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Bibliotheken und der demografische Wandel

Herausforderungen und Chancen
  • Gudrun Kulzer

    Gudrun Kulzer Dipl.Bibl. (FH), M.A.

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Published/Copyright: May 1, 2015
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Zusammenfassung:

Aufgrund der demographischen Entwicklung nimmt der Anteil der älteren Menschen an der deutschen Gesamtbevölkerung zu. Daher gewinnt diese Bevölkerungsgruppe immer mehr an Bedeutung und es wird immer wichtiger, sich mit dieser Zielgruppe auseinanderzusetzen. Die Angebote, die Bibliotheken für die Zielgruppe der Älteren entwickeln können, hängen von den jeweiligen örtlichen Voraussetzungen und den Möglichkeiten der Bibliothek (Personal, Budget, Räumlichkeiten) ab. Bei den Älteren handelt es sich um eine heterogene Gruppe, die mehrere Generationen umfasst, und deren Migtglieder unterschiedliche Bildungsabschlüsse und Interessen haben. Darüber hinaus unterscheidet sie sich im geistigen und körperlichen Zustand ebenfalls sehr stark. Die Bibliothek sollte das Spektrum des Angebots in einem Konzept mit klarer Zielsetzung entwickeln, damit es erfolgreich ist.

Abstract:

The demographic development shows that the proportion of senior citizens in the German population is growing. Therefore, this section of the population becomes more and more significant and it is important to deal with this target group. The offers which libraries can develop for the target group of senior citizens depend on the respective local prerequisites and the resources of each library (personnel, budget, premises). Senior citizens are a heterogeneous group of several generations, characterised by different interests and levels of education, as well as different intellectual and physical conditions. The library should develop its range of offers within a concept with clear objectives to make it successful.

1 Einleitung

Die Bevölkerung in Deutschland ist vom demografischen Wandel besonders betroffen. Die niedrige Geburtenarte und die anhaltend steigende Lebenserwartung führen dazu, dass sich die Altersstruktur unserer Gesellschaft hin zu den Älteren verschiebt. Daher gilt es, diesen Wandel zu gestalten, denn kein Lebensabschnitt ist so vielfältig wie das Alter. Ein Grund mehr, die älter werdende Bevölkerungsgruppe in den Fokus unserer Arbeit zu stellen. Allein das Bereitstellen von Großdruckbüchern und Lesebrillen sowie die Organisation von Spielenachmittagen werden nicht ausreichen, die Älteren für die Bibliothek zu begeistern.

Kaum eine andere Altersgruppe ist von so unterschiedlichen Lebensformen geprägt. Während der eine schon seinen Ruhestand im heimischen Garten genießt, sitzen andere noch im Aufsichtsrat von Unternehmen, trainieren Bundesligateams oder bauen Schulen für Hilfsorganisationen in Afrika. 65-Jährige laufen Marathon, gehen zur Rückengymnastik, erfüllen sich Reiseträume, sind begeisterte Großväter bzw. Großmütter, nutzen soziale Medien und wissen, welches Parfüm, welches Outfit zu ihnen passt.

Aber diese Phase ist gleichzeitig auch von ersten Zeichen körperlicher Einschränkung und von sozialen Verlusten geprägt. Sie zu erkennen, anzunehmen und zu wissen, was veränderbar und was unabänderlich ist, stellt die größte Herausforderung für die Älteren dar.

2 Altersbilder

Die Zukunft des Alterns hängt aber auch von den Altersbildern ab, die wir alle im Kopf haben. Bei Altersbildern handelt es sich um Überzeugungen, allgemein verbreitete Meinungen und Einstellungen über das Alter und das Älterwerden. Altersbilder sind nicht „naturgegeben“, sondern soziale Gebilde, die von historischen und kulturellen Rahmenbedingungen abhängig sind. Jeder Einzelne hat mehrere und verschiedene Altersbilder im Kopf. Von seiner jeweiligen Situation, seiner Erfahrung hängt es ab, welches Altersbild für ihn Vorrang hat. Im Arbeitsleben, z. B. im Bereich der Pflege, herrscht ein anderes Altersbild als in der Politik.

