„Und der Markt ist einfach leergefegt“
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Isabelle Riedlinger
Zusammenfassung
Die Pflege befindet sich nicht erst seit der COVID-19-Pandemie in einer (Personal-)Krise, vielmehr wirkt diese wie ein Brennglas, das den Personalmangel in der Pflege noch weiter verschärft und das bisherige Ausmaß für eine breite Öffentlichkeit sichtbar macht. Im Zuge der Krisenbewältigung wird den Leitungspersonen der Einrichtungen pflegerischer Versorgung eine hohe Bedeutung als Krisenmanager*innen zugeschrieben, auch wenn diese oftmals nur als Krisenverwalter*innen agieren können: Die Handlungsintensität des Managements ist hoch, dennoch scheinen die eingesetzten Personalgewinnungsmaßnahmen nicht branchenweit zu greifen. In unserem Beitrag beziehen wir uns zur theoretischen Einordnung auf das Konzept der Risikopolitik. Anhand empirischer Daten des Verbundprojekts ZAFH care4care zeigen wir auf, wie Führungshandeln im Krisenmodus stattfindet, welche Widersprüche damit einhergehen und wie die eingesetzten Maßnahmen die vorhandene Problematik verschärfen.
Abstract
The field of nursing had been experiencing a severe staffing shortage even before the COVID-19 pandemic, but the events of the last year have further exacerbated and publicized that shortfall. In the event of a crisis, the directors of nursing care facilities are expected to solve problems and find solutions, even though in reality they are often only able to play a reactive rather than a proactive role. Directors of nursing care facilities are taking decisive actions but the measures seem tobe limited in scope and fall short of impacting the industry as a whole. The theoretical classifications in this paper are based on the concept of risk policy. The decision-making process at nursing institutions during a crisis, the contradictions inherent to the resulting actions, and how some of the measures implemented actually exacerbate pre-existing problems are all presented with the help of empirical data collected via the ZAFH care4care joint project.
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