Home Holger Böning: Christian Friedrich Daniel Schubart. Journalist und Kritiker des Journalismus, Intelligenzblattredakteur und Publizist des Sturm und Drang (Presse und Geschichte – Neue Beiträge: 165). Bremen: edition lumière, 2025. 443 S., Abbildungen. ISBN 978-3-948077-37-2, Hardcover, € 39,80
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Holger Böning: Christian Friedrich Daniel Schubart. Journalist und Kritiker des Journalismus, Intelligenzblattredakteur und Publizist des Sturm und Drang (Presse und Geschichte – Neue Beiträge: 165). Bremen: edition lumière, 2025. 443 S., Abbildungen. ISBN 978-3-948077-37-2, Hardcover, € 39,80

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Published/Copyright: October 17, 2025

Rezensierte Publikation:

Holger Böning: Christian Friedrich Daniel Schubart. Journalist und Kritiker des Journalismus, Intelligenzblattredakteur und Publizist des Sturm und Drang (Presse und Geschichte – Neue Beiträge: 165). Bremen: edition lumière, 2025. 443 S., Abbildungen. € 39,80 ISBN 978-3-948077-37-2, Hardcover


Der Rezensent freut sich, wenn er auf ein Zitat stößt, das für den Protagonisten des vorliegenden Buches wie maßgeschneidert erscheint: „Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte“.[1] Dieses „Schwanken“ hat sich bis heute fortgesetzt. Als 2009 die vorläufig letzte große Schubart-Biografie erschien, machte einer der Rezensenten kein Hehl daraus, dass er von Schubart nicht viel hält.[2] Dass der Publizist, Prediger, Historiker, Musiker, Komponist, Musik- und Theaterdirektor am herzoglichen Hof in Stuttgart etc. bis heute in der Forschung präsent ist, beweisen die ihm gewidmeten Publikationen des letzten Jahrzehnts, auf die kurz hingewiesen sei.

2016 erschien, herausgegeben von Barbara Potthast „Christoph Friedrich Daniel Schubart. Das Werk“, ein Sammelband mit Beiträgen unter anderen von Bernd Jürgen Warneken und Hermann Bausinger.[3] Auf die erste Tagung der 2019 gegründeten Schubart-Gesellschaft geht zurück „Christian Friedrich Daniel Schubart und die Französische Revolution“, ebenfalls herausgegeben von Barbara Potthast.[4] Der Band im Gefolge der 2. Tagung vom März/April 2022, herausgegeben von Nicole Bickhoff, Wolfgang Mährle und Barbara Potthast, „Die Geburt des modernen Journalismus. Christian Friedrich Daniel Schubart und Wilhelm Ludwig Weckherlin“ liegt seit kurzem vor.[5]

Im Mai 2024 ist Holger Böning, der Autor der jüngsten Veröffentlichung, der Nestor der deutschen Presseforschung, speziell der Aufklärungsforschung, plötzlich verstorben.[6] In seinem digitalen Nachlass fand sich die „fast druckfertige Monographie“, die nun besprochen werden soll. Reinhart Siegert und Michael Nagel, jahrelang Bönings Mitstreiter in der Aufklärungsforschung, insbesondere der Volksaufklärungsforschung, haben dem Manuskript als Bönings Opus postumum zum Druck verholfen. Beiden war vorher nicht bekannt, dass Böning an dieser Monografie arbeitete. Die Publikation ist der letzte Band des von Böning gegründeten verdienstvollen Verlages „edition lumière“ und der vielbändigen Reihe „Presse und Geschichte“.

Die Absicht Bönings war es nun nicht, eine weitere Biografie Schubarts zu verfassen. Vielmehr ist diese Studie, wie der Autor im Vorwort erläutert, „Schubarts publizistischem Werk und seinen journalistischen Leistungen gewidmet“. Dies ist besonders zu unterstreichen, denn es war seine Zeitschrift, die von ihm 1774 gegründete Deutsche Chronik, die ihn eigentlich erst berühmt machte. Letztendlich war es ihr aufklärerisch-kritischer Blick, der ihm seine 10-jährige von Herzog Carl Eugen von Württemberg angeordnete Haft auf dem Hohenasperg eintrug.

