Hermaea. Neue Folge
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Herausgegeben von:
Stephan Müller
Fachgebiete
Die sogenannte ‚Frühmittelhochdeutsche Literatur‘ (etwa 1060–1180) hat der mediävistischen Forschung stets Schwierigkeiten bereitet. Einerseits die zeitliche und texttypologische Eingrenzung des Feldes betreffend, angesichts einer stark lückenhaften Datenlage in den Punkten Materialität, Datierung, Verfasserschaft. Andererseits ist die Literarizität der Texte oft infrage gestellt worden, vor allem hinsichtlich Redegestaltung (metrische Unvollkommenheit, formelhaftes Erzählen) und Handlungskonstruktion (‚brüchige‘ Syntagmen, Mangel an Kausallogik), aber auch mit Blick auf das Verständnis des Literaturbegriffs (‚Literatur im erweiterten Sinne‘, Funktionalisierung des Erzählens im klerikalen Kontext, lehrhafter Duktus). Die vorliegende Arbeit hat es sich zum Ziel gesetzt, in einem möglichst offenen Zugriff die vielfältigen Erzählpraktiken, die das frühmittelhochdeutsche Erzählen charakterisieren, zu sammeln, zu ordnen und textübergreifend auszuwerten. Die Studie fragt im Kontext verschiedener literatur- und kulturgeschichtlicher sowie theologischer Diskurse nach den Hintergründen und der Konstitution der narrativen Praktiken, die nicht im Licht der späteren höfischen Literatur untersucht, sondern als eigenes Feld begriffen werden.
Das Buch befasst sich mit der Frage, wann und wie in deutschsprachigen literarischen Texten zwischen 1750 und 1930 auf die Literatur des Mittelalters Bezug genommen wird. Dabei wird auf quantifizierbare Größen in Form von Publikationszahlen zurückgegriffen, wodurch erstmals intersubjektiv nachprüfbare Ergebnisse zur Häufigkeit von Mittelalterbezügen in der Literatur vorliegen.
Auf diese Weise zeigt die Studie, dass Mittelalterbezüge in der deutschsprachigen Literatur nicht epochenspezifisch sind, sondern vielmehr über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg kontinuierlich literarisch Bezug auf das Mittelalter und dessen Literatur genommen wird. Damit sind Bezugnahmen auf das Mittelalter aus quantitativer Perspektive auch nicht epochenprägend.
Der Zusammenhang von Minnesangrezeption und Romantik wird im letzten Teil der Arbeit anhand des lyrischen Œuvres Friedrich Haugs näher untersucht. In der bisherigen Forschung wurde Haug lediglich als Epigrammatiker betrachtet und sein Schaffen dem Klassizismus zugeordnet. Seine literarische Rezeption mittelalterlicher Lyrik zeigt jedoch eine Nähe zur Romantik, die Haugs Briefe an Ludwig Uhland belegen. In der Analyse von Haugs Lyrik wird deutlich, dass seine Minnesangrezeption auch an ältere Rezeptionstraditionen anknüpft.
Dass sich moderne Gesellschaften in ihrem Denken und Handeln seit dem 18. Jahrhundert zunehmend auf die Zukunft ausrichten, stellt nicht das Ergebnis eines natürlichen Prozesses dar, sondern ist auf eine komplexe Diskursformation zurückzuführen: das moderne Zeitregime. Seinen deutlichsten Ausdruck findet diese Zeit- und Geschichtskonzeption in der Fortschrittsidee, die sich geradezu als Mythos der Moderne bezeichnen lässt. Die Studie zeichnet die zwischen Affirmation und Kritik schwankende Haltung Friedrich Schillers, Heinrich Heines und Gottfried Kellers gegenüber diesem Schlüsselkonzept der Moderne nach. Artikulieren die drei Autoren in ihren frühen Schriften noch die Hoffnung auf die "Emanzipation der ganzen Welt" (Heine), so nehmen sie in ihren Spätwerken auch die Kosten und Opfer des Fortschritts in den Blick wie insbesondere die Naturzerstörung und die Unterwerfung der außereuropäischen Völker im Kolonialismus. Die Studie verbindet nicht nur literarische, geschichtsphilosophische, soziologische und postkoloniale Perspektiven, sondern wirft zugleich ein Schlaglicht auf die multiplen Krisen unserer Gegenwart, in der die Fortschrittsidee längst ihre Anziehungskraft verloren hat, ohne dass ein Ersatz erkennbar wäre.
Die Studie entfaltet erstmals eine Theoriegeschichte von Figurationen der Reihenbildung in der Aufklärung und der Moderne.
Sie widmet sich damit einer Geschichte im Spannungsfeld von psychologischer Ästhetik, Romanpoetik, Naturforschung, idealistischer Philosophie, Kulturwissenschaften, Literaturtheorie und Literatur und fasst Reihenfiguren als Akteure einer spezifischen Theoriestruktur, die sich von der frühen Neuzeit bis zum frühen 20. Jahrhundert beobachten lässt. Untersucht werden philosophisch-ästhetische Texte von Descartes, Leibniz, Newton, Tetens, Kant, Fichte, Herbart sowie literarische und literaturtheoretische Texte von Mendelssohn, Kleist, Goethe, Lazarus, Simmel, Mukařovský, Cassirer und vielen weiteren.
Die These der Arbeit lautet erstens, dass in der Theoriesprache der Reihenbildung – gewissermaßen im Schlagschatten der philosophischen Ästhetikentwürfe der Moderne – Verfahrensdimensionen des Ästhetischen jenseits der Rhetorik entwickelt werden. Damit widmet sich das vorliegende Buch denjenigen Orten, an denen sich ein kultur- und literaturwissenschaftliches Wissen vor der eigentlichen Entstehung dieser Wissenschaften formiert. Zweitens wird gezeigt, dass durch Reihenfiguren ein theoriesprachliches Narrativ fingiert und verfestigt wird, das bis heute unsere Metasprache über die Moderne prägt: die Entstehung einer modernetypischen Komplexität.
Die Berliner Neidhart-Handschrift R (mgf 1062 [Niederösterreich, ca. 1280]) enthält zehn Lieder, zu denen am Blattrand Strophen nachgetragen sind. Diese z.T. mit Zuordnungszeichen versehenen Randstrophen zeugen von einer Textvarianz, die bislang in keiner Ausgabe berücksichtigt wurde. Die vorliegende Studie erprobt an diesem begrenzten Textbestand Möglichkeiten und Grenzen der Erschließung von Fassungsvarianten, die den erhaltenen Handschriften zeitlich vorausgehen. Einen Anhaltspunkt hierfür liefern die bereits im 19. Jh. konstatierten spezifischen Verteilungsverhältnisse von Wort- und Versvarianten in der Überlieferung. Diese nämlich führen zur Vermutung, dass die Neidhart-Überlieferung auf eine Vorlage mit Wahlmöglichkeiten zurückgeht – d.h. auf eine Vorlage, die zu einzelnen Textelementen alternative Lesarten bot, zwischen denen bei der Liedproduktion gewählt werden konnte. Auf der Basis dieses Textentstehungsmodells lässt sich – so die These des vorliegenden Buches – die in R angezeigte Fassungsvarianz weitgehend rekonstruieren. Das Buch liefert damit einen grundlegenden Beitrag zur Überlieferungsgeschichte und Textkritik von Neidharts Liedern.
Der Typus der Frau, die mehr Kunst als Wirklichkeit und mehr tot als lebendig ist, ist eng mit den zeitgenössischen ästhetischen Diskursen verwoben und lässt diverse intertextuelle literarische sowie kulturgeschichtliche Bezüge sichtbar werden.
Für die genaue Lektüre der ausgewählten Texte wird ein kulturwissenschaftlicher Ansatz gewählt, um die verschiedenen Aspekte der besonderen Schwellenposition herauszuarbeiten, die die Texte einnehmen. Den Theoriehorizont für die Konzeptionierung des ,Übergangs' liefern ritual- und performativitätsästhetische Überlegungen. Die paradoxale Struktur der kunsttheoretischen Gegenüberstellung von ,Tat' und ,Kunst' lässt sich über eine systemtheoretische Lesart als produktiver Bewegungsprozess begreifen, den die Texte nicht nur darstellen, sondern zudem vollziehen.
Der wütende Text war bislang nie Gegenstand einer systematischen Untersuchung. Hier nun ist deren Grundlage eine interdisziplinäre Bestimmung der Emotion Wut selbst. So gelangen die Textanalysen zu Erkenntnissen, die über die bisherigen Befunde in Poetik, Rhetorik, Linguistik und Psychologie hinausgehen. Die Studie knüpft zwar an die Satire-Theorie an, doch bedeutet sie für die Kategorisierung und Analyse aggressiven Schreibens einen Neuansatz.
Die Sattelzeit, eine höchst dynamische gesellschaftliche Umbruchsphase zwischen 1750 und 1850, bildet sich in verschieden Künsten ab, darunter in Tanz und Literatur. Tiefgreifende Veränderungen zeigen sich bei Tanzepisoden in der Literatur, nicht allein zu Bällen, welche Umbrüche der Sitten und Ordnung offenlegen, sondern auch in ästhetischen Tanzdiskursen und dichterischen Innovationen.
Ein Spektrum von Tänzen unterschiedlicher Charaktere und Stilebenen wird in 12 Kapiteln aufgefächert, in Tanzepisoden aus berühmten Lektüren, etwa Goethes „Werther" und Brüder Grimms „Aschenputtel", E. T. A. Hoffmanns „Prinzessin Brambilla", aber auch in fast unbekannten Texten wie Zachariaes „Der Renommist", Achim von Arnims „Owen Tudor" und Rudolphe Töpffers „Die Geschichte des Monsieur Jabot". Die 12 Kapitel bieten somit eine Poesiegeschichte des Tanzes: Tanz wird schleichend und variierend ,kommentiert‘; er unterordnet sich anfangs noch den gesellschaftlichen Konventionen, später stellt er diese peu à peu in Frage.
Jeder kennt die Freude, Rausch, Mühe und Last beim Tanzen und assoziiert damit Lust und Disziplin. Für literatur-, tanz- und kulturwissenschaftliche Forschungen sowie Tanzinteressierten bietet diese Arbeit ein Anregungspotenzial.
Die Arbeit systematisiert das Politische in der unmittelbaren Gegenwartsliteratur. Die philologische Analyse ausgewählter Erzähltexte wird dabei unter Einbezug politischer Theorien methodisch erweitert, um thematische und ästhetische Neuausrichtungen zu kennzeichnen. Mit bislang ungehörten Stimmen, Perspektiven und Narrativen entwerfen die untersuchten Texte insbesondere literarische Reflexionsräume des Politischen im Sinne des geregelten Streits.
Die Bibel schreibt König David musische Talente zu: Er ist nicht nur Herrscher, sondern auch Sänger, Tänzer, Psalmist. Diese Attribute bilden die Grundlage für die Stilisierung Davids zum Inbegriff des Künstlers. Die Studie untersucht die Entstehung dieses Bildes sowie seine Variationen in der deutschsprachigen Literatur. Der „hebräische Orpheus" erweist sich als Fixgestalt im Kunstdiskurs, an der Dichter ihr eigenes Kunstverständnis profilieren.
Für die Forschung zu Liedern und kleineren Reimpaartexten mit Bezug auf ein politisches Ereignis bildete der referenzierte Vorfall lange Zeit den Fluchtpunkt des Erkenntnisinteresses, auf den die funktionale Charakterisierung der ganzen Textgruppe zulief. Infolge dessen geriet einerseits die Rezeption nach dem politischen Ereignis aus dem Blick sowie auch die Tatsache, dass für einen Großteil der Textgruppe keinesfalls eine ereignisaktuelle Entstehung dokumentiert oder plausibel zu machen ist; andererseits führte der einseitige Rekurs auf die politische Zweckbindung zur Binnenkonsolidierung einer auffallend disparaten Textgruppe. Der vorliegende Band zu ereignisbezogener Dichtung im späten Mittelalter und der Frühen Neuzeit verfolgt deshalb zwei Ziele: zum einen die Wirkungsgeschichte der Textgruppe zu erhellen und im Anschluss an die überlieferungsgeschichtliche Forschung die Ereignisdichtungen als Texte im Gebrauch zu würdigen, zum anderen ein Beschreibungsmodell zu entwerfen, mit dem sich die Binnenstrukturen innerhalb der Textgruppe sichtbar machen lassen, und dieses Modell sogleich am Beispiel eines norddeutschen Textkorpus zu erproben.
Die Studie befasst sich mit der Verhältnisbestimmung von Mythos und Rationalität im modernen philosophischen und literarischen Diskurs. Ausgehend von einer Analyse der philosophischen Auseinandersetzung mit dem Phänomen Mythos um den Beginn des 20. Jahrhunderts werden zunächst Hermann Hesses und Thomas Manns jeweiliger Mythosbegriff untersucht, um im Anschluss daran ihr literarisches Mythenerzählen anhand von ausgewählten Romanen und Erzählungen zu beleuchten.
Obwohl Hesse und Mann beide in der Verbindung von Mythos und Psychologie einen humanistischen Zugang zum Mythos sehen, unterscheiden sich ihre Strategien zum Umgang mit mythischem Erzählen grundlegend. Während man Hermann Hesses Ansatz mit dem Schlagwort ‚Mythos als Psychologie‘ umschreiben könnte, hat Thomas Mann für sein eigenes Mythenerzählen selbst die Formel ‚Mythos plus Psychologie‘ geprägt. So sieht Mann in Mythen einen Ausdruck des Irrationalen, der durch psychologische Durchleuchtung und Ironisierung erst „ins Humane umfunktioniert“ werden muss, um sich der politischen Instrumentalisierung entziehen zu können. Hermann Hesse dagegen schließt sich an C. G. Jung an und interpretiert Mythen als Verbildlichung psychischer Prozesse und transrationaler Erfahrung,en die bereits inhärent humanistisch sind.
Die Studie zielt auf eine literaturhistorisch fundierte Rekonstruktion von Heiner Müllers Poetik des Grotesken, die als Antwort auf die krisenhaften Umbrüche und historischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts gelesen wird. Es ist der erste Versuch dieser Art über einen Autor, der sich zwar in Schriften und Interviews wiederholt poetologisch geäußert, im Unterschied zu Brecht, Dürrenmatt oder Hacks aber keine explizite Poetik hinterlassen hat.
