Migration und Integration in den Sozialwissenschaften
Rezensierte Publikationen:
Kirsten Hoesch, Migration und Integration. Eine Einführung. Wiesbaden: Springer VS 2018, 364 S., kt., 54,99 €
Ruud Koopmans, Assimilation oder Multikulturalismus? Bedingungen gelungener Integration. Berlin: LIT 2017, 270 S., br., 24,90 €
Die Wanderung von Menschen (Migration) und ihre Eingliederung in die Aufnahmegesellschaften (Integration) zählen zu den wichtigsten sozialen und gesellschafspolitischen Herausforderungen unserer Zeit. Der sozialwissenschaftlichen Migrations- und Integrationsforschung (Migrationsforschung) kommt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle zu, die bislang nur unzureichend wahrgenommen wird. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Migrationsforschung innerhalb der Soziologie, Kultur- und Sozialanthropologie, Politikwissenschaften und verwandten Disziplinen national und international professionalisiert und einen breiten Fundus an Konzepten und Methoden zum Verständnis, zur Erforschung und zum praktischen Umgang mit Migration und Integration erarbeitet. Von der großen Relevanz, die Migration als Gegenstand der Sozialwissenschaften mittlerweile besitzt, zeugen auch die zahlreichen spezifischen Forschungsinstitute (z. B. das neu gegründete Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung), Studiengänge, Sektionen von wissenschaftlichen Verbänden sowie Professuren in vielen Europäischen Gesellschaften und im globalen Kontext.
Die sozialwissenschaftliche Migrationsforschung ist gekennzeichnet von einer großen Breite im Zugang zu ihrem Thema. Vor allem die Frage, wie die Integration von MigrantInnen in die Aufnahmegesellschaft gelingen kann, spaltet die Migrationsforschung in zwei Lager. Im schärfsten Kontrast stehen klassische Perspektiven der Assimilation (z. B. Esser, 2009) und multikulturalistische Perspektiven (z. B. Vertovec/Wessendorf, 2010), Perspektiven, die auch in der gesellschaftspolitischen Debatte in einem scharfen Kontrast stehen. Auf der einen Seite wird Integration dann als erfolgreich bewertet, wenn eine Assimilation gelingt, das heißt eine Angleichung von Aufnahmegesellschaft und MigrantInnen erfolgt, wobei von MigrantInnen mehr Angleichungsprozesse eingefordert werden. Auf der anderen Seite wird Integration dann als erfolgreich bewertet, wenn zwischen Aufnahmegesellschaft und MigrantInnen kulturelle Unterschiede bestehen bleiben und eine multikulturelle Gesellschaft gepflegt wird. Die Integration von MigrantInnen spielt auch in den hier besprochenen aktuellen Büchern von Kirsten Hoesch „Migration und Integration. Eine Einführung“ und Ruud Koopmans „Assimilation oder Multikulturalismus? Bedingungen gelungener Integration“ eine wichtige Rolle. Insofern wird diese Doppelbesprechung die Herangehensweisen der beiden Bücher zum Thema der Integration beleuchten. Aber auch abseits dieser Frage wird diese Rezension jedes Buch ausreichend darstellen, um den LeserInnen einen profunden Einblick in die Lektüre verschaffen zu können.
