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Front und Heimatfront: Konsum in den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts

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Konsum im 19. und 20. Jahrhundert
This chapter is in the book Konsum im 19. und 20. Jahrhundert
Hartmut BerghoffFront und Heimatfront: Konsum in den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts1 EinleitungDer Begriff „Heimatfront“ bzw. „Home front“ verbreitet sich in der zweiten Hälfte des Ersten Weltkrieges, als die Zivilbevölkerung dazu motiviert werden sollte, ihr gesam-tes Leben dem Krieg unterzuordnen. Die „Heimatfront“ war ursprünglich ein Kampf-begriff der Propaganda, der aber zunehmend auch neutral verwendet wurde. Er bezeichnet die Einbeziehung der Zivilbevölkerung in den Krieg, sei es durch Kampf-handlungen hinter der eigentlichen Front wie Bombenangriffe oder durch die Mobi-lisierung ziviler Ressourcen für die Kriegsanstrengung, etwa durch das Hochfahren der Rüstungsfertigung oder Einschränkungen des zivilen Konsums. Die Heimatfront entstand als Begriff und Realität im Ersten Weltkrieg und gewann im Zweiten Welt-krieg ungemein an Bedeutung.12 Kriege vor dem „Zeitalter der Extreme“Vormoderne Kriege blieben überwiegend auf Schlachtfelder und Soldaten begrenzt. Zivilisten waren nur dann direkt involviert, wenn ihre Wohnorte zu Kampf- oder Besatzungszonen wurden oder Truppendurchmärsche mit Gewalt, Requirierungen, Raub oder Zwangsaushebungen einhergingen. Indirekte Effekte waren jedoch allzu oft Inflationen, Hungersnöte und Krankheiten.Während des in vieler Hinsicht exzeptionellen Dreißigjährigen Krieges ging die Bevölkerung des Deutschen Reiches in Folge von Kriegshandlungen, Plünderun-gen und Vertreibung, aber vor allem von Hunger und Krankheit um etwa ein Drittel zurück.2 Während manche Regionen diesem Schicksal weitgehend oder gänzlich entgingen, war die von Pommern bis Baden reichende „Zerstörungsdiagonale“ am schlimmsten betroffen. Magdeburgs Einwohnerzahl sank von etwa 30 000 auf unter 500. Einquartierungen und Kontributionen, die Requirierungen von Nahrungsmit-teln, Pferden und Vieh sowie Flucht und Vertreibung entzogen den Menschen die 1Vgl. T. Flemming/B. Ulrich, Heimatfront. Zwischen Kriegsbegeisterung und Hungersnot – Wie die Deutschen den Ersten Weltkrieg erlebten, München 2014, S. 17ff.2Vgl. G. Schmidt, Der Dreißigjährige Krieg, München 2010, S. 91; F. Adrians, „Das sich einem Stein solt erbarmet haben.“ Der Dreißigjährige Krieg im Erleben der Zivilbevölkerung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 2018, S. 3–10.https://doi.org/10.1515/978311 0570397-020
© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Munich/Boston

Hartmut BerghoffFront und Heimatfront: Konsum in den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts1 EinleitungDer Begriff „Heimatfront“ bzw. „Home front“ verbreitet sich in der zweiten Hälfte des Ersten Weltkrieges, als die Zivilbevölkerung dazu motiviert werden sollte, ihr gesam-tes Leben dem Krieg unterzuordnen. Die „Heimatfront“ war ursprünglich ein Kampf-begriff der Propaganda, der aber zunehmend auch neutral verwendet wurde. Er bezeichnet die Einbeziehung der Zivilbevölkerung in den Krieg, sei es durch Kampf-handlungen hinter der eigentlichen Front wie Bombenangriffe oder durch die Mobi-lisierung ziviler Ressourcen für die Kriegsanstrengung, etwa durch das Hochfahren der Rüstungsfertigung oder Einschränkungen des zivilen Konsums. Die Heimatfront entstand als Begriff und Realität im Ersten Weltkrieg und gewann im Zweiten Welt-krieg ungemein an Bedeutung.12 Kriege vor dem „Zeitalter der Extreme“Vormoderne Kriege blieben überwiegend auf Schlachtfelder und Soldaten begrenzt. Zivilisten waren nur dann direkt involviert, wenn ihre Wohnorte zu Kampf- oder Besatzungszonen wurden oder Truppendurchmärsche mit Gewalt, Requirierungen, Raub oder Zwangsaushebungen einhergingen. Indirekte Effekte waren jedoch allzu oft Inflationen, Hungersnöte und Krankheiten.Während des in vieler Hinsicht exzeptionellen Dreißigjährigen Krieges ging die Bevölkerung des Deutschen Reiches in Folge von Kriegshandlungen, Plünderun-gen und Vertreibung, aber vor allem von Hunger und Krankheit um etwa ein Drittel zurück.2 Während manche Regionen diesem Schicksal weitgehend oder gänzlich entgingen, war die von Pommern bis Baden reichende „Zerstörungsdiagonale“ am schlimmsten betroffen. Magdeburgs Einwohnerzahl sank von etwa 30 000 auf unter 500. Einquartierungen und Kontributionen, die Requirierungen von Nahrungsmit-teln, Pferden und Vieh sowie Flucht und Vertreibung entzogen den Menschen die 1Vgl. T. Flemming/B. Ulrich, Heimatfront. Zwischen Kriegsbegeisterung und Hungersnot – Wie die Deutschen den Ersten Weltkrieg erlebten, München 2014, S. 17ff.2Vgl. G. Schmidt, Der Dreißigjährige Krieg, München 2010, S. 91; F. Adrians, „Das sich einem Stein solt erbarmet haben.“ Der Dreißigjährige Krieg im Erleben der Zivilbevölkerung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 2018, S. 3–10.https://doi.org/10.1515/978311 0570397-020
© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Munich/Boston