3 Digitale Spaltung

Die Vermittlung von Medien- und Informationskompetenz bzw. die Verringerung der digitalen Spaltung ist eines der Themen, die Bibliothekskonzepte beinhalten. Gerade Senioren kann das Internet viel bieten. Online-Shopping sowie Web-Services von Ämtern, Banken und Krankenkassen helfen bei alltäglichen Aufgaben. Zudem sind E-Mails oder Skypen bzw. Videokonferenzen eine gute Möglichkeit, um mit Angehörigen und Freunden in Kontakt zu bleiben.

Der Internetzuwachs in Deutschland zeigt Grenzen auf, da die ältere Generation noch keinen Zusatznutzen durch das Internet sieht. „76,8 Prozent der Deutschen – knapp 54 Millionen Personen über 14 Jahren – waren 2014 online“.[1] Bei den über 60-Jährigen waren es 64,5 Prozent und bei den über 70-Jährigen nur noch 29,54 Prozent.[2] Die Mediengesellschaft erwartet aber, dass möglichst jeder/jede den Zugang zum Medium Internet beherrscht.

Daher könnten Bibliotheken ihre Aufgabe darin sehen, den Wert der Internetnutzung älteren Menschen zu vermitteln. In Form von Schnupperkursen, Computerclubs oder Vorträgen kann Älteren die Scheu genommen bzw. der positive Sinn des Internets erklärt werden. Informationen können selbstständig beschafft werden, auch dann, wenn die Mobilität durch die Wohnsituation oder aufgrund körperlicher Einschränkungen begrenzt ist. Auch haben 55- bis 70-Jährige im Berufsleben nicht zwangsläufig mit Computern gearbeitet. Hinzu kommt, dass Kinder und Enkel selten in der Lage sind, Ältere zu „schulen“.

Einführungen zum Webopac bzw. Vorträge und Workshops zu Facebook oder Ebay eröffnen Älteren Perspektiven, sich mit der digitalen Welt auseinanderzusetzen. Neben einem geeigneten Raum sind ein Beamer, ein Laptop und ein Internetzugang erforderlich. Geschultes Personal, das ruhig, geduldig und gut die Sachverhalte erklären kann, ist ebenfalls wichtig, damit die Kurse entsprechende Ergebnisse erzielen, aber auch um Akzeptanz bei den Älteren zu finden.

Bei den Computerkursen[3] , die bereits einige Bibliotheken im Programm haben (z. B. StB Straubing[4] , Öffentliche Bücherei Anna Seghers[5] , StB Villingen-Schwenningen[6] ) handelt es sich um Schnupperkurse für Anfänger, z. B. „Grundkenntnisse Windows“ oder „Einführungskurs in das Internet ohne Vorkenntnisse“. Es sind keinerlei Vorkenntnisse nötig. Der Umgang mit Maus und Tastatur sowie die Durchführung einfacher Textverarbeitung sind Bestandteile dieser Kurse. Für Fortgeschrittene und diejenigen, die sich im Internet schon etwas auskennen, gibt es Aufbaukurse wie z. B. „Suchmaschinen im Internet“.

Darüber hinaus haben Ältere die E-Books entdeckt. Für viele Ältere gehört das Lesen von Büchern zum Lebensalltag und ist ein tägliches Bedürfnis. Doch was tun, wenn man im Alter nicht mehr so fit ist, um schwere Bücher nach Hause zu tragen? Zum Glück gibt es den technischen Fortschritt und der gewährleistet mit den innovativen E-Readern, dass auch Ältere Spaß am Lesen haben und nicht auf die neuesten Krimis oder interessante Sachbücher verzichten müssen. Der E-Reader beleuchtet und durch seine Möglichkeit, die Schriften zu verändern, werden die Großdruckbücher abgelöst. Die Studie „Lesen von E-Books für Ältere weniger anstrengend“[7] besagt, dass älteren Lesern die Lektüre von Artikeln und Büchern als E-Books leichter fällt als auf Papier.