Die Monografie der Politologin und Migrationsforscherin Kirsten Hoesch „Migration und Integration. Eine Einführung“ beansprucht eine Einführung in das breite Feld der internationalen Migration und Integration zu sein. Ihr Ziel ist es, „Wissen zum Themenbereich Migration und Integration zu systematisieren und mit Verweis auf die Erkenntnisse der empirischen Migrationsforschung allgemeinverständlich zu präsentieren“ (8). Das Buch gliedert sich in drei inhaltliche Hauptteile. Der erste Teil stellt eine klassische Einführung in die sozialwissenschaftliche, vor allem soziologische Migrationsforschung dar. Mit dem thematischen Zuschnitt im Teil I ähnelt das Buch auch anderen viel gelesenen Einführungstexten in die Migrationsforschung im deutschsprachigen Raum (z. B. Han, 2016; Düvell, 2006; Reinprecht/Weiss, 2008). Hoesch behandelt in einem ersten Kapitel die zentralen Begriffe und Definitionen von Migration und Integration sowie verschiedene Formen, Typen und Muster von Migration (z. B. Migration von Hochqualifizierten, 46–51). In einem zweiten Kapitel stellt Hoesch die wichtigsten Migrations- und Integrationstheorien dar. Der zweite Teil ihres Buches widmet sich der Migration und Integration in internationaler Perspektive. Dieser Teil repräsentiert vor allem den politikwissenschaftlichen Zugang der Migrationsforschung, indem die Regulierung von Migration und Integration und ihre gesellschaftspolitische Wahrnehmung thematisiert wird, zum Beispiel anhand eines Kontrastes zwischen nationalen Migrationsdiskursen in klassischen und jüngeren Einwanderungsländern (144–157). Teil III behandelt Migration und Integration in Deutschland nach 1945. Hoesch zeichnet in einem ersten Kapitel die Migrationspolitik und -diskurse in den letzten Jahrzehnten in Deutschland nach, einschließlich eines seltenen Exkurses in die Migration in der DDR und in Ostdeutschland (295–300). In einem zweiten Kapitel stellt Hoesch die Frage „Wer macht wie Migrationspolitik in Deutschland?“ und beschäftigt sich mit den AkteurInnen, Interessen und Problemen der deutschen Migrationspolitik. Das Buch schließt mit einem fragenden Ausblick, was eigentlich ‚gute‘ Migrationspolitik sei. Für die Vermittlung von Detailwissen verwendet Hoesch abseits des bereits sehr detailreichen Fließtextes einerseits sogenannte Info-Kästen (z. B. „Übersicht fremdenfeindlicher Angriffe 1991–1993“: 254), andererseits sogenannte Denkzettel (z. B. „Der Streit ums Kopftuch zwischen den föderalen Ebenen“: 301–302). Letztere sind mit dem Ziel verbunden, „in pointierter Form anhand eines Beispiels/einer Merkwürdigkeit/eines nicht-intendierten Effekts bei den Leser_innen einen ‚Aha-Effekt‘ auszulösen“ (9). In einem Online-Anhang (OnlinePlus) bietet Hoesch Zusatzinformationen zu einzelnen Kapiteln (wie etwa wichtige Datenquellen zur statistischen Erfassung von Migration) sowie Empfehlungen zu weiterführender Literatur, Journals und Internet-Quellen.
Der breite Anspruch der Autorin kann erfolgreich eingelöst werden. Hoesch gelingt es, viele wichtige Bereiche und Herausforderungen der Migrationsforschung zu thematisieren und ihr Buch eignet sich gut für die Lehre als ein Einführungsbuch in die sozialwissenschaftliche Migrationsforschung. Mit Blick auf die Inhalte des Buches handelt es sich dennoch um kein klassisches Einführungsbuch, das „nur“ in die zentralen Begriffe, Theorien, Methoden und Forschungsfelder der Migrationsforschung einführt. Denn zugleich handelt es sich bei „Migration und Integration“ um eine sehr detailreiche Lektüre zum historischen und aktuellen Verständnis von Migration und Integration. Viele zentrale Themen, wie etwa die Regulierung von Arbeitsmigration, werden anhand konkreter Beispiele ausführlich dargestellt und bewertet, wie etwa mittels des kanadischen Punktesystems zur Regulierung von Arbeitsmigration (168–171). Außerdem greift die Autorin auch Inhalte detailliert auf, die ansonsten nicht in einer solch vollständigen und systematischen Weise präsentiert werden, beispielsweise die gesetzlichen Regulierungen der Familienzusammenführung, die