Home Nina-Maria Klug & Sina Lautenschläger (Hg.). 2023. True Love. Sprache(n) der Liebe in Text und Gespräch (Europäische Studien zur Textlinguistik 23). Tübingen: Narr Francke Attempto. 322 S.
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Nina-Maria Klug & Sina Lautenschläger (Hg.). 2023. True Love. Sprache(n) der Liebe in Text und Gespräch (Europäische Studien zur Textlinguistik 23). Tübingen: Narr Francke Attempto. 322 S.

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Published/Copyright: October 9, 2025

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Nina-Maria Klug & Sina Lautenschläger (Hg.). 2023. True Love. Sprache(n) der Liebe in Text und Gespräch (Europäische Studien zur Textlinguistik 23). Tübingen: Narr Francke Attempto. 322 S.


Spätestens seit dem „affective turn“ (Reckwitz 2012: 24) sind ‚Emotionen‘ und ‚Gefühle‘ zum Gegenstand sozial- und geisteswissenschaftlicher und damit auch linguistischer Forschung geworden. Inzwischen liegen zahlreiche Arbeiten dazu vor (vgl. z. B. Fiehler 1990, Schwarz-Friesel 2013, Ortner 2014, um nur einige wenige zu nennen); mit Blick auf die spezifische und gemäß Herausgeber:innen „besonders starke Beziehungsemotion“ (S. 7) Liebe ist die Forschungslage allerdings trotz der frühen und grundlegenden Arbeiten von Leisi (1978) und Auer (1988) noch immer relativ überschaubar. Dieser Lücke wollen sich die Herausgeber:innen des Sammelbandes annehmen, mit dem Ziel, „verschiedene Sprachen der Liebe und deren beziehungsbezogenem Potential“ (S. 8) in den Blick zu nehmen und dabei sowohl zugrundeliegende kulturelle Emotionsregeln und (nicht)sprachliche sowie multimodale Praktiken zu berücksichtigen.

Ob oder warum diese Liebe (bzw. Love) wie im Titel angekündigt True ist oder sein soll, wird dabei in der kurzen Einleitung durch die Herausgeberinnen nicht thematisiert und auch nur in einem der Beiträge aufgegriffen, wobei die dort vorgenommene Authentizitätszuschreibung durchaus kritisch betrachtet werden kann (siehe unten). Ohnehin wäre jedenfalls eine etwas ausführlichere Kontextualisierung des Themas mit (stärkerem) Bezug auf die vorhandenen linguistischen Arbeiten zu Liebe in der Einleitung für die weitere Lektüre zur Kontextualisierung hilfreich gewesen.

Die Beiträge des Bandes

Der Band enthält neben der erwähnten Einleitung insgesamt 11 Beiträge. Den Anfang macht ein Aufsatz von Florian Busch, der sich mit metatemporalen Diskursen in der Online-Dating-Kommunikation auseinandersetzt und dabei anhand eines Korpus von Lifestyle-Magazinen, Online-Foren und YouTube-Videos chrononormative Ideologien herausarbeitet. Der theoretisch breit fundierte und klar fokussierte Beitrag knüpft dabei an internationale Forschung zum Online-Dating an und belegt darauf aufbauend empirisch die sozial hoch bedeutsame Rolle von Zeitlichkeit im Sinne einer sozialen „Indexikalität temporaler Gestalten“ (S. 27) und bestimmter kommunikativer Rhythmen in der digitalen Dating-Kommunikation. Eine explorative Fallstudie am Ende des Beitrags untermauert die qualitativ herausgearbeiteten Erkenntnisse mithilfe korpuslinguistischer Analysen im Weiteren quantitativ.

Der zweite Beitrag des Bandes schließt thematisch daran an und stammt von einer der beiden Herausgeberinnen, Sina Lautenschläger, die sich aus text- und genderlinguistischer Perspektive mit Ratgebertexten zur Flirt- und Courtship-Kommunikation und den darin reproduzierten Geschlechterstereotypen beschäftigt. Die Analyse macht deutlich, wie dominant solche (biologisierenden) Stereotype gerade mit Blick auf heteronormative Beziehungskonstellationen noch immer sind. Aufschlussreich wäre allenfalls eine vertieftere Reflexion bzw. Problematisierung des Analysekorpus gewesen: Die zur Zusammenstellung des Korpus bei Google eingegebene Frage (Wie erobere ich ihr Herz? Wie erobere ich sein Herz?) weist ja durchaus in eine bestimmte (auch geschlechtsstereotype und gendernormative) Richtung, die gemäß der Definition der Autorin in Kapitel 2.2 eher der Court- denn der Flirtkommunikation zuzurechnen ist. Die in Kap. 4 vorgestellte Topos-Analyse (wobei es in Abb. 1 wohl eher strittige statt stritte These heißen müsste) kommt außerdem in dieser Form in der Analyse nicht mehr explizit zur Anwendung – die in den Ratgebern zugrunde gelegten Stereotype werden ja vielmehr gerade als unstrittig dargestellt, wie die Autorin überzeugend herausarbeitet.