Die Autorin geht den Voraussetzungen, Formen und Strukturen des Grotesken in Müllers Dramatik nach. Dazu werden die zahlreich dort auffindbaren, historisch vermittelten Motive und Textverfahren des Grotesken (Karnevalismus, Schwarze Romantik) analysiert, in ihrer Entwicklung dokumentiert und neue Strukturen auf ihre wirkungsästhetischen Implikationen hin untersucht. Darüber hinaus erfährt Müllers Werk eine Verortung im Kontext der dramen- und theaterästhetischen Diskussionen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die auch seine Hinwendung zur Postmoderne (neu) kontextualisiert. Die Untersuchung leistet somit über die Müller-Forschung hinaus einen wichtigen Beitrag zur Groteskenforschung und will auch einer Kulturgeschichte des Grotesken neue Aspekte hinzuzufügen.
Erzählungen bedürfen einer in irgendeiner Weise plausiblen Verknüpfung ihrer einzelnen Bestandteile, um als zusammenhängende, kohärente Einheit wahrgenommen werden zu können. Heutige Vorstellungen von narrativer Logik und Kohärenz werden in volkssprachigen Erzähltexten des Mittelalters jedoch immer wieder irritiert. Die Texte weisen Unebenheiten im Erzählverlauf, Unstimmigkeiten in der Handlungsmotivierung, unwahrscheinliche Raum-Zeit-Arrangements, eine oftmals verwirrende Überlagerung verschiedener narrativer Ebenen und andere Inkohärenzen auf, die modernen Lesern ihre Lektüre erschweren können. Handelt es sich bei diesen Phänomenen um Fehler? Das Buch entwirft eine Systematik zur Beschreibung narrativer Inkohärenzen in der mittelhochdeutschen Epik des 12. Jahrhunderts. Es zeigt, wie fundamental die Konstitution der vor- und frühhöfischen Erzähltexte von den medial-pragmatischen und kognitiven Rahmenbedingungen ihrer Rezeption geprägt ist. Ihre Kohärenzstrukturen und -prinzipien spiegeln eine visuell-auditive Erzählpraxis, die kennzeichnend ist für die Zeit eines Übergangs zwischen konzeptionell mündlicher und konzeptionell schriftlicher Kommunikation von Literatur.
Die Studie untersucht die Vermittlungs- und Konstitutionsleistung der Fassung *C des Nibelungenkomplexes als Teil eines ‚Gesprächs‘ über die Form eines angemessenen Erzählens in Bezug auf den materialen Befund, die Bedingungen einer Literarisierung des Nibelungenstoffs, die Merkmale eines ‚Lied‘ und ‚Klage‘ umfassenden Erzählverbunds, das Plus-/Minusmaterial hinsichtlich formaler, inhaltlicher und erzähltechnischer Aspekte sowie der Medialität.
Das 19. Jahrhundert sei „wohnsüchtig" gewesen, diagnostizierte Walter Benjamin einst. Das „Raumgefühl" (August Schmarsow) dieser Epoche prägt das literarische Werk Thomas Manns. Die Studie deutet Manns literarische Raumentwürfe nicht biographisch oder textimmanent, sondern begreift sie als Versuchsanordnungen zur materiellen Kultur, denen diskursanalytisch, wissensgeschichtlich und ideologiekritisch auf den Grund zu gehen ist. Dazu werden die in einschlägigen Werken Manns entworfenen Raumsemantiken in genauen Textlektüren profiliert: Die Arbeit untersucht etwa die Buddenbrooks im Hinblick auf zeitgenössische Diskurse um Interieurs und bürgerlichen Lebensstil; sie geht dem spatialisierten „Feindbegriff" (Reinhart Koselleck) des Barbarischen im Zauberberg nach und analysiert Topographien der Exilerfahrung in Joseph und seine Brüder. Ihr spezifisches Erkenntnisinteresse ermöglicht neue Einsichten auch zu vermeintlich „ausinterpretierten" (Helmut Koopmann) Texten.
Die Studie verfolgt eine doppelte Zielsetzung: Sie erschließt das historische Feld der Metapherntheoriebildung durch die Etablierung eines neuen, an Diskurssträngen orientierten Ordnungsmusters. Im Zuge dessen analysiert sie detailliert 24 wegweisende Theorien. Gleichzeitig greift sie das gegenwärtig besonders produktive Theoriefeld der kognitiven Metapherntheorie als eigenständigen Diskursstrang auf und stellt die Verbindung zu historischen Diskursen her. Alle Theorien werden in Beziehung zueinander gesetzt und hinsichtlich ihrer Fruchtbarkeit für die Literaturwissenschaft diskutiert. Aus dieser Perspektive wird die Metapher als komplexes Phänomen erkennbar, dessen vielfältige Facetten von einzelnen Ansätzen in je unterschiedlicher Weise erfasst werden.
Die Vita der Christina von Hane ist außergewöhnlich. Bereits Kurt Ruh stellte fest: „Die Christina-von-Hane-Vita bietet für den Leser, der nur noch Analogien zu bekannten Typen erwartet, Überraschungen, das heißt einmalige Besonderheiten.“ Mit der vorliegenden Arbeit wird erstmalig eine umfassende Studie geliefert, die zu weiteren Untersuchungen anregen soll. Mystische Vitentexte lassen sich nicht auf ihre somatischen, brautmystischen oder historiographisch relevanten Anteile reduzieren; sie müssen in ihrer Vielschichtigkeit wahrgenommen werden. Dabei ist auch die Phänomenologie der Quelle hervorzuheben, die sich als heiliges Buch, als Manifestation des göttlichen Wortes gibt. Die mystische Vita der Christina von Hane kann so als Beispiel einer Schrift- und Schreibmystik gesehen werden, in der sich Elemente materieller Präsenz, sprachlichen Ausdrucks und brautmystischer Verkörperung verzahnen. Die hier vorgelegte kritische Neuedition des Vitentextes aus einer Straßburger Handschrift löst die Mittermaiersche Edition von 1965/66 ab. Der Vitentext wird um die Edition einer in derselben Handschrift überlieferten Maria Magdalena-Bekehrungslegende ergänzt.
Die monastisch-asketische Literatur ist in ihrer Breite von der germanistischen Mediävistik wenig beachtet worden. Zwar sind etwa Hartmanns von Aue Gregorius oder Konrads von Würzburg Alexius in der Forschung häufig diskutierte Texte, doch spielen die literarischen Traditionen, aus denen diese Texte hervorgingen, nur selten eine Rolle. Das Buch "Heiligkeit und Gemeinschaft" stellt anhand des mitteldeutschen Väterbuchs (spätes 13. Jh.) die Tradition der Wüstenväterliteratur (Vitaspatrum) und die Transformationen dar, welche die Texte von der Spätantike zum Mittelalter und vom Latein zur Volkssprache durchlaufen. Wie seine lat. Vorlagen ist das Väterbuch ein disparates Werk, das in sich unterschiedliche literarische Formen vereinigt. Die Untersuchung widmet sich in je eigenen Kapiteln den Viten, Reiseberichten, Sprüchen und Legenden im Väterbuch. Sie stützt sich dabei auf die jüngere Legendenforschung und arbeitet heraus, wie zentral für die Heiligkeitsentwürfe im Väterbuch das Paradigma der Gemeinschaft ist. Damit schließt die Untersuchung nicht nur eine Lücke in der altgermanistischen Forschung, sondern ergänzt zugleich die Legendenforschung und die Diskussion um die Literatur des Deutschen Ordens um einen wesentlichen Aspekt.
Inwiefern sind Fortschritte im Bereich der Naturphilosophie des 13. Jahrhunderts in deutschen literarischen Texten wiederzufinden? Am Beispiel der Lehre zu den vier Elementen setzt sich diese Arbeit zum Ziel, die Punkte der Vernetzung von Literatur und zeitgenössischem Allgemeinwissen auszumachen und die Frage nach dessen Funktion und wissenspoetologischer Relevanz zu beantworten. Literatur, die ja in erster Linie der Unterhaltung dient und abseits der lateinischen Gelehrsamkeit verortet ist, muss sich, so die These, anderer Mechanismen als des Kommentars oder der Abhandlung bedienen, um auf gelehrte Inhalte zu rekurrieren. Diese Mechanismen gilt es auszumachen und auf deren mögliche gattungs- und textüberschreitende Verwendung hin zu überprüfen. Die Analyse zeigt, dass naturphilosophische Inhalte über populärwissenschaftliche Verweise sowie textorganisierende oder metaphorische Verwendung Eingang in volkssprachliche Texte finden. Für die Lektüre mittelhochdeutscher Literatur gilt, dass gelehrtes Wissen das Verständnis schwieriger Textpassagen durchaus erleichtern kann und sich auch für weitgehend erforschte Texte noch neue und erhellende Lesarten ergeben können.
Das kulturelle Wissen um Formen der Stellvertretung und Substitution umfasst Denk- und Wahrnehmungsmuster, die in den komplexen Erzählzusammenhängen des mittelhochdeutschen Prosalancelot einen thematischen Leitgedanken generieren, der in Fragen der Sinnkonstitution, Figurengestaltung und Erzähltechnik neue Akzente setzt. Ungeachtet der Heterogenität des Werkes lassen sich sowohl in der politischen Artus- als auch in der religiösen Gralswelt Handlungsmuster des Vertretens, Ersetzens und Vertauschens beobachten. Sie reflektieren in den textinternen Konstellationen von Macht, Liebe und Freundschaft Aspekte der (Un-)Ersetzbarkeit und
(Un-)Vertretbarkeit in der Identitätskonzeption und pointieren eine Innerlichkeit und Gegenwärtigkeit. Diese Handlungsnormen werden auf den verschiedenen Erzähl- und Bedeutungsebenen diskutiert: in den feudalhöfischen Erzählzusammenhängen eines textinternen 'Fürstenspiegels' für König Artus, in den Beziehungsgeflechten von Freundschaft und Liebe, in dem Erzählmuster der 'vertauschten/ untergeschobenen Braut' (Bertasage, Brangäne-Motiv) oder aber in den religiösen Aspekten der Gralswelt.
Hoffnung als einer Form der Kontingenzbewältigung kommt im menschlichen Existenzzusammenhang eine zentrale Funktion zu, weshalb sie in zahlreichen theoretischen und literarischen Texten verhandelt wird. Dennoch bildet eine wissenschaftliche Analyse des Hoffnungsdiskurses bislang ein Desiderat. Der vorliegende Band verfolgt ausgehend von diesem Befund eine doppelte Zielsetzung: In einer historischen Perspektivierung nimmt er zunächst eine Archäologie des Hoffnungsdiskurses vor, indem wesentliche kulturgeschichtliche Stationen von den mythischen Anfängen bis in die Spätmoderne nachgezeichnet und Traditionsstränge offengelegt werden. In systematischer Hinsicht erfolgt dann eine typologische Annäherung an Verfahrensweisen mit der Hoffnung in Philosophie und Literatur des 20. Jahrhunderts. Denn in der Spätmoderne mit ihren historischen Bedrohungen und Katastrophen findet eine paradigmatische Umwertung der Hoffnung statt. Bislang gültige Attribute wie Komplexitätsreduktion und Linearität werden verabschiedet. Stattdessen rückt nun vermehrt der ungewisse Prozess des Hoffens in den Fokus, der in absurden, dialektischen und paradoxen Denkmodellen seinen Ausdruck findet und eine sprachliche Annäherung an die unsichere Zukunft ermöglicht.
Trotz sehr spezifischer Themen, poetologischer Strukturen und narrativer Strategien sind Tagebuchromane bislang noch nicht als eigenständige Gattung bestimmt worden – im Gegensatz zur Nachbargattung des Briefromans.
Die Arbeit entwickelt eine systematische Gattungsbestimmung des Tagebuchromans. Anhand detaillierter Textanalysen von Raabes Chronik der Sperlingsgasse, Rilkes Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge und Torbergs Und glauben, es wäre die Liebe... werden einerseits gattungssystematische Gemeinsamkeiten, andererseits literarhistorische Entwicklungen aufgezeigt. Die sich anschließende Gattungsdefinition fokussiert erstens die spezifische Konstitution des schreibenden Subjekts im Tagebuchroman, zweitens die eingesetzten narrativen Strategien und drittens die fiktionslogische Besonderheit einer ‚Faktualitätsfiktion‘. Tagebuchromane erweisen sich als metanarrative Gattung, die illusionsbestärkende Elemente mit Fiktionsmarkern kombiniert und damit bereits seit 300 Jahren mit textuell-narrativen Verfahren experimentiert, die in der Gegenwartsliteratur als innovativ wahrgenommen werden.
Die frühmittelhochdeutsche (sogenannte ‚Wiener‘ oder ‚Altdeutsche‘) ‚Genesis‘ zählt zu den wichtigsten Denkmälern der frühmittelalterlichen deutschen Literatur, zugleich zur ersten deutschsprachigen Dichtung, die mit einem Illustrationszyklus ausgestattet ist. Der Text ist in drei Fassungen handschriftlich erhalten: In der österreichischen Nationalbibliothek in Wien, im Kärntner Landesarchiv in Klagenfurt (‚Millstätter Handschrift‘) und in der Vorauer Stiftsbibliothek. Die Vorauer Fassung überliefert mit der Josephsgeschichte nur die zweite Hälfte des Werkes.
Im vorliegenden Band sind die ca. 6000 Verse erstmals in synoptischer Darstellung ediert. Die Texte der drei Fassungen wurden nach den Handschriften in Wien, Klagenfurt und Vorau neu erarbeitet. Dazu treten 87 Farbbabildungen des Illustrationszyklus' der Klagenfurter Handschrift, die – ebenso wie die Bildlücken der Wiener Handschrift – an den entsprechenden Stellen in den Text inseriert sind.
Die Neuausgabe ermöglicht ein vergleichendes Studium der drei Textfassungen und des zugehörigen Bildzyklus' dieses literatur- und kunsthistorisch bedeutenden und in der Forschung viel diskutierten Werkes.
In mittelalterlichen Erzählungen treten unzählige Dinge auf, die über den Status als bloß ‚Zuhandenes‘ weit hinausreichen. Unbelebt und dabei doch höchst ‚aktiv‘ scheinen diese Gegenstände das Geschehen in irgendeiner Weise mitzubestimmen. Woher ein Ding kommt und wohin es geht, wem es gehört(e), wie und wann man es benutzt etc. – all das ist nicht selten von entscheidender Bedeutung.