Hoesch als „quantitativ bedeutsamste Kategorie“ der Migration in den meisten Staaten kennzeichnet (34–38) oder die Entstehung und Bewertung des Zuwanderungsgesetzes in Deutschland (267–274). In der über weite Strecken des Buches sehr umfangreichen, informativen, detailreichen, aktuellen und historischen Darstellung sowie Bewertung von Migration und Integration liegt auch die besondere Stärke des Buches von Hoesch. Damit hebt sich „Migration und Integration“ auch von anderen bisherigen Einführungsbüchern in die Migrationsforschung im deutschsprachigen Raum deutlich ab. Diese Stärke und dieses Alleinstellungsmerkmal schlägt aber zugleich auch in die größte Schwäche des Buches um. Für StudienanfängerInnen und thematisch Interessierte, die sich innerhalb weniger Tage einen Überblick über die Migrations- und Integrationsforschung verschaffen wollen, ist dieses Buch etwas überfordernd und etwas wenig kohärent. Schon die Einleitung, die eigentlich nur einen kurzen Überblick über die Idee und den Inhalt des Buches schaffen sollte, verliert sich in einer detailreichen Darstellung der europäischen „Flüchtlingskrise“ (1–9). Ja, oftmals gewinnt man den Eindruck, als ob Hoesch um jeden Preis all ihr zweifellos umfangreiches Wissen zum Thema im Buch unterbringen wollte. Während die einzelnen Abschnitte in sich schlüssig argumentiert sind, gelingt ein sich erschließender roter Faden innerhalb und zwischen den einzelnen Kapitel nicht immer. Besonders kritisch ist in dieser Hinsicht die inhaltliche Zusammenstellung des Teils III zu bewerten, wo sich unter der Hauptüberschrift von Kapitel 6 „Wer macht wie Migrationspolitik in Deutschland? Akteur_innen, Interessen, Probleme“ am Ende plötzlich ein umfassendes Kapitel zum Islam in Deutschland findet (ab 318). Auch das unklare Stilmittel des Denkzettels scheint sich dahingehend zu erklären, dass die Autorin unter diesem Sammelbegriff all ihre einzelnen Wissensbestände sowie Lehrmaterialien noch unterbringen wollte. Bei einer Neuauflage dieses Buches könnte der Grundsatz „Weniger ist Mehr“ berücksichtigt werden. Das ist aber eine Frage der Zielgruppe dieses Buches, die sich mir nicht vollständig ableiten lässt.
Ruud Koopmans vertritt in seinem Buch „Assimilation oder Multikulturalismus? Bedingungen gelungener Integration“ eine eher kritische Sichtweise auf Migration und ihre Konsequenzen. Im ersten Teil des Buches möchte der Autor in mehreren Kapiteln seine zentralen Schlussfolgerungen in einem größeren Kontext darstellen. Die Motivation für seine Studie gründet in seiner Feststellung, dass die auf den Multikulturalismus gesetzte Integrationspolitik in den Niederlanden gescheitert ist und in der Frage nach den Ursachen des islamischen Extremismus. Zu Beginn legt Koopmans seine Vorstellung von den Bedingungen einer gelungenen Integration und sein wissenschaftliches Programm, die Assimilationsforschung, offen: „Wenn sich die Arbeitsmarktposition und die Bildungsabschlüsse von Personen mit und ohne Migrationshintergrund nicht länger unterscheiden, kann man sowohl von ‚Assimilation‘ als auch von ‚Integration‘ reden. Der Unterschied zwischen den beiden Begriffen ist aber, dass ‚Assimilation‘ neben diesen sozialstrukturellen Aspekten (Arbeit, Bildung, Wohnqualität, Einkommen usw.) auch einen kulturellen Aspekt hat. Das Integrationskonzept nimmt an, dass Kultur für die Integration auf den Arbeitsmarkt und im Bildungssystem irrelevant ist. Theorien der Assimilation stellen dagegen explizit die Frage, inwiefern ein gewisses Ausmaß an kultureller Assimilation eine Voraussetzung ist für strukturelle Assimilation“ (16). Koopmans beschäftigt sich darauffolgend theoretisch sowie auf Basis von internationalen Studien und Statistiken mit der Rolle des Sozialstaates für Integrationsprozesse von MigrantInnen. Er vergleicht kontinentaleuropäische und angelsächsische Länder und beurteilt die in Europa teilweise vorzufindende Kombination von multikultureller Gesellschaft und ausgeprägtem Wohlfahrtsstaat als besonders kritisch: „In Kontinentaleuropa enden dagegen viele Zuwanderer, die an das [...] multikulturelle Märchen glauben, in den Sackgassen des Wohlfahrtsstaates“ (24). Daran anschließend setzt sich Koopmans mit Asylstatistiken zur neueren Fluchtwanderung nach Europa sowie den Zielen von Asylpolitik auseinander. Er kontrastiert die europäische Situation mit jener in Kanada und den USA und er bewertet die europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik als ineffizient und ungerecht. Das vierte und fünfte Kapitel thematisieren den Islam und muslimische MigrantInnen, die Hauptuntersuchungs- und problemgruppe aus Sicht von Koopmans. In seiner Auseinandersetzung mit diesem Themenfeld greift Koopmans auf eigene und andere empirische Studien (Umfragen oder einen Index des Freedom House Instituts) zurück. Der Autor argumentiert auf dieser Grundlage, dass religiöser Fundamentalismus und in weiterer Folge Gewaltbereitschaft unter MuslimInnen in Europa weit verbreitet sind und nicht als Folge von Diskriminierung oder soziökonomischen Integrationsdefiziten, sondern als Folge des Islams selbst aufzufassen sind. Und im fünften Kapitel, dass Intoleranz und die Verfolgung von Minderheiten in der islamischen Welt eine überaus große Rolle spielen und der Islam eines Heilungsprozesses bedarf. Das sechste Kapitel beschäftigt sich dann mit dem Verhältnis von kulturellen Minderheiten- und Mehrheitsrechten. Der zweite Teil des Buches beinhaltet „vier wissenschaftliche Aufsätze, welche die Kernthemen des Buches ausführlicher und auf der Grundlage empirischer Daten und einer Auseinandersetzung mit der akademischen Literatur diskutieren“ (9). Drei dieser Kapitel (bis auf das Schlussplädoyer) waren vor 2017 bereits in Englisch in der Fachzeitschrift „Journal of Ethnic and Migration Studies“ erschienen. Im siebten Kapitel, das mit Blick auf sein Erkenntnisinteresse als besonders zentral erscheint, kommt Koopmans auf Basis eigener quantitativer Analysen zu dem Ergebnis, dass soziokulturelle Merkmale einen großen Teil der Arbeitsmarktunterschiede zwischen muslimischen Zuwanderern und Einheimischen in Europa erklären. Im achten Kapitel findet Koopmans mit Blick auf eine Reihe von Statistiken Hinweise dafür, dass Multikulturalismus in Verbindung mit einem starken Wohlfahrtsstaat „eine geringe Beschäftigungsquote, einen hohen Grad an räumlicher Segregation und eine relativ starke Überrepräsentation von Zuwanderern unter den Inhaftierten zur Folge hat“ (115). Ein anschließendes Kapitel beschäftigt sich empirisch mit religiösem Fundamentalismus und Fremdenfeindlichkeit, wobei MuslimInnen und ChristInnen in Westeuropa verglichen werden. Eines der zentralen Ergebnisse seiner quantitativen Analysen ist, dass bei MuslimInnen „die Ablehnung von Fremdgruppen generell höher als unter Christen“ ist (190). Das letzte Kapitel versucht rechtsphilosophisch zu argumentieren, dass die Mehrheit ein Recht auf ihre eigene Kultur hat und dieser im Streitfall (z. B. Kopftuchstreit) mehr Gewicht zukommen sollte als jener der Minderheit, denn die Welt sei „kein universalistischer flacher Pfannkuchen, in dem Geschichte, Traditionen und Bezug zur Heimat normativ irrelevant sind“ (221).
Das Vorhaben von Koopmans, seine Studien der letzten Jahre sowohl übergreifend (erster Teil) als auch originalgetreu darzustellen (zweiter Teil), ist klar. Die Gliederung des Buches erweist sich dennoch als etwas mühsam, da bereits der erste Teil empirisch geprägt ist und auch noch im zweiten Teil viele Schlussfolgerungen getroffen werden. Man kann daher nicht gut unterscheiden zwischen der vermeintlich abstrakten und empirischen Ebene des Buches. Eine seiner wichtigen Fragen ist, ob es einen Zusammenhang zwischen der kulturellen und der strukturellen Integration (Arbeitsmarkt, Bildungssystem etc.) gibt. Während Koopmans in der Auseinandersetzung mit diesem gesellschaftspolitisch aufgeladenen Thema einerseits sichtlich versucht, eine wissenschaftliche, d. h. empirisch fundierte und nüchterne Perspektive zu liefern (was sehr wichtig ist), fallen seine getroffenen Schlussfolgerungen teilweise etwas zu stark aus. Beispielsweise sei eine „erfolgreiche Arbeitsmarktintegration eine Folge soziokultureller Assimilation“ (76). Der schwierig zu messende Fall, dass die Arbeitsmarktunterschiede zwischen Einheimischen und muslimischen MigrantInnen auch in Teilen auf Diskriminierung zurückzuführen sind (etwa dadurch, dass Einheimische keine nützlichen sozialen Beziehungen mit muslimischen MigrantInnen eingehen wollen), wird aber am Ende des Beitrages noch erwähnt (109). Der Schutz der kulturellen Vorherrschaft der Aufnahme- oder Mehrheitsgesellschaft liegt Koopmans am Herzen. Etwas zu vereinfachend ist in diesem Zusammenhang aber seine folgende Empfehlung: „Sorbisch-, friesisch- und deutschsprachige Deutsche haben, ungeachtet ihrer zahlenmäßigen Größe, gleichwertige kulturelle Ansprüche, da sie alle eine lange Geschichte mit ihrer Heimat verbindet und sie keinen anderen Ort auf der Erde haben, wo ihre Sprache, Kultur und Feiertage das öffentliche Leben prägen. Bosnisch- oder türkischstämmige Deutsche sollten zwar die gleichen individuellen Rechte haben wie jeder andere Deutsche, sie können aber nicht die gleichen kulturellen Rechte beanspruchen. Wenn sie vollständig als Bosnier oder Türke leben wollen, haben sie immer die Möglichkeit, dies in Bosnien oder in der Türkei zu tun“ (69). Denn wie soll eine Gesellschaft einen sozialen Zusammenhalt entwickeln, wenn sie schon per Gesetz in unterschiedliche Lager aufgespalten wird? Wohin sollen Geflüchtete zurückkehren, die ihr Heimatland verlassen mussten, weil sie dort aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit verfolgt werden? Insgesamt liefert Koopmans auf der Basis von amtlichen Statistiken, eigenen Umfragen und empirischen Analysen aber wichtige Einblicke in die Rolle und den hohen Stellenwert von soziokulturellen Ressourcen und Einstellungen (wie Sprachkenntnissen oder Geschlechtervorstellungen) für den Integrationserfolg von MigrantInnen.
Sowohl Hoesch als auch Koopmans liefern einen Einblick in wichtige aktuelle Herausforderungen von Migration und Integration, wie etwa die neuere Fluchtwanderung nach Europa oder die Integration von muslimischen MigrantInnen in die westeuropäischen Gesellschaften. Dies kann als die zentrale Gemeinsamkeit dieser beiden aktuellen Bücher der sozialwissenschaftlichen Migrationsforschung identifiziert werden. Während das Buch von Hoesch einen breiten Überblick über viele wichtige Themen der heutigen sozialwissenschaftlichen Migrationsforschung bietet, ist das Buch von Koopmans relativ stark zugeschnitten auf die Frage der Integration von muslimischen MigrantInnen in die westeuropäischen Gesellschaften. Insgesamt betrachtet wirft Hoesch eine eher positive und Koopmans eine eher negative Sichtweise auf die Migration und ihre Folgen. Das Buch von Hoesch will aufzeigen, dass die Herausforderungen von Migration und Integration in komplexe gesellschaftliche Prozesse eingebunden und einfache Antworten fehl am Platz sind. Für Koopmans liegen die Antworten, wie Migration und Integration zu regulieren sind, hingegen oftmals auf der Hand. Ein auffälliger Unterschied zwischen den Büchern liegt in der Darstellung und Bewertung der Integration von muslimischen MigrantInnen in Deutschland, der uns zurückbringt zu einer der wesentlichen Debatten in der Migrationsforschung, die Frage nach der Bewertung der Integration von MigrantInnen. Während sich die beiden Bücher zwar noch darin einig sind, dass Defizite in der Arbeitsmarktintegration von MigrantInnen in Deutschland existieren, wenngleich diese in Deutschland im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern (darunter Belgien, Frankreich, Niederlande und Schweden) vergleichsweise gut funktioniert (Hoesch: 175, 331; Koopmans: 135), weicht die Darstellung und Bewertung der Werthaltungen von islamischen MigrantInnen in Deutschland deutlich voneinander ab. Hoesch bezieht sich vor allem auf eine Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2015 sowie eine Studie von Sonja Haug et al. aus dem Jahr 2009. Die Autorin gibt ein positives Bild des kulturellen Lebens und der Werthaltungen muslimischer MigrantInnen in Deutschland ab und – das muss man an der Stelle sagen – färbt manche Statistiken in ihrer Interpretation schön. Zum Beispiel kommt sie zum Schluss, dass wenn rund 92 Prozent der Musliminnen in Deutschland ein Kopftuch aus religiöser Pflicht tragen, 43 Prozent ein Kopftuch Sicherheit vermittelt und sieben Prozent dies aufgrund von Erwartungen/Forderungen des Partners bzw. jeweils fünf Prozent dies aufgrund der Familie und der Umwelt tun, die repräsentative Befragung zeigt, „dass Muslim_innen ganz überwiegend selbstbestimmt über das Kopftuch entscheiden [...]