Home Law Schwerpunktverlagerungen im Strafrecht
Chapter
Licensed
Unlicensed Requires Authentication

Schwerpunktverlagerungen im Strafrecht

Become an author with De Gruyter Brill
Strafrecht als Teil politischer Macht
This chapter is in the book Strafrecht als Teil politischer Macht
Schwerpunktverlagerungen im Strafrecht1. EinleitungBei den Vorbereitungen zu diesem Text* ist mir im Spätsommer 1992 eine Zeitungsnotiz mit der Überschrift „Rauchen bald kriminell?“ in die Hände gefallen1. In der Notiz wurde berichtet über die Pläne von Angehörigen gro-ßer politischer Parteien, das Rauchen im öffentlichen Bereich – offenbar bei Strafe – zu verbieten.Man traut zunächst seinen Augen nicht. Das traditionsreiche rechtsstaatliche Strafrecht sollte sich Derartiges zutrauen und für Derartiges zuständig sein? Wie sollte denn ein entsprechender Tatbestand aussehen? Etwa so:Wer rechtswidrig in der Öffentlichkeit vorsätzlich oder fahrlässig Tabak raucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten oder mit Geldstrafe bestraft?Eine solche Formulierung wäre gesetzlich nicht bestimmt genug (Art. 103 Abs. 2 GG). Die Verhältnismäßigkeit der Rechtsfolge wäre nicht gewahrt. Die Durchsetzung eines solchen Verbots im Strafverfahren müßte zur All-gegenwart von Polizei und Staatsanwaltschaft in der Öffentlichkeit führen. Und überhaupt: Das Rauchen in der Öffentlichkeit ist gar kein Gegenstand rechtsstaatlichen Strafrechts, das ist allenfalls ein Problem des Jugend- und Gesundheitsschutzes durch vernünftige Politik (nicht durch Recht).Je länger man aber die Frage „Rauchen bald kriminell?“ bedenkt, umso ein-leuchtender wird sie. Man braucht nur von einem traditionellen auf ein ak-tuelles Strafrechtsprogramm umzuschalten. Warum denn eigentlich nicht das Rauchen zunächst in der Öffentlichkeit, dann auch in der Privatheit bei Strafe verbieten? Das ist doch für das Wohlbefinden und die Gesundheit vieler Bürger und für das gesamte Gesundheitssystem, die Finanzierung die-ses Systems eingeschlossen, zweckmäßig. Dem Umweltschutz und der Sau-berkeit dient ein solches strafbewehrtes Verbot auch. Die gesetzliche Be-stimmtheit des Strafrechts, so kann man überall lesen, darf ohnehin nicht überdehnt werden2. Die Verhältnismäßigkeit der Rechtsfolgen läßt sich 1 Frankfurter Rundschau vom 07.09.1992. 2 Vgl. das Material bei Schönke / Schröder-Eser, StGB, 24. Aufl., bes. Rn. 20 zu § 1 und bei Krahl. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs zum Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht (Art. 103 Abs. 2 GG). 1986. https://doi.org/10.1515/9783111284439-002
© 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Schwerpunktverlagerungen im Strafrecht1. EinleitungBei den Vorbereitungen zu diesem Text* ist mir im Spätsommer 1992 eine Zeitungsnotiz mit der Überschrift „Rauchen bald kriminell?“ in die Hände gefallen1. In der Notiz wurde berichtet über die Pläne von Angehörigen gro-ßer politischer Parteien, das Rauchen im öffentlichen Bereich – offenbar bei Strafe – zu verbieten.Man traut zunächst seinen Augen nicht. Das traditionsreiche rechtsstaatliche Strafrecht sollte sich Derartiges zutrauen und für Derartiges zuständig sein? Wie sollte denn ein entsprechender Tatbestand aussehen? Etwa so:Wer rechtswidrig in der Öffentlichkeit vorsätzlich oder fahrlässig Tabak raucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten oder mit Geldstrafe bestraft?Eine solche Formulierung wäre gesetzlich nicht bestimmt genug (Art. 103 Abs. 2 GG). Die Verhältnismäßigkeit der Rechtsfolge wäre nicht gewahrt. Die Durchsetzung eines solchen Verbots im Strafverfahren müßte zur All-gegenwart von Polizei und Staatsanwaltschaft in der Öffentlichkeit führen. Und überhaupt: Das Rauchen in der Öffentlichkeit ist gar kein Gegenstand rechtsstaatlichen Strafrechts, das ist allenfalls ein Problem des Jugend- und Gesundheitsschutzes durch vernünftige Politik (nicht durch Recht).Je länger man aber die Frage „Rauchen bald kriminell?“ bedenkt, umso ein-leuchtender wird sie. Man braucht nur von einem traditionellen auf ein ak-tuelles Strafrechtsprogramm umzuschalten. Warum denn eigentlich nicht das Rauchen zunächst in der Öffentlichkeit, dann auch in der Privatheit bei Strafe verbieten? Das ist doch für das Wohlbefinden und die Gesundheit vieler Bürger und für das gesamte Gesundheitssystem, die Finanzierung die-ses Systems eingeschlossen, zweckmäßig. Dem Umweltschutz und der Sau-berkeit dient ein solches strafbewehrtes Verbot auch. Die gesetzliche Be-stimmtheit des Strafrechts, so kann man überall lesen, darf ohnehin nicht überdehnt werden2. Die Verhältnismäßigkeit der Rechtsfolgen läßt sich 1 Frankfurter Rundschau vom 07.09.1992. 2 Vgl. das Material bei Schönke / Schröder-Eser, StGB, 24. Aufl., bes. Rn. 20 zu § 1 und bei Krahl. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs zum Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht (Art. 103 Abs. 2 GG). 1986. https://doi.org/10.1515/9783111284439-002
© 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
Downloaded on 23.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/9783111284439-002/html?srsltid=AfmBOorE4ul0LtT0tRZrUnzxBpOThqNM5F9M-6qwki9xAhPU3YQrmLrZ
Scroll to top button