Chapters in this book

  1. Frontmatter I
  2. Vorwort Gesamtreihe Handbuch Wirtschaftsgeschichte V
  3. Inhalt VII
  4. Einleitung 1
  5. I. Von der „Industrious Revolution“ zur „Entfaltung der Konsumgesellschaft“ (1770–1918)
  6. Von der exklusiven zur inklusiven Konsumgesellschaft. ‚Industrious Revolution‘ und Anfänge des Massenkonsums (1770–1918) 11
  7. A. Konsumenten
  8. Feine Unterschiede oder scharfe Differenzen: Klassen, Milieus und Konsum im Kapitalismus 59
  9. Die kleine Fabrik zu Hause. Haushaltsproduktion als Versorgungsstrategie, Lebensstil und Markt vom 18. bis 20. Jahrhundert 87
  10. B. Produzenten und Unternehmen
  11. Die Globalität von Gütern und ihre Ökonomien, 1450–1900 115
  12. Grundlagen der Nahrungsmittelversorgung: Landwirtschaft im langen 19. Jahrhundert 137
  13. Maschinisierung, Massenproduktion, Rationalisierung. Zur Produktentstehung im 19. Jahrhundert 165
  14. Absatz und Reklame: Die Anfänge von modernem Einzelhandel und die Werbung bis zum Ersten Weltkrieg 191
  15. C. Gesellschaft und Konsumpolitik
  16. Verbraucherpolitik im Kaiserreich 211
  17. Die Aura des Exotischen. Werbliche Darstellung von Kolonialwaren im Kaiserreich 235
  18. Konsuminfrastruktur und öffentliche Betriebe 263
  19. II. Konsum in der „Hochmoderne“ und „nach dem Boom“ (1918–2008)
  20. Dynamiken der Massenkonsumgesellschaft im 20. Jahrhundert, 1918–2008 297
  21. A. Konsumenten
  22. Individualisierung, Pluralisierung und Massenkonsum: Wandel von Konsummustern im 20. Jahrhundert 337
  23. „Neue“ Konsumenten: Die Entdeckung der Jugend und anderer Verbrauchergruppen 363
  24. Die Geschichte des Konsumentenkredits in internationaler Perspektive 391
  25. B. Produzenten und Unternehmen
  26. Vom Fordismus zur ‚Industrie 4.0‘. Massenproduktion und Konsum im 20. Jahrhundert 433
  27. Marketing als Lockmittel des Konsums: Innovationen in Marktforschung und Werbung 459
  28. Vom Warenhaus zum Online-Versand. Die Entwicklung des Einzelhandels im 20. Jahrhundert 483
  29. Abfall und Konsum 515
  30. C. Gesellschaft und Konsumpolitik
  31. Front und Heimatfront: Konsum in den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts 537
  32. Mangelwirtschaft – Konsum als Herausforderung in der Planwirtschaft der DDR 563
  33. Konsum- und Verbraucherpolitik in der Bundesrepublik Deutschland 589
  34. Grenzenlos. Der transnationale europäische Konsum 1918–2018 617
  35. Autoren und Herausgeber 643
  36. Index 647
Downloaded on 8.10.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/9783110570397-020/html?licenseType=restricted&srsltid=AfmBOooelQ3oqEkWwMkodTHzx4Ptxw9fAUv3ZxeiaPWUQfJcFISmdAOb
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