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Elke Hentschel. 2023. Deutsch typologisch. Eine Einführung. Stuttgart: J. B. Metzler. 255 S.

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Published/Copyright: October 9, 2025

Rezensierte Publikation:

Elke Hentschel. 2023. Deutsch typologisch. Eine Einführung. Stuttgart: J. B. Metzler. 255 S.


Das rezensierte Werk versteht sich als kompakte, zugleich breit angelegte Einführung in die Sprachtypologie und zentrale grammatische Kategorien. Ziel ist es, grundlegende Konzepte systematisch zu entfalten und anhand zahlreicher Beispiele zu illustrieren, wie Sprachen strukturiert sind. Die Dreiteilung in Typologie (Kap. 1), Morphologie (Kap. 2) und Syntax (Kap. 3) folgt einer klassischen Progression von allgemeinen Klassifikationen über morphologische Markierungen bis hin zu Satzstrukturen. Damit positioniert sich der Band in einem Spannungsfeld zwischen traditioneller, stark deskriptiv geprägter Grammatikdarstellung und den Entwicklungen der modernen typologischen Sprach­wissenschaft.

Kapitel 1 startet mit einer breiten Einführung in die Sprachtypologie. Diese wird definiert als systematische Klassifikation von Sprachen anhand objektivierbarer und messbarer Kriterien. Die Gliederung ist klar strukturiert und deckt verschiedene Ebenen, nämlich phonetisch-phonologische (Kap. 1.1), morphologische (Kap. 1.2), syntaktische (Kap. 1.3), areale (Kap. 1.4), sprachhistorische (Kap. 1.5) sowie lexikalische und pragmatische (Kap. 1.6), ab. Die Darstellung beginnt mit der phonetisch-phonologischen Ebene, auf der Sprachen nach ihrem Phoneminventar, ihrer Silbenstruktur und suprasegmentalen Merkmalen wie Akzent oder Ton unterschieden werden. Besonders instruktiv ist hier die Spannbreite von Sprachen mit kleinem Phoneminventar und einfachen Silbenstrukturen (z. B. CV-Struktur im Chinesischen) bis hin zu Sprachen mit hochkomplexen Onsets und Codas (wie z. B. im Deutschen). Auch suprasegmentale Merkmale werden einbezogen: Während Akzentsprachen Bedeutungsunterschiede durch Betonung erzeugen, operieren Tonsysteme (z. B. im Chinesischen, Vietnamesischen oder Yoruba) mit lexikalisch relevanter Tonhöhe, die semantisch distinktiv wirkt.

Die morphologische Typologie wird in der Tradition Wilhelm von Humboldts entfaltet. Die Unterscheidung in isolierende, agglutinierende, flektierende und polysynthetische Sprachen ist klassisch, wird aber durch Hinweise auf Übergangsphänomene dynamisiert. So wird plausibel gemacht, dass Grammatikalisierungsprozesse dafür sorgen, dass Sprachen selten reine Typen darstellen, sondern Zwischenformen entwickeln. Exemplarisch diskutiert das Werk die Markierung nominaler Kategorien (Numerus, Kasus, Klassifikation) und verbaler Kategorien (Tempus, Aspekt, Modus, Genus Verbi) und zeigt, wie stark die morphologische Variation in unterschiedlichen Sprachfamilien ausfällt.

Auch die syntaktische Typologie wird vergleichend entfaltet. Hier stehen Wortstellungsparameter (SOV, SVO, VSO u. a.), Pro-Drop-Phänomene sowie die unterschiedliche Kodierung syntaktischer Rollen in Akkusativ- und Ergativsprachen im Mittelpunkt. Besonders gelungen ist die knappe, aber prägnante Darstellung der semantischen Rollen S(ubjekt intransitiv), A(gens transitiv) und P(atiens transitiv) und deren morphosyntaktische Umsetzung in unterschiedlichen Sprachtypen.