Ein E-Reader ist schnell gekauft. Doch gerade auch Ältere fragen sich, welchen E-Reader soll ich kaufen und wie bekomme ich die E-Books auf den Reader? Hier können Bibliotheken mit einer E-Reader-Sprechstunde oder einem E-Café, die regelmäßig stattfinden, Unterstützung bieten. Dies setzt voraus, dass es in der jeweiligen Bibliothek Mitarbeiter gibt, die sowohl mit den verschiedenen Modellen als auch mit den Möglichkeiten der Reader vertraut sind. Sie sollten Fragen zur Adobe ID, zum Herunterladen von Medien beantworten können. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, für Bibliotheken, die die Onleihe einsetzen, die Funktionen und Chancen sowie die Besonderheiten der virtuellen Medienausleihe zu erklären.

4 Medienangebot

Von den digitalen zu den physischen Medien! Häufig wird in Bibliotheken überlegt, ob es spezielle Bestände für Ältere geben muss. Sollten diese Bestände in einem eigenen Kabinett bzw. einer eigenen Abteilung stehen oder ist es ausreichend die Literatur mit Interessenkreisen zu kennzeichnen? Dabei tauchen die Fragen auf, ob sich die Lesegewohnheiten von Älteren bzw. die Lebenssituation im Alter ändern. Wer als junger Mensch das Genre Krimi für sich entdeckt hat, wird es im Alter sehr wahrscheinlich nicht ablegen. D. h. im Bereich der Belletristik wird es spezielle Bestände für Ältere kaum geben. Die Lebenssituation älterer Menschen ändert sich sicherlich und daher gilt es zu überlegen, welche Medien von Interesse sein können.

Ein Name oder ein Interessenkreis sollten positiv besetzt sein, keine Altersangaben enthalten und der Bestand sollte gut sichtbar präsentiert werden. Je nach Größe der Bibliothek können mehrere Hundert Sachbücher aus den Bereichen Wohnen, Lebensgestaltung, Weiterbildung, Fitness, Gesundheit sowie die Themen Altenpflege, Altenbetreuung angeboten werden. Vervollständigt wird das Angebot durch Anleseplätze, viel Platz zwischen den Regalen, möglichst Tageslicht bzw. gute Beleuchtung sowie bequeme Sessel, die eine gute Aufenthaltsatmosphäre schaffen.

5 Veranstaltungsangebot

Ein wichtiges Segment in der Bibliotheksarbeit für Ältere, das sowohl ihre sozialen als auch ihre kulturellen Bedürfnisse im Fokus hat, sind spezielle Veranstaltungen. Diese dienen u. a. auch dazu, die Älteren aus der Isolation zu holen, indem sie mit anderen Gleichgesinnten oder Jüngeren Kontakt haben. Die Themen sind vielfältig und reichen von Reisevorträgen über Ernährungstipps, Verhalten im Straßenverkehr bis zum Wohnen und Bauen im Alter. Geeignete Kooperationspartner wie Volkshochschulen, Vereine, Krankenkassen oder Seniorenbeauftragte von Kommunen sind schnell gefunden.

Einzelne Veranstaltungsformate, die wiederkehrend angeboten werden, bedürfen einer genauen Vorbereitung. Die Raumgestaltung sowie Catering sorgen für eine angenehme Atmosphäre, die Moderation, die nach Möglichkeit nicht wechseln sollte, sorgt für Vertrauen und Offenheit in der Gesprächsführung.