Umso irritierender ist der Befund, dass Dinge momentan als weitgehend ‚blinder Fleck‘ auf der erzähltheoretischen Landkarte zu bezeichnen sind und eher beiläufig den primären Erzählkonstituenten Figur – Handlung – Raum zugeordnet werden. Die vorliegende Arbeit zeigt hier mehrere Ansatzpunkte für eine narratologische Aufwertung auf.
Die theoretischen Überlegungen werden anhand der Untersuchung von Veldekes Eneasroman im Vergleich mit dem altfranzösischen Roman d’Eneas und Vergils Aeneis exemplarisch auf die Erzählanalyse übertragen. Dabei wird deutlich, wie unterschiedlich Dinge teilweise zwischen den drei Erzählungen verhandelt werden – und welche spezifischen Interpretationsmöglichkeiten das eröffnen kann.
Die Untersuchung befasst sich mit dem bisher in der Forschung wenig beachteten Texttyp der geistlichen Verserzählungen. Im Zentrum dieser kurzen Texte steht meist das Eingreifen der Transzendenz ins Leben der menschlichen Figuren. Durch ihre Thematik und ihre literarische Faktur ermöglichen die Texte sowohl Einblicke in die mittelalterliche religiöse Vorstellungswelt als auch in die verschiedenen erzähltechnischen und konzeptionellen Möglichkeiten, in der Volkssprache religiöse Inhalte zu bearbeiten.
Das Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, die Gruppe der geistlichen Verserzählungen als Texttyp zu beschreiben, wobei eine offene texttypologische Konzeption und ein multiperspektivisches Beschreibungsmodell dem Facettenreichtum des literarischen Phänomens gerecht zu werden suchen. Die handschriftliche Überlieferung der Texte bildet dabei einen Schwerpunkt.
Zahlreiche detaillierte Fallstudien leisten eine systematisch angelegte Aufarbeitung des Texttyps und stellen grundlegende Informationen bereit. Die darüber hinausgehenden texttypologischen, literatursystematischen und literaturhistorischen Ergebnisse der Untersuchung sind auch für andere Fragestellungen anschlussfähig.
Hiob hat die deutsche Literatur inspiriert wie keine andere Figur des Alten Testaments. Der Band nimmt die Varianten der Geschichte in den Blick. Das Hiobbuch wird als Meta-Mythos über die Literatur gelesen, der als Mittel zur Kontingenzbewältigung dient. Die Hiobtexte vom 12. bis zum 20. Jahrhundert sind jeweils zeitaktuelle Antworten auf die Fragen: Wie viel Handlungsfreiheit hat der Mensch, wie viel in seinem Schicksal ist ‚höhere Gewalt‘?
Die mittelhochdeutschen Werke ›König Rother‹, ›St. Oswald‹, ›Orendel‹, ›Kudrun‹, ›Salman und Morolf‹ und ›Ortnit‹ erzählen alle vom gefahrvollen Werben um die Hand einer schönen Frau. Dabei verbindet sich das narrative Modell der gefährlichen Brautwerbung mit einer interreligiösen Thematik, denn immer gehört die umworbene Frau, ihr Vater oder ein Konkurrent einer anderen Religion als der heiratswillige Protagonist an.
Da es sich bei diesen Protagonisten zumeist um Könige oder Königssöhne handelt, verbinden sich mit ihrer Brautwerbung folgerichtig immer Fragen nach Machtgewinn oder -verlust, die im interreligiösen Feld besondere Bedeutung entfalten. In der Durchdringung von narrativem Modell und diskursivem Gehalt werden dabei in jedem Text eigene Möglichkeiten entfaltet, vom christlich Eigenen, dem religiös Anderen und den Verhandlungen und Konfrontationen zwischen beiden zu erzählen.
Dabei sind die Brautwerbungserzählungen ihrerseits auf vielfältige Art und Weise in die Verhandlungen kultureller Energien eingebunden, indem sie auf historiographisches, theologisches, politisches und philosophisches Schrifttum Bezug nehmen und die darin entwickelten Positionen und Ideen im literarischen Interdiskurs weiterentwickeln und für den eigenen Erzählzusammenhang fruchtbar machen.
Bis dato existierte keine Monographie, die Goethes Wanderjahre in ihrer Struktur erfassen konnte. Die Studie definiert den Terminus ‚Archivroman‛; mit dem ‚Archivalischen Erzählen‛ und dem ‚Archivalischen Schreiben‛ entwickelt sie Untersuchungseinheiten am Text, die fortan zum Basisvokabular der Romananalyse gezählt werden dürfen. Sie geht von einer formkonstitutiven Interdependenz von Unordnung, Ordnung und Hilfsmitteln zur Ordnungsgenerierung in den Wanderjahren aus und zeigt, dass man dort auf Thematisierungen einer Pluralität stößt, deren Tragfähigkeit als literarisches Konstruktionsprinzip ausgelotet wird. Als den Garanten einer größtmöglichen Freiheit in der Anordnung bei minimaler Ordnung etabliert sie Goethes Idee des Aggregats. Als ob der Text diesem oft als defizitär apostrophierten Instrument zur Beziehungsvermeidung nicht traute, greift er zur Absicherung gegen eine potentielle Verselbständigung der Pluralität aufs Archiv zurück. Er experimentiert sogar mit einer Anthropomorphisierung von Sammlungen: Das Archiv fungiert als "ordentlich eine mitspielende Person" (Schiller).
Wie (und wozu) die höfische Literatur von Körpern und Dingen erzählt, ist in den letzten Jahren ausführlich untersucht worden. Doch wie lässt sich von dem erzählen, was ‑ wie das Innere einer literarischen Figur ‑ ungegenständlich ist und sich mit der Sichtbarkeit auch einer mimetischen Darstellung entzieht (wie etwa Erinnerung, Reflexion oder Emotionen)? Oft wird die Gegenständlichkeit, derer sowohl das Innere als auch das, was dort vor sich geht, ermangelt, durch Allegorie, Symbolisierung oder Metaphorik herbeigeführt: Dann kann minne im Bild des Wohnens im Herzen dargestellt werden oder eine vestimentäre Metaphorik den Körper zum Kleid des Inneren machen.
Bei allem erkennbaren Interesse der höfischen Literatur für das Innere wird in aller Regel jedoch nicht auf die Modelle und Begriffe der scholastischen Anthropologie zurückgegriffen. Neben der Frage, welche eigenen Konzeptionen die höfische Literatur entwickelt, um das Innere einer Figur darzustellen, bildet die, warum der gelehrte Diskurs dazu nicht herangezogen wird, eines der Erkenntnisinteressen, das die Untersuchung verfolgt.
Von seiner Genese im 18. bis zu seinem Kollaps im 20. Jahrhundert erweist sich das bürgerliche Vatermodell als politisch und literarisch zentral: Die vorliegende Studie untersucht die Geschichte dieses Konstrukts erstmals systematisch mit Blick auf das Zusammenspiel von paternalen Herrschaftsmechanismen und der Emotionalisierung der Familie im Kontext des bürgerlichen Wertesystems. Literarisch etablierte familiale Strukturen werden dabei als wichtige Blaupause für die Repräsentation von Herrschaft sowie für das Zusammenspiel von Staat und Gesellschaft erkennbar. Das Buch verfolgt die Gratwanderung des bürgerlichen „Vaters“ zwischen moderner Herrschaft und Emotionen unter drei leitenden Aspekten: zum einen bezüglich der Regulierung der filialen Sexualität, zum anderen hinsichtlich der Ermächtigung des „Vaters“ in einer spezifischen, neuen privaten Wertesphäre, und zum dritten mit Blick auf den Funktionswandel des „Vaters“ im Laufe der Jahrhunderte. Die auf dieser Basis nachvollzogene Entwicklung des bürgerlichen Vaters lässt sich als Vorgeschichte und damit auch als konsequente Historisierung wirkungsmächtiger anthropologischer Theorien (wie etwa Freuds Überlegungen zu Vaterschaft und Herrschaft) lesen.
Der wahrscheinlich um 1400 in Prag entstandene Predigtzyklus über die Acht Seligkeiten (d. h. die acht Seligpreisungen der Bergpredigt) wird Heinrich von St. Gallen zugeschrieben, der vor allem als Verfasser des weitverbreiteten Passionstraktats Extendit manum bekannt ist. Es handelt sich um eines der wenigen Textzeugnisse der deutschsprachigen Predigt im vorhussitischen Prag. In der vorliegenden Publikation wird zum ersten Mal eine kritische Ausgabe geboten. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei der Sprache des Textes in den wichtigsten Handschriften und der Ermittlung der inhaltlichen Quellen gewidmet. Darüber hinaus wird ein Versuch gewagt, die Identität des mutmaßlichen Autors und dessen Umfeld im Prager Kirchen- und Universitätsmilieu zu erhellen. Die Zugehörigkeit der Predigten zu anderen, demselben Autor zugeschriebenen Werken wird anhand stilistischer und inhaltlicher Merkmale diskutiert. Einige verwandte Texte, darunter die ebenfalls Heinrich von St. Gallen zugeschriebenen Hindernisse zu geistlicher Vollkommenheit sowie der lateinische Traktat De octo beatitudinibus des Johannes Marienwerder, sind im Anhang erstmalig ediert.
Mit dem Roman Wu Zixu (1946) legt Feng Zhi (1905‑93), der Nestor der chinesischen Germanistik und Schöpfer des chinesischen Sonetts, Rechenschaft über dreitausend Jahre ab. Als Repräsentant eines der Kriegszeit entsprungenen Gegendiskurses überträgt das Werk die Einsichten der literarischen Avantgarde der vierziger Jahre in den intra- und interkulturell überlieferten Kanon. Hinter Feng Zhis Umformung der archaischen Rachegeschichte in eine moderne Allegorie der Heimkehr wirkt eine spezifische, von ihm rezipierte abendländische Kulturtradition und Denkart.
Demgemäß erschließt die Studie die ganze palimpsestische Schichtung und lyrische Tiefe des Wu Zixu, um einerseits den mit seiner Genese einhergehenden Kulturtransfer über Epochen und Kontinente hinweg zu rekonstruieren und andererseits das aus diesem Transfer resultierende enorm dichte und raffinierte intertextuelle Bezugsgewebe offenzulegen. Die Arbeit versteht sich jedoch nicht bloß als Entschlüsselung eines einzigen Werkes, sondern vielmehr als Gesamtbetrachtung all der kühnen Dissonanzen, die mit Feng Zhis Wu Zixu im turbulenten China jener Zeit laut werden. Dabei werden auch der gegenwärtige west-östliche Dialog sowie die aktuelle Kulturtransfer- und Moderne-Forschung neu beleuchtet.
Ingeborg Bachmanns Berlin-Text „Ein Ort für Zufälle“ gilt noch heute als ein rätselhaftes, schwer einzuordnendes Dokument der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur, das allerdings im Zusammenhang mit der Neubewertung des Bachmann’schen Œeuvres seit den 1980er Jahren eine breitere Rezeption als Schlüsseltext bzw. als ‚Klassiker‘ der Berlin-Literatur erfahren hat. Der damit einhergehenden Kanonisierung bestimmter Passagen, die losgelöst zitiert und zu einem prominenten ‚Argument‘ der Bachmann-Exegese erhoben wurden, steht die anhaltende Ausgrenzung weiter Teile des Gesamttextes aus dem wissenschaftlichen Diskurs gegenüber.
Der vorliegende Kommentar bietet eine Einführung in die komplexe Ästhetik des Werkes unter Berücksichtigung sowohl der zeit-, kultur- und mentalitätsgeschichtlichen Hintergründe als auch des intertextuellen Bezugssystems. Ausgehend von einer intensiven Auseinandersetzung mit der literaturwissenschaftlichen Diskussion um die Textsorte ‚Kommentar‘, präsentiert die angewandte Kommentierungspraxis anhand von Überblicks- und Detailanalysen Perspektiven des Verstehens und Interpretationsangebote, die den derzeitigen Wissensstand widerspiegeln, aber auch neue Impulse geben.
Die komparatistische Untersuchung verortet zentrale Texte von Heine und Byron poetologisch und epochengeschichtlich zwischen Romantik und Realismus vor dem Hintergrund einer europäischen Literatur- und Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts. Heines Byron-Rezeption wird dabei unter Rückgriff auf Pierre Bourdieus Theorie des literarischen Feldes neu evaluiert, wobei statt des bisherigen Paradigmas des Weltschmerzes erstmals der Fokus auf eine Poetik eingreifender Kunst gerichtet wird, die Heine und Byron in ihren Texten zwischen 1815 und 1830 entwickeln. Mit diesem transgressiven Konzept performativen Schreibens, das sich in skandalisierenden Schriften wie „Die Bäder von Lukka“ und „The Vision of Judgment“ zeigt, werden frühromantische Positionen zum Verhältnis von Kunst und Leben aufgegriffen, umcodiert und transformiert. In Detailstudien von Byrons „Childe Harold IV“ und Heines „Die Reise von München nach Genua“ wird gezeigt, wie sich eine Politisierung der Poetik zu einer eingreifenden Kunst in der textuellen Auseinandersetzung der beiden Autoren mit dem zeitgenössischen Italien und seiner diskursiven Konstruktion vollzieht und damit eine neue Form postromantischen Schreibens realisiert wird.
Die Untersuchung zeigt zum ersten Mal die historische Notwendigkeit, warum aufgrund ihrer theoretischen und geschichtsphilosophischen Prägung gerade im deutschsprachigen Raum des späten 18. Jahrhunderts eine performative Geschichtsschreibung entsteht, die modernes historiographisches Erzählen erst ermöglicht. Hiermit wird die These vom Übergang der Geschichtserzählung zwischen Aufklärungshistorik und Historismus präzisiert. Die untersuchten Texte ‑ sowohl Zivilisations- als auch Realgeschichtsschreibung umfassend ‑ von Forster, Herder, Schiller, Archenholz bis zu den Brüdern Schlegel setzen Erzählmittel und ästhetische Strategien ein, um die Kontingenz der Geschichte zu überwinden und deren Gesetzmäßigkeit auszudrücken. Die vorliegende Arbeit differenziert zugleich die gängige These der Forschung im Zuge von ‚linguistic‘ und ‚narrative turn‘ aus, wonach die Realgeschichtsschreibung die Erzählverfahren der Literatur, gerade des Romans, übernimmt. Die historiographiespezifischen Darstellungstechniken werden mithilfe narratologischer und performanztheoretischer Verfahren herausarbeitet. Angesprochen werden daher sowohl Literatur- und Wissenschaftshistoriker als auch Literatur- und Geschichtstheoretiker sowie Geschichtsphilosophen.
