Jochen Johannsen, Bernhard Mittermaier, Hildegard Schäffler und Konstanze Söllner: Praxishandbuch Bibliotheksmanagement. 2. völlig neu überarb. Aufl. Berlin, Boston: De Gruyter Saur, 2024. 2 Bde. XIV, geb., 849 S., 33 Abb. (De Gruyter Reference). ISBN 978-3-11-102991-7, € 189,95 (elektronische Versionen: Open Access)
Rezensierte Publikation:
Jochen Johannsen, Bernhard Mittermaier, Hildegard Schäffler und Konstanze Söllner: Praxishandbuch Bibliotheksmanagement. 2. völlig neu überarb. Aufl. Berlin, Boston: De Gruyter Saur, 2024. 2 Bde. XIV, geb., 849 S., 33 Abb (De Gruyter Reference). ISBN 978-3-11-102991-7 € 189,95 (elektronische Versionen: Open Access)
Die zweite Auflage des Praxishandbuchs Bibliotheksmanagement stellt sich erneut in die Tradition von Frankenberger; Hallers Moderne Bibliothek[1] und weckt damit Erwartungen. Doch schon die erste Auflage[2] zeichnete sich durch eine Konzentration auf wissenschaftliche Bibliotheken aus, obwohl hier noch drei Kapitel dem Bereich „Öffentliche Bibliothek“ gewidmet waren. Die Fokussierung wird in der zweiten Auflage explizit weitergeführt, so dass diese Zielgruppe nun komplett ausgeklammert wird. Es gibt noch nicht einmal Registereinträge zu „Stadtbibliothek“ oder „Öffentliche Bibliothek“. Das ist durchaus legitim und wird durch die Vielfalt der in der neuen Auflage thematisierten Veränderungen im wissenschaftlichen Bibliothekswesen mehr als gerechtfertigt. Allerdings wäre es im Sinne potenzieller Adressaten des voluminösen Werks doch wichtig, z. B. zumindest im Untertitel darauf hinzudeuten, welche Art Bibliotheksmanagement gemeint ist. Auch der Reihentitel „Praxishandbuch Bibliotheksmanagement. De Gruyter Reference“ legt zunächst falsche Fährten. Ein Handbuch als Referenz für ein Fachgebiet auszuweisen, weckt die Erwartung größerer praktischer Verwertbarkeit – im Grund wie ein Nachschlagewerk, das der Praxis des Managements (hier von leitenden Bibliothekar:innen) konkrete Hilfestellung für das alltägliche Handeln gibt. Dies könnte sich niederschlagen in Checklisten, Diagrammen, praktischen Tipps und konkreten Einzelhinweisen, wie bestimmte Themen vertieft werden können (z. B. bekannt als „further reading“. Doch schon der erste kursorische Blick in das Werk und die Erläuterungen in der Einleitung zeigen, dass dies nicht intendiert ist. Es gibt nur wenige Abbildungen (bzw. gar kein Verzeichnis dazu) und es wird darauf hingewiesen, dass die wissenschaftlichen Verweise in Form von Fußnoten bewusst reduziert wurden. Was ebenfalls fehlt, um den teilweise komplexen Ausführungen folgen zu können, ist ein Abkürzungsverzeichnis, das in der ersten Auflage noch vorhanden war.
Damit wird schon auf den ersten Blick ersichtlich, dass das Werk weniger als erwartet Handbuchcharakter für die konkrete Praxis hat. Das war jedoch auch in der ersten Auflage bereits so angelegt und zeugt nur von der Konsequenz der Herausgeber. Konsequent ist auch die Reduzierung des Umfangs um fast 200 Seiten. Die Kürzung betrifft jedoch nicht nur die drei Abschnitte mit Bezug zu öffentlichen Bibliotheken, sondern vor allem auffälliger Weise alles, was für den/die uninformierten Leser:in Management im Konkreten beinhalten könnte. Der komplette Abschnitt „Bibliotheksmanagement“, in der ersten Auflage noch mit vier Unterkapiteln, der Abschnitt „Aus- und Weiterbildung“ sowie der Abschnitt zu „Bibliotheksethik“ wurden nicht erneut aufgegriffen, während andere Abschnitte – mit angemessenen Aktualisierungen und teilweise in anderen Autorenkonstellationen – direkt aus der ersten Auflage übernommen wurden. Während noch in der Modernen Bibliothek der Aspekt Leitung und Personalführung bis hin zum Personalrecht einen wichtigen Raum einnahm, vermisst man in der jetzigen Auflage häufig das Personal der Bibliotheken – ob nun als Mitarbeiter oder als Leitung. Auch die Nutzer:innen tauchen oft eher als die „Wissenschaft“ allgemein auf. Könnte dies auch daran liegen, dass von den 77 Autor:innen ca. 30 in den ganz großen wissenschaftlichen Bibliotheken (allen voran die DNB und die BSB) beheimatet sind?