Über diese strukturellen Kriterien hinaus nimmt das Kapitel auch areale und genealogische Perspektiven auf. Sprachbünde wie der Balkanbund werden als Beispiele für geographisch motivierte Konvergenz dargestellt, während genealogische Klassifikationen die genetische Verwandtschaft von Sprachen herausarbeiten, paradigmatisch am Beispiel der indoeuropäischen Sprachfamilie. Historische Prozesse wie Lautwandel oder Grammatikalisierung werden als Triebkräfte sprachlicher Diversifizierung hervorgehoben. Abgeschlossen wird das Kapitel mit einem Blick auf lexikalische und pragmatische Kriterien, etwa auf den Umfang des Wortschatzes oder kulturspezifische Höflichkeitsstrategien. Positiv hervorzuheben ist, dass das Kapitel nicht bei einer reinen Wiederholung klassischer Positionen verharrt, sondern die Dynamik sprachlicher Systeme durch Prozesse wie Grammatikalisierung betont. Damit wird deutlich, dass Typologie nicht als statisches Kategoriensystem, sondern als diachrone und funktional motivierte Disziplin verstanden werden kann. Gleichwohl bleibt kritisch anzumerken, dass die Einbettung in die aktuelle Forschungslage eher knapp ausfällt. Zentralprojekte wie The World Atlas of Language Structures (Dryer & Haspelmath 2013), AUTOTYP (https://www.autotyp.uzh.ch/) oder auch großangelegte quantitative Ansätze der letzten Jahre (Croft 2022; Cathcart & Bickel 2025; Bickel 2011) werden nicht explizit herangezogen. Auch die grundlegende Diskussion um universale versus emergente Typologien (Haspelmath 2010) wird nur indirekt angesprochen. Dies schmälert zwar nicht den didaktischen Wert des Kapitels, zeigt jedoch, dass der Band methodisch und theoretisch stark im klassischen Paradigma der Typologie verankert bleibt.

Kapitel 2 behandelt die grammatischen Kategorien, die überwiegend morphologisch, jedoch häufig in enger Verzahnung mit syntaktischen Strukturen realisiert werden. Nach einer kurzen Grundlegung gliedert sich das Kapitel in nominale Kategorien, verbale Kategorien und einen Varia-Teil. Diese Einteilung folgt einem konventionellen Muster, erlaubt jedoch eine präzise und systematische Entfaltung der einzelnen Phänomene.

Die Darstellung des Numerus verdeutlicht die Spannweite von binären Oppositionen (Singular/Plural) bis hin zu komplexeren Systemen mit Dual, Paukal oder „greater plural“ (S. 38–39). Hier wäre allerdings ein Verweis auf Greenbergs klassische Universalien (Greenberg 1963) oder jüngere Arbeiten zur Animacy Hierarchy (Corbett 2000; Croft 2002) wünschenswert gewesen, um die typologische Verortung zu schärfen. Besonders gut gelingt die detaillierte Analyse des Kasussystems, das Akkusativ- und Ergativsprachen kontrastiert und diachrone Prozesse wie Kasusverlust oder Präpositionalisierung berücksichtigt. Damit zeigt das Kapitel anschaulich, wie morphologische Kategorien und syntaktische Strategien in funktionaler Interdependenz stehen.

Auch die Diskussion von Genus und Klassifikationssystemen überzeugt. Neben morphologischen Zuweisungsprinzipien wird die semantische Basis betont, zugleich aber auch die gesellschaftliche Brisanz der Genus-Sexus-Debatte (S. 88–89). Diese Verbindung von linguistischen und gesellschaftspolitischen Perspektiven ist eine Stärke des Kapitels, das an neuere Debatten in der Genderlinguistik anschließt (vgl. Günthner et al. 2012). Unter Graduierung werden Diminutiva, Augmentativa und Komparation behandelt, wobei besonders die typologische Vielfalt der Ausdrucksmittel hervorgehoben wird.

Die verbalen Kategorien sind differenziert und sprachvergleichend entfaltet. Die Tempus-Aspekt-Diskussion wird mit Bezug auf Reichenbachs Modell (1947) überzeugend dargestellt, und auch das deutsche Perfekt als Hybridform zwischen Tempus und Aspekt wird sorgfältig analysiert. Kategorien wie Modus und Diathese werden im Vergleich zwischen romanischen, slawischen und agglutinierenden Sprachen diskutiert. Auch seltenere Erscheinungen wie das unpersönliche Passiv oder das Antipassiv werden berücksichtigt. Kritisch bleibt jedoch anzumerken, dass die Behandlung der Diathese stärker von konstruktions­grammatischen Perspektiven (Goldberg 2006) hätte profitieren können, um die Gebrauchsdimension und die kognitive Motivation stärker einzubeziehen.