Die Studie geht den vielfältigen Bezugnahmen auf das antike Griechentum in Literatur und Kultur, dem Bildungswesen und den Altertumswissenschaften nach, die das deutsche Nationalbewusstsein 1890‑1933/34 beeinflussten. Diese besondere Art der Identitätsstiftung wird als „Dritter Humanismus“ bezeichnet und über Varianten rekonstruiert, wie sie vom Altphilologen Werner Jaeger, dem Bildungsphilosophen Eduard Spranger und dem Lyriker Stefan George vertreten wurden. Insgesamt betrachtet, läßt er sich als eine ganzheitliche, nationalpädagogische Strömung in Reaktion auf die Modernekritik in der Nachfolge Nietzsches begreifen. Auf der Basis eines vitalistisch verstandenen Griechentums sollte durch Amalgamierung ästhetischer, kulturkritischer und politischer Überlegungen neuer Sinn für die Gegenwart und ein künftiges „Deutschtum“ entstehen. Eine humanistische Bildungskonzeption vermittelte individuelle wie nationale Identität.
Dabei griff der „Dritte Humanismus“ zurück auf bewährte Denkmuster der Zeit um 1800, stellte aber auch Anknüpfungsmöglichkeiten für die nationalsozialistische Kultur- und Bildungspolitik bereit. Damit gehört er sowohl in die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Weimarer Klassik als auch in die mentale Vorgeschichte des „Dritten Reichs“.
Die Studie ordnet den frühneuzeitlichen europäischen Bestseller Eulenspiegel in den englischen Produktions- und Rezeptionskontext des 16. Jahrhunderts ein. Sie zeigt, wie stark der dortige Buchdruck zu jener Zeit von deutschen Buchdruckern und -händlern bestimmt und auf welchen Wegen eine ‚deutsche‘ Figur in England aufgenommen wurde. Anhand der Vielzahl von Übersetzungen und deren Vernetzung mit der englischen Fassung wird die damalige Faszination des Eulenspiegel deutlich. Mit buchgeschichtlichen und philologischen Methoden der interdisziplinären Textwissenschaft wird die Genese des englischen Buches entschlüsselt und historisiert: Erstmals bildet eine ins Deutsche übersetzte Edition mit Varianten die gesamte englische Überlieferung des 16. Jahrhunderts ab und ergänzt sie durch einen Vergleich mit kontinentalen Überlieferungen. Die vorliegende Studie beleuchtet die frühneuzeitlichen europäischen Netzwerke, die an der Produktion und Verbreitung der komischen Kurzprosa beteiligt waren, für die der Howleglas repräsentativ steht. Die Untersuchung der humanistischen Beschäftigung mit jenem höchst populären Genre ist damit ein Beitrag zur Geschichte des Kulturtransfers und zur Literaturgeschichte Europas.
Rumelant von Sachsen gehört zu den produktivsten Sangspruchdichtern des 13. Jahrhunderts. Als Fahrender war er weiträumig im deutschsprachigen Raum unterwegs, von Aachen bis Braunschweig, von Bayern bis Schwerin, sogar bis nach Dänemark, wo er den unaufgeklärten Königsmord von 1286 anprangert und den jungen Nachfolger lobt.
Das Spruchœuvre umfasst Lob- und Scheltestrophen, Gnomik und Moraldidaxe, geistliche Unterweisung, Erbauung und Gebet. Damit ist das typische Spektrum der Gattung abgedeckt; es finden sich aber auch gedanklich wie sprachlich anspruchsvolle heilsgeschichtliche und kosmologische Entwürfe. Rumelants z.T. hoch artifizieller Stil weist hierbei bereits auf die gelehrte meisterliche Dichtung Frauenlobs oder Heinrichs von Mügeln voraus.
Erstmals wird nun eine vollständige und zusammenhängende kritische Edition vorgelegt, die neben den über 100 Sangspruchstrophen auch die drei bislang wenig beachteten Minnelieder Rumelants enthält, daneben auch einige ihm zugeschriebene spätere Meisterlieder und eine lateinische Kontrafaktur. Die mittelhochdeutschen Texte werden ergänzt um neuhochdeutsche Übersetzungen sowie einen umfangreichen Kommentarteil.
Die vorliegende Kulturgeschichte zeichnet die transdisziplinäre Herausbildung des psycho-somatischen Diskurses seit dem 18. Jahrhundert nach und schließt damit eine Forschungslücke. Der ‚ganze Mensch‘ ist nicht allein in der Medizin thematisch, sondern maßgeblich auch in Literatur und Philosophie. Diese Austauschprozesse zwischen Literatur und Wissen werden konkret erfasst, in ihnen erscheint die Literatur als Krankheitsursache und Heilmittel sowie als Darstellungs- und Erkenntnismethode.
Die historisch-systematische Argumentation der Studie gliedert den psychosomatischen Dis-kurs in fünf zentrale Elemente: 1. Der ganze Mensch als Analysegegenstand und Utopie wird bei Herder anschaulich. 2. Zeitkrankheiten zeigen sich in Moritz‘ Zeitschrift ‚Gnothi sau-ton‘. 3. Theatralisch-prosaische Kurmethoden werden bei Reil, Goethe, Novalis und Hegel verfolgt. 4. Die begriffsgeschichtliche Genese der Psychosomatik in der deutschen Psychiatrie des frühen 19. Jahrhunderts spiegelt sich in Büchners ‚Woyzeck‘. 5. Die biographische Erkenntnis als wissenschaftliche Methode, die Kranken- und Lebensgeschichte miteinander verbindet, wird in Fallgeschichten zu Nietzsche nachgezeichnet, von ihm selbst, Andreas-Salomé, Freud, Dilthey und Jaspers.
Das Werk Adalbert Stifters scheint von der Bemühung gezeichnet zu sein, moderne Subjektivität an vormoderne Konzepte binden zu wollen. Dekonstruktive Lektüren entfalten die These, gegenläufig zu dieser Intention seien hierbei moderne Textformen entstanden. In diesen Studien hingegen wird die Reflexivität der Stifterschen Texte unter den Begriff der Ironie gefasst, und diese bezieht sich kritisch auf die scheiternden Konzepte der vorbildlich anmutenden Protagonisten. Das ironische Erzählverfahren bildet in seiner Disparatheit einen reflektierten Integrationspunkt der Texte. Historisch wird dieser Begriff von Ironie hergeleitet aus einer Rezeption der (Früh-) Romantik und Jean Pauls. Finden sich in den frühen Werken noch Ironiesignale, so scheinen sie im späteren Werk verschwunden, nicht aber weil es Ironie nicht mehr gäbe, sondern weil sie radikalisiert wurde. Bislang ungeahnte komische Effekte entstehen durch die subtile Suspension des scheinbar Verbindlichen. Skepsis, die neben der antiken Tradition auch als ein Moment der frühromantisch-progressiven Ironie zu begreifen ist, kennzeichnet die Texte insofern, als sie mit einer ‚Schlussdissonanz‘ enden, die weder einem Überschwang der Einbildungskraft noch überlieferten Diskursen noch trauen mag.
"Harmonisch entgegengesetzt" ist ein Grundwort der Hölderlinschen Poetologie und als das Verhältnis von Einheit und Differenz zugleich die Grundstruktur von "Darstellung" in der abendländischen Philosophie und Dichtung. Die Monographie arbeitet dieses zentrale Verhältnis in Bezug auf sämtliche theoretische Schriften sowie bedeutende poetische Texte Hölderlins (Hyperion oder Der Eremit in Griechenland, Wie wenn am Feiertage…und Hälfte des Lebens) heraus und bestimmt es in Rückgriff auf Platon und Heraklit in seiner spezifisch Hölderlinschen Ausprägung. Diese originäre Deutung des Darstellungsverhältnisses kommt ab der Endfassung des Hyperion in ihrer vollen Reichweite zum Tragen und hält sich in ihrer Hauptstoßrichtung bis in die Sophokles-Anmerkungen und die späten Gesänge hinein durch. In ihr liegt der Zielpunkt der poetologischen Erörterungen wie der Dichtungen Hölderlins, nämlich die Begründung und das ›Fühlbarmachen‹ der Überlegenheit eines poetischen gegenüber einem diskursiv-philosophischen Sprechen.
Die Funktion der Gauvainfigur unterlag einem historischen Wandel. Als Hofakteur der klassischen Romane reagierte er im Interesse der Artusgesellschaft auf deren Defizienzen, wodurch die von den Störungen provozierte Handlung zur Ruhe kam. In den späteren Romanen setzte ein Emanzipationsprozess zur Rolle des Protagonisten ein. Die mit dieser Rolle verbundene, personale Motivation stand im Widerstreit zu der im Gattungswissen verankerten Funktion der Gauvainfigur, was zu Kausalitätsproblemen in den Texten führte. Trotz ihres Emanzipationsprozesses aber blieb die Figur in einem konstanten Erzählmuster von erstaunlich hoher Festigkeit verankert. In diesem Muster hatte Chrétien de Troyes die Figur antagonistisch zu der des Protagonisten und der Figur Keus, des anderen Hofakteurs, eingesetzt. Dieses Muster beschreibt die Einsätze und Handlungstendenz der verschiedenen Figuren und konnte in allen Romanen Chrétiens als Grundstruktur des Agierens Gauvains verifiziert werden, erwies sich aber insbesondere in den Romanen mit Gauvainqueste als Motor seines Handelns.
Goethes späte Romane formulieren eine tiefgreifende Sprachkritik und stellen damit die eigene Darstellungskapazität zur Disposition. Die von einer unauflösbaren Mehrdeutigkeit und einer beschränkten Aussagefähigkeit der Worte ausgehende sprachskeptische Grundhaltung Goethes führt im Fall der Wahlverwandtschaften und der Wanderjahre zur Konzeption eines offenen Kunstwerks. Christian Mittermüller rekonstruiert in detaillierten Textanalysen den bislang kaum wahrgenommenen Zusammenhang zwischen Sprachskepsis und Dichtungstheorie und eröffnet auf diese Weise einen neuen Zugang zu Goethes Spätwerk.
Die literatur- und kulturhistorischen Umwälzungen, die im 12. und 13. Jahrhundert zur Buchwerdung der volkssprachig-deutschen Literatur geführt haben, werden vor dem Hintergrund aktueller Theoriediskussionen sowie unter kritischer Berücksichtigung der Ergebnisse der internationalen Text- und Handschriftenforschung erstmals für den deutschsprachigen Bereich mit paläographischen, kodikologischen und allg. kulturhistorischen Ansätzen verknüpft. Eine zuverlässige Bewertung der Phänomene garantiert die außergewöhnlich breite Datenbasis: Neben der gesamten volkssprachig-deutschen Handschriftenüberlieferung des 12. und 13. Jahrhunderts sind die parallelen lateinischen und altfranzösischen Handschriften in qualifizierter Auswahl berücksichtigt.
Im Rahmen des gegenwärtig auch auf germanistischer Seite wieder wachsenden Interesses am mittelalterlichen Deutschen Orden versteht sich die Studie als Beitrag zur Erhellung des facettenreichen Erkenntnispotenzials, das die Literatur im Deutschen Orden in sich trägt. Die Studie geht mit ihrem kulturgeschichtlichen Erkenntnisinteresse, bezogen auf die Konstruktion korporativer Identität im Bezugssystem von Selbstbild und Feindbild bzw. Eigen- und Fremdkultur, von der biblischen Fundierung des Selbstverständnisses aus, wie es in den Deutschordensregeln und -statuten formuliert wird. Vor diesem Hintergrund ergibt sich die Notwendigkeit, die beiden wesentlichen Werkgruppen der Literatur im Deutschen Orden, Chronistik und Bibelepik, eng aufeinander zu beziehen. Der Umfang des vorhandenen Textkorpus wurde auf exemplarische Fallstudien beschränkt. Dabei wird besonderer Wert darauf gelegt, die Linien der ausgewählten Bibelepen und Ordenschroniken aus dem 13./14. Jahrhundert, die in Versform verfasst sind, bis in den seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts von der Form der Prosa geprägten Literaturbetrieb des Deutschen Ordens hinein weiter zu verfolgen. Dadurch können – insbesondere mit Blick auf Livland und Preußen – Verschiebungen bei der Identitätskonstruktion parallel zu den Veränderungen der historischen Rahmenbedingungen transparent gemacht werden.
Die Studie gewährt Einblick in die Schaffensweise hochmittelalterlicher deutscher Romanautoren, die in der Regel Bearbeiter französischer Quellen sind. Als gelehrte Autoren sind sie habituell gebunden an rhetorisch-poetische Prinzipien des Schulunterrichts, die sich aus den zeitgenössischen Poetiken erschließen lassen. Kürzungen und Erweiterungen, die Hauptmerkmale der Adaptation, erfolgen vornehmlich nach dem Inventio-Postulat des Glaubhaftmachens und gemäß der Doktrin, das einer Person oder Sache Wesentliche, Typisches und allgemein Geltendes, zu erfassen und es zu Lob oder Tadel auszubilden. Dies schränkt den dichterischen Freiraum der Bearbeiter ein und befördert doch auch ihre Kreativität, denn gerade die Beherrschung des regelgerechten poetischen Instrumentariums ermöglicht ihnen die Hervorbringung von Dichtungen höchster Qualität. Vorgeführt wird das Verfahren der Adaptation am »Eneas« Heinrichs von Veldeke. Im Vergleich mit der Vorlage zeigt sich, dass die Bearbeitung bis ins Detail in Übereinstimmung mit den Dichtungslehren erfolgt. Veldekes Arbeitsweise bleibt nicht singulär. Schon den Zeitgenossen und den auf ihn folgenden Autoren galt er als normbildend, und Hartmann von Aue oder Gottfried von Straßburg wussten sich der Poetik der Adaptation ebenso verpflichtet. Auch ihre Dichtungen erweisen sich nicht zuletzt im Horizont gelehrter Techniken als große Kunst.