Nach diesem ersten Block zur (digitalen) Dating- und Flirt-Kommunikation folgen drei Beiträge, die sich mit Liebe im Zusammenhang mit dem Tod auseinandersetzen. Christina Siever befasst sich zunächst mit Trauer um Sternenkinder auf der Plattform X/Twitter. Dazu wertet sie Hashtags und Emojis in Tweets, die die Zeichenfolge sternenkind enthalten, quantitativ aus. Die empirisch fundierte Analyse veranschaulicht den musterhaften Zusammenhang von Trauer und Liebe in digitalen Äußerungen zum Kindsverlust. Allerdings bleibt sie stellenweise etwas deskriptiv; eine vertiefte Interpretation der Ergebnisse mit (stärkerem) Rückgriff auf vorhandene Studien (z. B. Stukenbrock 2013) und theoretische Ansätze wäre womöglich aufschlussreich gewesen. Die ausführlichen Beschreibungen von X/Twitter in Abschnitt 3 und 4 hätte man dafür etwas kürzen können.

Die zweite Herausgeberin, Nina-Maria Klug, untersucht ihrerseits Praktiken postmortaler Beziehungspflege in einem Bestattungswald auf Basis einer Sammlung von Texten und Texttafeln an und bei Baumgräbern. Die Autorin zeigt in ihrer ebenso sorgfältigen wie berührenden Analyse auf, wie die (multimodale) textuelle Kommunikation mit den Verstorbenen, auch mithilfe von durch die Nutzungsordnung des Friedwalds eigentlich ‚verbotenen‘ Texten, über den Tod hinaus ‚aufrechterhalten‘ wird. Dabei spielen neben der Herstellung von Intimität und dem Lokalisieren der Verstorbenen insbesondere das Bekennen und Versichern der Liebe über den Tod hinaus eine zentrale Rolle.

Der dritte Beitrag zum Thema Tod stammt von Lisa Rhein. Sie befasst sich mit der Versprachlichung von (Liebes-)Gefühlen angesichts übernatürlicher Erschütterungen als epistemische Irritationen (z. B. Nachtod-Kontakte, Visionen u.Ä.). Die Autorin arbeitet in ihrem thematisch innovativen Beitrag zunächst theoretisch informiert heraus, wie das Schreiben selbst in solchen Situationen zur Krise wird – einerseits, weil es sich um gesellschaftlich nicht anerkannte Wissensbestände handelt, wobei es „keine konventionalisierte Textsorte oder akzeptierten Formulierungen für die Schilderungen solcher Erfahrungen“ (S. 136f.) gibt. Andererseits sind diese Erfahrungen und ihre (häufig liebesbezogenen) Interpretationen in der Regel selbst mit starken Gefühlen verbunden, die ihrerseits schwer beschreibbar gelten. Die sich anschließende Analyse basiert auf einer Datensammlung, die Briefe und E-Mails an eine parapsychologische Beratungsstelle enthält, die von der Autorin nach Gemeinsamkeiten zusammengefasst werden. Als Leserin hätte man hier gerne noch etwas mehr über die Systematik der Analyse und die im Laufe derselben angeführten (untertitelgebenden) Kategorien und ihr Zustandekommen erfahren, zumal diese sich teilweise zu überschneiden scheinen (z. B. S. 149: Worin der Unterschied zwischen Unsicherheit und Zweifel besteht, ist aus den Beispielen nicht eindeutig abzuleiten).

