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III.2.3 Donatellos und Michelangelos David: Von der Renaissance zur Verqueerung begehrenswerter Körper

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Queere Männlichkeiten
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III. Hauptteil 225zu folgen,lässt er den Erlöser und seinen Lieblingsjünger von zwei schwarzen Modellenverkörpern. Dieser augenfällige Bruch mit der geläufigen Ikonographie – Jesus undJohannes als Idealtypen europäischer (weißer) Schönheitsvorstellungen – hinterfragtnicht nur das Selbstverständnis westlich-europäischer Kunst, sondern thematisiertauch das Schicksal homosexueller Männer im Angesicht von AIDS. Fani-Kayode, dersonst nie vor expliziter Sexualität zurückscheute, nimmt hier ganz bewusst Bezug aufeinFigurenpaar,dasfüreine›reineLiebe‹jenseitsbloßerFleischlichkeitsteht,undsetztes einem öffentlichen Diskurs entgegen, der ›die Schuld‹ für die AIDS-Epidemie immännlich-männlichen Begehren selbst sucht.610Mehr noch: Der von Teilen der Gesell-schaft als ›Strafe Gottes‹ angesehene AIDS-Tod wird vom Künstler zum Märtyrertodumgedeutet.AndenhierbesprochenenWerkbeispielenkonntedemonstriertwerden,wiedasThe-ma deramicitiaanhand tradierter Figurenpaare des Tanachs bzw. des Alten und Neu-en Testaments in unterschiedlichen Kontexten wiederkehrt. Hierbei fällt insbesonderein Anbetracht der letzten beiden Arbeiten auf, dass das Konzept deramicitia, welchesim Christentum stets als Antithese zur Sodomie galt, eine zunehmende Verunklärungbzw.(Homo-)Sexualisierungerlebt:QueereKünstlerwieAdiNesundRotimiFani-Kayodeverwischen die einstige Differenzierung in dem Bemühen, das eigene Begehren inner-halb einer zutiefst homophoben Kultur zu legitimieren und aufzuwerten. Hierin spie-geln sich ähnliche Bestrebungen wider, wie sie wohl auch Wilde bewegt haben, sich inseiner Verteidigungsrede auf Jesus und Johannes zu beziehen. Obschon dieamicitiazu-mindest ihrer christlichen Interpretation nach dezidiert nicht als erotische Beziehunggedacht war,spielt sie dennoch eine Rolle im homosexuellen bzw.queerenMotivkanon.III.2.3 Donatellos und MichelangelosDavid: Von der Renaissance zurVerqueerungbegehrenswerter KörperImFolgendensollenzweiKunstwerkeuntersuchtwerden,diedenalttestamenlichenDa-vid als Bezwinger Goliats zeigen und die als fester Bestandteil einesqueerenbzw.homo-erotischen Bildkanons gelten: Einerseits der knabenhafteDavidvon Donatello (Abb. 84)und andererseits der kolossaleDavidvon Michelangelo (Abb. 85). Die Auseinanderset-zungmitdiesenArbeitenistdabeiunweigerlichverbundenmitdemimMethodikkapitelangesprochenen Spannungsverhältnis zwischen einer geschlossenen und einer durch-lässigenKörpervorstellung,stehendochbeideSkulpturenemblematischfürdieRenais-sance eines antiken Körperbildes, das der im Mittelalter prävalenten Idee des Leibes als»unausschöpfbaresGefäßvonTodundBefruchtung«mitzahlreichen»AusstülpungenundÖffnungen«,wieesBachtinformulierthat,diametralentgegensteht.611EhesichderBlick610 Zu den öffentlichen Reaktionen auf die AIDS-Krise siehe z.B. Pierceson, Jason: Sexual Minoritiesand Politics: An Introduction, Lanham 2016, S. 120; für den deutschen Raum siehe Frings, Mat-thias: Gemischte Botschaften. Der Umgang der deutschen Printmedien mit dem Thema AIDS, in:Marcus, Ulrich (Hg.): Glück gehabt? Zwei Jahrzehnte AIDS in Deutschland, Berlin und Wien 2000,S. 238–261.611 Bachtin 1987, S. 359 und S. 358 (Hervorhebung aus Originaltext übernommen); vgl. zudem KapitelII.3.2 der vorliegenden Arbeit.
© 2023 transcript Verlag

