover. In: British Journal of Management, Vol. 34, 1138–1156, https://doi.org/10.1111/1467-8551.12614.10.1111/1467-8551.12614Search in Google Scholar
Christensen, Thomas Budde 2021: Towards a circular economy in cities: Exploring local modes of governance in the transition towards a circular economy in construction and textile recycling. In: Journal of Cleaner Production 305 (127058), https://doi.org/10.1016/j.jclepro.2021.127058.10.1016/j.jclepro.2021.127058Search in Google Scholar
Europäische Kommission 2020: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ein neuer Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft, Für ein saubereres und wettbewerbsfähigeres Europa, https://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:9903b325-6388-11ea-b735-01aa75ed71a1.0016.02/DOC_1&format=PDF.Search in Google Scholar
Hickel, Jason/Kallis, Giorgos 2020: Is green growth possible? In: New Political Economy 25(4), 469–486, https://doi.org/10.1080/13563467.2019.1598964.10.1080/13563467.2019.1598964Search in Google Scholar
Jensen, Peter Byrial/Laursen, Linda Nhu/Møller Haase, Louise 2021: Barriers to product longevity: A review of business, product development and user perspectives. In: Journal of Cleaner Production, Vol. 313, 127951, https://doi.org/10.1016/j.jclepro.2021.127951.10.1016/j.jclepro.2021.127951Search in Google Scholar
Potting, José/Hanemaaijer, Aldert/Delahaye, Roel/Hoekstra, Rutger/Ganzevles, Jurgen/Lijzen, Johannes 2018: Circular economy: what we want to know and can measure Framework and baseline assessment for monitoring the progress of the circular economy in the Netherlands, https://www.pbl.nl/sites/default/files/downloads/pbl-2018-circular-economy-what-we-want-to-know-and-can-measure-3217.pdf.Search in Google Scholar
Prakash, Siddharth/Dehoust, Günther/Gsell, Martin/Schleicher, Tobias 2016: Einfluss der Nutzungsdauer von Produkten auf ihre Umweltwirkung: Schaffung einer Informationsgrundlage und Entwicklung von Strategien gegen „Obsoleszenz“. UBA-Texte 11/2016. https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/publikationen/texte_11_2016_einfluss_der_nutzungsdauer_von_produkten_obsoleszenz.pdf.Search in Google Scholar
Rincón-Moreno, John/Ormazabal, Marta/Álvarez, Maria J./Jaca, Carmen 2020: Shortcomings of transforming a local circular economy system through industrial symbiosis: a case study in Spanish SMEs. In: Sustainability 12(20), 8423; https://doi.org/10.3390/su1220842310.3390/su12208423Search in Google Scholar
Soroka, Anthony/Naim, Mohamed/Purvis, Laura/Hopkins, Andrew 2016: Supply chain re-shoring and its relationship with supply chain resilience. In: Sustainable Design and Manufacturing, 644–655, sdm15-047.pdf (nimbusvault.net)Search in Google Scholar
Terzi, Alessio 2022: Growth for Good. Reshaping Capitalism to Save Humanity from Climate Catastrophe. Harvard University Press.10.4159/9780674276338Search in Google Scholar
Vanhamäki, Susanna/Virtanen, Maarit/Luste, Sami/Manskinen, Kati 2020: Transition towards a circular economy at a regional level: A case study on closing biological loops. In: Resources, Conservation and Recycling 156(104716), https://doi.org/10.1016/j.resconrec.2020.104716.10.1016/j.resconrec.2020.104716Search in Google Scholar
© 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
Articles in the same Issue
- Frontmatter
- Editorial
- Recycling und Kreislaufwirtschaft
- Aktuelle Analyse
- Kreislaufwirtschaft zwischen bottom-up und top-down Initiativen
- Themenschwerpunkt Recycling und Kreislaufwirtschaft Der Beitrag der Zivilgesellschaft
- Kreislaufwirtschaft: Verzaubernde Perspektiven oder ein Mythos?
- Kreislaufwirtschaft hat Grenzen
- Verbraucherperspektiven auf Kreislaufwirtschaft und Klimaschutz
- Kreislaufwirtschaft „an der Basis“ – Verpackungen und Konsumarbeit
- Zur Bedeutung von Repair Cafés für die (Etablierung der) Kreislaufwirtschaft
- IPB beobachtet
- Theorie und Praxis (pan-)afrikanischer sozialer Bewegungen
- Pulsschlag
- Verbrauchersozialpolitik. Ein Tagungsbericht
- Transformation wohin, wofür und auf welchem Weg?
- CONTRASTE: Neues im Alten
- Ökologisches Wirtschaften
- Literatur
- Das problematische Nachhaltigkeitsversprechen
- Feministische Solidarität als Möglichkeit eines dekolonisierenden Dialogs über Differenz
- Annotierte Literaturübersicht
Articles in the same Issue
- Frontmatter
- Editorial
- Recycling und Kreislaufwirtschaft
- Aktuelle Analyse
- Kreislaufwirtschaft zwischen bottom-up und top-down Initiativen
- Themenschwerpunkt Recycling und Kreislaufwirtschaft Der Beitrag der Zivilgesellschaft
- Kreislaufwirtschaft: Verzaubernde Perspektiven oder ein Mythos?
- Kreislaufwirtschaft hat Grenzen
- Verbraucherperspektiven auf Kreislaufwirtschaft und Klimaschutz
- Kreislaufwirtschaft „an der Basis“ – Verpackungen und Konsumarbeit
- Zur Bedeutung von Repair Cafés für die (Etablierung der) Kreislaufwirtschaft
- IPB beobachtet
- Theorie und Praxis (pan-)afrikanischer sozialer Bewegungen
- Pulsschlag
- Verbrauchersozialpolitik. Ein Tagungsbericht
- Transformation wohin, wofür und auf welchem Weg?
- CONTRASTE: Neues im Alten
- Ökologisches Wirtschaften
- Literatur
- Das problematische Nachhaltigkeitsversprechen
- Feministische Solidarität als Möglichkeit eines dekolonisierenden Dialogs über Differenz
- Annotierte Literaturübersicht