Nach diesem Block zum Tod folgt ein Beitrag von Tanja Škerlavaj, die Hochzeitsvideos von Influencer:innen untersucht. Dabei will die Autorin unter anderem der Frage nachgehen, „ob es sich in Hochzeitsvideos um wahre Liebe oder nur um eine Inszenierung“ (S. 157) handelt. Abgesehen davon, dass der linguistische Mehrwert der Beantwortung dieser Frage aus meiner Sicht eher gering ist (und die Autorin später selbst von der „Funktion Liebe“ spricht), eignet sich dafür auch die ausgewählte Datenbasis nur bedingt, folgt man gängigen Definitionen von Influencer:innen. Die zugrunde gelegte Literatur zur Multimodalität, aber auch zu YouTube, entspricht nicht dem neuesten Forschungsstand und es wird nicht abschließend klar, wie die untersuchten Videos ausgewählt wurden (auf S. 162 heißt es lediglich, dass die Reichweite dafür ausschlaggebend war) oder die im Zuge der Analyse präsentierten „kommunikative[n] Aufgaben bzw. „kommunikativen Handlungen“ (S. 165f.) zu Stande gekommen oder voneinander abzugrenzen sind. Die Darstellung der Analyse folgt aber ohnehin einer anderen Logik, indem insbesondere eine der genannten ‚Funktionen‘ entlang verschiedener Modalitäten dargestellt werden: Abschn. 5.4.1.1: geschriebene Sprache; 5.4.1.2: gesprochene Sprache; 5.4.2: bewegte Bilder, Stimme, Gestik, Mimik und Blick (so die Untertitel der Abschnitte). Ob eine solche Aufteilung für eine multimodale Analyse Sinn ergibt, sei dahingestellt, insgesamt aber ist die Systematik für die Leserin stellenweise schwer nachvollziehbar.

Den nächsten beiden Beiträgen ist gemein, dass sie sich an interdisziplinären Schnittstellen und mit unterschiedlich starker Beteiligung linguistischer Ansätze mit dem Thema Liebe auseinandersetzen. Matthias Attig beschäftigt sich in seinem (zumindest für die musikwissenschaftlich nicht bewanderte Leserin) schwer zugänglichen Beitrag mit Liebe in Mozarts Opern, die der Autor mit einer semiotischen Brille in den Blick nimmt und dabei das multimodale Zusammenspiel von Sprache, Stimme, Musik und Gestik als „musikdramatische Inszenierung von Liebesbewusstsein und Liebeserfahrung“ (S. 196) interpretiert. Aus der linguistischen Sicht der Rezensentin, die für eine angemessene Beurteilung des Beitrags zu kurz greifen mag, wäre eine Darstellung des methodischen Zugangs hilfreich gewesen.

Ähnliches gilt, was das Beurteilungsvermögen der Rezensentin anbelangt, für den Beitrag von Dorothea Horst. Aus einer vorwiegend filmwissenschaftlichen Perspektive bringt die Autorin den Liebesdiskurs in Roland Barthes‘ (1977) „Fragments d’un discours amoureux“ und im Film „Eternal Sunshine of the Spotless Mind“ (Gondry 2004) zusammen und zeigt, wie „die Vielfalt, Vieldeutigkeit und Unabgeschlossenheit von ‚Liebe‘“ (S. 215) medienspezifisch erfahrbar gemacht werden. Den beiden untersuchten Werken ist dabei gemeinsam, dass dies vor allem über die Darstellung von Liebe als etwas Nicht-Linearem – als in rekurrenten Mustern und situativen Praktiken verorteten „Redebruchstücke, Erinnerungsfetzen“ (so der Titel des Beitrags) – geschieht.

Mit dem Beitrag von Pamela Steen geht es zwar zurück auf linguistisches, dort aber disziplinär noch wenig erforschtes Terrain: Die Autorin zeigt in ihrer theoretisch fundierten Studie mithilfe medien- und gesprächslinguistischer Ansätze auf, wie Tierliebe in imagebildenden Zoo-Doku-Soaps medial und multimodal inszeniert wird. Sie arbeitet dabei anhand von drei en détail analysierten Szenen schlüssig heraus, wie Tierliebe einerseits für die Zuschauer:innen genderstereotyp anthropomorphisiert (und dabei auch romantisiert) wird, wobei die Off-Stimme eine zentrale Rolle einnimmt. Andererseits kommt es unter Verwendung entsprechenden Fachvokabulars insbesondere durch Pfleger:innen und ihrem „zoological gaze“ (S. 251) zu einer Naturalisierung und Biologisierung der als Liebe gerahmten Begegnungen zwischen den Tieren. Die Autorin argumentiert abschließend, wie dieses Framing einer positiv-emotionalisierenden Darstellung der dokumentierten Zoos dient, die im Sinne der Tiere ethisch jedoch höchst fragwürdig bleibt.