Um die Kontingenz von Erzähldiskursen beschreiben zu können, muss man die raffinierte Ordnungsarbeit nachvollziehen, die für das "wilde", digressive Erzählen ebenso konstitutiv ist wie für das "ordentlich" teleologische. Für die Epoche um 1800 bedeutet dies, dass man insbesondere den metaphysischen Ehrgeiz der Texte ernst nimmt. Denn mit ihrer poetologischen Ordnungsarbeit partizipiert die Literatur auch an den Ordnungsmodellen und -problemen metaphysischer Diskurse. Zwar besteht diese Partizipation in höchst riskanten Randgängen, bei denen Ordnung zugleich hergestellt und unterbrochen wird. Bei aller Riskanz aber und allem ironischen Wissen um die Kontingenz jeder Ordnungssetzung träumen die Romane um 1800 mit ihrem Ursprungsbegehren und ihrer programmatischen Teleologie immer noch den alten metaphysischen Traum von Endgültigkeit und verlässlicher Ordnung. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, dieser für die Epoche des Subjekts symptomatischen Ambivalenz textanalytisch Rechnung zu tragen. Ausgehend von einem narratologisch operationalisierten Kontingenzbegriff, widmet sich die Studie zunächst den Ordnungsversuchen philosophischer und poetologischer Subjekt-Diskurse, um schließlich mit Hilfe akribischer Lektüren die abgründigen Inszenierungen narrativer Kontingenz in den Romanen von Christoph Martin Wieland, Jean Paul und Clemens Brentano nachzuzeichnen.
Die Studie untersucht die von Hartmanns »Gregorius« abhängigen Texte die »Gesta Gregorii Peccatoris« Arnolds von Lübeck, die Hexameterversion »Gregorius Peccator«, die »Der-Heiligen-Leben«-Legende »Gregorius auf dem Stein«, das lateinische Exempel »De Gregorio« und das niederdeutsche Exempel »Gregorius de grote sunder«. Dabei werden sprachliche und motivische Gemeinsamkeiten aufgezeigt, Bearbeitungsverfahren herausgestellt und der Wandel der Rezipientenkreise und Gebrauchssituationen mit inhaltlichen und kodikologischen Befunden begründet. Der Einfluss der Mitüberlieferung auf die Veränderung der Textgestalt in der weiteren Überlieferung gehört mit zu den zentralen Untersuchungsaspekten. Mit Ausnahme der »Gesta« Arnolds von Lübeck werden die Rezeptionen durch Neueditionen der Hartmann jeweils am nächsten stehenden Textformen zugänglich gemacht. Somit entsteht ein Bild von den Gebrauchskontexten, in denen die »Gregorius«-Rezeption im Mittelalter wirksam geworden ist.
Die Überlieferung der Sprüche Freidanks zeigt sich vielgestaltig: Freidank-Sprüche werden vom 14. bis ins 17. Jahrhundert überliefert in Spruchsammlungen, Predigten und Rechtstexten, in Familienbüchern und monastischen Handschriften; zusätzlich treten sie als Inschriften verschiedenster Form auf.
Aus diesem großen Bestand an Überlieferungsmaterial lässt sich ein kohärentes Freidankbild abstrahieren, wie es Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses der Zeit gewesen sein muss: Freidank wird als Autorität behandelt, die auf gleicher Ebene wie weitere Referenzfiguren (die Kirchenväter, biblische Figuren, antike Autoren) ihren Platz innerhalb eines anerkannten Legitimationssystems hat. Als feste Bedeutungsbestandteile sind mit dieser Instanz "Freidank" die Qualitäten der Wahrheit und Gottgefälligkeit assoziiert. Umgekehrt wird innerhalb dieses kulturellen Systems die Chiffre "Freidank" als fiktive Urheberinstanz auch benutzt, um eben diese Qualitäten auf neue Inhalte zu übertragen - eine eigene Textgattung von "Freidanken" - lehrhafte Spruchdichtung mit hohem Wahrheitsanspruch - entsteht.
Ähnliche Prozesse der Konstruktion eines Autorprofils im kulturellen Gedächtnis lassen sich vergleichend bei der Rezeption Wolframs von Eschenbach und Neidharts feststellen. Auch hier existieren Autorenbilder, die den Rezipienten der Werke bekannt waren und die spätere Deutung beeinflusst haben.
Mit Peter Altenbergs »Ashantee« (1897), Hanns Heinz Ewers' »Mamaloi« (1907) und Ernst Jüngers »Afrikanischen Spielen« (1936) nimmt die Untersuchung drei literarische, mit "Franz Bratuscha" (1900-1904), "Paul Trömel" (1913) und "Entarteten Mädchen" (1913) drei empirische Fälle in den Blick, in deren Zentrum das Problem der Transgression steht. Sachlich geht es um das ästhetische Potential des Transitorischen, unabhängig davon, ob es lebensweltlich oder im Bereich des Poetischen wirksam ist. Methodologisches Anliegen ist es, die Fruchtbarkeit einer Fusion kultur- und literaturwissenschaftlicher Fragen zu demonstrieren.
Zu den Eigentümlichkeiten des »Faust II« gehört es, dass Goethe darin eine Vielzahl von Wissenselementen eingearbeitet hat. Die Funktion dieser Anspielungsfülle wird mit dem Begriff der 'Archivpoetik' belegt. Damit werden drei Aspekte der Bezugnahme auf das Archiv der Epoche bezeichnet, deren Untersuchung sich diese Studie widmet. Erstens stellt sie Goethes gelehrtes Verfahren in einen Bezug zur Wissens- und Wissenschaftsgeschichte. Dies geschieht beispielhaft, indem sie die Bedeutung der Geologie, der wissenschaftlichen Mythosforschung, der Philologie und der Weltliteratur für das Drama herausstellt. Zweitens fragt sie nach den Verfahren, die dieses Wissen poetisieren: Durch Selektion und Rekombination erfährt das Archiv eine Dramatisierung, durch die es überschritten wird. Doch zugleich bleibt der dramatische Text auf die in ihm geborgenen Wissensinhalte transparent. So bildet das Archiv ein Reflexionsmedium, in dem sich die Dichtung in ihrem Verhältnis zum Wissen selbst thematisieren kann. Diese Reflexion betrifft insbesondere die Möglichkeit symbolischer Repräsentation in der Zeit einer radikalen Temporalisierung des Wissens, die im »Faust II« zur ästhetischen Utopie wird, während ihre Realisierung aber durch die moderne Wissenschaft in Frage gestellt ist. Die Modernität des »Faust II« muss daher weniger in seinen Gegenständen als vielmehr in dieser Form der Selbstreflexion der Poesie gesehen werden.
Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert verlieren traditionelle Identitätsgaranten an Bedeutung. Dabei kann es sich um eine religiös begründete Weltdeutung handeln, die noch nicht dem Erkenntniszweifel unterlag (Bertolt Brecht); um eine soziale Position, die es erlaubte, die Differenzierung der Gesellschaft zu überblenden (Gottfried Benn); um einen Raum, in dem noch eine zyklische, natürliche Zeitordnung galt (Stefan George). Nach dem Verlust dieser Sicherheiten reflektieren die Autoren die Bedingungen moderner Individualität: Sie beschreiben ein freigesetztes Ich, das in einer heterogenen Umwelt mit verschiedenem Ideengut lebt und sich immer weniger als Sonderfall einer allgemeinen Substanz ansehen kann. Zunehmend muß es seine Identität selbst formulieren, und die daraus hervorgehende Bewegung ist einerseits ästhetisch fruchtbar, bringt neue Formen des Sprechens hervor. Gleichzeitig suchen die Autoren aber nach Außengrößen, die dem Ich einen übersubjektiven Halt geben. In diese Position einer neuen Notwendigkeit können eine lebensphilosophisch gedeutete Natur oder eine kunstreligiös verstandene Literatur gebracht werden. Es gibt aber in diesem Zusammenhang auch Annäherungen an die totalitären politischen Bewegungen, die in der Lage zu sein scheinen, das Verlangen nach einer Überwindung der modernen Perspektivenvielfalt, nach einer mythologischen Reintegration der Gesellschaft zu befriedigen.
Die Studie untersucht das facettenreiche Handlungsgefüge der »Lehrjahre« und das ihm inhärente Motivgeflecht im Hinblick auf den psychischen Entwicklungsprozeß des Protagonisten. Im Zentrum der Analyse steht die Schleiersymbolik, die mit der für Wilhelm Meisters Identitätsbildung fundamentalen Vater-Sohn-Problematik verquickt ist. Sie speist sich aus einer Fülle von Kleidungsstücken, personellen Konstellationen, ästhetischen Bildern und literarischen Szenen. Gezeigt wird im einzelnen, wie sie den ganzen Roman durchzieht, alle entscheidenden Stationen der krisenhaften Identitätsgenese kodiert und den Konfliktzusammenhang von narzißtischen Identitätsentwürfen und realitätsbezogenen Identitätskrisen strukturiert und reflektiert. Besondere Beachtung erfährt dabei das Widerspiel von Ethos und Eros, das der Roman im Medium der Schleiersymbolik psychologisch entfaltet, um im Spannungsfeld von Schein und Vorschein dem lebensgeschichtlichen Wechselspiel von Innenwelt und Außenwelt Ausdruck und Gestalt zu verleihen.
Die Arbeit wurde mit dem Jahrespreis 2003 der Wissenschaftlichen Gesellschaft Freiburg ausgezeichnet.
Die Libretti bildeten bislang eine der letzten veritablen Lücken der Goethephilologie. Goethe hat sich zeitlebens produktiv mit den europäischen Opernformen auseinandergesetzt. Zu den im Anhang gelisteten mehr als 200 ihm nachweislich bekannten Opern zählen die einflußreichsten Werke der Zeitspanne 1760–1830. Die Libretti (darunter u.a. »Erwin und Elmire«, »Claudine von Villa Bella«, »Lila«, »Jery und Bätely«, »Die Mystifizierten«, »Der Zauberflöte zweyter Theil«, »Der Löwenstuhl«, »Feraddedin und Kolaila«, »Pandora«, »Des Epimenides Erwachen«) bilden ein umfangreiches Werkkorpus, das entgegen der bislang vorherrschenden Forschungsmeinung eng mit den kanonischen Werken verknüpft ist. Die Goethe bekannten Opern und ihre librettistischen Verfahrensweisen fungieren als Matrix der Textanalysen. Im Ergebnis erweisen sich Goethes Libretti als so komplexe wie avantgardistische Konzeptionen, die in einer rasanten Entwicklungslinie die zeitgenössisch vor allem in Italien und Frankreich entstandene Verfahrensweisen aufgreifen.
Methodik und Ergebnisse der Analysen zeigen ihre ganze Tragweite bei der Anwendung auf »Faust«: So läßt sich der häufig angedeutete Einfluß des Musiktheaters auf »Faust II« erstmals textanalytisch präzise nachweisen. Die Oper erweist sich darüber hinaus als folgenreiche und bislang in ihrer Bedeutung noch nicht erschlossene konzeptionelle Grundlage der Faustdichtung. Die Arbeit wurde mit dem Promotionspreis der Eberhard Karls Universität Tübingen ausgezeichnet.
Die vorliegende Studie untersucht Identitätsmuster von Autorschaft im Werk Clemens Brentanos (1778-1842) und fragt insbesondere nach der Funktion poetologischer und transzendentalphilosophischer Modelle von Androgynie. Dabei wird die Verwirrung der Geschlechteridentitäten, die nicht nur in Brentanos fiktionalen Texte zu beobachten ist, sondern die auch in den Briefen an Achim von Arnim und an Sophie Mereau eine bedeutende Rolle spielt, als literarisches Strukturprinzip gefaßt und in den Kontext einer narratologischen Analyse gestellt. Der Begriff der "androgynen Autorschaft" eröffnet nicht nur einen neuen Zugang zum Werk Brentanos, er ist auch für die Romantikforschung insgesamt perspektivreich. Vorstellungen von Geschlecht sind in der Literatur um 1800 grundsätzlich auf poetologische Fragestellungen bezogen und müssen somit im Kontext der Aufwertung der Poesie gegenüber philosophischen Diskursen betrachtet werden. Eine Sonderfunktion literarischer Geschlechterkonstruktionen stellt dabei die utopische Vorstellung einer androgynen Ganzheit jenseits der Geschlechterdifferenz dar, wie sie vor allem dem romantischen Dichter zugeschrieben wird. Solche poetologischen Androgynenmodelle sind einerseits dem Geniekult des 18. Jahrhunderts verpflichtet; andererseits aber problematisieren sie durch den Aspekt der Doppelung oder Vielheit die Vorstellung vom Autor als einer einheitlichen und mit sich selbst identischen Person.
Am Modell der verschiedenen Fassungen des Melusineromans untersucht die Studie vergleichend die Bedingungen literarischer Produktion und Rezeption im französischen und deutschen Spätmittelalter. Zugleich werden grundsätzliche Fragen nach den sprachlichen, räumlichen, personellen und institutionellen Voraussetzungen verfolgt, unter denen sich die mittelalterliche Aneignung französischer Erzählstoffe im deutschen Sprachraum vom 12. bis zum 16. Jahrhundert vollzieht. Dabei zeigt sich, daß eine Reihe bisher geltender Forschungsmeinungen (etwa in bezug auf die Verbreitung von Sprachkenntnissen im deutschen Hochadel, die Rolle der Kleriker beim Literaturaustausch oder die geographisch begründete Annahme einer Vorreiterrolle des Westens) grundlegend zu revidieren sind. Der methodische Ansatz bei den spezifischen Erscheinungsformen mittelalterlicher Texte und den besonderen Bedingungen ihrer Existenz, der im Fall der »Melusine« nicht nur einen Einblick in die Handschriftenkultur des ausgehenden Mittelalters, sondern auch in die vielfältigen Veränderungsprozesse bei Eintritt des Romans in den Druck erlaubt, geht von der Überzeugung aus, daß zu einer umfassenden kulturgeschichtlichen Erforschung des deutsch-französischen Literaturtransfers im Mittelalter nicht nur die philologische Analyse der adaptierten Texte im Hinblick auf stoffliche und stilistische Übernahmen gehört, sondern ebenso eine buchgeschichtliche Untersuchung der Überlieferungszeugen.
Ausgangspunkte der Untersuchung sind die Differenzen und Konvergenzen von individueller ästhetischer Arbeit und kulturellen Identifikations- und Abgrenzungsmodellen literarischer Autorschaft in Robert Walsers (1878-1956) Prosa. Die Ästhetik der Produktion, die in diesem Spannungsfeld angesiedelt ist, wird methodisch aus der Auseinandersetzung mit diskursanalytischen und textphilologischen Ansätzen rekonstruiert.
Der erste Teil unternimmt, jeweils ergänzt durch exemplarische Textlektüren, eine Revision begrifflicher Konzepte der aktuellen texttheoretischen Diskussion in den neueren Philologien. Dabei werden Beschreibungsmodelle entworfen, die über die Beschäftigung mit dem einzelnen Beispiel hinaus die literatur- und kulturwissenschaftliche Erforschung des (literarischen) Schreibens als Praxis, der Metaphorik ästhetischer Produktivität und der Textgenese präzisieren.
