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15. Interaktion und soziale Rollen

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Grundlagen der Sozialpsychologie
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15 Interaktion und sozialeRollen15.1VororientierungAuch in diesem Kapitel geht es umnormativeErwartungen: jenen spezifischen Typ norma-tiver Erwartungen,die mit sozialen Positionen verknüpft sind und deren Bündelung gewöhn-lich mit dem Begriff der sozialen Rolle bezeichnet wird.In der Wissenschaftsgeschichte der Rollentheorie zeigt sich ganz deutlich ein Zusammenhangzwischen den verwendeten Begriffen der Theorie und dem von Wissenschaftlern alssozialesProblembegriffenen Gegenstand, wobeidie historische Vorläufigkeit dieser Probleme imRegelfall unterschätzt oder gar übersehen wurde.So stand in einer Frühphase der AspektderAnpassungan ein vorausgesetztes Sozialsystemim Vordergrund, während das rollentheoreti-sche Interesse der späten 60er und 70er Jahre eher geprägt war durch die sozialphilosophischeVorstellung des durch die „Gesellschaft“ seiner individuellen Freiheit beraubten Individuums.Die Analogie dieser zeitspezifischen Akzentuierungen des Relevanzbereiches der Rollen-theorie zum jeweiligen „Zeitgeist“ ist u.E. ebensooffensichtlich wie die GefahrideologischerEintrübung.Wenn also von einer mehr oder minder engen Korrespondenz zwischen Theorieentwicklungund gesellschaftlicher Entwicklung bzw. gesellschaftlichem Wandel gesprochen werden kann,dann stellt sich die Frage,ob das gegenwärtige Desinteresse1an diesem Thema ebensodurcheinen spezifischen „Zeitgeist“ erklärt werdenkann. Möglicherweise hat dieses Desinteressesogar mit einer sozialen Entwicklung zu tun, die rollentheoretisch recht gut beschreibbar ist.Sehenwir einmal von den für den Interaktionismus typischen Aspekten der Rollentheorie(z.B. der expressive Gehalt von Rollen sowie das Typisierungserfordernis in unstrukturiertensozialen Situationen) ab, so behandelt die Rollentheorie Aspektedes sozialenHandelns,diedas Ausmaßsozialer Verpflichtung, der sozialen Reziprozität usw. zum Gegenstand haben.Insgesamt sind dies alles Aspekte, die die „Kontrollillusion“ jedes einzelnen Individuums„untergraben“ und insofern nichtvon der „Emanzipation des Individuumsvon derGesellschaft“, sonderneher von der gesellschaftlichen Verpflichtung des Individuumshandeln. Nachdem sich die zwischen 1968und 1975im Vordergrund stehendeemanzipatorische, mit dem „Zeitgeist“ in Einklang befindliche Perspektive erschöpft hat,scheint uns diese zweite Perspektive gegenwärtig wegenihrer „konservativen“ Implikationennicht en vogue zu sein.1Während noch bei SEC ORD&BACKMAN(erstmals1964) das Kapitel„Soziale Rolle“über 70 Seitenfüllte,bleibt dieses Themainmodernen Lehrbüchern so gut wieausgespart(Beispiel HERKNER1991, der etwa 90Spaltendem Selbstkonzept widmet,während das Stichwort„Rolle“noch nicht einmal im Stichwortverzeichnisauftaucht). Ähnliches gilt fürdie Soziologie(vgl.den Abgesang etwa von BIDDLE1986 oder SCHÜLEIN1989).

15 Interaktion und sozialeRollen15.1VororientierungAuch in diesem Kapitel geht es umnormativeErwartungen: jenen spezifischen Typ norma-tiver Erwartungen,die mit sozialen Positionen verknüpft sind und deren Bündelung gewöhn-lich mit dem Begriff der sozialen Rolle bezeichnet wird.In der Wissenschaftsgeschichte der Rollentheorie zeigt sich ganz deutlich ein Zusammenhangzwischen den verwendeten Begriffen der Theorie und dem von Wissenschaftlern alssozialesProblembegriffenen Gegenstand, wobeidie historische Vorläufigkeit dieser Probleme imRegelfall unterschätzt oder gar übersehen wurde.So stand in einer Frühphase der AspektderAnpassungan ein vorausgesetztes Sozialsystemim Vordergrund, während das rollentheoreti-sche Interesse der späten 60er und 70er Jahre eher geprägt war durch die sozialphilosophischeVorstellung des durch die „Gesellschaft“ seiner individuellen Freiheit beraubten Individuums.Die Analogie dieser zeitspezifischen Akzentuierungen des Relevanzbereiches der Rollen-theorie zum jeweiligen „Zeitgeist“ ist u.E. ebensooffensichtlich wie die GefahrideologischerEintrübung.Wenn also von einer mehr oder minder engen Korrespondenz zwischen Theorieentwicklungund gesellschaftlicher Entwicklung bzw. gesellschaftlichem Wandel gesprochen werden kann,dann stellt sich die Frage,ob das gegenwärtige Desinteresse1an diesem Thema ebensodurcheinen spezifischen „Zeitgeist“ erklärt werdenkann. Möglicherweise hat dieses Desinteressesogar mit einer sozialen Entwicklung zu tun, die rollentheoretisch recht gut beschreibbar ist.Sehenwir einmal von den für den Interaktionismus typischen Aspekten der Rollentheorie(z.B. der expressive Gehalt von Rollen sowie das Typisierungserfordernis in unstrukturiertensozialen Situationen) ab, so behandelt die Rollentheorie Aspektedes sozialenHandelns,diedas Ausmaßsozialer Verpflichtung, der sozialen Reziprozität usw. zum Gegenstand haben.Insgesamt sind dies alles Aspekte, die die „Kontrollillusion“ jedes einzelnen Individuums„untergraben“ und insofern nichtvon der „Emanzipation des Individuumsvon derGesellschaft“, sonderneher von der gesellschaftlichen Verpflichtung des Individuumshandeln. Nachdem sich die zwischen 1968und 1975im Vordergrund stehendeemanzipatorische, mit dem „Zeitgeist“ in Einklang befindliche Perspektive erschöpft hat,scheint uns diese zweite Perspektive gegenwärtig wegenihrer „konservativen“ Implikationennicht en vogue zu sein.1Während noch bei SEC ORD&BACKMAN(erstmals1964) das Kapitel„Soziale Rolle“über 70 Seitenfüllte,bleibt dieses Themainmodernen Lehrbüchern so gut wieausgespart(Beispiel HERKNER1991, der etwa 90Spaltendem Selbstkonzept widmet,während das Stichwort„Rolle“noch nicht einmal im Stichwortverzeichnisauftaucht). Ähnliches gilt fürdie Soziologie(vgl.den Abgesang etwa von BIDDLE1986 oder SCHÜLEIN1989).
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