„Das Schreiben löst die Illusion vom individuellen Sein auf, und man wird Teil eines Ganzen,“ sagt Cornelia Funke. In einer Schreibwerkstatt trifft sich eine Gruppe Gleichgesinnter, um Texte zu schreiben und zu besprechen bzw. sich mit der Sprache auseinanderzusetzen. Diese Veranstaltungen können in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule angeboten werden oder durch eigene Mitarbeiter. Als Themen eignen sich solche, die an die Lebenswelt von Senioren anknüpfen wie Kindheitserinnerungen, Reisen, Haustiere. Bei der Organisation einer Schreibwerkstatt sind grundlegende Dinge zu beachten. Die Gruppe sollte nicht zu groß sein, d. h. nicht mehr als zwölf Personen, und der Kurs sollte durch eine geschulte Kursleitung durchgeführt werden. Die Teilnehmer von Schreibwerkstätten sind meistens bereit, ihre Geschichten im Rahmen einer Lesung einer interessierten Öffentlichkeit zu präsentieren.

Erzählcafés sind geeignet, um Erlebnisse und Erfahrungen der Älteren in Erinnerung zu rufen. Dadurch wird ihre Gefühls- und Gedankenwelt erhalten und gefördert. Durch den Erfahrungsaustausch über die eigene Lebensgeschichte können sich viele gemeinsame Alltagserfahrungen ergeben. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und der Gegenwart führt dazu, dass die Älteren Fragen an ihre Zukunft richten.

Literaturgesprächskreise oder Buchgespräche dienen dem Austausch über das Gelesene. Wenn Partner, Freunde oder Familie nicht zur Verfügung stehen, bietet sich diese Veranstaltungsform an. Das Thema, mit dem sich die Teilnehmenden beschäftigen, können ein bekannter Autor oder ein bestimmtes Genre wie z. B. der Historienroman sein. Es kann aber auch jeder Teilnehmende das Buch vorstellen, das ihn gerade beschäftigt. Diese Veranstaltungen erreichen meist ein großes Publikum.

Viele Ältere, die beim Eintritt in den Ruhestand noch fit sind, wollen ihr Wissen und ihre Erfahrungen weitergeben. Oft ist ihnen der Kontakt zu jungen Menschen ebenso wichtig, wie das Zusammensein mit Gleichaltrigen. Bibliotheken können generationübergreifende Angebote etablieren. Vorleseprojekte gibt es inzwischen in vielen Bibliotheken. Regale voller Bilderbücher sind nutzlos, wenn Kinder damit allein gelassen werden. Genau das geschieht jedoch immer häufiger, denn Eltern und Erzieherinnen finden nicht genügend Zeit, Kindern vorzulesen. Um Kindern dennoch von klein auf Spaß am Lesen zu vermitteln, werden Vorlesepaten eingesetzt. Gezielte Schulungen in Vorlesetechnik und Kommunikation mit Kindern sowie regelmäßige Informationen über den aktuellen Buchmarkt sind Voraussetzungen für erfolgreiche Vorlesestunden. Wichtig ist auch eine kompetente Betreuung der Vorlesepaten durch Mitarbeitende der Bibliothek.

Einen Austausch bieten auch Schreibprojekte. Z. B. können junge und ältere Menschen Texte über eine gemeinsame Zukunft schreiben. Die Textbeiträge können z. B. von Geschichten von Jung und Alt handeln, es können Briefwechsel zwischen Jungen und Alten sein, philosophische Beiträge über das Alt- und das Jungsein. Die Beiträge könnten in digitaler Form eingereicht werden und eine Jury entscheidet über die schönsten Einsendungen.