Das erste Kapitel stellt den Kritiker des Journalismus und der deutschen Zeitungen vor. In einem Exkurs sieht Böning die Geburt des Journalismus in der Nachrichtenvermittlung seit dem 16. Jahrhundert. Er hebt journalistische Meisterleistungen des 17. und 18. Jahrhunderts, also schon vor dem Auftreten Schubarts, hervor und geht auf die Prinzipien der frühneuzeitlichen Zeitungsberichterstattung ein.

Zweites und drittes Kapitel bringen dann als konkrete Beispiele die Berichterstattung über die zwei herausragenden politischen Ereignisse des 18. Jahrhunderts, die nordamerikanische Unabhängigkeitsbewegung ab 1774 und die Revolution in Frankreich einschließlich ihrer Vorgeschichte. In beiden Fällen untersucht Böning Schubarts hauptsächliche Quellen. Für Frankreich ist es vor allem die Staats- und gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten und die Real-Zeitung aus Erlangen. Kennzeichnend für ihre Beiträge sind die Freiheitsbegeisterung, das Schwärmen von „heiliger Freiheit“, und die Bezeichnung Frankreichs als „das glücklichste Reich der Welt“ mit einem „guten König und seinem großen Minister“. Böning geht nicht nur auf die Beurteilung von Schubarts journalistischer Leistung durch seine Zeitgenossen ein, sondern auch auf seinen kritischen Blick auf die revolutionären Ereignisse und seine Gesellschaftskritik. Trotz aller Bedenken gegenüber den Auswüchsen teilt Schubart die Begeisterung über die „neue, weise und menschenfreundliche Konstitution“ von 1789. Freilich tadelt er aber auch die „Pöbelwut gegen eine wohlgeordnete Monarchische Verfassung“. Böning beschließt diesen Abschnitt mit „Gedanken über die Berichterstattung der Deutschen Chronik und deren Quellen“. Bezüglich der Quellen beantwortet er die Frage, was Schubart den Zeitungen seiner Zeit für die Berichterstattung in der Deutschen Chronik verdanke, mit einem schlichten „Alles!“.

Themenwechsel! Das vierte Kapitel befasst sich mit der Leserschaft der Deutschen Chronik. Um das Fazit an den Anfang zu stellen: Böning stellt fest, dass es bei ihr von einem aufklärerischen Blatt für einfache Leser keine Rede sein kann. Ob Schubart wirklich ein „Volkslehrer“ war, trifft zumindest nicht für die bäuerliche Bevölkerung im Sinn der Volksaufklärung zu, zu der er ein distanziertes Verhältnis hatte. Allein der Abonnementspreis dürfte für das „einfache Volk“ prohibitiv gewirkt haben, sicher aber manche Inhalte wie zum Beispiel die Rezensionen gelehrter Publikationen.

Waren die Kapitel 2 und 3 der Berichterstattung über die beiden großen Revolutionen des 18. Jahrhunderts gewidmet, beschäftigt sich Böning in 5 und 6 detailliert mit Schubarts eigenen Presseorganen, der Deutschen Chronik, und mit seiner redaktionellen Mitarbeit am Ulmischen Intelligenzblatt. Er bezeichnet Ersteres, das 1722 zum ersten Mal im deutschen Sprachraum als Anzeigenblatt erschienen ist, als ein bisher unbekanntes Zeugnis der literarischen Bewegung des „Sturm und Drang“. Er wirft bei der Deutschen Chronik die Frage auf, ob sie als Zeitung, Zeitschrift oder „Zeitungsextrakt“ zu charakterisieren sei; Zeitung insofern, als die Chronik ihren Stoff aus anderen Zeitungen bezog, darüber hinaus aber „intelligente Unterhaltung und politische Bildung“ bieten wollte, also zugleich Merkmale einer Zeitschrift aufwies.