Der zweite Teil stellt Robert Walsers poetologische Auseinandersetzung mit den Mustern und Normen von Autorschaft und Literatur im kulturellen Kontext der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts heraus. Die (Selbst-)Reflexion des literarischen Schreibens und insbesondere seiner Bedingtheit - von der materiellen Dimension der Schreibarbeit bis hin zum poetischen Programm der Texte - erweist sich dabei als das Fundament, auf dem ästhetische Eigenständigkeit von Walser erst erarbeitet werden kann.
Die Französische Revolution ist in Deutschland von Anfang an als ein Schauspiel und Spektakel wahrgenommen worden, wobei diese Sichtweise in der Selbstinszenierung der Revolution als "Schauspiel der Geschichte" eine Begründung und Bestätigung fand und zugleich auf der politischen Ebene den Distanzierungsmodus des interessierten, immer jedoch sich unbetroffen wähnenden Zuschauers rechtfertigte. Damit ließ sich die Revolution auf der Straße zur Revolution im Geiste sublimieren, wodurch sie in den Modus des Ästhetischen rückte, das in diesem Zusammenhang gesteigerte epistemische Bedeutung für die Wahrnehmung von Geschichte gewinnen konnte. Diese wurde noch einmal ins Grundsätzliche verändert, wenn sie sich selbstreflexiv verstehen und das in ihrem Darstellungsmodus auch repräsentieren konnte. Für die Dramatik geschieht dies am auffälligsten in der Form des Spiels-im-Spiel, und so ist es von bemerkenswerter, bislang nur beiläufig bemerkter Konsequenz, daß sich die direkte oder indirekte Reflexion der Französischen Revolution in den bedeutenden Werken der deutschen Dramatik fast ausschließlich dieser Dramaturgie bedient und damit eine über zwei Jahrhunderte stabile Darstellungs- und Deutungstradition ausbildet. Die vorliegende Arbeit profiliert an einschlägigen Dramen von Goethe, Tieck, Büchner, Schnitzler, P. Weiss und H. Müller eine bis zum späten Dürrenmatt in sich geschlossenen Traditionslinie, in der das selbstbezügliche Spiel, den politischen Mythos der Revolution ästhetisch entmythisierend, zu einer umfassenden Kritik des modernen Geschichtsverständnisses gelangt, die letztlich auch die Grenzen der Dramenform selbst thematisiert.
Die vorliegende Studie legt eine Neuinterpretation von Wolframs »Parzival« unter Berücksichtigung diskursanalytischer und gendertheoretischer Fragestellungen vor: Wolframs Experimentieren mit unterschiedlichen Konzepten von Weiblichkeit und Männlichkeit wird als "öffentliche" Auseinandersetzung mit Denk- und Argumentationsschemata der unmittelbaren literarischen Tradition (Heinrich von Veldeke, Hartmann von Aue, Chrétien de Troyes) verstanden. Damit wird erstmals der inhaltlichen Dominanz des Themenkomplexes "Geschlechterbeziehungen" in der nicht-geistlichen Erzählliteratur des 12. und 13. Jahrhunderts umfassend Rechnung getragen.
Mittelpunkt der Analyse bilden die Gawan-Bücher des »Parzival«: Durch detaillierte Textarbeit wird offen gelegt, wie Wolfram im Akt des Erzählens die bis dahin literarisch konventionalisierten Modelle zwischengeschlechtlicher Beziehungen dekonstruiert, um eine neue Form des Geschlechterverhältnisses im Rahmen des höfischen Romans zu begründen. Dieses Modell einer neuen Geschlechterbeziehung wird schließlich an den Gahmuret- und Parzival-Büchern überprüft, bevor die Bedeutung der gewonnenen Ergebnisse für eine Gesamtinterpretation des »Parzival«-Romans geklärt wird. Hierbei liefert speziell der bislang in der Forschung unterschätzte Stellenwert der Gawan-Erzählung Anlaß zu einer Neubewertung des Gesamtromans.
Die Arbeit untersucht Praktiken der Vergegenwärtigung von Geschichte in der historistischen Geschichtswissenschaft und in literarischen Texten Fontanes im Bezug auf die Geschichtskultur des 19. Jahrhunderts. An Werken Rankes und Droysens wird gezeigt, daß in der historistischen Historie jene auf Geschichte bezogenen öffentlichen Wahrnehmungsgewohnheiten als Maßstab wirken, wie sie vor allem durch medientechnische Innovationen, etwa das Panorama, etabliert worden waren. Die Praktiken der Repräsentation erweisen sich dabei aber auch als Aktualisierung geschichtstheologischer Denkfiguren und einer rhetorischen Tradition von "Topik als Kulturmodell". Eng bezogen auf die historistische aisthesis der Geschichte sind die autobiographischen Texte Fontanes, die den Deutsch-Französischen Krieg (1870/71) ins "Buch der Geschichte" eintragen wollen. An ihnen wird aber auch deutlich, daß die kulturelle Modernität dieses Krieges unter den Vorgaben der historistischen aisthesis nicht mehr darstellbar ist. Von dem Befund solcher Darstellungsresistenz aus werden späte Erzähltexte Fontanes gelesen, vor allem »Die Poggenpuhls« und »Der Stechlin«. Unter Rückgriff auf ästhetische Elemente der frühen Photographie, auf die zeitgenössische Psychopathologie des Traumas und auf die romantische Poetik der Arabeske decken sie die Wahrnehmungsgrenzen der historistischen Geschichtskultur auf und entwerfen alternative Formen einer Textur der Historie.
Die vorliegende Untersuchung nimmt eine Neubestimmung dessen vor, was die sogenannten »Minne- und Aventiureromane« signifikant von anderen Versromanen unterscheidet und analysiert zu diesem Zweck Verfahren der Sinnkonstituierung im »Reinfried von Braunschweig« sowie im »Apollonius von Tyrland« des Heinrich von Neustadt. Beide Werke sind bezüglich der verwendeten poetischen Techniken und in bezug auf das in ihnen aufscheinende Weltbild traditionell konservativen Mustern des Hochmittelalters verpflichtet. Nicht zwischen minne und âventiure, sondern zwischen Babylon und Jerusalem, als Sinnbildern der civitas terrena bzw. civitas dei, ereignet sich die Handlung der (besser als »Herrschafts- und Staatsromane« zu bezeichnenden) Texte. Es geht in ihnen um die Suche des mittelalterlichen Menschen nach heilsgeschichtlich richtiger Lebensführung und der daraus resultierenden Legitimation herrscherlicher Macht. Höfische Minne und ritterliches Abenteuer als Ausdrucksformen adliger Existenz werden in Kombination mit dem Brautwerbungsschema funktionalisiert, um diese Themen vor dem Hintergrund christlicher Heilsgeschichte paradigmatisch zu entfalten. Da der »Apollonius« in dieser Hinsicht als ein Gegenentwurf zum »Reinfried« konzipiert ist, wird ein Diskursverhältnis zwischen den späten »Minne- und Aventiureromanen« sichtbar, aus dem sich Konsequenzen für die Beschreibung der literarischen Reihe ergeben.
Albrecht Dürer (1471-1528) greift mit seinen kleineren Texten frühneuhochdeutsche Textsorten auf, deren Formelgut er gezielt in seinem Interesse oder spielerisch einsetzt. Anders als man sie zumeist verstanden hat, sind die Texte daher nicht ohne weiteres als Quellen für Dürers Persönlichkeit lesbar. Allerdings fallen die Spannungen zwischen den Selbstaussagen in Dürers Texten zu groß aus, als daß sie sich allein von unterschiedlichen Textfunktionen her erklären ließen: Handwerker oder Herr, arm oder geschäftstüchtig, gefeiert oder bedroht vom Vergessen. Ein Erklärungsansatz liegt darin, die kleineren Texte Dürers als typisches Aufsteigerphänomen zu verstehen: Dürer hat mit dem Hineinwachsen in eine neue gesellschaftliche Position und mit der Aneignung neuer Bildungswelten eben auch mehr als andere mit Widersprüchen zwischen eigenem Herkommen und neuem Selbstbewußtsein zu tun, und diese kommen in den kleineren Texten ganz unterschiedlich zur Sprache. Das vorgestellte Textcorpus kann im Zusammenhang der Ausweitung von Schriftlichkeit in der frühen Neuzeit als Modellfall verstanden werden, an dem sich die Bedingungen für die Durchsetzung schriftlicher und literarischer Tätigkeit am Übergang von Bildungs- und Gesellschaftsschichten um 1500 studieren lassen.
Die Studie versucht zwei von ihren methodologischen Voraussetzungen her unvereinbare Interessen - ein diskursanalytisches und ein hermeneutisches - produktiv zu verbinden. Sie untersucht Wechselwirkungen zwischen literarischen Sinnbildungsverfahren und dem Wahrnehmungsdiskurs, und zwar am Beispiel von Friedrich Schillers »Geisterseher«, Georg Büchners »Leonce und Lena«, Wilhelm Raabes »Chronik der Sperlingsgasse«, Stanislaw Przybyszewskis »Totenmesse«, Robert Musils »Verwirrungen des Zöglings Törleß« und Franz Kafkas »Proceß«. Im Zentrum steht die Frage, wie die Texte in Diskursfelder eingelassen sind, in physikalische und medientechnische (optische Medien, Aufzeichnungs- und Wiedergabeverfahren), medizinische (Starstechen, Sehfehlerkorrekturen), psychologische (Nachbilder, Leseprozesse, visuelle Aufmerksamkeitslenkung), philosophische und kunstgeschichtliche (Wahrnehmungskonzept der Aufklärung, romantisches "Sehen", Realismuskonzepte, visuelle "Wirklichkeit", Konstruktivismus), inwiefern sie von dieser Teilhabe am Wahrnehmungsdiskurs ästhetisch profitieren und inwiefern sie an der Konstitution und Transformation dieser Diskursfelder beteiligt sind. Den Abschluß der Arbeit bildet der Versuch einer Systematisierung der Formen wechselseitiger Durchdringung von Diskurs und Literatur.
Die Arbeit erweist die von 1906 bis 1937 entstandene Prosa Else Lasker-Schülers als paradigmatisch für die literarische Moderne und erarbeitet eine völlig neue Perspektivierung ihrer charakteristischen Figuren und Verfahren. Durch intertextuelle Bezüge und strukturelle Analogien zu Nietzsche, Freud, Weininger, Kafka, Martin Buber u.a. sind die Texte auf vielfache Weise in zeitgenössische Diskurse eingebettet, andererseits bergen sie ein besonderes Analysepotential im Hinblick auf Raumkonzepte, Genderdiskurse und Körperkonstruktionen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. »Das Peter Hille-Buch«, »Die Nächte der Tino von Bagdad«, »Der Prinz von Theben« oder »Der Malik« u.a. stellen Grenzen und Krisen der Repräsentation zur Schau, indem sie die Problematik einer Verkörperung symbolischer Macht am Beispiel von Herrscherfiguren erkunden. Souveränität erscheint dabei über die thematischen Konstellationen hinausweisend als radikale Reflexionsfigur von Autorschaft und Subjektautonomie. Die diskursanalytisch, kulturanthropologisch und psychosemiotisch argumentierende Untersuchung bezieht historische und biographische Aspekte (Erster Weltkrieg, Zionismus, nationalsozialistische Judenverfolgung, Exil etc.) ausdrücklich mit ein und eröffnet den poststrukturalistischen Theorieansätzen damit eine politische und historische Dimension. Ein eigenes Kapitel behandelt diejenigen Texte, die wie etwa »Der Wunderrabbiner von Barcelona«, »Der Scheik« oder »Das Hebräerland« die Begegnung der Religionen gestalten. In überraschender Nähe zu Ansätzen des jüdischen Philosophen Emmanuel Lévinas entwerfen diese, so wird gezeigt, eine moderne Ethik der Differenz, die dem Fremden im Eigenen Raum gibt und ohne transzendente Sinnbezüge auskommt.
Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Blutstropfenszene im »Parzival« Wolframs von Eschenbach. Die in dieser Szene geschilderten Wahrnehmungs- und Erkenntnisprozesse werden vor dem Hintergrund der frühscholastischen Wahrnehmungs- und Erkenntnistheorie interpretiert. In einem zweiten Schritt der Untersuchung wird allgemeiner nach der Bedeutung von Wahrnehmung und Erkenntnis in Wolframs Dichtung gefragt. Dieser Frage wird zunächst auf der Handlungsebene und dann auf der Erzählerebene nachgegangen. Auf der Handlungsebene geht es um eine Neuinterpretation der Parzivalgeschichte unter dem Gesichtspunkt der beschränkten Wahrnehmungsfähigkeit des Helden. In Auseinandersetzung mit der bisherigen Forschung werden wichtige Stationen der Handlung (Kindheit in Soltane, Frageversäumnis in Munsalvaesche, Begegnung mit Trevrizent) neu beleuchtet. Auf der Erzählerebene geht es darum, die Selbstdarstellung des Erzählers als Analphabet (ine kan decheinen buochstap) vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Diskussion über den Wert der Wissenschaft und die Möglichkeit der Wahrheitserkenntnis zu würdigen. Das führt schließlich zum Problem der Poetik des Parzivalromans.
Die Untersuchung geht von der Beobachtung aus, daß in Schillers Dramenfragmenten ein literarisches Experimentierfeld vorliegt, in dem u.a. angemessene Darstellungsmöglichkeiten für zeitgenössische staatsphilosophische Fragen gesucht werden. Die Fragmente bieten ein weitaus größeres Spektrum der Verarbeitung des für Schiller zentralen Problems des Verhältnisses von Person und Staat als die veröffentlichten Dramen und dokumentieren den Prozeß einer literarischen Korrektur der idealistischen Staatsphilosophie.
