Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung im Zweiten Weltkrieg
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Rainer Fremdling
Rainer Fremdling is Professor Emeritus of Economics at the University of Groningen. He worked as an economic historian at the University of Münster and the Free University of Berlin before he became full professor at the University of Groningen (1987, Chair of Economic and Social History, Dept. of Economics and History); in addition, he was research fellow of the German (DFG, 1978-1980) and Dutch (NWO, 2002/03) research foundations and held visiting fellowships at the University of Pennsylvania (ACLS-fellow, 1975/76), St. Antony´s College Oxford (British Academy Wolfson and Leverhulme fellow, 1978/79; Senior Fellow, 1986), KU Leuven (1979), DIW (research professor and senior research associate, 2002-2019), WZB and FU Berlin (both 2002/03).and Reiner Stäglin
Reiner Stäglin was Honorary Professor in Economic Statistics at the Economics Department of the Free University of Berlin. He gave lectures on national accounts, input-output analysis and empirical statistics both at the Humboldt University Berlin and Potsdam University. He worked as a scientific researcher and as head of the input-output group at the German Institute for Economic Research (DIW Berlin) where he became a research professor and a senior research associate after his retirement. He is author of many publications on empirical economics and archivebased research. On behalf of DIW, Eurostat, the Federal Statistical Office and GTZ, he worked as an economic and statistical advisor in many countries in Europe and beyond. He was elected President of the International Input-Output Association (IIOA) and Chairman of the German Statistical Society (DStatG). In 2006, he was awarded the Cross of Merit of the Federal Republic of Germany (Bundesverdienstkreuz 1. Klasse).
Abstract
The German Institute for Economic Research (DIW Berlin), the largest institute of its kind in Germany, will celebrate its centenary in 2025. It was founded as the Institute for Business Cycle Research (IfK) on July 16 1925 by Ernst Wagemann, then President of the German Statistical Office. The Institute’s research on the war economy 1939 to 1945 has not yet been examined in a well-founded manner. As the DIW itself does not possess the necessary archival records, the secret studies had first to be made accessible from various archives of the authorities which had requested this research. Only then could the studies and reports which the IfK/DIW had done on the war economy be presented here.
With Wagemann losing his dual function as head of the Institute and as President of the German Statistical Office in 1933, the IfK/DIW had no longer a smooth direct access to internal statistics of the Statistical Office. In order to be able to work in an expert capacity, the Institute and its President had to secure their clients’ trust through convincing professional competence. The article elaborates on the Institute’s struggle for the status of vital importance for the war, which awarded a special position compared with other institutes, e.g. in the Reich’s Research Council (Reichsforschungsrat). Wagemann’s skill in presenting his Institute as an indispensable economic research institute certainly contributed to its prominent status. He also asserted and made himself indispensable to the National Socialist system.
1 Einleitung
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Berlin, das größte wirtschaftswissenschaftliche Forschungsinstitut des Landes, feiert im Jahr 2025 sein einhundertjähriges Bestehen. Es wurde am 16. Juli 1925 vom damaligen Präsidenten des Statistischen Reichsamts (StRA), Ernst Wagemann, als Institut für Konjunkturforschung gegründet (IfK).[1] Wegen der Schwerpunktverlagerung von der Konjunkturforschung zur breiter gefächerten empirischen Wirtschaftsforschung erhielt es am 18. Juni 1941 seinen heute noch gültigen Namen: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).[2] Während der gesamten Kriegszeit war Wagemann als Präsident für das Institut verantwortlich.[3]
Ziel dieses Aufsatzes und der dazugehörigen Online-Dokumentation ist es, die umfangreichen nicht veröffentlichten Arbeiten des Instituts zur Kriegswirtschaft (vertrauliche Gutachten und geheime Berichte) erstmals systematisch geordnet und unter Nennung der archivalischen Fundstellen vorzustellen und die für das Institut wichtige Rolle Wagemanns als Leiter herauszuarbeiten. Die Relevanz der Dokumentation ermisst sich aus der Bedeutung und besonderen Stellung des DIW als kriegswichtiges Forschungsinstitut im Machtgefüge der NS-Herrschaft.
Von den deutschen wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten sind das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI)[4] und das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW)[5] über ihre Geschichte und Rolle im Zweiten Weltkrieg bereits erforscht worden. Das RWI feierte im Jahr 2018 sein 75-jähriges Bestehen als eigenständiges ökonomisches Forschungsinstitut und hatte dazu eine umfangreiche Arbeit zu seiner Geschichte beauftragt. Hervorgegangen war es aus der Anfang 1926 eingerichteten Zweigstelle des Instituts für Konjunkturforschung, Abteilung Westen in Essen. Formaler Gründungsakt des RWI selbst war die Umwandlung der Essener Abteilung in einen eigenständigen Verein im Jahre 1943 mit weiterhin Wagemann an der Spitze.[6] Wissenschaftlicher Leiter in Essen war von Anfang an Walther Däbritz,[7] der diese Position bis in die 1950er Jahre hinein wahrnahm. Da die Konjunkturforschung in der gelenkten NS-Wirtschaft obsolet geworden war, hatten sowohl das IfK wie auch seine Essener Abteilung auf die fundamental geänderten Bedingungen für ihre Gutachter- und Beratertätigkeit zu reagieren. Vor allem während des Krieges vollzog die Zentrale des IfK/DIW jedoch eine andere inhaltliche und funktionale Umorientierung als die regional verankerte Zweigstelle: Während die Berliner Zentrale sich sehr stark direkt in die Kriegswirtschaft einbinden ließ, konzentrierte sich Essen auf die ebenfalls „kriegswichtige“ Raumforschung und über den rheinisch-westfälischen Raum hinaus auf die „Westlandforschung“ in den von Deutschland besetzten Nachbarländern, wie den Niederlanden.[8] Der ganz überwiegende Teil der Arbeiten des RWI während der NS-Zeit waren Auftragsarbeiten, die zum Funktionieren des nationalsozialistischen Herrschaftssystems und der Kriegswirtschaft beitrugen.