III. Hauptteil 225zu folgen,lässt er den Erlöser und seinen Lieblingsjünger von zwei schwarzen Modellenverkörpern. Dieser augenfällige Bruch mit der geläufigen Ikonographie – Jesus undJohannes als Idealtypen europäischer (weißer) Schönheitsvorstellungen – hinterfragtnicht nur das Selbstverständnis westlich-europäischer Kunst, sondern thematisiertauch das Schicksal homosexueller Männer im Angesicht von AIDS. Fani-Kayode, dersonst nie vor expliziter Sexualität zurückscheute, nimmt hier ganz bewusst Bezug aufeinFigurenpaar,dasfüreine›reineLiebe‹jenseitsbloßerFleischlichkeitsteht,undsetztes einem öffentlichen Diskurs entgegen, der ›die Schuld‹ für die AIDS-Epidemie immännlich-männlichen Begehren selbst sucht.610Mehr noch: Der von Teilen der Gesell-schaft als ›Strafe Gottes‹ angesehene AIDS-Tod wird vom Künstler zum Märtyrertodumgedeutet.AndenhierbesprochenenWerkbeispielenkonntedemonstriertwerden,wiedasThe-ma deramicitiaanhand tradierter Figurenpaare des Tanachs bzw. des Alten und Neu-en Testaments in unterschiedlichen Kontexten wiederkehrt. Hierbei fällt insbesonderein Anbetracht der letzten beiden Arbeiten auf, dass das Konzept deramicitia, welchesim Christentum stets als Antithese zur Sodomie galt, eine zunehmende Verunklärungbzw.(Homo-)Sexualisierungerlebt:QueereKünstlerwieAdiNesundRotimiFani-Kayodeverwischen die einstige Differenzierung in dem Bemühen, das eigene Begehren inner-halb einer zutiefst homophoben Kultur zu legitimieren und aufzuwerten. Hierin spie-geln sich ähnliche Bestrebungen wider, wie sie wohl auch Wilde bewegt haben, sich inseiner Verteidigungsrede auf Jesus und Johannes zu beziehen. Obschon dieamicitiazu-mindest ihrer christlichen Interpretation nach dezidiert nicht als erotische Beziehunggedacht war,spielt sie dennoch eine Rolle im homosexuellen bzw.queerenMotivkanon.III.2.3 Donatellos und MichelangelosDavid: Von der Renaissance zurVerqueerungbegehrenswerter KörperImFolgendensollenzweiKunstwerkeuntersuchtwerden,diedenalttestamenlichenDa-vid als Bezwinger Goliats zeigen und die als fester Bestandteil einesqueerenbzw.homo-erotischen Bildkanons gelten: Einerseits der knabenhafteDavidvon Donatello (Abb. 84)und andererseits der kolossaleDavidvon Michelangelo (Abb. 85). Die Auseinanderset-zungmitdiesenArbeitenistdabeiunweigerlichverbundenmitdemimMethodikkapitelangesprochenen Spannungsverhältnis zwischen einer geschlossenen und einer durch-lässigenKörpervorstellung,stehendochbeideSkulpturenemblematischfürdieRenais-sance eines antiken Körperbildes, das der im Mittelalter prävalenten Idee des Leibes als»unausschöpfbaresGefäßvonTodundBefruchtung«mitzahlreichen»AusstülpungenundÖffnungen«,wieesBachtinformulierthat,diametralentgegensteht.611EhesichderBlick610 Zu den öffentlichen Reaktionen auf die AIDS-Krise siehe z.B. Pierceson, Jason: Sexual Minoritiesand Politics: An Introduction, Lanham 2016, S. 120; für den deutschen Raum siehe Frings, Mat-thias: Gemischte Botschaften. Der Umgang der deutschen Printmedien mit dem Thema AIDS, in:Marcus, Ulrich (Hg.): Glück gehabt? Zwei Jahrzehnte AIDS in Deutschland, Berlin und Wien 2000,S. 238–261.611 Bachtin 1987, S. 359 und S. 358 (Hervorhebung aus Originaltext übernommen); vgl. zudem KapitelII.3.2 der vorliegenden Arbeit.
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Chapters in this book

  1. Frontmatter 1
  2. Inhalt 5
  3. I. Einleitung 7
  4. II. Forschungstheoretische Grundlagen und Methodik 15
  5. III. Hauptteil
  6. III.1 Figurationen der Lust – Motive der paganen Antike und ihre Rezeption im Kontext männlich-männlichen Begehrens
  7. III.1.1 »›Wenn er sich nicht selbst kennenlernt‹«: Narziss und das Motiv der Spiegelung 85
  8. III.1.2 Ambivalente Körper: Von Epheben, ›Hermaphroditen‹ und Herkulessen 102
  9. III.1.3 Paiderastia: Das Erbe der olympischen Päderasten 127
  10. III.1.4 Von kriegerischem Erotizismus zu erotisiertem Militarismus 146
  11. III.1.5 Apoll und Marsyas: Im Spannungsfeld zwischen apollinischem ›Ideal‹ und dionysischem Exzess 163
  12. III.2 Figurationen des Verbotenen – Das christliche Vermächtnis sublimierten und geahndeten Verlangens
  13. III.2.1 Monströse Körper: Die verdrehte Körperlichkeit der Sodomiten und ihre Nachwirkungen 179
  14. III.2.2 Amicitia: Saul, David und Jonathan – Jesus und Johannes – erastês und erômenos? 206
  15. III.2.3 Donatellos und Michelangelos David: Von der Renaissance zur Verqueerung begehrenswerter Körper 225
  16. III.2.4 Jakobs Kampf mit dem ›Engel‹: Die Externalisierung internalisierter Homophobie 237
  17. III.2.5 Der hl. Sebastian: Gefangen zwischen Eros und Thanatos 258
  18. III.3 Präfigurationen homosexueller Identität(en) – Neuzeitliche Motive männlich-männlichen Begehrens und queerer Geschlechtlichkeit
  19. III.3.1 Mode und Körpersprache als Ausdruck einer queeren Semiotik (I): Macaronis, Dandys, Gay Machos und ›Tunten‹ 286
  20. III.3.2 Mode und Körpersprache als Ausdruck einer queeren Semiotik (II): Mollies, Drag Queens und das transgressive Potential der Travestie 321
  21. III.3.3 Romantisierte Projektionen auf das ›Andere‹ oder Die Homoerotisierung des ›Orients‹? 348
  22. III.3.4 Queere Räume (I): Situative Räume und die ›flüchtige Architektur‹ männlich-männlichen Begehrens 372
  23. III.3.5 Queere Räume (II): Konkrete Architektur als Ausdruck queerer Identität(en) 393
  24. IV. Ausblick: Manifestationen und Kontestationen queerer Identität(en) im 20. und 21. Jahrhundert 421
  25. V. Bibliographie 429
  26. VI. Abbildungsteil
  27. VI. Abbildungsteil part 1 491
  28. VI. Abbildungsteil part 2 560
Downloaded on 23.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/9783839467381-010/html?licenseType=restricted&srsltid=AfmBOoraxW0FjT-USavbsg5DInIUUyxlxRoN51XrOMSAi0s00ZjhHiuM
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