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1. Was ist Unterricht?

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Unterrichtskommunikation
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1. Was ist Unterricht? Die Schule, wie wir sie kennen, ist historisch eine relativ junge Errungenschaft. In ihrer heutigen Selbstverständlichkeit erscheint sie vielen als eine beinahe naturwüchsige gesell-schaftliche Einrichtung. Bereits ein kurzer Blick in die deutsche Geschichte zeigt jedoch, dass die Vorläufer der heutigen Schule erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden sind und seitdem erhebliche Veränderungen erfahren haben. Im Mittelalter und teilweise bis hinein in das 18. Jahrhundert war schulische Bildung ein Privileg des Adels und des Kle-rus‘, mithin einer sehr kleinen gesellschaftlichen Minderheit. Ihr Nachwuchs wurde in den sog. Lateinschulen unterrichtet, aus denen dann später u.a. die heutigen Gymnasien hervor-gehen sollten. Die breite Masse lebte jedoch in Abhängigkeit der jeweiligen Feudalherren, ohne schulische Bildung und ohne Schriftkenntnisse. Gegen Ende des Mittelalters gewannen das Handwerk und der Handel an Bedeutung und verdrängten zunehmend die auf Agrarwirtschaft begründeten Feudalstrukturen. Durch neue Formen der bürgerlich-industriellen Produktion erhielt die Bildung einen neuen Stel-lenwert. Zahlreiche Tätigkeiten erforderten Kenntnisse in Lesen, Schreiben und Rechnen. So entstanden in den Städten bereits ab dem 15./16. Jh. die sog. Schreibschulen, die neben Kindern insbesondere Erwachsene gegen Bezahlung unterrichteten. Schriftkundige wie Drucker und Stadtschreiber lehrten in ihren Wohnungen Lesen und Schreiben. Daneben gründeten zahlreiche Städte eigene Elementarschulen mit ähnlichen Inhalten. Aus ihnen sollten später die Volksschulen hervorgehen. Im Unterschied zu unserem heutigen Schulsystem gab es zu dieser Zeit aber weder eine Schulpflicht noch eine speziell ausgebildete Lehrerschaft. An den Lateinschulen, die in Trägerschaft der Kirchen waren, unterrichteten Geistliche die Schüler in Latein, Griechisch und Philosophie. Sie waren für den männlichen adeligen Nachwuchs bestimmt; später nahmen die Bürgersöhne an den unteren Klassen teil, um Lesen und Schreiben zu lernen. Die Schreib- bzw. Elementarschulen beruhten auf freiwilliger Teilnahme, standen jedoch auch Mädchen und Frauen offen. Sie wurden von Schriftkundigen betrieben, die ebenfalls keine spezifische didaktische Ausbildung hatten; später kamen in den Elementarschulen ausgediente Soldaten dazu. Ab dem 18. Jh. differenzierte sich das Schulsystems weiter aus. Mit dem Ende des Feu-dalismus hatten die Lateinschulen endgültig ihren gesellschaftlichen Zweck verloren; aus ihnen ging – soweit sie nicht geschlossen wurden – ein Teil der Gymnasien hervor. Dane-ben entstanden die Realschulen, die ihren Namen dem naturwissenschaftlich-ökonomischen Fächerkanon verdanken. Diese neu entstandenen Schulformen benötigten wegen ihrer ge-stiegenen gesellschaftlichen Bedeutung und zur Wahrung ihrer Unabhängigkeit von der Kirche eine anders ausgebildete Lehrerschaft. So wurde zu Beginn des 19. Jh. das sog. Staatsexamen eingeführt, ein von der Kirche unabhängiges Examen. Es schloss ein fach-wissenschaftliches Studium ab, das künftig als Eingangsvoraussetzung für Gymnasiallehrer diente. Etwa zur gleichen Zeit wurden die Lehrerbildungsanstalten gegründet, die der Aus-bildung der Volksschullehrer dienten. Aus ihnen sollten im 20. Jahrhundert die pädagogi-

