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Konrad Lehmann: Das schöpferische Gehirn Auf der Suche nach der Kreativität – eine Fahndung in sieben Tagen

  • Anja Hoffmann
Published/Copyright: August 31, 2019
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Lehmann Konrad Das schöpferische Gehirn Auf der Suche nach der Kreativität – eine Fahndung in sieben Tagen Springer-Verlag GmbH Deutschland 1 253 2018 978-3-662-54661-1


Das leere Blatt, das sich partout nicht füllen will. Eine wissenschaftliche Fragestellung, über die man lange nachgrübelt. Eine Alltagssituation, für die man eine pfiffige Lösung braucht. Wer kennt sie nicht: die Suche nach dem Geistesblitz, der Eingebung, durch die sich ein Problem in Luft auflöst. Oder aber die Freude an der neuen Gestaltung des Gartens, das Basteln in Keller und Garage, die Idee, die alten Gegenständen einen neuen Sinn gibt. Die verschiedenen Facetten der Kreativität sind uns allen gut bekannt. Und jeder von uns hat sich schon gewünscht, dass uns diese Geistesgabe auf Abruf zur Verfügung stehen möge. Tut sie häufig aber leider nicht. Warum ist das so?

In „Das schöpferische Gehirn – Auf der Suche nach der Kreativität – eine Fahndung in sieben Tagen“ begibt sich Konrad Lehmann auf Spurensuche. Eingebettet in eine kleine Kriminalgeschichte mit italienischen Anklängen nähert sich der Autor dem Thema von sechs unterschiedlichen Seiten, um diese im siebten Kapitel zusammenzufügen. Da geht es zunächst um die Frage, wie sich Kreativität definiert, ob es verschiedene Formen gibt und wie sie gemessen werden kann. In „eine(r) kurze(n) Führung durch das Gehirn“ wird der Schauplatz umrissen. Um die kreative Persönlichkeit zu erfassen, werden die Grundlagen der Persönlichkeitspsychologie und der Neurochemie betrachtet, Intelligenz und psychiatrische Erkrankungen werden als Vergleich herangezogen und Studien zum Zusammenhang von „Genie und Wahn“ vorgestellt. Als notwendige Grundlage wird der Schöpfungsdrang oder Gestaltungswillen als intrinsische Motivation beschrieben. Lehmann erläutert die Funktionsweise des „neuronale(n) Motor(s)“, den Zusammenhang zwischen Kreativität und Stimmung sowie die Verbindung zum Flow. Er schildert Untersuchungen zu Ideenreichtum, Improvisation und Erkenntnis und beschreibt die dabei aktiven Netzwerke und ihre Eigenschaften. Des Weiteren erklärt er, was „das Gehirn (tut), wenn es nichts tut“, was für einen Einfluss das Nichtstun, Schlaf und Drogen auf das Entstehen von Ideen haben und welche Rolle das „Default Mode Network“ spielt. Im 7. Kapitel, ergo am 7. Tag (die Schöpfungsgeschichte lässt grüßen), ergibt sich aus diesen Bausteinen das Gesamtbild, in dem die verschiedenen Elemente der Kreativität sichtbar werden: „Kreativität, so scheint es, ist nicht monolithisch, sondern ein Gebäude aus raffiniert ineinander verschränkten Steinen“. Am Ende hat man als Leser zum einen die unterschiedlichen Grundlagen für Kreativität kennengelernt: Es erschließt sich, dass unterschiedliche Denkprozesse wie konvergentes und divergentes Denken zu unterschiedlichen Zeitpunkten in einem kreativen Prozess notwendig sind, dass ausgeprägtes Wissen eine notwendige Basis für die Generierung von neuen Ideen darstellt, dass aber ebenso das Aufbrechen von eingespielten Denkmustern ein unverzichtbares Element bildet. Zum anderen werden für den Leser auch die entsprechenden neurobiologischen Prozesse ersichtlich, die in verschiedenen Hirnarealen ablaufen und somit Kreativität als ein „Wechselspiel von Erzeugung und Auslese“ ermöglichen.