Vorwiegend für die NS-Zeit untersuchte Take in seiner umfangreichen Dissertation „Forschen für den Wirtschaftskrieg“ das vor dem Ersten Weltkrieg gegründete älteste noch bestehende deutsche Wirtschaftsforschungsinstitut, das IfW in Kiel. Durchgängig hinterfragte er das bis in die Gegenwart hinein tradierte Narrativ, das Institut habe kontinuierlich, unter wechselnden politischen Regimen und trotz der vorwiegenden Auftragsforschung, unabhängig exakte wissenschaftliche Forschung betreiben können. Take entlarvte diese Sichtweise als Fiktion, indem er viele der im Institut bearbeiteten Forschungsprojekte, Gutachten, Berichte etc. heranzog, ebenso die sich wandelnde Organisation und institutionelle Einbindung des IfW schilderte und auch die handelnden Personen ausführlich und eindringlich porträtierte. So beschrieb er die Ablösung des Gründers Bernhard Harms als Institutsdirektor durch nationalsozialistische Ökonomieprofessoren im Jahr 1933 eingehend. Nach Jens Jessen leitete von 1934 bis 1945 Andreas Predöhl das Institut. Er hatte 1933 als Dekan bereits die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Kieler Universität nationalsozialistisch umgestaltet. Take hinterfragte die irrige Annahme Predöhls, wertfreie, objektivunpolitische Wissenschaft betreiben zu können, deren wirtschaftspolitische Umsetzung nicht mehr in den Verantwortungsbereich des Wissenschaftlers falle, selbst wenn es um Auftragsforschung für das verbrecherische Regime ging. Auch die Legende um die Rolle des IfW im Nationalsozialismus, die das Institut zum Schutzraum für Nicht-Nazis erhob, zerstörte Take. Der Verklärung des international hochgeschätzten Raumforschers August Lösch zum Widerständler setzte Take Löschs Forschung entgegen. Sie bot die wirtschaftswissenschaftlichen Grundlagen für die Raumplanung im Osten, die einen großangelegten Bevölkerungsaustausch (Vertreibung, Verhungern) vorsah. Aus Löschs Raumplanung für die eroberten Gebiete im Osten folgerte Take, „dass es keinen unversehrten wissenschaftlichen Kern des IfW gegeben hat.“[9]
Auch über das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (IfK bzw. DIW) gibt es eine Reihe von Veröffentlichungen und Studien,[10] jedoch wurde die kriegswirtschaftliche Forschung des Instituts in den Jahren 1939 bis 1945 bisher nicht fundiert dargestellt. Lediglich die Funktion der von Rolf Wagenführ[11] geleiteten Industrieabteilung für die Lenkungswirtschaft ist hinreichend von Adam Tooze in seiner 2001 erschienenen Dissertation und in Rainer Fremdlings Artikel zur Geschichte des Reichswirtschaftsministeriums (RWM) beleuchtet worden.[12] Wagenführ war mit der gesamten Industrieabteilung des DIW 1942 zunächst im RWM und von 1943 an im Planungsamt des Rüstungsministeriums für die zur Lenkung der Kriegswirtschaft erforderliche Planstatistik[13] verantwortlich. Obwohl das DIW in seiner selbst herausgegebenen Broschüre zur 90-Jahrfeier 2015 die Einbindung des Instituts in die Kriegswirtschaft und Eroberungspolitik unter der – allerdings verharmlosenden – Überschrift „Opportunismus im Zweiten Weltkrieg“ durchaus behandelte, fehlt darin erstaunlicherweise jeder Hinweis auf Rolf Wagenführ.[14] Weiterführend zu den Arbeiten von Tooze und Fremdling stellt die begleitende Online-Dokumentation zu dem hier vorgelegten Artikel die Industrieabteilung aus der internen Sicht des DIW dar und beleuchtet dabei die Rolle Wagenführs.