Insofern ist die adressierte Praxis in der Tat immer wieder relativ „weit oben“ angesiedelt. Und das ist mit Sicherheit der stets gut thematisierten und hinterfragten aktuellen Umbruchsituation des höheren Bibliothekswesens geschuldet. Einen sehr großen Raum nimmt unter den 47 Kapiteln der Abschnitt 5 „Open Science und Forschungsnahe (sic) Dienstleistungen“ mit 9 Unterkapiteln ein, der so in der ersten Auflage nicht vorhanden war. Die „OA-Transformation“ wird berechtigterweise in fast allen einschlägigen Kapiteln thematisiert, was bei der Lektüre der ersten Kapitel zu gewissen Ermüdungserscheinungen führt.[3] Strukturell neu sind in der zweiten Auflage vier sog. „Impulsbeiträge“, die entsprechende besondere Entwicklungen im wissenschaftlichen Bibliothekswesen aus einer übergeordneten Warte thematisieren, Akzente setzen und auch die inhaltliche Neuausrichtung des Managementbuchs (für den/die eingeweihte/n Leser:in) verständlich werden lassen. Thomas Stäcker bringt hierbei gleich eingangs die Akzentuierung auf die „forschungsnahe Bibliothek“ auf den Punkt, während Roland Bertelmann im weiteren Verlauf die Rolle der Bibliothek als einen wesentlichen Player in der Open Science Bewegung verortet. Über die davon nicht unabhängigen neuen Entwicklungen bibliothekarischer „Erschließung und Datenpräsentation“ reflektieren inhaltsreich Ulrike Junge und Frank Scholze.
Der „Impulsbeitrag“ von Klaus Ceynowa weist auf eine besonders wichtige Akzentverschiebung in der neuen Auflage hin, die vor zehn Jahren im Handbuch noch kaum thematisiert wurde und dem damals auch noch kein einziger eigener Abschnitt gewidmet war. Der Beitrag ist überschrieben mit „Kontextualisieren, Innovieren, Vermarkten – Bibliothekarisches Sammeln in der digitalen Transformation“ und leitet damit in den neuen Abschnitt „Sammeln und Spezialbestände“ ein, in dem unter anderem auch das Thema „Provenienzen“ erstmals in einem eigenen Kapitel behandelt wird. Hier wird deutlich, dass die vorgelegten Überlegungen zum Bibliotheksmanagement großer Bibliotheken sich notgedrungener Weise vom eher operativen Management – selbst in Form von Detailfragestellungen der Bibliotheksethik – im Zuge der gesellschaftlich-technischen Transformation mit prinzipielleren Fragen des Bibliothekarischen beschäftigen müssen: Zeichnen sich Bibliotheken nicht doch in erster Linie durch ihren „katechontischen“ (verzögernden) Charakter aus, wie der Medienwissenschaftler Wolfgang Ernst sagt,[4] und stellen sie sich nicht gerade dadurch der Verabsolutierung einer Kunden- und Managementorientierung entgegen, die in den letzten Jahrzehnten vorherrschte? Die Wiederentdeckung der Sammlung in dieser zweiten Auflage des Managementhandbuchs bedeutet insofern eine Rückwendung zu prinzipiellen Fragen des Phänomens Bibliothek, auch wenn dies durch die aktuellen Provenienz- und Zugangsdiskussionen noch aufgezwungen scheint und eine theoretische Perspektive im Praxishandbuch noch gänzlich fehlt.
So stellt sich letztlich das, was auf den ersten Blick als Fehlstelle des „Handbuchs“ erscheint (nämlich das operative Management), als genau der Punkt heraus, den die 47 Aufsätze der Sammlung richtigerweise durchweg treffen. Referenz- und Handbuchcharakter hat wie gesagt auch die zweite Auflage im eigentlichen Sinne nicht. Aber gerade der Vergleich mit der ersten Auflage zeugt als (auch zeitgeschichtliches) Dokument davon, wie sich der bibliothekarische Diskurs in den letzten zehn Jahren geändert hat und wo er gleich geblieben ist. Dazu sei sogar eine lineare, vergleichende Lektüre der beiden Ausgaben empfohlen. Wer an der konkreten Praxis des Managements interessiert ist, der sei verwiesen auf einerseits das zeitgleich erschienene Praxishandbuch zu den agieren Personen im wissenschaftlichen Bibliothekswesen von Wilfried Sühl-Strohmenger und Inka Tappenbeck,[5] das eine im eingangs problematisierten Sinn gute Ergänzung mit wenig Überschneidung darstellt. Schließlich sei andererseits erlaubt, den/die interessierte:n Leser:in auf das laufend aktualisierte Standardwerk[6] zum „Erfolgreichen Management von Bibliotheken“ hinzuweisen, das interessanterweise im besprochenen Werk kaum referenziert wird.
© 2025 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.