Home Axel Kahrs, Klopstock? – Natürlich! Der Dichter, die Naturlyrik und die Grafen von Bernstorff. Köhring Verlag, Lüchow 2024. 92 S., € 20,–.
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Axel Kahrs, Klopstock? – Natürlich! Der Dichter, die Naturlyrik und die Grafen von Bernstorff. Köhring Verlag, Lüchow 2024. 92 S., € 20,–.

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Published/Copyright: April 11, 2025
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Rezensierte Publikation:

Axel Kahrs, Klopstock? – Natürlich! Der Dichter, die Naturlyrik und die Grafen von Bernstorff. Köhring Verlag, Lüchow2024. 92 S., € 20,-.


Pünktlich zum 300. Geburtstag Friedrich Gottlieb Klopstocks ist 2024 eine Reihe von Publikationen erschienen, die diesen in vielerlei Hinsicht weichenstellenden, von Teilen der germanistischen Forschung aber auch gern umschifften Autor des 18. Jahrhunderts ins Zentrum rückt.[1] Unter besagte Veröffentlichungen gehört auch der hier anzuzeigende Essay von Axel Kahrs, eine zugängliche, kenntnisreiche Arbeit, die Germanistinnen und Germanisten ebenso mit Gewinn zur Kenntnis nehmen wie eine interessierte Öffentlichkeit. Auf zwei Kapitel verteilt, beginnt Kahrs’ Darstellung mit jener berühmten Szene aus Goethes Werther, als ein heftiges Gewitter den Protagonisten und Lotte Klopstocks Frühlingsfeyer assoziieren lässt. Interessiert verfolgt man Kahrs’ vergleichende Lektüre der frühen (1774) und der späten (1787) Fassung dieser Episode, aus deren Gegenüberstellung erhellt, wie Klopstock in den dazwischenliegenden Jahren bereits an literarischem Renommee eingebüßt hatte (bevor er, so wäre zu ergänzen, nach 1789 als Revolutionsdichter auch publizistisch noch einmal Aufmerksamkeit erregte). Kurzweilig lesen sich die daran anschließenden Einlassungen zu Klopstocks Nachnamen, von dem Goethe weiß, dass er öfter zur Zielscheibe von spöttischen Bemerkungen geworden ist – ein Schicksal, das den Weimarer mit Klopstock verbindet. Im ersten Kapitel gewinnt letzterer so vor allem als auratische Figur Kontur: Im Vordergrund stehen die zeitgenössische Rezeption und Wahrnehmung des Autors, seine Texte bleiben vorerst noch ausgeklammert. Das ändert sich erst mit dem zweiten Kapitel, in dem Kahrs Lektüren zu den beiden Oden Die frühen Gräber und Sintenburg vorlegt. Einerseits beweist der Verfasser hier ein untrügliches Gespür für die lautlichen Aspekte seiner Gegenstände, andererseits gelingt es ihm mithilfe von wenigen Versen, das bei Klopstock hinterlegte naturwissenschaftlich-astronomische Wissen der Zeit zu extrapolieren und den Autor derart in der Tradition des ‚nature writing‘ zu verorten. Auch Bezüge zur Lebens- und Erfahrungswelt stellt Kahrs überzeugend her, wenn er Die frühen Gräber mit dem Ableben Margareta Klopstocks und Dorothea Wilhelmine von Bernstorffs verbindet. Weitere Hinweise auf Vertonungen dieser Ode (u. a. von Gluck und Schubert) sowie auf Anklänge oder würdigende Worte bei prominenten Autoren des 20. Jahrhunderts lassen keinen Zweifel daran, dass Klopstocks Texte in der Liedkultur und dem literarischen Gedächtnis der Nachwelt noch lange Zeit nachhallten. Anhand der Ode Sintenburg, mit der Klopstock dem im Titel genannten Bernstorff-Anwesen auf der Schaalsee-Insel 1767 ein lyrisches Denkmal setzte, greift Kahrs zum Schluss erneut ein Stück heraus, an dem er Klopstock als Vertreter des ‚nature writing‘ Kontur verleihen möchte: Entlang der Eingangsstrophe zeichnet er nach, wie sich naturkundliche Perspektiven (subaquatische Morphologie) mit empfindsamen Tönen (Mitleid mit der Moräne und dem Wurm an der Angel) verbinden.

Die Leistung des reich bebilderten Bändchens liegt nicht zuletzt darin, dass Kahrs Klopstock als ‚schwierigen‘ Autor ernst nimmt, ohne ihn umgekehrt im literaturgeschichtlichen Abseits zu platzieren: Die (ebenfalls reichen) Belege für die Kontinuität der von Klopstock kultivierten Motive – besonders hübsch: das Moos (S. 64) – lässt erahnen, dass Klopstock weit über das 18. Jahrhundert hinaus traditionsbildend wirkte. Und gerade weil der Autor und sein Schaffen nur schlaglichtartig beleuchtet werden (der geistliche Dichter bleibt ebenso außen vor wie der politische), macht der Band vor allem Lust auf mehr. Mit Blick auf die sorgsame Buchgestaltung ist einzig zu bedauern, dass der eine oder andere Tippfehler dem Korrektorat entgangen ist.

Online erschienen: 2025-04-11
Erschienen im Druck: 2025-04-07

© 2025 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

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