Die Institutsleitung empfand die direkte operationale Einbindung der Industrieabteilung des DIW in die Lenkung der Kriegswirtschaft von Mitte 1942 bis zum Kriegsende durchaus als Problem. Wagemann beklagte wiederholt, dass sie das Institutsprinzip zur Gemeinschaftsarbeit störe, das voraussetze, „dass keins der wichtigen Arbeitsgebiete vernachlässigt wird. Die Einziehungen [zum Kriegsdienst] und der starke Ausbau der Arbeiten für die industriewirtschaftliche Planung haben Gleichgewichtsstörungen im Aufbau des Instituts mit sich gebracht, die wieder zu beseitigen, gegenwärtig Gegenstand ernster Sorge der Institutsleitung ist“.[15]
Die fast ausschließliche Einbindung des Instituts in die angewandte Forschung zur Kriegswirtschaft schätzte man ebenfalls als problematisch ein, ließ sie doch naturgemäß wenig Raum für eine Grundlagenforschung. Schon die damaligen Akteure bemängelten, dass die Arbeiten auf Anforderung der Reichsressorts keine Grundlagenforschung, keine „Forschungsarbeiten im engeren Sinn“[16] darstellten, bei denen es doch „vor allem [um] Ausbau der Methodik und der Begriffsbildung, und Erweiterung der Kenntnisse über die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge“[17] gehe. Und das Arbeitsprogramm des DIW vom Juli 1944 führte weiter aus:
„Die Forschungen im engeren Sinne mögen auf den ersten Blick nicht unbedingt kriegswichtig erscheinen. Sie sind es jedoch im höchsten Grade. Denn nur durch sie können die Forschungsmittel für die unmittelbar praktischen Arbeiten ständig verfeinert und (was noch wichtiger ist) den immer neuen Problemstellungen angepasst werden. Die Wirtschaftsbeobachtung, die Arbeit an den volkswirtschaftlichen Bilanzen, die Beschäftigung mit den Preisproblemen und der Kriegsfinanzierung – um nur einige Beispiele zu nennen – machen es notwendig, dass man sich laufend mit den Fragen der Marktzusammenhänge, der Wirtschaftssysteme, mit Fragen der Indexmethodik, Verfeinerungen in der Verbrauchserfassung beschäftigt, neue Begriffe auf dem Einkommensgebiete, in der Geld- und Kredittheorie usw. usw. schafft. Die Analogie zu der Grundlagenforschung bei den Naturwissenschaften liegt nahe, deren Daseinsberechtigung im Kriege unbestritten ist.„[18]
Auch bereits im Arbeitsbericht des DIW von April 1943 bis Juni 1944 wurden die „wirtschaftswissenschaftliche Grundlagenforschung„ und die „Pflege der reinen Forschungsarbeit im Institut„ beschworen.[19] Die entsprechenden Forschungsergebnisse sind jedoch sehr dürftig, wie unter anderem die Arbeiten über die Altersversorgung nach dem Umlageverfahren, die jährliche Schätzung der Geldkapitalbildung, die Analyse der Saisonschwankungen und die methodische Weiterentwicklung der statistischen Schätzungsverfahren verdeutlichen.
Unser Aufsatz und die begleitende Online-Dokumentation stellen zum ersten Mal umfassend die andere Arbeit des DIW, nämlich die Kriegswirtschaftsforschung vor. Schon vor dem Krieg hatte sie begonnen und wurde während des Krieges kontinuierlich mit vertraulichen Gutachten und geheimen Berichten zum Schwerpunkt fast aller Abteilungen des Instituts. Systematisch dokumentiert werden hier die DIW-Arbeiten über Industrie-, Land- und Ernährungswirtschaft, Außenhandel und Auslandswirtschaft, Verkehrswirtschaft, über Post- und Fernmeldewesen sowie über das Volkseinkommen, den Arbeitseinsatz und die Russlandforschung. Daneben griff das DIW schon Probleme der Wirtschaftsforschung auf, die nach dem Krieg und teilweise auch heute noch eine Rolle spielen. Das gilt beispielsweise für die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, den Außenhandel mit Rohstoffen, die Agrarproduktion, die Saisonschwankungen bei Verkehrsleistungen und die sowjetrussische Volkswirtschaft.
Das DIW selbst verfügt über keinen adäquaten Archivbestand seiner eigenen Geschichte.[20] Um die geheimen kriegswirtschaftlichen Arbeiten und Berichte des IfK bzw. des DIW präsentieren zu können, mussten sie als archivalische Quellen aus der Gegenüberlieferung so weit wie möglich erst erschlossen werden.
2 Das DIW als kriegswichtiges Forschungsinstitut
2.1 Die Kuratoriumsmitglieder als Auftragsgeber
Die Bedeutung und besondere Stellung des DIW als kriegswichtiges Forschungsinstitut kann ohne die enge Verzahnung des IfK bzw. DIW mit den Reichsministerien und anderen öffentlichen Körperschaften bereits seit der Gründung nicht erklärt werden.[21] Getragen, also finanziert, wurde das Institut durch diese Vereinsmitglieder, versammelt im Kuratorium, die zudem kontinuierlich Auftragsarbeiten an das DIW vergaben. Mit der Vorbereitung auf den Krieg und während des Krieges selbst beauftragten die Ministerien vor allem solche Gutachten und andere vertrauliche Arbeiten, die kriegswirtschaftlich relevante Themen behandelten und somit nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren.