Zunächst wird Schillers Staatstheorie entwickelt, die dem Individuum die Verantwortung für die Etablierung eines Vernunftstaates auferlegt. Vor diesem Hintergrund wird der Großteil von Schillers Dramenfragmenten in drei Gruppen eingeteilt, die in je verschiedener Weise Umsetzungsversuche und zugleich kritischer Kommentar zur Theorie des Vernunftstaates sind. Es handelt sich um das Projekt eines erhabenen Dramas der idealen Staatsgesinnung, den Versuch einer Gesetzesdramatik und das Modell eines Thronprätendentendramas. Leistungsfähigkeit und Problematik der jeweiligen Modelle werden anhand prozessualer Analysen detailliert untersucht. Über das Scheitern einer Ineinssetzung von Person und Staat und die Entwicklung des Gestaltungsprinzips der Handlungsfreiheit gegenüber dem Gesetz gelingt die Integration verschiedener innovativer Dramenkonzepte in ein Doppelgängerdrama. Dieses wird der Komplexität des Problemfelds gerecht, indem es Person und Staat jeweils legitime, aber sich ausschließende Rechtssphären zuordnet. Mit dem Übergang zum vollendbaren Werk im »Demetrius« wird eine synthetisierende Leistung faßbar, die neue Aspekte in Schillers Dramatik hervortreten läßt.
Die Studie untersucht frühromantische Individualitätskonzepte und ihre Aktualität in Literatur und Philosophie der ästhetischen Moderne nach 1945. Ausgehend von Novalis' philosophischen Reflexionen zur intersubjektiven Verfaßtheit des Ich wird die poetische Konstruktion des Selbst in seinem literarischen Werk herausgearbeitet. Ein zentrales Problem der Subjektivitätsphilosophie, die Vermittlung von Gefühl und Gedanke, wird hier in Motiven der Zweigeschlechtlichkeit des Ich, des Traumbewußtseins sowie der Liebesutopie verhandelt und in eine Ethik der 'Lebenskunst' überführt. Diese Verbindung von Philosophie und Literatur, Ethik und Ästhetik ist Kennzeichen der Romantik-Rezeption nach 1945. Dies wird exemplarisch anhand der Werke Ingeborg Bachmanns, Christa Wolfs und Michel Foucaults gezeigt. Das Interesse der Autorinnen gilt der Überschreitung der Geschlechteropposition in der Frühromantik. Bei Foucault werden ästhetische Widerstandspraktiken im Blick auf die moderne Pluralisierung von Diskurs- und Machtformationen entwickelt. Die Arbeit weist sowohl die Novalis-Rezeption der genannten Autorinnen und Autoren nach, als auch die produktive Fortentwicklung seiner Konzeption unter den Bedingungen einer Literatur und Ethik 'nach Auschwitz'.
Spanien und die spanische Literatur stießen im Verlauf des 18. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum auf ein zunehmendes Publikumsinteresse. Mit dieser sich steigernden Spanienwahrnehmung fand jedoch auch eine zunehmende Verbreitung nationenbezogener Stereotypen statt, die teils ungewollt (in unkritischer Rezeption traditioneller Bilder), teils gewollt (zur rhetorischen Untermauerung eigener Ideologeme) in den Texten der Epoche zur Darstellung kamen.
Diese Spanienbilder rezeptions- und wirkungsgeschichtlich zu untersuchen, ist das Anliegen der Arbeit. Dabei werden in erster Linie Sachtexte (Enzyklopädien - hier besonders der Spanienartikel des »Zedlerschen Universallexikons« -, Reiseberichte, literarhistorische Abhandlungen) auf ihren imagologischen Gehalt hin untersucht, denn diese "Basistexte" erweisen sich als die eigentlichen Träger derjenigen wirkmächtigen Nationalstereotypen, die erst in einem weiteren Rezeptionsschritt Eingang in die dichterischen Texte fanden. Da das deutsche Spanienbild im Verlauf des 18. Jahrhunderts eine extreme Wandlung erfuhr, werden in der vorliegenden Untersuchung diejenigen Quellentexte herangezogen, die in einer bestimmten Phase deutscher Spanienwahrnehmung die jeweilige Sicht auf das fremde Land beeinflußten und dominierten. Es sind dies u.a. die französische Reisebeschreibung der Gräfin d'Aulnoy, Reiseberichte und Statistiken englischer und deutscher Autoren, Texte der französischen Aufklärer sowie Schriften deutschsprachiger Autoren des 18. Jahrhunderts zur spanischen Literatur.
Die Arbeit untersucht ein zentrales und umfängliches Corpus spätmittelalterlicher Geschichtsdichtungen vom 14. Jahrhundert bis zur Reformation, das bis heute im toten Winkel der Geschichtswissenschaft, Publizistik und Germanistik liegt und seit 150 Jahren unter dem irreführenden Terminus 'historische Volkslieder' firmiert. Nach einer grundlegenden Revision der Texte und der Beobachtung ihrer situativen Anbindung an ein historisches Ereignis wird der Nachweis geführt, daß sinnvoll von einer eigenen Gattung auszugehen ist, die sich durch eine zweckgebundene Ästhetik, spezifische Funktionen und einen hohen Grad an Publizität auszeichnet: die historisch-politische Ereignisdichtung. Warum die propagandistischen Lieder und Reimreden zur Tagespolitik von der Forschung so konsequent ignoriert wurden, ist umso unverständlicher als diese Vernachlässigung in krassem Gegensatz steht zu dem breiten Interesse, das die spätmittelalterliche Gesellschaft an ihnen genommen hat. Übersehen worden ist bislang auch, daß schon so früh - z. T. noch vor den neuen Publikationsmöglichkeiten im Medium des Buchdrucks - an der Konstitution von Öffentlichkeit und öffentlicher Meinung gearbeitet wurde, Kategorien, die man immer genuin neuzeitlich definiert hat. Der spezifische Reiz dieser poetischen Manifestationen der politischen Publizistik liegt in ihrem Zeugnischarakter für die Mentalitätsgeschichte. Die von den Verfassern getroffene Wahl des aktuellen Ereignisses, ihre aggressiv polemische oder eher vorsichtig insinuierende Präsentation und die explizite Wendung an ein informiertes und hochmotiviertes Publikum gewähren Einblicke in politische Ansichten, soziale Empfindlichkeiten, Existenzängste und Glaubensnöte des spätmittelalterlichen Menschen wie kaum eine andere literarische Form oder historische Quelle der Zeit.
»Ich erinnere mich«: Dem mit dieser knappen Formel bezeichneten Paradigma des Erzählens kommt für die Literatur des ausgehenden 18. und 19. Jahrhunderts zentrale Bedeutung zu. Doch werden die einschlägigen Texte seit jeher, wenn auch unter höchst verschiedenen theoretischen Vorgaben, auf die hermeneutische Frage nach der poetischen Konstitution und Konstruktion des Subjekts hin untersucht. Die tieferen Fundamente des narrativen Arrangements »Anamnesis« treten aber erst dann zutage, wenn die Doppelung von erzähltem und erzählendem Ich als Funktion der literarischen Erinnerungsarbeit begriffen wird. Diese Arbeit setzt - diesseits von Wahrnehmungen oder platonischen Ideen, authentischen Erfahrungen oder Unbewußtem - ein Bildarchiv voraus, das die Pathosformeln aus den großen mythologischen und christologischen Initiationserzählungen, aus Christus-, Marien-, Heiligen- und Venusikonographie enthält. Im Rückgriff auf topisch strukturierte Modelle kultureller Wissensorganisation und -abbildung dienen die vielen kleinen Szenen und Episoden, aus denen die Erzähler in Moritz' »Anton Reiser«, Kellers »Grünem Heinrich« und Raabes »Akten des Vogelsangs« die Lebensgeschichten der Helden zusammenfügen, dem Entwurf weit angelegter Gedenkräume. So erweist sich die rhetorische Tradition der Memoria in den Texten geradezu als übermächtig, wird sie doch zugleich die Grundlage einer jeweils eigenständigen ästhetischen Figuration. Aus der Analyse des Widerspiels von Hermeneutik und Rhetorik, von individueller Erinnerung und kollektivem Gedächtnis folgt nicht zuletzt, daß die Prämissen, unter denen das Konzept einer »modernen« Erinnerung bislang verhandelt wurde, einer Revision bedürfen.
Begriffe und Anschauungen aus der Chemie, Physik, Mineralogie, Geologie und Montankunde werden in den philosophischen Schriften, den naturwissenschaftlich-technischen Aufzeichungen und der Poesie des Novalis auf vielfältige Weise rezipiert. Auf der Grundlage einer Darstellung exemplarisch ausgewählter Theorien der zeitgenössischen empirischen Forschung und (Natur-)Philosophie unternimmt der Band eine Analyse mineralogischer Motive aus dem Gesamtwerk. Die Studie basiert auf der These, daß Novalis' Symbolik des "Mineralischen" Bausteine einer Poetik enthält, deren Signifikanz für die moderne Ästhetik sich erst erklärt, wenn verdeutlicht werden kann, inwieweit eine spekulative Konzeption des Selbstbewußtseins einerseits sowie chemisch-physikalische Kenntnisse andererseits bei Novalis Voraussetzungen bilden, von denen ausgehend er innovative Verfahren der poetischen Wirklichkeitskonstruktion reflektiert und entwickelt. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen Novalis' poetologische Interpretationen naturwissenschaftlich beschreibbarer Organisationsformen der materiellen Natur (chemische Affinität, kristallographische Dekreszenztheorie, Galvanismus, physiologische Reizwirkung etc.). Spezielle Vorstellungsmuster gewinnen im Kontext seines kühnen Entwurfs einer experimentellen Kombinationslehre der Wissenschaften ("Enzyklopädistik") Bedeutung als Gelenkprinzipien, die ihre Modellfunktionen in der Übertragung, Vernetzung und Transformation verschiedener Methoden und Wahrnehmungsbereiche des Bewußtseins entfalten.
Johanns von Würzburg "Wilhelm von Österreich" gehört zu den späthöfischen mittelhochdeutschen Romanen, die lange Zeit mißverstanden worden sind. Er wird hier erstmals in seinem literarhistorischen Kontext betrachtet, als ein Werk, das an der Schwelle zwischen dem Untergang des höfischen Romans und dem Triumph der didaktischen Kleinepik und Allegorie sowie am Gipfelpunkt der Historisierung höfischer Dichtung steht. Die Verfasserin versteht ihn als ein literarisches Experiment und untersucht, wie Johann in der Motivik, der Erzählhaltung und der Struktur seines Werks Elemente der Minnerede, des höfischen Romans und der Geschichtsschreibung verbindet und aufeinanderstoßen läßt, um die Gattungsmischung erkenntlich zu machen. Ein Vergleich mit Ulrichs "Frauendienst", dem "Jüngeren Titurel", dem "Reinfrid von Braunschweig" und Wittenwilers "Ring" verdeutlicht schließlich die Einzigartigkeit der Gattungsmischung bei Johann, die über eine schlichte Integration gattungsfremder Elemente in einen Roman weit hinausgeht: Johann schafft eine neue Romanstruktur, die Lehre und Handlung aufeinander bezieht und der Minnedidaxe wie dem Fürstenpreis dient. Den Abschluß der Untersuchung bildet eine Analyse der Rezeption des Werks im 14.-16. Jahrhundert, von der Handschriftentradition über die Prosaisierung und Hans Sachs' Tragödie bis hin zu Erwähnungen des "Wilhelm" in anderen Werken, v.a. bei Hermann von Sachsenheim. Die Gattungsmischung ist offensichtlich von den frühen Rezipienten erkannt und z.T. als störend empfunden und bereinigt worden. Im Anhang finden sich die bisher unedierte "Liebesklage" (Brandis 40) und der vollständige Zyklus der Holzschnitte aus dem Augsburger Prosadruck von 1481.
"Jeder hat noch in den Alten gefunden, was er brauchte oder wünschte; vorzüglich sich selbst." Friedrich Schlegels Diktum bestätigt sich in der produktiven Auseinandersetzung der dramatischen Moderne mit dem bedeutendsten kanonbildenden Modell des abendländischen Dramas und Theaters: der griechischen Tragödie des Aischylos, Sophokles und Euripides. Unter dem aus T.S. Eliots "Ulysses"-Rezension entlehnten Titel einer 'mythischen Methode' und ausgehend von Nietzsches folgenreicher Revision des Antikenbildes analysiert die Arbeit jenes umfangreiche Repertoire moderner Dramen (von Pannwitz, Hofmannsthal und Jahnn bis zu Hauptmann und Brecht; von Cocteau und Gide bis Giraudoux, Anouilh, Sartre; von Jeffers und O'Neill bis zu Eliot und Berkoff), die ihren kreativen Impuls aus der Variation griechischer Tragödien beziehen, so daß die 'Arbeit am Mythos' eo ipso zur 'Arbeit an der Differenz' wird. Komparatistische Werkinterpretationen (immer in der Gegenüberstellung antiker und moderner Versionen und unter Berücksichtigung auch der klassisch-klassizistischen Rezeptionslinien der europäischen Tradition) alternieren mit übergreifenden theoretischen Konzeptualisierungen aus intertextualitätstheoretischer, gattungspoetischer und kulturgeschichtlich-funktionsanalytischer Perspektive. Ein leitendes Erkenntnisinteresse gilt der Möglichkeit und den kulturellen Funktionen der Tragödie im Epochenhorizont einer säkularen, nachklassischen Moderne.
Die vorliegende Arbeit zur Rolle der Adelsfamilie in der volkssprachigen Literatur des Mittelalters ist als eine Art literarhistorische Erprobung einer mentalitätsgeschichtlichen Themenstellung gedacht. Sie bezieht sich auf Überlegungen sowohl der historischen Familienforschung als auch der neueren familienhistorisch orientierten literarhistorischen Diskussion, die in den letzten drei Jahrzehnten die Entwicklung und Umstrukturierung der mittelalterlichen Adelsfamilie ins Zentrum eines mentalitätsgeschichtlichen Interesses gerückt und zunehmend auch für die Entstehung und Verbreitung der volkssprachigen Literatur des Mittelalters verantwortlich gemacht hat (Kap.I).
In Auseinandersetzung mit diesem familienhistorischen Forschungsparadigma werden zwei Linien verfolgt: Einerseits geht es um die Bedeutung der 'historischen' Adelsfamilie als Initiator, Förderer wie auch Thema volkssprachiger Texte, wie sie sich in einer Reihe literarischer Zeugnisse volkssprachiger Familiengeschichte (Kap.II), aber auch in einigen wenigen Beispielen höfischer Dichtung dokumentiert, die bekannte historische Adelsfamilien in ihrer mehr oder weniger sagenhaft-imaginären Geschichte zum literarischen Thema machen (Kap.III). Andererseits werden die typenspezifisch sehr unterschiedlich konturierten 'literarischen' Bilder von Familie und Verwandtschaft in ihren möglichen historischen Implikationen ausgelotet (Kap.IV).