6 Mediendienste

Da sich unsere Zukunft in technologischer und gesellschaftspolitischer Hinsicht immer weiter entwickeln wird, muss der Zugang zu Informationen und der Bibliothek als öffentlicher Raum allen Bevölkerungsgruppen ermöglicht werden. D. h. wenn ein Mensch nicht in der Lage ist, die Bibliothek aufzusuchen, dann muss die Bibliothek bzw. müssen die Medien zum Menschen kommen. Auf welche Art und Weise die Medien zu immobilen Menschen kommen, hängt von personellen Ressourcen sowie den Möglichkeiten vor Ort ab. Bücherdienste in Form von Medienkoffern, die in Absprache mit den Bibliothekskunden zusammengestellt werden, werden durch ehrenamtliche Bibliotheks-Senioren bzw. durch junge Erwachsene, die ein Bundesfreiwilligenjahr oder ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Kultur ableisten, gebracht. Zu beachten ist, dass die Personen, die den Bücherdienst betreuen, entsprechend geschult sind, damit sie sich auf die Bedürfnisse der Älteren einstellen können.

Sind im Einzugsgebiet der Bibliothek Senioreneinrichtungen oder Seniorentreffs können diese regelmäßig mit Medienkisten beliefert werden, die neben Ratgeberliteratur, Belletristik, Hörbüchern, speziellen Brett- und Kartenspielen auch Konsolen für Wii und elektronische Geräte wie E-Reader und Tablets enthalten. Eine Ansprechperson in der jeweiligen Einrichtung sorgt dafür, dass die Medienkiste wieder vollständig zurück an die Bibliothek geliefert wird.

Eine weitere Möglichkeit ist ein mobiler Büchertisch für Seniorentreffs oder Alteneinrichtungen. In einem zwei- oder vierwöchentlichen Rhythmus werden Bücherkisten mit den verschiedensten Medien in der Bibliothek gepackt. Die Anlieferung und Abholung der Medienkisten wird z. B. von einem Amtsboten der Stadt geleistet. Der Büchertisch steht für die Bewohner bzw. Besucher nachmittags ca. 45 bis 60 Minuten zur Verfügung. Die Ausleihe setzt einen Bibliotheksausweis voraus, die Verbuchung erfolgt entweder händisch oder per Zugriff auf das Bibliothekssystem.

Da viele ältere Menschen aufgrund von Seh- und Konzentrationsschwächen kaum noch etwas selber lesen können, bietet sich das Vorlesen an. Sie sind auf Menschen angewiesen, die ihnen die Zeitung, Kurzgeschichten, Gedichte oder ein Buch vorlesen. Das Vorlesen trainiert den Geist der Älteren, fördert den Austausch untereinander und stärkt die Merkfähigkeit. Zum Vorlesen eignen sich Geschichten aus der Zeit der Kindheit/junges Erwachsenenalter, authentische Geschichten (Alltagssituationen), kurze, nicht belehrende Texte mit einer klaren und lebendigen Sprache, die wenig Fremdwörter enthalten sollte.

Die Vorleser sollten nicht ohne vorheriges Training in die Einrichtungen gehen. Vorlesen für ältere Menschen setzt voraus, dass neben geeigneten Texten der Vorlesende eigene Lesefreudigkeit, gute Allgemeinbildung, genaue Textkenntnisse, kommunikative Flexibilität und Gesprächsbereitschaft sowie wertschätzenden Umgang mit älteren Menschen mitbringt.

7 Soziale Bibliotheksarbeit – Demenzkranke

Eine besondere Aufgabe, stellen die Angebote für Demenzkranke dar. Gegenwärtig leben in Deutschland etwa 1,4 Millionen Menschen, die an Demenz erkrankt sind. Jährlich kommen etwa 300.000 Neuerkrankungen hinzu. Bis zum Jahr 2020 wird die Zahl auf 1,8 Millionen ansteigen und bis 2050 werden es 3 Millionen Demenzkranke sein. Demenz ist ein Preis für die Langlebigkeit einer Gesellschaft. Aber auch im Alter, mit Erkrankung oder Behinderung, muss ein selbstbestimmtes Leben möglich sein. Dies gilt es zu fördern und Wege dahin aufzuzeigen. Die Lebensqualität der Betroffenen wird dadurch vergrößert.

