Home Rolf Bergmann. 2024. Namen (Kurze Einführung in die germanistische Linguistik 32). Heidelberg: Winter. 100 S.
Article Open Access

Rolf Bergmann. 2024. Namen (Kurze Einführung in die germanistische Linguistik 32). Heidelberg: Winter. 100 S.

  • Bin Zhang EMAIL logo
Published/Copyright: October 9, 2025

Rezensierte Publikation:

Rolf Bergmann. 2024. Namen (Kurze Einführung in die germanistische Linguistik 32). Heidelberg: Winter. 100 S.


Mit seiner kompakten Einführung von 100 Seiten widerlegt Rolf Bergmann die verbreitete Auffassung, Namen seien lediglich „Schall und Rauch“ (S. 1). Der als Band 32 der Reihe „Kurze Einführung in die germanistische Linguistik“ im Verlag Winter erschienene Band überzeugt durch klare Gliederung und prägnante Darstellung. Er bietet eine systematische Einführung in die Onomastik, die Wissenschaft von den Eigennamen, und richtet sich an Studierende, Forschende sowie ein breiteres sprach- und kulturwissenschaftliches Publikum.

Der Aufbau verdeutlicht den Anspruch, zentrale Namenskategorien in sprachlicher, historischer und gesellschaftlicher Dimension zu erfassen: von Ruf- und Familiennamen über Ethnonyme, Siedlungs- und Flurnamen bis hin zu Straßennamen, Hydronymen und Sachnamen. Namen erscheinen dabei nicht als bloße Etiketten, sondern als komplexe Zeichen, die Identität stiften, Geschichte bewahren und soziale wie politische Zugehörigkeit markieren. Damit leistet das Werk einen wichtigen Beitrag sowohl zur linguistischen Grundlagenforschung als auch zur kulturhistorischen Reflexion.

Nach einer allgemeinen Einführung behandelt Bergmann acht Namentypen (Kap. 2–9). Besonders hervorzuheben ist die systematische Breite, mit der sprach-, kultur- und gesellschaftsgeschichtliche Aspekte verknüpft werden. Glossar und Sachregister erhöhen die Benutzerfreundlichkeit. Der Band eignet sich damit vor allem als kompakte Einstiegslektüre, während Spezialist*innen eine vertiefte theoretische Diskussion oder internationale Vergleichsdaten mitunter vermissen mögen.

Das erste Kapitel führt in die onomastische Terminologie und Methodik ein. Die Onomastik wird als Wissenschaft von den Eigennamen verstanden, die Personennamen, Orts- und Tiernamen sowie Sachbezeichnungen untersucht. Namen werden als sprachliche Zeichen mit Monoreferenz und Direktreferenz definiert, deren Funktion in Identifizierung und Individualisierung liegt (S. 4). Im Unterschied zu appellativischen Wörtern verfügen sie nicht über eine lexikalische, wohl aber über kategoriale, konnotative und etymologische Dimensionen (S. 6). Hervorgehoben wird zudem die Dynamik zwischen Eigennamen und Appellativen (S. 9): Durch Onymisierung können appellativische Ausdrücke zu Eigennamen werden, durch Deonymisierung wiederum in den allgemeinen Wortschatz zurückkehren. Bereits hier verweist der Autor auf die Interdisziplinarität, internationale Vernetzung und gesellschaftliche Relevanz der modernen Namenforschung.

Kapitel 2 zeigt eindrücklich, dass Rufnamen ein zentraler Bestandteil menschlicher Identität und Würde sind. Die historische Entwicklung reicht von althochdeutschen zweigliedrigen Bildungen (z. B. Siegfried, Eberhard) über biblische Namen und Heiligennamen, die im Mittelalter dominierten, bis hin zu neuzeitlichen Lehn- und Modenamen aus europäischen Sprachen wie Englisch, Französisch oder Skandinavisch. Mit der Reformation verschoben sich die Verhältnisse zugunsten biblischer Namen, während die Moderne durch Migration auch außereuropäische Einflüsse brachte (S. 23–24). Neben rechtlichen Rahmenbedingungen (Namensgebung, Änderungen, Kindeswohl) werden grammatische und pragmatische Aspekte behandelt, ebenso Variantenbildungen durch Kurzformen, Kosenamen oder Movierungen.