Das IfK bzw. DIW musste sich auch deshalb auf die kriegswirtschaftliche Strukturforschung umstellen, weil durch die Kriegsvorbereitung und die damit eng verwobene staatsinterventionistische Beschäftigungspolitik nach 1933 das Institut für Konjunkturforschung seinen ursprünglichen Forschungsgegenstand verlor.[22] Recht spät änderte das Institut seinen Namen als sichtbares Zeichen für die Abwendung von der Konjunkturforschung: Die überfällige programmatische Umbenennung in Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung wurde auf der Kuratoriumssitzung[23] vom 18. Juni 1941 vollzogen.[24] Wagemann hob auf der Sitzung hervor, dass das Wort „Konjunktur„ mehr und mehr in der öffentlichen Meinung seines wissenschaftlichen Charakters entkleidet und zu einem politisehen Begriff geworden sei. Hinzu komme, dass „in der Tat der Begriff ‚Konjunktur‘ nicht mehr den tatsächlichen Arbeitsbereich des Instituts umreiße.“ Der Anregung des Reichswirtschaftsministers folgend änderte das Kuratorium „nicht nur aus rein formalen Gründen, sondern auch aus sachlichen Erwägungen“ den Namen in „Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung“ um.[25]
Wagemanns Ausführungen auf der Sitzung selbst blieben vage. Allen Kuratoriumsmitgliedern war ohnehin klar, dass die aktuelle Kriegswirtschaft, oder die auf Kriegsvorbereitung ausgerichtete Kommandowirtschaft[26] zuvor, im Wesentlichen durch administrative Organe, also durch eine staatliche Lenkung und durch die privatwirtschaftlichen Zwangskörperschaften (die Reichs- und Wirtschaftsgruppen) gesteuert und reguliert wurde. Der klassische Konjunkturzyklus, der zu einer primär marktwirtschaftlich-kapitalistischen Wirtschaftsordnung gehört, war damit in Deutschland verschwunden.
Wagemann war seit der Gründung des Instituts darauf bedacht, wichtige Vertreter aus Politik und Wirtschaft als Kuratoriumsmitglieder des Instituts zu gewinnen, die beständig Mitgliedsbeiträge zahlen konnten und als Auftraggeber von Forschungsarbeiten in Betracht kamen. Während der gesamten Kriegszeit waren 22 Institutionen ununterbrochen Mitglieder des Instituts (s. Übersicht 1).
Mitglieder des Kuratoriums in den Geschäftsjahren 1939/40 bis 1944/45.
Institutionen | |
---|---|
1 | Reich (Reichshaushalt) |
2 | Deutsche Reichsbahn |
3 | Deutsche Reichsbank |
4 | Reichspost |
5 | Deutsche Industriebank |
6 | Reichswirtschaftskammer |
7 | I.G. Farbenindustrie A.-G. |
8 | Reichsnährstand |
9 | Wirtschaftsgruppe Groß-, Ein- und Ausfuhrhandel |
10 | Wirtschaftsgruppe Einzelhandel |
11 | Wirtschaftsgruppe Privates Bankgewerbe |
12 | Deutscher Sparkassen- und Giroverband |
13 | Deutsche Arbeitsfront |
14 | Reichsbund der Deutschen Beamten |
15 | Deutscher Gemeindetag |
16 | Deutsche Rentenbank-Kreditanstalt |
17 | Deutsche Bau- und Bodenbank |
18 | Deutsche Zentralgenossenschaftskasse |
19 | Verband Deutscher Reeder e. V. |
20 | Reichsverband der Landwirtschaftlichen Genossenschaften (Raiffeisen) |
21 | Preußische Landesbriefanstalt |
22 | Preußische Staatsbank |
Der Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau war seit dem Geschäftsjahr 1941/42 im Kuratorium vertreten, und die Reichsvereinigung Kohle kam ein Jahr später hinzu. Im Kriegsjahr 1943 wurde das Kuratorium des DIW um zahlreiche Mitglieder erweitert:[27]
Deutsches Kali-Syndikat
Friedrich Krupp Werke A.-G.
Hapag
Reichsvereinigung des deutschen gemeinnützigen Wohnungswesens
Reichsernährungsministerium
Reichsforstamt
Vierjahresplan
Reichsministerium für Bewaffnung und Munition
Stabsamt des Reichsmarschalls
Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda
2.2 Wachsende Bedeutung und räumliche Ausdehnung des Instituts während des Krieges
Anfang 1939 beschäftigte das Institut in Berlin 115 Personen (darunter 42 Wissenschaftler), danach, bis 1942, wuchs die Berliner Zentrale auf über 180 Beschäftigte an. Anfang Oktober 1944 arbeiteten dort unter anderem wegen Einberufungen zum Militärdienst allerdings nur noch 133 „Gefolgschaftsmitglieder“.[28] Hinzu kamen die Beschäftigten in den bereits gegründeten Außenstellen und Zweigstellen des Instituts in Essen (Abteilung „Westen“, das von 1943 an das eigenständige Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung, RWI, bildete),[29] Breslau (Niederschlesisches Institut für Wirtschaftsforschung[30] ) und Wien (Österreichisches Institut für Konjunkturforschung[31] ). Sie alle betrieben regionale Wirtschaftsforschung, wurden aber auch zur Bearbeitung kriegsrelevanter Themen und zur ökonomischen Analyse besetzter Gebiete von der Berliner Zentrale mit herangezogen.[32] In den weiteren Zweigstellen, die zwischen 1940 und 1943 gegründet wurden, waren durchschnittlich zwei bis acht Mitarbeiter beschäftigt. Zu den Neugründungen gehörten das Institut für Wirtschafts- und Konjunkturforschung in München,[33] die Institute für Wirtschaftsforschung in Prag, Braunschweig, Hamburg und Reichenberg (Sudetenland), das Ostsee-Institut für Wirtschaftsforschung in Danzig, das Oberschlesische Institut für Wirtschaftsforschung in Kattowitz, das Mitteldeutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Magdeburg, die Außenstelle in Paris und das Niederländische Institut für Wirtschaftsforschung in Amsterdam. Die Institute in Kattowitz[34] und Prag[35] hatten zum Beispiel die Aufgabe, dem DIW Daten der polnischen Industriestatistik und Material über die Zahl der Kleinbetriebe in der Industrie Böhmens und Mährens für die Aufstellung einer europäischen Industriebilanz zu liefern.