Da Bibliotheken auch einen sozialen Auftrag haben, sollten sie intergenerationelle Dienste, Programme und Projekte anbieten, um die Isolation älterer Menschen zu verringern und damit zum Zusammenhalt der Gesellschaft beitragen. Bibliotheken bieten Pflegeeinrichtungen, deren Betreuern und Bewohnern entsprechende Medienvielfalt an.

In Form von Medien- bzw. Themenpaketen können dies Bücher zur aktivierenden Arbeit mit Senioren (z. B. Sport), Vorlesebücher, Fachbücher zum Thema Demenz/Alzheimer, zu den Themen Seniorenbetreuung, -beschäftigung, traditionelle Gesellschaftsspiele, Filme für Demenzkranke sowie Materialien zum Einsatz mit dementen Senioren (z. B. Handpuppe, Kaffeemühle) sein.

Eine besondere Herausforderung stellt das Vorlesen für Demenzkranke[8] dar. Das Vorlesen für Demenzkranke kann erschwert werden durch geminderte Konzentrationsfähigkeit, erhöhte Ablenkbarkeit, erhöhten Zeitbedarf bei der Verarbeitung des Gehörten. Die Textauswahl sollten sehr kurze Texte (max. eine DIN-A-4-Seite) bzw. Fünf-Minuten-Texte oder Gedichte (z. B. Heinz Erhardt, Wilhelm Busch, Goethe, Fontane) sein.

An dieser Stelle sei auf das Projekt „Picknick im Labyrinth“[9] der Büchereizentrale Schleswig-Holstein verwiesen. Sie stellt den Öffentlichen Bibliotheken Medienangebote für die Begleitung von Menschen mit Demenz zur Verfügung. Die Demenz-Medienboxen für die Gruppenarbeit werden durch die Stadt-, Gemeinde- und Fahrbüchereien an die Senioreneinrichtungen und ehrenamtlich Tätigen weitergegeben.

8 Ehrenamt

Da Bibliotheken häufig aufgrund ihrer Personalkapazitäten keine Möglichkeit sehen, neue Projekte zu initiieren, können sie sich Unterstützung holen. Gerade bei den generationenübergreifenden Angeboten und denen der aufsuchenden Bibliotheksarbeit kann sich die Bibliothek von Älteren unterstützen lassen, indem sie in der Bibliothek ehrenamtliches Engagement einführt.

Bekanntermaßen hat bürgerschaftliches Engagement Konjunktur. Viele Bereiche in unserer Gesellschaft würden ohne den Einsatz ehrenamtlich Tätiger nicht oder nur schlecht funktionieren. Der Freiwilligensurvey 2009 hat ergeben, dass es eine „besonders deutliche Steigerung des freiwilligen Engagements bei älteren Menschen gibt. Im Alter von über 65 Jahren stieg die Quote von 23 % (1999) auf 28 % (2009)“.

Was bedeutet Ehrenamt für die Bibliotheken? Können öffentliche Bibliotheken vom Einsatz ehrenamtlicher Kräfte profitieren oder sind Ehrenamtliche eher hinderlich für den Betriebsablauf? Ihr Einsatz wird in Bibliotheken entweder als Bereicherung oder als Belastung gesehen. Der Einsatz von Freiwilligen erfordert professionelles Handeln, d. h. jede Bibliotheksleitung sollte sich im Vorfeld bewusst sein, dass ehrenamtliche Mitarbeiterinnen auch geführt werden wollen, d. h. es muss Richtlinien für ihre Beschäftigung geben.

