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4. Kollektive Verteidigung und kollektive Sicherheit

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Vom Zusammenwachsen des Bündnisses
This chapter is in the book Vom Zusammenwachsen des Bündnisses
266 VIII. Desintegration und politischer Zusammenhalt des Bündnisses oder eben doch nur eine altmodische Militärallianz, war eine offene Frage, die je nach Art der Beantwortung in konkreten Situationen zu unterschiedlichem Ver-halten führte. Die Bewältigung der geschilderten Krisen durch das Bündnis zeig-te auf, daß es den mittleren und kleineren Partnern nur begrenzt gelungen war, den Anspruch auf politische Partizipation geltend zu machen. Aber die USA waren sich bewußt geworden, daß sie ohne politische Rücksichten auf ihre europäischen Partner deren weitere Mitwirkung an der militärischen Eindämmung des Kom-munismus nicht würden erreichen können. Die NATO war beides: am ehesten beschreibt sie der Begriff eines »von den USA geführten Militärbündnisses einer Wertegemeinschaft demokratischer Rechtsstaaten13«. 4. Kollektive Verteidigung und kollektive Sicherheit Fast in jedem seiner Artikel nimmt der NATO-Vertrag Bezug auf die Charta der Vereinten Nationen. Er bezeichnet sich selbst als ein Abkommen zur kollektiven Selbstverteidigung nach Artikel 51 der UNO-Charta (Artikel 5 Nordatlantikver-trag). Bewußt war der Vertrag nicht als ein System kollektiver Sicherheit nach Kapitel VIII der UNO-Charta konzipiert, weil eine solche regionale Unterorgani-sation der Vereinten Nationen regelmäßig dem Sicherheitsrat berichtspflichtig gewesen wäre14. Dennoch ist es durchaus akzeptabel geworden, von der NATO als einem System kollektiver Sicherheit zu reden15. Dabei wird »kollektive Sicherheit« hier verstanden als eine Vereinbarung zwi-schen mehreren Staaten, auf Krieg als Mittel der politischen Auseinandersetzung untereinander zu verzichten. Streitigkeiten sollen einer obligatorischen Schieds-organisation unterworfen werden. Für den Fall der Gewaltanwendung durch einen Staat, gleich ob Angehöriger des Systems oder nicht, ist eine gemeinsame Hilfeleistung an den Angegriffenen vorgesehen. Ein solches Verständnis von kol-lektiver Sicherheit ist die Basis der Vereinten Nationen, nicht aber eigentlich des Nordatlantikvertrages, dessen Schutzfunktion sich nach außen richtet, gegen Angriffe solcher Staaten, die dem Bündnis nicht angehören. Der ausdrückliche Verzicht auf Gewalt als Mittel der Politik zwischen den Parteien findet sich aber auch hier, an herausragender Stelle in Artikel 1. Zwar hat die NATO keine Mecha-nismen entwickelt, um eine friedliche Beilegung von Konflikten zwischen den Partnerländern zu erzwingen. Auch steht das Einstimmigkeitsgebot im NATO-13 Möller, Die Relativität historischer Epochen, S. 8. 14 FRUS 1949, IV, S. 213 - 224, 840.20/3-1549. Minutes of the Eighteenth Meeting of the Was-hington Exploratory Talks on Security vom 15.3.1949, besonderes S. 213 - 221; Boyle, Ame-rica's Hesitant Road, S. 75; Osgood, Alliances, S. 2 f. 15 So der polnische Außenminister Wladyslaw Bartoszewski in einem Interview des Berliner Tagesspiegel vom 12. März 1995, S. 6; Bardehle, Konfliktlösung; Kaplan, Collective Security, S. 96; Osgood, Alliances, S. 2. Reflektierter Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, S. 795, der NATO als ein Ergebnis des Versagens der UNO sieht.
© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Munich/Boston

266 VIII. Desintegration und politischer Zusammenhalt des Bündnisses oder eben doch nur eine altmodische Militärallianz, war eine offene Frage, die je nach Art der Beantwortung in konkreten Situationen zu unterschiedlichem Ver-halten führte. Die Bewältigung der geschilderten Krisen durch das Bündnis zeig-te auf, daß es den mittleren und kleineren Partnern nur begrenzt gelungen war, den Anspruch auf politische Partizipation geltend zu machen. Aber die USA waren sich bewußt geworden, daß sie ohne politische Rücksichten auf ihre europäischen Partner deren weitere Mitwirkung an der militärischen Eindämmung des Kom-munismus nicht würden erreichen können. Die NATO war beides: am ehesten beschreibt sie der Begriff eines »von den USA geführten Militärbündnisses einer Wertegemeinschaft demokratischer Rechtsstaaten13«. 4. Kollektive Verteidigung und kollektive Sicherheit Fast in jedem seiner Artikel nimmt der NATO-Vertrag Bezug auf die Charta der Vereinten Nationen. Er bezeichnet sich selbst als ein Abkommen zur kollektiven Selbstverteidigung nach Artikel 51 der UNO-Charta (Artikel 5 Nordatlantikver-trag). Bewußt war der Vertrag nicht als ein System kollektiver Sicherheit nach Kapitel VIII der UNO-Charta konzipiert, weil eine solche regionale Unterorgani-sation der Vereinten Nationen regelmäßig dem Sicherheitsrat berichtspflichtig gewesen wäre14. Dennoch ist es durchaus akzeptabel geworden, von der NATO als einem System kollektiver Sicherheit zu reden15. Dabei wird »kollektive Sicherheit« hier verstanden als eine Vereinbarung zwi-schen mehreren Staaten, auf Krieg als Mittel der politischen Auseinandersetzung untereinander zu verzichten. Streitigkeiten sollen einer obligatorischen Schieds-organisation unterworfen werden. Für den Fall der Gewaltanwendung durch einen Staat, gleich ob Angehöriger des Systems oder nicht, ist eine gemeinsame Hilfeleistung an den Angegriffenen vorgesehen. Ein solches Verständnis von kol-lektiver Sicherheit ist die Basis der Vereinten Nationen, nicht aber eigentlich des Nordatlantikvertrages, dessen Schutzfunktion sich nach außen richtet, gegen Angriffe solcher Staaten, die dem Bündnis nicht angehören. Der ausdrückliche Verzicht auf Gewalt als Mittel der Politik zwischen den Parteien findet sich aber auch hier, an herausragender Stelle in Artikel 1. Zwar hat die NATO keine Mecha-nismen entwickelt, um eine friedliche Beilegung von Konflikten zwischen den Partnerländern zu erzwingen. Auch steht das Einstimmigkeitsgebot im NATO-13 Möller, Die Relativität historischer Epochen, S. 8. 14 FRUS 1949, IV, S. 213 - 224, 840.20/3-1549. Minutes of the Eighteenth Meeting of the Was-hington Exploratory Talks on Security vom 15.3.1949, besonderes S. 213 - 221; Boyle, Ame-rica's Hesitant Road, S. 75; Osgood, Alliances, S. 2 f. 15 So der polnische Außenminister Wladyslaw Bartoszewski in einem Interview des Berliner Tagesspiegel vom 12. März 1995, S. 6; Bardehle, Konfliktlösung; Kaplan, Collective Security, S. 96; Osgood, Alliances, S. 2. Reflektierter Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, S. 795, der NATO als ein Ergebnis des Versagens der UNO sieht.
© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Munich/Boston

Chapters in this book

  1. Frontmatter I
  2. Inhalt V
  3. Vorwort IX
  4. Zur Konzeption einer NATO-Geschichte XI
  5. I. Fragestellung: Spannungen innerhalb eines Bündnisses
  6. 1. »Mehr als ein altmodisches Militärbündnis« 1
  7. 2. Die Arbeitsweise einer Allianz am Beispiel ihrer Krisen 2
  8. 3. Die Krisen im Blickfeld des Bündnisses 5
  9. 4. Multiperspektivischer Ansatz 7
  10. II. NATO und der abtrünnige Satellit: Triest und die Entstehung des Balkanpaktes
  11. 1. Vorgeschichte und strategische Interessen 11
  12. 2. Die Entstehung des Vertrages von Ankara 1953 23
  13. 3. Die Zuspitzung der Triestkrise 1953 32
  14. 4. Die Lösung der Triestkrise 1954 48
  15. 5. Die Entstehung des Balkanpakts 55
  16. 6. Politische Konsultation - ein schlechter Start 69
  17. III. NATO und Blockfreiheit: Das Ende des Balkanpakts und Zypern
  18. 1. Die veränderte Interessenlage Jugoslawiens 71
  19. 2. Die Entstehung des Zypernproblems 77
  20. 3. Die Londoner Zypernkonferenz und die Unruhen in der Türkei 87
  21. 4. Versuche zur Schadensbegrenzung 98
  22. 5. Das Scheitern der Aussöhnung zwischen Griechen und Türken 110
  23. 6. Zypern im Kontext internationaler Krisen 116
  24. 7. Folgen für die politische Konsultation 123
  25. IV. NATO und westliche Neutrale: Spanien und Irland
  26. 1. Westliche Staaten außerhalb der NATO 127
  27. 2. Verhandlungen über ein US-spanisches Verteidigungsabkommen 130
  28. 3. Die Forderung nach einem spanischen NATO-Beitritt 145
  29. 4. Irland und die NATO 159
  30. 5. Geostrategie und Ideologie: NATO und »freundliche Nichtmitglieder« 162
  31. V. Kolonialismus und Stützpunkte: Portugal, Goa und die Azoren
  32. 1. Der NATO-Beitritt Portugals 165
  33. 2. Goa: Ein Beispiel für das Kolonialismusproblem 168
  34. 3. Entstehung des Konflikts 173
  35. 4. Der portugiesische Versuch, die NATO zu beteiligen 176
  36. 5. Vermittlung? 182
  37. 6. Das Ringen um eine öffentliche Erklärung der USA 185
  38. 7. Konsultation als Druckmittel 193
  39. VI. Stützpunkte und Wirtschaftsinteresse: NATO und Island
  40. 1. Der Beitritt eines unbewaffneten Landes 195
  41. 2. Die Stationierung amerikanischer Truppen 201
  42. 3. Die Resolution des Althing vom Frühjahr 1956 und die Reaktion der NATO 212
  43. 4. Kommunisten in der isländischen Regierung 218
  44. 5. Die Verhandlungen über die Revision des Verteidigungsabkommens 225
  45. 6. Souveränität und Bündniszwänge 237
  46. VII. Die >Drei Weisen< und >Suez<
  47. 1. Stand der politischen Zusammenarbeit an der Jahreswende 1955/56 239
  48. 2. Gewandelte Bedrohungsperzeption 242
  49. 3. Bestellung und Arbeit des »Committee of Three« 244
  50. 4. >Suez< als Scheitern politischer Konsultation 250
  51. 5. Erfolg und Scheitern des »Committee of Three« 256
  52. VIII. Desintegration und politischer Zusammenhalt des Bündnisses
  53. 1. Großmächte, Siegermächte und kleinere Partner 261
  54. 2. Entkolonialisierung und Bündnis 264
  55. 3. Demokratiedesiderat und Bündnisinteresse 265
  56. 4. Kollektive Verteidigung und kollektive Sicherheit 266
  57. 5. Nationale Souveränität und Bündnisverpflichtung 267
  58. Anhang
  59. Nordatlantikvertrag 273
  60. Protokoll zum Nordatlantikvertrag über den Beitritt Griechenlands und der Türkei 278
  61. Protokoll zum Nordatlantikvertrag über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland 280
  62. Abkürzungen 282
  63. Quellen 283
  64. Literatur 287
  65. Personenregister 299
Downloaded on 23.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/9783486712209-046/html?srsltid=AfmBOop1r5LG9CriEKcEz_pe2wkeOKkYxmyDAxHLjIWHfhPRqfCl-b67
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