Kapitel 3 widmet sich den Familiennamen, die im deutschen Sprachraum seit dem 12./13. Jahrhundert entstanden und später obligatorisch wurden. Sie spiegeln rechtlich und sozial Zugehörigkeit wider: Während früher Frauen und Kinder den Namen des Mannes erhielten, sind seit 1976 auch andere Optionen wie Doppelnamen oder Bindestrichformen möglich (S. 31). Die Entstehung folgt fünf Haupttypen: Berufs-, Ruf-, Herkunfts-, Wohnstätten- und Übernamen (Kap. 3.4, S. 33–40). Besonders hervorzuheben ist die ausführliche Darstellung regionaler Unterschiede, migrationsbedingter Einflüsse und der problematischen Rolle antisemitischer Namenspraxis, die Familiennamen zur Stigmatisierung und Ausgrenzung missbrauchte.

Kapitel 4 behandelt Ethnonyme, also die Bezeichnungen von Völkern und Nationen. Die Unterscheidung zwischen Endonymen und Exonymen sowie die Analyse von Ethnophaulismen ist instruktiv und gesellschaftlich relevant. Dass abwertende Fremdbezeichnungen nicht nur diskriminieren, sondern mitunter auch positiv umgedeutet werden können (Geusennamen, S. 50), verdeutlicht die Ambivalenz sprachlicher Zuschreibungen. Besonders interessant ist Kapitel 4.3, das die Entstehung des Ethnonyms „die Deutschen“ nachzeichnet: Aus dem Adjektiv diutisk entwickelte sich im 8./9. Jahrhundert ein kollektiver Volksname, der sich zunächst auf die Volkssprache und später auch auf Land und Leute bezog (S. 52).

Kapitel 5 thematisiert die Siedlungsnamen als Unterkategorie der Toponyme. Es klärt zunächst die Begrifflichkeit (S. 54) und beschreibt die Bildungsweisen durch Simplizia, Suffixe, Komposita oder Zusätze wie -heim, -dorf oder -hausen. Orthographische Besonderheiten und historische Schichtungen (antike, früh- und hochmittelalterliche Namen) werden ebenso behandelt wie Umformungen durch Volksetymologie. Deutlich wird, dass Siedlungsnamen nicht nur sprachliche, sondern auch politische Marker sind. Auch die literarische Dimension, in der reale und fiktive Ortsnamen zur Raumerzeugung dienen, wird berücksichtigt.

Kapitel 6 zeigt, wie Flurnamen sowohl den Naturraum (Gelände, Vegetation, Tierwelt) als auch den Kulturraum (Rodung, Nutzung, Personenbezug) widerspiegeln. Damit dokumentieren sie das Wechselspiel zwischen Umweltwahrnehmung und menschlicher Eingriffstätigkeit. Besonders wertvoll sind die Hinweise auf vordeutsche, galloromanische und slawische Elemente, die Sprachkontakte und Migrationsbewegungen belegen.

Kapitel 7 hebt Straßennamen als besonders politische Kategorie hervor. Während sie im Mittelalter vor allem praktische Orientierungshilfen boten und auf Gewerbe, Topographie oder Gebäude verwiesen, wurden sie in der Neuzeit zunehmend administrativ vergeben und erhielten repräsentative und ideologische Funktionen. Besonders im 20. Jahrhundert zeigte sich ihre politische Instrumentalisierung, etwa im Nationalsozialismus, in der DDR oder in kolonial geprägten Benennungen. Damit erweist sich diese Namenskategorie als hoch­relevant für Fragen kollektiver Erinnerung und Identitätspolitik.

Kapitel 8 behandelt die Gewässernamen (Hydronyme) und verweist darauf, dass diese die älteste Namenschicht Europas bilden (S. 76). Neben Bildungsweisen und Benennungsmotiven werden historische Schichtungen ausführlich diskutiert. Besonders instruktiv ist die Darstellung der alteuropäischen Hydronymie und der Kriterien, nach denen Flussnamen wie Rhein, Donau oder Elbe als indoeuropäische Zeugnisse klassifiziert werden (S. 80).

Das abschließende Kapitel 9 widmet sich den Sachnamen, die in Ergonyme (Institutionen, Unternehmen, Kunstwerke), Praxonyme (historische Ereignisse) und Phänonyme (Naturerscheinungen) untergliedert werden. An Beispielen wie 1. FC Köln, Mein Schiff 6, Hambacher Fest oder Sturmflut wird die Vielfalt dieser Kategorie anschaulich vorgeführt.