Konrad Lehmann, Verhaltensforscher und Neurobiologe, derzeit tätig an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, gelingt es auf unterhaltsame und verständliche Art, den Leser schrittweise an diese komplexe Materie heranzuführen. Der Sprachstil ist lebendig. Man merkt dem Autor seine Begeisterung für dieses Thema an. Die zahlreichen Verweise auf Beispiele aus der Kunst- und Kulturgeschichte illustrieren die Theorie auf abwechslungsreiche Weise. Die Episoden um Commissario Prefrontale und seinen Assistenten lockern den Text auf und fassen im Stil einer Tagesrevue am Ende eines jeden Kapitels die Hauptaspekte noch einmal zusammen. Eine kleine Auswahl von schlichten, schwarz-weißen Abbildungen erläutert wesentliche Informationen, und jedes Kapitel hat ein ausführliches Verzeichnis mit Quellenangaben.

Nun ist dieses Buch nicht das erste Buch im deutschen Sprachraum, das versucht, die noch relative junge Neurowissenschaft der Kreativität für eine breitere Leserschaft zu erschließen. Bereits 2014 und 2015 sind zwei sehr lesenswerte Bücher von Jonah Lehrer und Bas Kast zu diesem Thema erschienen (siehe unten). Lehmanns Herangehensweise unterscheidet sich – abgesehen von der Rahmenhandlung – dahingehend, dass er sich etwas stärker auf die neurobiologischen Grundlagen fokussiert. Das mag für einen Neueinsteiger in dieses Thema, der kein Neurowissenschaftler ist, vielleicht herausfordernder sein, dafür aber auch sehr lohnend, weil es einem die Augen für Zusammenhänge öffnet. Wer eine simple Gebrauchsanweisung mit Ratschlägen à la „Wie Sie die Kreativität Ihres Gehirnes steigern“ sucht, liegt mit diesem Buch falsch. Wer aber ein tieferes Verständnis für den kreativen Prozess entwickeln will, der wird Freude an „Das schöpferische Gehirn“ haben und über dieses Verständnis dann auch Schlussfolgerungen für den Umgang mit seinen eigenen kreativen Ressourcen ziehen können.

Konrad Lehmann

Das schöpferische Gehirn

Auf der Suche nach der Kreativität – eine Fahndung in sieben Tagen

Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018

Gebundene Ausgabe, 253 Seiten

ISBN 978-3-662-54661-1

Zum Weiterlesen und -hören

Lehrer, Jonah (Verlag C.H.Beck oHG, München 2014, engl. Originalausgabe 2012): „ Imagine! Wie das kreative Gehirn funktioniert“

In zwei großen Teilen, „Allein“ und „Gemeinsam“ beschreibt Jonah Lehrer kreative Entwicklungen bei Einzelnen und in Gruppen anhand zahlreicher interessanter Fallbeispiele aus Forschung, Wirtschaft, Sport und Kultur. Er stellt dabei insbesondere den Einfluss eines Teams, des sozialen Umfelds und der Umgebung dar und zieht interessante historische Vergleiche.

Bas Kast (S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2015): „Und plötzlich macht es KLICK!: Das Handwerk der Kreativität oder wie die guten Ideen in den Kopf kommen“)

Bas Kast nähert sich der Thematik auf ähnliche Art und Weise. Auch hier bilden der persönliche Austausch mit Forschern und Fallgeschichten den Ausgangspunkt der Darstellung. Interessante Ergänzung sind die Beschreibungen von Untersuchungen, bei denen sich der Autor selber als Versuchsteilnehmer zur Verfügung gestellt hat und so aus erster Hand Erfahrungen beitragen kann.

F.A.Z. Hörbuch „Hirnforschung 7 – Das Geheimnis der Kreativität“ (2015)

Auf der Doppel-CD werden Artikel aus der F.A.Z. und der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung aus den Jahren 2006 bis 2013 zusammengefasst. Der Schwerpunkt liegt auf Erörterungen zum Thema „Kunst und Neurowissenschaften“. Es gibt z. B. einen Beitrag von Wolf Singer zu der Frage, was Kunst und Neurowissenschaften voneinander lernen können und Informationen zum Forschungsbereich der Neuroästhetik.

Published Online: 2019-08-31
Published in Print: 2020-02-25

© 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 6.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/nf-2019-0003/html
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