Im Varia-Teil werden Wortarten nach semantischen, syntaktischen und morphologischen Kriterien geordnet sowie unterschiedliche Formen der Negation dargestellt – von einfacher Markierung bis zu doppelt markierten Systemen. Hier hätte die Einbindung der Diskussion um Jespersens Zyklus (Dahl 1979) und ihre typologische Tragweite das Kapitel theoretisch weiter vertieft und die diachrone Perspektive systematisch ergänzt. Insgesamt bietet Kapitel 2 aber eine anschauliche und detailreiche Einführung in zentrale grammatische Kategorien und deren typologische Variation. Positiv hervorzuheben sind die Breite der behandelten Phänomene und die systematische Darstellung; kritisch bleibt jedoch, dass die Anbindung an aktuelle theoretische und methodische Diskussionen teilweise nur implizit erfolgt.

Kapitel 3 widmet sich der Syntax und definiert sie als „die regelbasierte Verknüpfung einzelner Elemente zu einem Gefüge, das insgesamt eine über die Bedeutung der Einzelelemente hinausgehende Bedeutung erhält“ (S. 147). Besonders gelungen ist die klare Darstellung der Argumentstruktur, einschließlich der Differenzierung zwischen zwei- und dreiwertigen Verben sowie der Gegenüberstellung akkusativer und ergativer Systeme. Damit wird anschaulich gezeigt, wie universale Rollen wie Subjekt, Agens, Patiens oder Rezipient in unter­schiedlichen Sprachsystemen morphologisch und syntaktisch kodiert werden. Auch die Diskussion der Subjekt- und Objektkategorien im Hinblick auf Belebtheit und Pronominalstatus ist instruktiv und verdeutlicht, wie stark semantische Hierarchien in syntaktische Strukturen hineinwirken.

Hervorzuheben ist zudem die Typologie der Satzmodi (Deklarativ, Interrogativ, Imperativ, Exklamativ, Optativ), die zeigt, dass Syntax nicht nur aus formalen Verknüpfungen besteht, sondern in engem Zusammenhang mit kommunikativen Funktionen steht. Die Ausführungen zu Nebensätzen, Attribut­konstruktionen und der Rolle infiniter Verbformen bieten einen differenzierten Überblick über die strukturelle Vielfalt.

Kritisch anzumerken ist jedoch, dass der Band hier überwiegend einer klassisch-strukturalistischen Sichtweise folgt. Neuere Ansätze, die Syntax stärker pragmatisch oder kognitiv rahmen, bleiben weitgehend unberücksichtigt. Die Arbeit von Steels (2011) zur emergenten, gebrauchsorientierten Grammatik hätte der Darstellung eine zusätzliche Dimension verliehen. Auch die Anschlussfähigkeit an diskurs- und konstruktionsgrammatische Perspektiven wird nicht systematisch hergestellt. Insgesamt bietet Kapitel 3 eine präzise und lehrreiche Einführung in die Grundfragen syntaktischer Strukturen und typologischer Variation. Die Stärke liegt in der klaren Systematisierung und der didaktischen Transparenz; die Schwäche in der begrenzten theoretischen Öffnung hin zu neueren funktional-pragmatischen und kognitiven Ansätzen.

Fazit: Das Werk überzeugt durch didaktische Klarheit, systematische Breite und eine anschauliche Darstellung zahlreicher Beispiele. Für die Lehre im Bachelorbereich ist es ausgesprochen geeignet, da es sowohl einen fundierten Überblick über klassische Kategorien bietet als auch zentrale typologische Konzepte nachvollziehbar einführt. Wünschenswert wäre allerdings, wenn am Ende jedes Kapitels Diskussionsfragen oder Wissensabfragen zur Verfügung stünden, um Lernanreize zu schaffen und die Stoffvermittlung stärker interaktiv zu gestalten.

Für die Forschung hingegen bleibt die Darstellung teilweise hinter dem aktuellen Stand zurück. Eine intensivere Auseinandersetzung mit computergestützten beziehungsweise künftig KI-gestützten Methoden, der Nutzung großer Sprachkorpora sowie mit interdisziplinären Verknüpfungen, etwa zur Psycholinguistik oder zu kognitiv-gebrauchsorientierten Theorien, hätte den Band theoretisch und methodisch erheblich bereichert.

Insgesamt präsentiert sich das Buch als solide Einführung in bewährter Tradition. Seine Stärke liegt in der Systematik und Zugänglichkeit, während theoretische Innovation und methodische Aktualität weniger im Vordergrund stehen.

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Online erschienen: 2025-10-09

© 2025 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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Downloaded on 16.10.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/zrs-2025-2030/html
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