Am Beispiel des Ulmischen Intelligenzblatts erläutert er, was unter einem Intelligenzblatt zu verstehen ist.[7] Er beschreibt es „als so geniale Erfindung wie heute das Internet, in dem Suchmaschinen die unterschiedlichsten Bedürfnisse und Angebote auf eine im Prinzip ähnliche Weise, jedoch ungleich effizienter, zusammenführen als dies vor dreihundert Jahren geschah. Die neue publizistische Gattung entwickelte sich mit gut 200 Blättern im 18. Jahrhundert schnell zu einem flächendeckenden Phänomen“.[8] Besonders bemerkenswert ist das Unterkapitel, das von der Solidarität des Blattes mit dem 1777 auf Befehl Herzog Carl Eugens von Württemberg verschleppten und eingekerkerten Schubart handelt. Es druckt Gedichte des Gefangenen ab und beweist am Beispiel seines vielleicht bekanntesten, später von Franz Schubert vertonten Gedichts „Die Forelle“, wie eine politische Kritik poetisch versteckt werden kann.

Kapitel 7 ist dem Thema der Volksaufklärung sowohl in der Chronik und als auch im Intelligenzblatt gewidmet. Vor allem stellt sich für Böning die Frage, ob die zahlreichen aufgenommenen Lieder tatsächlich vom „Volk“ rezipiert und gesungen wurden oder doch eher „Volksverklärung“ waren.

„Nationalgeist und Nationalcharakter“ mit den Schwerpunkten „Teutsche Weiber“ und „Teutsche Helden“ werden in Kapitel 8 thematisiert. Schubarts Blick auf „deutsche Mädchen und Weiber“ ist, so Böning, „charakteristisch für das Frauenbild vieler Aufklärer und gültig noch bis in das 20. Jahrhundert“. Schubart habe seine Sicht bis an sein Lebensende nicht geändert. Wenig sympathisch, resümiert Böning, hören sich auch seine „nationalistischen Eskapaden an“ an. Er zitiert aus einem Sendschreiben an Schubart: „Tummeln Sie künftig Ihr Hauptsteckenpferd, die Deutschen, ein bißchen weniger“.[9]

Zum Schlusskapitel 9 bemerken die Herausgeber Nagel und Siegert, dass Böning mit diesem noch nicht ganz fertig war, es aber ihrer Meinung nach in der überlieferten Fassung abgerundet genug sei und keiner weiteren Ergänzung bedürfe. Böning habe Schubart als neuen Typus des politischen Journalisten erkannt, dem „nicht die Information, sondern die eigene Meinung das Wichtigste ist“. Er habe ganz neue Vorstellungen von den Aufgaben der Zeitungen entwickelt.

Auch wenn sich das Buch nur einer der anfangs aufgezählten Rollen Schubarts widmet, nämlich der des Publizisten, war diese wohl seine bedeutendste. In gewisser Weise ist die letzte Monografie aus der Feder Bönings nicht nur ein Schlussstein seiner reichen wissenschaftlichen Tätigkeit, sondern vielleicht sogar ihre Krönung, nicht zuletzt wohl wegen ihrer quellenkritisch begründeten, teilweise neuen Sicht auf die in mancherlei Hinsicht problematische Persönlichkeit Schubarts.

Hinzuweisen ist noch auf den umfangreichen Anmerkungsapparat, auf das Quellenverzeichnis und die Bibliografie der Forschungsliteratur. Das Register ist unterteilt nach Personen, Orten sowie einer Auswahl von Sachthemen und nach Periodika.

Online erschienen: 2025-10-17

© 2025 bei den Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Downloaded on 20.10.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/bfp-2025-0029/html
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