Die Denkschrift zu den Aufgaben des DIW von November 1944[36] ordnete den regional verankerten Tochterinstituten organisatorisch ähnliche Aufgaben wie der „Mittelstufe der Reichsverwaltung“ zu. Sie hätten „dabei dem Zentralinstitut bei der Bearbeitung regionaler Wirtschaftsfragen und zentraler Sonderprobleme (Kohle, Eisen, Südosteuropa, Handel usw.) wertvolle Hilfe geleistet.“ Allerdings hatte Wagemann noch im Monat zuvor, im Oktober 1944, die Aufgabenerfüllung einiger Zweigstellen durchaus unterschiedlich beurteilt: „In Westdeutschland nehme das Essener Institut eine besondere Stellung ein. Es habe sich eine Art Monopol für seinen Bezirk erobert.“ Das Wiener Institut arbeite ähnlich erfolgreich für Südosteuropa, das schlesische Institut in Kattowitz, sowie das Ostseeinstitut in Danzig seien sehr arbeitsfähig, während das „Institut in Braunschweig […] fast völlig in seiner Arbeitsfähigkeit gehindert“ und das „Münchner Institut […] in seinen Arbeiten hinter den anderen Instituten zurück“ seien.[37]
Die Gründung von Außenstellen des IfK/DIW außerhalb des erweiterten Reichsgebietes war Teil der deutschen Strategie, die Wirtschaftsforschung Kontinentaleuropas zu vereinigen und zu beherrschen. Nach einem „streng vertraulichen Vermerk“ des DIW vom 20. April 1942[38] hatten der
„Reichsmarschall [Göring] und der Reichswirtschaftsminister [Funk] […] Präsident Wagemann, als Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, den Auftrag gegeben, die auf dem Kontinent bestehenden Konjunktur- und Wirtschaftsforschungsinstitute organisatorisch zu einer europäischen Vereinigung zusammen zu schließen. Zweck dieser Vereinigung ist es, die Arbeit der wirtschaftswissenschaftlichen Konjunktur- und Forschungsinstitute in Europa, die in Zeiten der staatlichen Wirtschaftslenkung immer mehr an Bedeutung gewinnt, auf eine möglichst breite internationale Basis zu stellen. […] die in den einzelnen Ländern angewandten wissenschaftlichen Methoden [sollen] vereinheitlicht, Erfahrungen und Material ausgetauscht werden, um […] die Leistungen der Institute zu steigern und vor allem die Ergebnisse der Forschung für die Bedürfnisse der wirtschaftlichen Großraumpolitik nutzbar zu machen.“[39]
Unumwunden ging es um deutsche Dominanz, denn die
„Vereinigung soll an die Stelle der früheren internationalen Vereinigung der Konjunktur-institute treten, die ganz unter englischem und französischem Einfluß stand. Bei der neuen Vereinigung soll sich der deutsche Führungsanspruch deutlich durchsetzen, freilich in Formen, die einer wissenschaftlichen Vereinigung entsprechen.“[40]
Bestehende Kontakte sollten intensiviert werden, jedoch „soweit es erforderlich und zweckmäßig ist, werden neue Institute ins Leben gerufen, so in den besetzten Westgebieten (Niederlande, Frankreich).“ [41]
Ein anderes Zeichen für die zunehmende Bedeutung des Instituts während der NS-Zeit und des Krieges war die Steigerung seines Budgets: Im Haushaltsjahr 1934/35 verzeichnete das IfK Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen von 300.000 Reichsmark (RM). Davon entfielen auf die Essener Abteilung mit 32.000 RM gut zehn Prozent. Zusammen mit den sonstigen Einnahmen des IfK wurden damit insgesamt Ausgaben von fast 640.000 RM finanziert.[42] Die Gesamteinnahmen stiegen von 995.000 RM im Geschäftsjahr 1939/40 auf fast 1,6 Millionen RM im Geschäftsjahr 1944/45 an.[43] Zu diesem Zuwachs trugen von 1941/42 an die Einnahmen aus Jahresbeiträgen ebenso bei wie die Einnahmen aus Werkverträgen des Instituts. Entfielen auf die Jahresbeiträge der Kuratoriumsmitglieder im Geschäftsjahr 1941/42 knapp 45 Prozent der Gesamteinnahmen, so waren es im Geschäftsjahr 1944/45 bereits 49 Prozent. Die Anteile der Einnahmen aus Werkverträgen lagen in den beiden Geschäftsjahren bei gut 40 Prozent und 45 Prozent. Die Einnahmen des Instituts aus Veröffentlichungen gingen in den Kriegsjahren dagegen kontinuierlich von 71.000 auf 20.000 Reichsmark zurück, was Anteilen an den Gesamteinnahmen von 7,1 Prozent im Geschäftsjahr 1939/40 und von 1,2 Prozent im Kriegsjahr 1944/45 entsprach.[44]
2.3 Formale Anerkennung als kriegswichtiges Institut durch Reichsmarschall Göring (Vierjahresplanbehörde) und Reichswirtschaftsminister Funk