Insgesamt überzeugt das Werk durch klare Gliederung, thematische Breite und eine Vielzahl anschaulicher Beispiele. Es zeigt eindrucksvoll, dass Namen zentrale sprachliche Zeichen sind, die Identität, Geschichte, Macht und Kultur gleichermaßen betreffen. Besonders gelungen ist die Verbindung sprachhistorischer Analysen mit gesellschaftspolitischen Fragen, etwa bei Familiennamen im Kontext von Migration oder bei Straßennamen im Kontext von Ideologie und Erinnerungskultur. Aufschlussreich ist insbesondere die Darstellung antisemitischer Namenspraxis (Kap. 3.7), in der Familiennamen gezielt zur Stigmatisierung und Ausgrenzung missbraucht wurden.

Wie aktuell die Namenforschung ist, zeigt der Streit um die Umbenennung der Berliner Mohrenstraße in Anton-Wilhelm-Amo-Straße, die im August 2025 gerichtlich gestoppt wurde (Verwaltungsgericht Berlin 2025). Hier wird deutlich, dass Straßennamen nicht nur der Orientierung dienen, sondern zugleich gesellschaftliche Erinnerungskämpfe, Fragen von Rassismus, Kolonialgeschichte und Identitätspolitik bündeln. Bergmanns Darstellung der Straßennamen (Kap. 7) gewinnt dadurch unmittelbare Brisanz.

Kritisch bleibt festzuhalten, dass die Perspektive stark auf den deutschen Sprachraum fokussiert ist. Ein Vergleich mit anderen europäischen Traditionen, etwa romanischen oder skandinavischen Ortsnamen, hätte den Horizont erweitert. Auch die methodische Reflexion über Datenbanken, GIS-gestützte Analysen oder interdisziplinäre Umweltgeschichte hätte ausführlicher betont werden können (vgl. Jantunen et al. 2022). Darüber hinaus wären aktuelle Debatten um Gender, Diversität und digitale Namenskulturen, beispielsweise Markennamen oder digitale Usernamen, eine lohnende Ergänzung gewesen. Dieses Themenfeld gewinnt in der heutigen Mediengesellschaft zunehmend an Bedeutung (vgl. Lotze und Kersten 2024; Zuvalinyenga und Bigon 2020).

Das Kapitel 4.3 „Was ist deutsch?“ zeigt anschaulich, wie sich aus einem Adjektiv ein kollektiver Volksname entwickelte. Kritisch lässt sich jedoch anmerken, dass die Verbindung zu gegenwärtigen Debatten über nationale Identität, Populismus und postmigrantische Gesellschaft noch deutlicher hätte herausgearbeitet werden können. Eine stärkere theoretische Fundierung durch semiotische Ansätze und diskursanalytische Perspektiven wäre hier wünschenswert gewesen (vgl. Niehr et al. 2020).

Trotz dieser Einschränkungen stellt das Werk insgesamt eine grundlegende und wertvolle Einführung dar, die sowohl Studierenden als auch Forschenden als Ausgangspunkt dienen kann. Es verdeutlicht eindrucksvoll, dass Onomastik nicht nur ein Teilgebiet der Sprachwissenschaft ist, sondern ein interdisziplinäres Forschungsfeld von hoher gesellschaftlicher Relevanz.

Literatur

Jantunen, Jarmo Harri, Terhi Ainiala, Salla Jokela & Jenny Tarvainen. 2022. Mapping Digital Discourses of the Capital Region of Finland: Combining Onomastics, CADS, and GIS. In: Names 70(1), 20–39.10.5195/names.2022.2289Search in Google Scholar

Lotze, Netaya & Saskia Kersten. 2024. Kapitel 9: Digitale Onomastik. In: Jannis Androutsopoulos & Friedemann Vogel (Hg.). Handbuch Sprache und digitale Kommunikation. Berlin, Boston: De Gruyter, 177–200. 10.1515/9783110744163-009Search in Google Scholar

Niehr, Thomas, Jörg Kilian & Jürgen Schiewe (Hg.). 2020. Handbuch Sprachkritik. Stuttgart: J. B. Metzler. 10.1007/978-3-476-04852-3Search in Google Scholar

Verwaltungsgericht Berlin. 2025. Umbenennung der Mohrenstraße fällt vorerst aus (Nr. 39/2025). https://www.berlin.de/gerichte/verwaltungsgericht/presse/pressemitteilungen/2025/pressemitteilung.1591864.php Search in Google Scholar

Zuvalinyenga, Dorcas & Liora Bigon. 2020. Gender-biased Street Naming in Urban Sub-Saharan Africa: Influential Factors, Features and Future Recommendations. In: Journal of Asian and African Studies 56(3), 589–609.10.1177/0021909620934825Search in Google Scholar

Online erschienen: 2025-10-09

© 2025 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Downloaded on 16.10.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/zrs-2025-2029/html
Scroll to top button