. Nur unter sieben Prozent geben an, damit den Erwartungen ihres Partners, der Familie oder der Umwelt entsprechen zu müssen“ (331). Dabei handelt es sich doch bei allen hier beispielhaft zitierten Gründen sozialwissenschaftlich betrachtet um Normen, denen man bewusst oder unbewusst gerecht werden muss. Koopmans liefert hingegen eine schonungslose Darstellung der Werthaltungen muslimischer MigrantInnen, wenn er etwa schreibt, „dass eine große Mehrheit der Muslime Gewalt für religiöse Zwecke ablehnt. Aber die Gruppe, die Gewalt wohl gutheißt, ist keineswegs vernachlässigbar“ (47). So schlussfolgert er, dass wenn acht Prozent der deutschen MuslimInnen der Aussage zustimmen „Wenn es der islamischen Gemeinschaft dient, bin ich bereit, körperliche Gewalt gegen Ungläubige anzuwenden“, „in Deutschland mit seinen etwa vier Millionen Muslimen [...] dennoch über einige Hunderttausend [...] die Gewalt für den islamischen Glauben als eine gute Sache betrachten“ (47). Außerdem liefert er – wenn auch für mehrere westeuropäische Länder gemeinsam betrachtet – empirische Zahlen zur Verbreitung von fremdgruppenfeindlichen Einstellungen sowohl bei MuslimInnen als auch ChristInnen. Ein klarer Befund ist, dass mehrere fremdgruppenfeindliche Einstellungen (Einstellungen zu Homosexualität, zu JüdInnen etc.) unter MuslimInnen deutlich stärker ausgeprägt sind, und zwar auch nach Berücksichtigung von sozialer Lage (180–183). Gerade die Berücksichtigung der sozialen Lage wird aber von Hoesch stets als wichtige Alternativerklärung für als „typisch muslimisch“ wahrgenommene Probleme thematisiert (327–328). Warum sie jedoch Koopmans an keiner Stelle des Buches zitiert, obwohl er im Literaturverzeichnis auftaucht, ist etwas rätselhaft. Um charakteristische Werthaltungen von einzelnen Gruppen angemessen einschätzen zu können, braucht es solche und ähnliche empirisch-basierte Gruppenvergleiche wie jene von Koopmans, bei denen Personen ohne Migrationshintergrund mit Personen aus verschiedenen Herkunftsgruppen in den jeweiligen Aufnahmegesellschaften verglichen werden sowie generationenvergleichende Analysen. Die Verweigerung einer sozialwissenschaftlichen Diskussion über den Islam usf., um den „Islamdiskurs“ nicht weiter voran zu treiben – so wie Hoesch dies mehr oder weniger vorschlägt (denn dann wären ja auch keine differenzierten Studien mehr möglich, die dann vielleicht in der Öffentlichkeit diskutiert werden) –, wäre falsch. Die sozialwissenschaftliche Migrationsforschung muss auch zur Frage der Integration von muslimischen MigrantInnen weiter Stellung beziehen und empirisch basierte vergleichende Analysen liefern, die einen klaren Aufschluss über deren Entwicklung und Herausforderungen anbieten.
Literatur
Bertelsmann-Stiftung. Religionsmonitor – verstehen was verbindet. Sonderauswertung Islam 2015. Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick, 2015. http://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/Projekte/51_Religionsmonitor/Zusammenfassung_der_Sonderauswertung.pdf (Zugriff Jul 17, 2019).Search in Google Scholar
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Reinprecht, C., Weiss, H. Soziologie der Migration und Integration. In Forschungs- und Anwendungsbereiche der Soziologie;Forster, R., Hrsg.; WUV: Wien, 2008; pp 153–168.Search in Google Scholar
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© 2020 Raimund Haindorfer, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
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