Für die Stellung des Instituts war es wichtig, dass sowohl das Institut selbst als auch Wagemann, der als Alleinvorstand und Präsident auch aller Tochterinstitute fungierte, persönlich als kriegswichtig und unverzichtbar für die deutsche Kriegswirtschaft galten. So wurden Anfang 1943 das DIW ebenso wie das Hamburgische Welt-Wirtschafts-Institut und -Archiv, das Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, das Institut für Verkehrswissenschaft in Köln und die Südosteuropa-Gesellschaft in Wien auf eine vom Reichsmarschall Göring (Vierjahresplanbehörde) und Reichswirtschaftsminister Funk genehmigte Liste zur „Rationalisierung des wirtschaftlichen Nachrichtendienstes und verwandter Gebiete“ gesetzt. Diese Liste enthielt 15 „Institute und Gesellschaften auf dem Gebiete wirtschaftlicher Forschung und des einschlägigen Nachrichtenwesens, die erhalten bleiben sollen als kriegsnotwendig und als Ansatzpunkte für die Rationalisierung des Instituts-Betriebes im Großdeutschen Reich“.[45]
Wagemanns persönliche Stellung und die Einbindung seiner Institute in das Machtgefüge der NS-Herrschaft erreichten ihren Höhepunkt mit seiner Ernennung zum Leiter der „Arbeitsgemeinschaft für empirische Wirtschaftsforschung im Reichsforschungsrat“ durch Göring[46] im August 1944:
„Hiermit beauftrage ich Sie, die von mir gegründete Arbeitsgemeinschaft für empirische Wirtschaftsforschung im Reichsforschungsrat zu übernehmen und als mein Bevollmächtigter zu leiten. Ich bitte Sie, das von Ihnen geleitete Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung mit seinen ihm angeschlossenen Zweiginstituten als Basis für Ihren neuen Arbeitsauftrag anzusehen und entsprechend auszugestalten. Als Bevollmächtigter für das Gebiet der empirischen Wirtschaftsforschung unterstehen Sie mir unmittelbar.“[47]
Wagemann teilte diese Ernennung, die eine zusätzliche personelle und sachliche Unterstützung einschloss, in einer Serie von gleichlautenden Briefen Kuratoriumsmitgliedern und mit dem DIW verbundenen Reichsbehörden mit.[48]
Der 1937 gegründete Reichsforschungsrat sollte parallel zum Vierjahresplan die Forschung, zunächst vor allem auf natur- und technikwissenschaftlichem Gebiet, verstärkt auf die Kriegsvorbereitung ausrichten. Dieses neue Gremium, das nahezu sämtliche Grundlagenforschung wie auch die angewandte Forschung zentral planen sollte, war mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft verknüpft. Nach seiner Reorganisation im Jahr 1942 wurde es unter der Leitung Görings organisatorisch dem Speerschen Rüstungsministerium zugeordnet und entwickelte sich in der Endphase des Zweiten Weltkrieges zur bedeutendsten staatlichen Forschungsförderungsstelle.[49]
Wagemanns Ernennung fiel unter die Anordnung Görings vom 24. August 1944 zum „Erlass des Führers über die Konzentration der Rüstungs- und Kriegsproduktion“:[50] Um „neben der auch im Kriege unbedingt zu betreibenden Grundlagenforschung möglichst viele für die Kriegsentscheidung wesentliche Forschungsergebnisse kurzfristig zu erhalten“, ordnete Göring an, dass „zu diesem Zweck […] sämtliche staatlichen forschungstreibenden Institute namentlich in einer W e h r f o r s c h u n g s – G e m e i n s c h a f t innerhalb des Reichsforschungsrates zusammenzuschließen“ seien. Unter anderem zur „Überwachung und Konzentration der Forschung auf vordringlichste durch Erfordernisse der künftigen Kriegführung diktierte Aufgaben“ sollte sich der „Präsident des Reichsforschungsrats eines wissenschaftlichen Führungsstabes […] aus den vorhandenen und in nächster Zeit noch zu berufenden Fachspartenleitern, Bevollmächtigten und Sonderbeauftragten des Reichsforschungsrates“ bedienen. Mit der Anordnung Görings wurde der „Führerbefehl, zur Sicherstellung der für die Kriegführung unentbehrlichen Forschung 5000 Fachkräfte aus der Truppe zu entlassen“, bekräftigt. Nach der Denkschrift über Aufgaben des DIW von November 1944 hoffte Wagemann, die zusätzlichen Ressourcen könnten zu erweiterter Grundlagenforschung verhelfen:[51] So interpretierte „die Institutsleitung den neuen Forschungsauftrag, der ihr im Rahmen des Reichsforschungsrates übertragen“ wurde in „Analogie zu der Grundlagenforschung bei den Naturwissenschaften, deren Daseinsberechtigung im Kriege unbestritten“ sei.[52]
Wagemann konnte sich auf konkrete Zusagen im Ernennungsbrief stützen: „Die notwendigen Mittel für die Durchführung Ihrer Forschungsarbeiten sowie sonstige personelle und sachliche Unterstützung stehen Ihnen beim Leiter des Geschäftsführenden Beirats, Ministerialdirektor Professor Dr. Mentzel, zur Verfügung.“[53] Mit dem Brief Görings in der Hand gelang es Wagemann, noch in den letzten Kriegsmonaten den Reichsforschungsrat als neues Mitglied des DIW-Kuratoriums zu gewinnen und umfangreiche Gelder über dieses Gremium direkt für das DIW zu mobilisieren:[54] Als jährlicher Mitgliedsbeitrag waren 100.000 RM vorgesehen.