Für einen gezielten Freiwilligeneinsatz sollten Zeitumfang, Interessen und Fähigkeiten der zukünftigen Ehrenamtlichen abgefragt werden. Eine genaue Beschreibung der Tätigkeit sowie Fortbildungsangebote, durch die Ehrenamtliche Sicherheit und zusätzliche Professionalität erwerben können, kommt hinzu. Wird dies konsequent umgesetzt, erweisen sich Ältere als engagierte Menschen auf der Suche nach sinnvoller Tätigkeit.

Die Befürchtung bibliothekarischer Fachkräfte, dass sie durch den Einsatz Freiwilliger ersetzt werden und somit ihre Fachkompetenz in Frage gestellt wird, ist verständlich, aber unnötig, wenn die Arbeitsverteilung klar definiert ist und die Freiwilligen entsprechend ihren Fähigkeiten eingesetzt werden.

9 Fazit

Zusammenfassend beruhen Bibliothekskonzepte für Ältere auf

  1. der Vermittlung von Medien- und Informationskompetenz,

  2. dem Einsatz adäquater Medien und Literatur,

  3. einem speziellen Veranstaltungsangebot (Lesungen, Schreibwerkstatt, Vorträge),

  4. der Nutzung des vorhandenen Wissens durch Einbindung von Senioren in die aktive Mitarbeit an Bibliotheken.

Das Angebot kann ausgeweitet und verstärkt werden in den Bereichen

  1. Freizeitgestaltung: erweitertes kulturelles Angebot, welches auch die sozialen Bedürfnisse älterer Menschen befriedigt,

  2. aufsuchender Bibliotheksarbeit in Bezug auf Menschen mit Handicap,

  3. Bildung für Senioren,

  4. Stärkung der Technikaffinität durch multimediale Angebote und dadurch Verhinderung bzw. Verringerung der digitalen Spaltung.

Bibliotheken als Orte der Begegnung für alle Bevölkerungsgruppen sollten sich nicht an Ausleihzahlen messen lassen, sondern an ihren Besucherzahlen. Diese wiederum hängen davon ab, welche Aufenthaltsqualität und Angebote die einzelne Bibliothek zu bieten hat. Bei Bibliotheksangeboten für Ältere ist es nicht unbedingt einfach, das passende Programm anzubieten. Ältere wollen und sollen auch nicht in eine Ecke gedrängt werden. Sie sind eine heterogene Gruppe mit vielfältigen Interessen. Ob ihr Leseverhalten der jüngeren Generation entspricht und daher seniorenspezifische Bestände unnötig sind, ist pauschal nicht zu beantworten. Allerdings ändern sich Interessen, gesundheitliche Einschränkungen können hinzukommen, technische Neuerungen entstehen und wollen verstanden werden.

Hinzu kommt, dass Kulturarbeit in Zukunft nicht mehr ohne ehrenamtliche Mitarbeiter auskommen wird. Aufgrund des demografischen Wandels wird es weniger junge und mehr ältere Menschen geben. Viele sind geistig und körperlich fit und möchten einen konstruktiven Beitrag für die Gesellschaft und für nachkommende Generationen leisten. Die Lebenserfahrungen Älterer sollten Bibliotheken nicht ungenutzt lassen und für sich und ihre Arbeit positiv nutzen.

Das zentrale Problem der alternden Gesellschaft besteht nicht darin, dass so viele Menschen immer älter werden. Es stellt sich vielmehr die Frage, wie geht die Gesellschaft mit dieser Tatsache um und wie können die älteren Menschen die gewonnenen Jahre sinnvoll für sich selbst und die Gesellschaft ausfüllen, ohne sich abgeschoben und als Last fühlen zu müssen?

Daher sollten sich Bibliotheken überlegen, welche Angebote es für Senioren geben muss, damit sie aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können.

About the author

Gudrun Kulzer

Gudrun Kulzer Dipl.Bibl. (FH), M.A.

Gudrun Kulzer:

Published Online: 2015-05-01
Published in Print: 2015-05-25

© 2015 by De Gruyter

Downloaded on 27.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/bd-2015-0070/html
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