Ein Rätsel der Weltliteratur schien gelöst, als 1973 Peter Honegger den Autor des anonym überlieferten "Eulenspiegel" mit dem Braunschweiger Zollschreiber Hermann Bote identifizierte. Daß diese begeistert gefeierte und in den Literaturgeschichten festgeschriebene Werkzuweisung ganz elementare Fragen der Entstehungsgeschichte offen läßt, wurde bislang weitgehend verdrängt. Als entscheidendes Problem erscheint hier die Diskrepanz zwischen dem niederdeutschen Autor Bote und dem oberdeutschen Text, dessen Überlieferungsgeschichte Anfang des 16. Jahrhunderts mit drei Frühdrucken aus der Straßburger Offizin des erfolgreichen Druckers Johannes Grüninger beginnt. Von diesem - gerade in der neueren "Eulenspiegel"-Forschung - konsequent ignorierten Druckort aus betrachtet erscheint die Entstehungsgeschichte des "Eulenspiegel" in einem völlig anderen Licht. In der Verbindung von buchkundlichen (z.B. typographisches Konzept, Werkstattsituation) und literaturwissenschaftlichen (z.B. Werkstruktur, Rekrutierungsmöglichkeiten potentieller Quellen) Untersuchungskomplexen kommt die Arbeit zu einem eindeutigen Befund: Sein weltliterarisches Profil erhielt der "Eulenspiegel" nicht in der Braunschweiger Zollschreiberbude Hermann Botes, sondern vor dem Setzkasten der Grüningerschen Druckerei in Straßburg.
Boppe zählt zu den profilierten 'kleineren' und gleichzeitig typischen Vertretern der mittelhochdeutschen Sangspruchdichtung in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Sein Werk war bisher sowohl editorisch als auch literarhistorisch unzureichend erschlossen, da es nur in Georg Tolles unbrauchbarer Edition aus dem Jahr 1894 bzw. in von der Hagens "Minnesinger"-Ausgabe von 1838 vorlag. Die jetzt vorliegende Edition, die durch die synoptisch angeordnete Übersetzung sowie den Kommentar die schwierigen, weil gelehrte Tradition kunstvoll verrrätselnden Sprüche erschließt, wird ergänzt durch Ausführungen zum Forschungsstand, zur Überlieferung (inklusive Beschreibung der Handschriften) und zu den Editionsgrundsätzen. Größtmögliche Kontrollierbarkeit gewährt die Ausgabe durch die Apparate und die vollständige Abbildung der Überlieferung; erschließbar wird sie über ein Namenverzeichnis und ein Register zum Kommentar. Die Edition bietet einen normalisierten Text, der in jedem Spruch einer Leithandschrift folgt, in die nur bei der Überlieferung von Sinn-Fehlern eingegriffen wird; alle Abweichungen sind selbstverständlich gekennzeichnet. Eine editionstechnische Neuerung stellt der erste Apparat dar, in dem alle vom kritischen Text abweichenden Lesungen der Leithandschrift verzeichnet werden, so daß für den Benutzer die Überlieferung der Leithandschrift auf einen Blick rekonstruierbar, jede Abweichung von ihr sofort durchsichtig wird. Übersetzung und Kommentar dokumentieren lückenlos - auch bei neueren und neuesten Editionen keineswegs selbstverständlich - das Textverständnis der Herausgeberin.
Der lateinische Prosaroman "Dialogus Salomonis et Marcolfi", der eine Auseinandersetzung zwischen den Prinzipien Weisheit auf Seiten Salomons und List auf Seiten des Marcolfus bietet, wird im 14., 15. und 16. Jahrhundert mehrfach Ausgangspunkt literarischer Bearbeitungen in der Volkssprache. In verschiedenen Gattungen (Spruchgedicht in Versen, Prosaübersetzung, Fastnachtspiel, comedi, Meisterlied) wird der Stoff übersetzt und interpretiert, dabei auch von seinen in einigen Fällen namentlich bekannten Autoren (Gregor Hayden, Hans Folz, Hans Sachs, Zacharias Bletz) gekürzt oder moralisch gedeutet. Ein zweiter Erzählstrang, derjenige des Brautwerbungsepos "Salman und Morolf", ist überlieferungs- und textgeschichtlich locker mit dem ersten verbunden und stellt innerhalb dieser Gattung eine eigene Deutung des Protagonistenpaares Salomon und Markolf dar. Diese gesamte Werkgruppe wird in vorliegender Studie in ihrer je spezifischen Überlieferung in Handschriften und Drucken des 15. und 16. Jahrhunderts vorgestellt und in ihren interpretatorischen Eigenheiten und Bearbeitungstendenzen gedeutet. Literarisierungsprozesse des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit werden hierbei deutlich. Eine Reihe literarischer Zeugnisse des 6. bis 20. Jahrhunderts erweist die Aktualität und Modernität Markolfs durch die Jahrhunderte (mit besonderem Schwerpunkt im 16. Jahrhundert, gerade bei Martin Luther oder in Sprichwortsammlungen), einem Eulenspiegel und Espous darin durchaus ebenbürtig. Außerdem wird die Edition einer den volkssprachigen Prosaroman überliefernden Handschrift von 1469 (Hs. Alba Julia, Bibl. Batthyányana Cod. I 54) vorgelegt.
Das Buch wendet sich mit seinen verschiedenen Forschungsebenen nicht nur an ein germanistisches, sondern an ein breiteres wissenschaftliches Publikum. Im Zentrum steht die Frage, ob nicht im Mittelalter eine anders strukturierte, vom Verfasser 'lateral' genannte Rationalität erkannt und für die Deutung offener Probleme fruchtbar gemacht werden kann. So führt die Diskussion von Tannhäusers "Hofzucht", die uns befremdlich erscheinende mittelalterliche Tischsitten überliefert, zu einer kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Theorie vom 'Zivilisationsprozeß' (Norbert Elias). In die aktuelle Debatte um den Autorbegriff und seine Dekonstruktion tritt das letzte Kapitel ein, indem es nach Möglichkeit und Sinn autorzentrierten Forschens in mittelalterlicher Literatur fragt. Im Kern handelt es sich jedoch um eine mediävistische Arbeit, die die unter Tannhäusers Namen überlieferten Texte philologisch untersucht. Darunter die erwähnte "Hofzucht", die im Anhang erstmals mit kompletter neuhochdeutscher Übersetzung abgedruckt wird. Aus dem lyrischen Werk werden vor allem Tannhäusers Leichdichtungen neu interpretiert und in der Literaturgeschichte verortet. Einige bislang als gesichert geltende Einschätzungen werden dabei in Frage gestellt.
Hadamars von Laber "Jagd" ist die einflußreichste und wohl auch bedeutendste Minneallegorie des deutschen Spätmittelalters. Zugleich gilt sie in bezug auf die komplizierte Überlieferungslage, den verworrenen Textaufbau und das anspruchsvolle allegorische Modell einer Minnejagd als dunkler, schwieriger Text, der von der Forschung zu Unrecht vernachlässigt wurde.
Die Arbeit untersucht Fragen der Textkritik und der Interpretation in ihrem wechselseitigen Bezug zueinander. Daß jede der Handschriften bei weitgehend einheitlichem Text eine andere Strophenfolge aufweist, wird auf die spezifischen Strukturprinzipien Hadamars zurückgeführt: Kennzeichen der "Jagd" ist nicht eine konsequente Tektonik, sondern eine auf assoziativen Verbindungen beruhende polymorphe Gesamtstruktur, die dazu führt, daß der Text ohne weiteres umgestellt, erweitert oder verkürzt werden kann. Diese Variabilität ist Ausdruck sowohl der Minneproblematik wie auch des anspruchsvollen allegorischen Modells, dem das Streben nach einer möglichst vielschichtigen und nuancenreichen Darstellung der Minneterminologie zugrunde liegt. Im Gegensatz zu den meisten Minnereden, die vor allem belehren wollen, geht es Hadamar um ein ästhetisches, bewußt verschleierndes Spiel mit den Interpretationsmöglichkeiten der Allegorie und der Konzeption Hoher Minne, die letztlich zur variablen Textstrukturierung führt. Die Untersuchung wird ergänzt durch eine ausführliche vergleichende Edition der wichtigsten überlieferten Fassungen des Textes, da die bisherigen Ausgaben das wichtigste Problem der "Jagd"-Philologie, die Variabilität der Strophenfolge, weitgehend ignorieren.
Die Liebe zwischen dem besten Artusritter, Lancelot, und Ginover, der Frau des Königs Artus, ist eines der zentralen Themen des Prosa-Lancelot. Ihr ist hier erstmals eine eigene umfangreichere Arbeit gewidmet, die sie und ihre Funktion innerhalb der Romantrilogie in ein neues Licht rückt. Dabei wird das Gesamtkonzept dieser Trilogie nicht mehr primär unter dem Gesichtspunkt der Spannung zwischen weltlichem Artusrittertum und geistlichem Gralrittertum gesehen, sondern als Versuch verstanden, Aufstieg und Niedergang des Artusreiches als historischen Prozeß zu begreifen.
Die Liebe zwischen Lancelot und Ginover, die im Roman von Einsiedlern und anderen geistlich kompetenten Personen tatsächlich immer wieder als sündig gebrandmarkt wird, wurde bisher meist im Rahmen des Gegensatzes von weltlich-höfischem und geistlichem Ideal gesehen: Zunächst glanzvolles Bild einer 'höfischen' Liebe, werde sie dann im Roman als ausgehöhltes Ideal vorgeführt und reiße am Ende noch die gesamte Artuswelt in den Untergang. Die Untersuchung vermag dies zu relativieren und macht stattdessen sichtbar, daß diese Liebe - unbeschadet der Verdammung - anders beschreibbar ist; sie ist nicht so sehr eine 'höfische', sondern vor allem durch ein ganz bestimmtes Verhältnis zur Herrschaft des Königs und seiner Frau Ginover bedingt. So kann auch ihre Funktion neu bestimmt werden: In der Geschichte der Liebe spiegelt sich die Geschichte des Artusreiches.
Der Interpretation liegen sowohl der altfranzösische Text wie auch seine mittelhochdeutsche Übertragung zugrunde; sie gewinnt ihre Ergebnisse durch zahlreiche Detailanalysen sowie durch Vergleiche mit den Konzeptionen anderer Texte und Gattungen (Trobadorlyrik, Artusroman, Tristanroman).
"Der Sänger" und "Das Märchen von Fanferlieschen Schönefüßchen" bilden die Eckpunkte dieser Studien zum Erzählwerk Clemens Brentanos (1778-1842). Die kryptographische Textur des frühen Erzählfragments und das Spätmärchen stehen in einem ästhetischen und werkinternen Zusammenhang, der über den Begriff der allegorischen Textur bestimmt wird. Die Entwicklungslinie bis zum Spätwerk wird durch die Auslegung der Bildsprache und Kombinationskunst im "Märchen von dem Myrtenfräulein" und den "Mehreren Wehmüllern" perspektiviert und im Kontext romantischer Ästhetik reflektiert. Die gründliche philologische Arbeit am Detail, die Kommentierung der Engführung autobiographischer, poetischer und religiöser Themen sowie der Hinweis auf Motivparallelen im Gesamtwerk machen die Komplexität von Brentanos artifiziellen Textstrukturen transparent.
Brentanos "Märchen von Fanferlieschen" erscheint als Kulminationspunkt einer kontinuierlichen Entwicklung und Exempel par exellence für das, was in der romantischen Ästhetik als Arabeskenkunst bezeichnet wird: allegorisch-stringente Bedeutsamkeit bei ästhetisch aufregender Raffinesse im Spiel mit Worten und Bildern. Der Nachweis von bisher kaum bemerkten politischen und religiösen Implikationen erlaubt zudem eine Präzisierung der Position des Dichters im Spannungsfeld von Revolution und Restauration.
Kontrapunktisch zu den allegorisch-arabesken Strukturzusammenhängen werden die hermeneutischen Implikationen in Brentanos Poetologie thematisiert. Auch hier stehen die behandelten Werke in einem internen Begründungszusammenhang. Die Verbindung von Hermeneutik und Allegorie ist über die Form der Allegorese gegeben. An zwei Beispielen, Brentanos Auslegung von Hölderlins "Nacht" und der Leichenpredigt im Märchen von "Gockel, Hinkel und Gackeleia", wird das Deutungsmodell skizziert. Ausführungen zur Kunstkritik Brentanos, zum Gebrauch kunstlegitimierender mythischer Modelle und zur Opfer- und Märtyrervorstellung vom Dichter vervollständigen den Aufriß des Dichtungsverständnisses des Romantikers.
Die Studie untersucht zunächst als graphematisches Grundsatzproblem das Verhältnis zwischen Schrift und Lautung bei Verwendung des hebräischen Alphabets und speziell die Methoden zur Erforschung dieses Verhältnisses in verklungenen Sprachstufen.
Im ersten Hauptteil, dem dokumentarischen Kernstück des Buches, wird anhand von etwa 70 Texten erstmalig die schrift- und lautgeschichtliche Entwicklung von den Anfängen der jiddischen Überlieferung (im 12.-14. Jahrhundert) bis zum Untergang des schriftlichen Westjiddisch in Deutschland gegen 1800 zusammenhängend dargestellt. Der zweite Hauptteil veranschaulicht speziell die allmähliche Entfernung auch der deutschen Komponente des Westjiddischen von den verschiedenen Varietäten des Deutschen. Beim Vergleich der lautlichen Ebene mit den anderen Ebenen (wie Wortschatz, Syntax, Formenbau) zeigt sich, dass das Westjiddische seine Unabhängigkeit vom Deutschen am zügigsten in den unmittelbar inhaltstragenden Teilen der Sprache und erst allmählich in den rein instrumentellen Teilen, also den Formen und Lauten, erreicht hat. Diese auf direktem Studium der älteren Texte beruhenden Befunde werden dann synthetisiert mit den Befunden einerseits der retrospektiven Sprachgeographie des Westjiddischen, andererseits mit unserem historischen Wissen über jüdische Sprecherbewegungen innerhalb des westjiddischen Bereichs. Ferner wird eine Lokalisierungsmethode entwickelt, bei der ältere westjiddische Texte zum ersten Mal nicht einfach behandelt werden, als ob sie gleichzeitig deutsche wären.
Das Schlusskapitel gliedert die Gesamtheit der beobachteten graphematischen und phonematischen Sprachveränderungen nach wenigen pragmalinguistisch einsichtigen Grundkategorien auf: Sprachgeschichte als Lehre von den universalen und den je speziellen Triebkräften der Änderungen Menschlicher Kommunikation.