1. Was ist Unterricht? Die Schule, wie wir sie kennen, ist historisch eine relativ junge Errungenschaft. In ihrer heutigen Selbstverständlichkeit erscheint sie vielen als eine beinahe naturwüchsige gesell-schaftliche Einrichtung. Bereits ein kurzer Blick in die deutsche Geschichte zeigt jedoch, dass die Vorläufer der heutigen Schule erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden sind und seitdem erhebliche Veränderungen erfahren haben. Im Mittelalter und teilweise bis hinein in das 18. Jahrhundert war schulische Bildung ein Privileg des Adels und des Kle-rus‘, mithin einer sehr kleinen gesellschaftlichen Minderheit. Ihr Nachwuchs wurde in den sog. Lateinschulen unterrichtet, aus denen dann später u.a. die heutigen Gymnasien hervor-gehen sollten. Die breite Masse lebte jedoch in Abhängigkeit der jeweiligen Feudalherren, ohne schulische Bildung und ohne Schriftkenntnisse. Gegen Ende des Mittelalters gewannen das Handwerk und der Handel an Bedeutung und verdrängten zunehmend die auf Agrarwirtschaft begründeten Feudalstrukturen. Durch neue Formen der bürgerlich-industriellen Produktion erhielt die Bildung einen neuen Stel-lenwert. Zahlreiche Tätigkeiten erforderten Kenntnisse in Lesen, Schreiben und Rechnen. So entstanden in den Städten bereits ab dem 15./16. Jh. die sog. Schreibschulen, die neben Kindern insbesondere Erwachsene gegen Bezahlung unterrichteten. Schriftkundige wie Drucker und Stadtschreiber lehrten in ihren Wohnungen Lesen und Schreiben. Daneben gründeten zahlreiche Städte eigene Elementarschulen mit ähnlichen Inhalten. Aus ihnen sollten später die Volksschulen hervorgehen. Im Unterschied zu unserem heutigen Schulsystem gab es zu dieser Zeit aber weder eine Schulpflicht noch eine speziell ausgebildete Lehrerschaft. An den Lateinschulen, die in Trägerschaft der Kirchen waren, unterrichteten Geistliche die Schüler in Latein, Griechisch und Philosophie. Sie waren für den männlichen adeligen Nachwuchs bestimmt; später nahmen die Bürgersöhne an den unteren Klassen teil, um Lesen und Schreiben zu lernen. Die Schreib- bzw. Elementarschulen beruhten auf freiwilliger Teilnahme, standen jedoch auch Mädchen und Frauen offen. Sie wurden von Schriftkundigen betrieben, die ebenfalls keine spezifische didaktische Ausbildung hatten; später kamen in den Elementarschulen ausgediente Soldaten dazu. Ab dem 18. Jh. differenzierte sich das Schulsystems weiter aus. Mit dem Ende des Feu-dalismus hatten die Lateinschulen endgültig ihren gesellschaftlichen Zweck verloren; aus ihnen ging – soweit sie nicht geschlossen wurden – ein Teil der Gymnasien hervor. Dane-ben entstanden die Realschulen, die ihren Namen dem naturwissenschaftlich-ökonomischen Fächerkanon verdanken. Diese neu entstandenen Schulformen benötigten wegen ihrer ge-stiegenen gesellschaftlichen Bedeutung und zur Wahrung ihrer Unabhängigkeit von der Kirche eine anders ausgebildete Lehrerschaft. So wurde zu Beginn des 19. Jh. das sog. Staatsexamen eingeführt, ein von der Kirche unabhängiges Examen. Es schloss ein fach-wissenschaftliches Studium ab, das künftig als Eingangsvoraussetzung für Gymnasiallehrer diente. Etwa zur gleichen Zeit wurden die Lehrerbildungsanstalten gegründet, die der Aus-bildung der Volksschullehrer dienten. Aus ihnen sollten im 20. Jahrhundert die pädagogi-
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