„Daneben bitte ich [Wagemann], für das Institut im Wege des Werkvertrages einen weiteren Betrag von RM 150.000.- bereitzustellen. Zur Begründung darf ich ausführen: Der Reichsmarschall hat mich zugleich mit meiner Ernennung zum Bevollmächtigten für empirische Wirtschaftsforschung gebeten, in erster Linie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung als Basis für den neuen mir erteilten Arbeitsauftrag zu benutzen und zu diesem Zweck entsprechend auszugestalten. Ich bitte, diesen Auftrag zum Gegenstand des vorgeschlagenen Werkvertrages zu machen und für die dadurch erwachsenen neuen Ausgaben den genannten Betrag vorzusehen.“[55]
Mit der Bevollmächtigung Wagemanns im August 1944 waren die Weichen dafür gestellt, dass das DIW mit seinen Tochterinstituten die Kontrolle über die gesamte mit Staatsgeldern geförderte empirische Wirtschaftsforschung übernehmen und „für die Kriegführung fruchtbar gestalten“[56] konnte. Mit den Mitteln des Reichsforschungsrates war ein Schritt dazu bereits getan. Allerdings war die NS-Herrschaft neun Monate nach der Bevollmächtigung Wagemanns zu Ende.
Diese Weichenstellung zugunsten des DIW erweist sich rückblickend als bedeutungslos, weil das DIW mit dem Kriegsende und der vollständigen Kapitulation seine herausragende Position in der empirischen Wirtschaftsforschung Deutschlands einbüßte. Die damals Handelnden in der Regierung waren jedoch davon ausgegangen, dass nach dem Krieg bestimmte Institutionen, wie etwa das Reichswirtschaftsministerium, überleben würden. Nur mit dieser Unterstellung wird begreiflich, dass dieses Ministerium unter der Federführung von Ohlendorf[57] systematisch noch 1944 eine „Zentralstelle für Wirtschaftsforschung“[58] aufbaute, die nach dem Krieg die gesamte empirische Wirtschaftsforschung und sogar Wirtschaftspolitik steuern wollte.[59]
2.4 Wagemanns Konflikte mit Himmler und Ohlendorf
Der Erfolg Wagemanns und seines Instituts in der NS-Forschungslandschaft war keineswegs unumstritten, wie eine Konfrontation mit Himmler und die ständigen Reibereien mit Otto Ohlendorf im RWM bezeugen. Wagemanns Einstufung als kriegswichtige Person sicherte ihm seinen Posten als DIW-Präsident, obwohl der Leiter der Partei-Kanzlei, Martin Bormann, ihm im Einklang mit dem Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, Heinrich Himmler, noch 1943, wegen unbedachter Äußerungen „das Recht, Leiter eines bedeutenden Wirtschaftswissenschaftlichen Institutes zu sein“ abgesprochen hatte.[60] Vordergründig ging es darum, dass Wagemann, einem Bericht der Gauleitung Süd-Hannover-Braunschweig zufolge, im September 1943 nach einem Vortrag im Rahmen einer kleinen Gesellschaft unter Alkoholeinfluss unbesonnen geäußert habe, „daß es jetzt richtig wäre, Frieden zu schließen. Wir würden dann halb Polen, halb Italien und den Balkan behalten und könnten im übrigen auf die Ukraine verzichten. Es ist nicht das erste Mal, daß sich Prof. Wagemann in dieser bezw. ähnlicher Weise äussert“.[61] Reichswirtschaftsminister Funk lehnte jedoch den von Bormann geforderten Rauswurf Wagemanns ab:
„Nach einer eingehenden Prüfung der Verhältnisse und der Aufgaben des von Professor Wagemann gegründeten Institutes für deutsche Wirtschaftsforschung komme ich zu dem Ergebnis, dass die vorhandenen personellen und materiellen Kräfte des Institutes von den verschiedenen Reichsressorts für kriegswichtige Zwecke so völlig eingespannt sind, dass das Institut lediglich durch die Autorität und die Wirkungskraft des Professor Wagemann zusammengehalten wird. Dieser Zusammenhalt ist aber notwendig, da sonst das Institut in den einzelnen Teilen den jeweiligen Ressorts zufallen würde. Damit aber würde sowohl die Gesamtleistung des Institutes für die Kriegswirtschaftsforschung wegfallen als auch praktisch die Arbeit für die einzelnen Ressorts unbrauchbar werden, da die Teilarbeit nur im Zusammenhang mit der Gesamtarbeit des Institutes denkbar ist. Die Arbeit des Professor Wagemann ist daher als kriegswichtig anzusehen und ein Ersatz für ihn im Augenblick nicht zu stellen. Eine formelle Abberufung von Professor Wagemann käme auch nicht in Frage, da es sich um sein eigenes Institut handelt. Es müsste ihm dann schon jede Betätigung auf diesem Gebiet untersagt und das Institut auf eine völlig neue Basis gestellt werden. Ich möchte Sie daher bitten, noch einmal zu prüfen, ob die Äusserungen von Professor Wagemann wirklich so schwerwiegend gewesen sind, dass trotz der gegebenen Umstände eine Ablösung unbedingt notwendig erscheint. Heil Hitler! Ihr Walther Funk.“[62]
Himmler antwortete, dass er keinen Wert auf eine Ablösung Wagemanns lege. Er sei aber dafür, „daß dieser intellektuelle Schwätzer, der unter dem Eindruck des Alkohols seinen inneren Pessimismus zeigt, endlich erzogen wird, […] Ich glaube, es in diesem Fall ausnahmsweise mit vier Wochen Arrest in einer Einzelhaftzelle, in der Wagemann arbeiten kann, bewenden lassen zu können“.[63] Tatsächlich wurde Wagemann weder als Präsident des Instituts abgelöst noch mit dem vierwöchigen Arrest bestraft.