Ein innovativer Zugriff auf das Thema Liebe findet sich im Beitrag von Kristin Kuck. Sie untersucht die Thematisierung (und damit die Konzeptualisierung) von Liebe in Kinderbüchern für Kinder bis 10 Jahre, weil dort – so die Hypothese der Autorin – die „einfachsten, pointiertesten und deutlichsten Erklärungen“ (S. 266) zu finden sein müssten; an dieser Stelle wäre eine theoretische Reflexion des Erkenntniswerts didaktisierender Erklärungen in Kinderbüchern wünschenswert gewesen. Für die Analyse der drei auf Amazon in der Rubrik Kinderbücher mit ‚Liebe‘ verschlagworteten Bücher (deren Auswahlkriterien etwas deutlicher hätten benannt werden können) kombiniert die Autorin narrative und interaktionale Zugänge und stellt damit heraus, wie Liebe einerseits als vermeintlich besondere Emotion mystifiziert und im Sinne eines Unbeschreib­barkeits-Topos als nicht erklärbar konzeptualisiert wird, andererseits damit aber gleichzeitig, durch den Rückgriff auf kulturelle Emotionsregeln, „gesellschaftliche Ordnungen plausibilisiert und [...] legitimiert werden“ (S. 290).

Mit einem thematisch von Liebe im engeren Sinn etwas weiter entfernten Beitrag runden Waldemar Czachur und Steffen Pappert den Sammelband schließlich ab. Sie untersuchen in ihrem historisch und theoretisch reichhaltigen Beitrag Praktiken der zwischenstaatlichen freundschaftlichen Beziehungsgestaltung und Vergemeinschaftung anhand des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages. Dabei legen sie in ihrer Analyse Benennungspraktiken und Funktionszuschreibungen durch die (männlichen) Politiker offen und zeigen auf, welche sprachlichen Mittel zur Konstituierung einer „Wir-Gruppe“ (S. 314) eingesetzt werden. Die empirisch untermauerte sprachliche Analyse der Beispiele hätte – insbesondere im Verhältnis zum kontextualisierenden Teil -noch etwas ausführlicher ausfallen dürfen.

Fazit

Der Sammelband vereint ein breites Spektrum an thematischen und methodischen Potenzialen für die sprachwissenschaftliche (und interdisziplinäre) Auseinandersetzung mit Liebe. Insofern ist der Titel des Bandes nur bedingt zutreffend, weil die Frage nach der ‚Echtheit‘ (true love) zurecht kaum eine Rolle spielt (siehe oben) und darüber hinaus Liebe nicht nur in Text und Gespräch, sondern bspw. auch in Musik und Film untersucht wird.

Diese Breite stellt vor dem Hintergrund der Tatsache, dass ein linguistischer Sammelband zum Thema Liebe bislang ein Desiderat bildete, einerseits eine große Stärke des Bandes dar, zumal dieser thematisch sinnvoll komponiert und sorgfältig kuratiert ist. Andererseits wäre gerade aufgrund der überschaubaren Forschungslage in der germanistischen Linguistik eine ausführlicher kontextualisierende Einleitung, vielleicht auch mit Blick über die Disziplin hinaus, zentral und richtungsweisend gewesen, sodass damit im besten Fall ein gemeinsamer Rahmen für die Beiträge hätte geschaffen werden können. Nichtsdestotrotz: Wer sich in Zukunft aus linguistischer Perspektive dem gesellschaftlich fraglos besonders zentralen Thema Liebe zuwenden möchte, wird um diesen Sammelband nicht herumkommen.

Literatur

Auer, Peter. 1988. Liebeserklärungen. Oder: Über die Möglichkeiten, einen unmöglichen sprachlichen Handlungstyp zu realisieren. In: Sprache und Literatur in Wissenschaft und Unterricht 19(61), 11–31.10.30965/25890859-02001004Search in Google Scholar

Fiehler, Reinhard. 1990. Kommunikation und Emotion: theoretische und empirische Untersuchungen zur Rolle von Emotionen in der verbalen Interaktion. Berlin, New York: De Gruyter.10.1515/9783110863000Search in Google Scholar

Leisi, Ernst. 1978. Paar und Sprache. Linguistische Aspekte der Zweierbeziehung. Heidelberg: Quelle & Meyer.Search in Google Scholar

Ortner, Heike. 2014. Text und Emotion: Theorie, Methode und Anwendungsbeispiele emotionslinguistischer Textanalyse. Tübingen: Narr.Search in Google Scholar

Reckwitz, Andreas. 2012. Affektive Räume. Eine praxeologische Perspektive. In: Elisabeth Mixa & Patrick Vogl (Hg.). E-Motions. Transformationsprozesse in der Gegenwartskultur. Wien, Berlin: Turia + Kant, 23–44.Search in Google Scholar

Stukenbrock, Anja. 2013. Die Rekonstruktion potenziell traumatischer Erfahrungen: Sprachliche Verfahren zur Darstellung von Kindsverlust. In: Gesprächsforschung. Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion 14, 167–199.Search in Google Scholar

Online erschienen: 2025-10-09

© 2025 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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Downloaded on 16.10.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/zrs-2025-2032/html
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