Editorial
Dass Digitalisierung keine rein technische Angelegenheit ist, sondern als menschliches Handeln verstanden werden muss, ist in der Arbeitsforschung schon längst ein Gemeinplatz. Digitale Lösungen werden von Entwickler:innen geschaffen, von Manager:innen bestellt und eingeführt und von den Beschäftigten der Unternehmen angewandt – oder auch nicht. Die Konflikte um Gestaltung, Einführung und Aneignung solcher Lösungen werden in diesem Heft in zwei Beiträgen thematisiert: Es geht um ein gescheitertes Digitalisierungsprojekt und ein gelungenes Digitalisierungsprojekt, das auf Partizipation der Beschäftigten setzte. Nicht nur im Inhalt, auch in der Methode unterscheiden sich die Forschungsbeiträge: Das Scheitern wird aus organisationsethnografischer Perspektive beleuchtet, mit Blick auf die Fassaden, die sowohl die Steuerungsgruppe als auch die Beschäftigten zur Bewertung des Projekts errichten (Hendrik Simon, Ulrich Brinkmann, Tanja Paulitz: „Wir haben keinen Plan B.“ Chronik einer gescheiterten Digitalisierung). Eine interventionsorientierte Fallstudie, die Gestaltung und Forschung verbindet und methodisch leitfadengestützte Interviews, Arbeitsplatzbeobachtungen und Gruppendiskussionen in Beteiligungsworkshops nutzt, untersucht die Vorbehalte der Beschäftigten und die Möglichkeiten, diese in die Gestaltung des Systems einzubeziehen (Yannick Kalff, Yalcin Kutlu: Beschäftigtenvorbehalte gegen digitale Assistenzsysteme. Konfliktquellen und partizipative Technikgestaltung im sozio-technischen System).
Interaktionsarbeit ist besonders im Zusammenhang von personenbezogenen Dienstleistungen erforscht worden; in unserem dritten Beitrag geht es hingegen um den Bedeutungsgewinn von Kompetenzen interaktiver Arbeit in einer fachlich-technisch geprägten Berufsgruppe und Dienstleistungstätigkeit, nämlich dem Technischen Service. Obwohl hier der fachliche Aspekt überwiegt, spielen die interaktiven Arbeitsanteile eine wachsende Rolle, gerade in der Form, dass die Beschäftigten genötigt sind, die Kundenkommunikation zu „versachlichen“. Und auch hier ist davon auszugehen, dass die zunehmende Nutzung digitaler Technologien Umbrüche in der Kommunikation und Interaktion zwischen Dienstleistern und Kund:innen erwarten lässt (Jörg Abel, Peter Ittermann: „Das muss man dann versachlichen …“Arbeit an und mit Kund:innen in Technischen Services – ein Fallbeispiel).
Cloudworking von Selbstständigen über digitale Arbeitsplattformen ist ein in letzter Zeit viel diskutiertes Thema. Unser letzter Beitrag befasst sich explorativ mit Fallstricken, die mit dieser Selbstständigkeit verbunden sind: Wie verhalten sich die Plattformbetreiber gegenüber der Steuerpflicht und auch den sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen von Cloudwork? Bereiten sie virtueller Schwarzarbeit den Weg oder bemühen sie sich, dieser entgegenzuwirken? Am Beispiel der Schweiz untersucht der Beitrag anhand einer Analyse der Plattformseiten (Registrierungsseite, Allgemeine Geschäftsbedingungen, FAQ usw.), inwieweit die Plattformen den Cloudworkern Informationen zu Steuer- und Sozialversicherungsfragen bieten und inwieweit sie Vorkehrungen treffen, Schwarzarbeit zu verhindern. Das Ergebnis ist eher ernüchternd: Rund 40 Prozent der Plattformen unternehmen keinerlei Anstrengungen in dieser Richtung (Sheron Baumann, Manuela Eder, Ute Klotz, Armin Sehrer: Die Rolle der Online-Arbeitsplattformen bei der Wegbereitung und Verhinderung von Schwarzarbeit).
Das erste Heft des kommenden Jahrgangs der ARBEIT erscheint im März 2023 und wird wieder ein Schwerpunktheft sein: Es behandelt unter der Überschrift Remote @ Distance den Strukturwandel kaufmännischer, administrativer und technischer Tätigkeiten im Büro. Hier spielt der Bedeutungsgewinn digitaler Medien „auf Distanz“, verbunden mit einer Schwächung der Präsenzkultur, eine Hauptrolle. Wahrscheinlich schon einen Monat später wird als Nr. 2 des Jahrgangs ein offenes Heft erscheinen.
Mit diesem Jahrgang hoffen wir auch auf guten Ausgang eines Experiments: Voraussichtlich werden wir demnächst in der Lage sein, Open-Access-Beiträge ohne Zuschüsse von Seiten der Autorinnen und Autoren zu ermöglichen. Wir sind gespannt auf die Probephase, die bereits mit dem ersten Heft 2023 beginnen soll.
© 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
Articles in the same Issue
- Frontmatter
- Editorial
- Editorial
- Artikel
- „Wir haben keinen Plan B“
- Beschäftigtenvorbehalte gegen digitale Assistenzsysteme
- „Das muss man dann versachlichen …“
- Die Rolle der Online-Arbeitsplattformen bei der Wegbereitung und Verhinderung von virtueller Schwarzarbeit
- Gutachterinnen und Gutachter für die ARBEIT im Jahr 2021/2022
- Inhaltsverzeichnis des 31. Jahrgangs (2022)
- 10.1515/arbeit-2022-0027
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- Editorial
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- Beschäftigtenvorbehalte gegen digitale Assistenzsysteme
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- Gutachterinnen und Gutachter für die ARBEIT im Jahr 2021/2022
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- 10.1515/arbeit-2022-0027