Nach der Gründung des Planungsamts als Kommandozentrale der Kriegswirtschaft[64] wurde im Herbst 1943 das RWM reorganisiert: Der SS-Brigadeführer Ohlendorf,[65] Chef des SD-Inland und Hauptabteilungsleiter im Reichssicherheitshauptamt (RSHA), übernahm parallel zu seinen bisherigen Funktionen bei der SS als stellvertretender Staatssekretär ab November 1943 die neue Hauptabteilung II, die alle Grundsatzreferate des RWM zusammenfasste. Nach Herbst fungierte Ohlendorf als heimlicher RW-Minister. Seine Vorgesetzten, der Minister Funk und Staatssekretär Hayler, galten gemeinhin als schwache Führungsfiguren.[66] Da das DIW unter die Dienstaufsicht des RWM[67] fiel, hatte somit die SS und damit auch Himmler indirekt Einfluss auf das Institut.
Hans Kehrl[68] stand dem Planungsamt vor. Da er die zuvor von ihm geleitete Hauptabteilung II des RWM in das von Speer geleitete Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion (RMRuK) mitnahm, büßte das RWM wesentliche der seit Mitte der 1930er Jahre erworbenen Mitwirkungskompetenzen in der Kriegswirtschaft ein. Zudem verlor das RWM damit die planwirtschaftliche Kompetenz an das Planungsamt, welche die industriewirtschaftliche Abteilung des DIW (Wagenführ zusammen mit seinen Mitarbeitern) im Sommer 1942 mit der jahrelangen Erfahrung des IfK bzw. des DIW auf dem Gebiet der Industriestatistik erarbeitet hatte. Die enge Zusammenarbeit Kehrls mit dem DIW hatte bereits vor seinem Eintritt in das Rüstungsministerium, also noch im RWM, begonnen.[69] Aus einem Schreiben des Reichsbankpräsidenten Funk, der zugleich Wirtschaftsminister war, vom 30. Juli 1942 an den DIW-Präsidenten Wagemann geht hervor, dass die gesamte Industrieabteilung des DIW mit Wagenführ an der Spitze „dem Reichswirtschaftsministerium für planungsstatistische Arbeiten zur Verfügung“ gestellt würde. Kehrl und Wagemann sprachen ab, dass „die Herren […] Angestellte des Instituts [blieben,] jedoch in den Aufbaustab für die Neuordnung der Bewirtschaftung im Reichswirtschaftsministerium […] eingereiht“ würden.[70]
Herbst hebt in seinem grundlegenden Buch zur deutschen Kriegswirtschaft allerdings hervor, dass nach der Neuorganisation des Reichswirtschaftsministeriums im November und Dezember 1943 alle klassischen wirtschaftspolitischen Zuständigkeiten, über die das Ministerium am Ende der Weimarer Republik, also zu Friedenszeiten, verfügt hatte, erhalten geblieben seien. Eine Planung der Nachkriegszeit war eigentlich sogar noch in den letzten beiden Kriegsjahren verboten.[71] Offensichtlich ließ sich dieses Verbot aber nicht mehr durchsetzen, denn selbst das RWM beschäftigte sich mit grundlegenden Fragen über die deutsche und europäische Wirtschaft nach dem Krieg. Ordnungspolitisch wurde im RWM zwar ein Gegenpol zur staatlich gelenkten Kriegs- und Planwirtschaft Speerscher Prägung aufgebaut.[72] Jedoch ging auch das RWM als Führungsministerium[73] selbstverständlich von einer staatlichen Lenkungskompetenz[74] unter seiner Federführung bei der Organisation der Nachkriegswirtschaft[75] aus, so dass erklärbar wird, warum im Ministerium trotz der absehbaren Kriegsniederlage zukunftsorientiert mit einer „Zentralstelle für Wirtschaftsforschung“[76] an einem volkswirtschaftlich-statistischen Informationssystem als wirtschaftspolitisches Lenkungsinstrument geschmiedet wurde. Im RWM steuerte man im Herbst 1944 also keineswegs eindeutig auf eine „Wiedereinführung einer marktwirtschaftlichen Ordnung in der Nachkriegszeit“[77] zu, vielmehr sollte das RWM zu einem „Wirtschaftsforschungsministerium“ entwickelt werden, um „Aufgaben einer wirklich zentralen Wirtschaftsplanung und Wirtschaftsforschung“ nachzukommen.[78] Da das RWM zudem für alle annektierten und besetzten Gebiete zuständig war, befasste es sich unter Ohlendorfs Führung konsequenterweise grundsätzlich auch mit der Wirtschaftspolitik auf europäischer Ebene.[79] Die Pläne, die seit dem Spätsommer/Herbst 1944 zur „Gestaltung einer künftigen national-sozialistischen Friedenswirtschaft“[80] im RWM entwickelt wurden, gingen davon aus, dass die Reichsregierung und damit auch das RWM als politische Institutionen selbst im Fall einer totalen Niederlage weiter bestehen würden. Erst ab Ende Januar/Anfang Februar 1945 wurde nach einer bedingungslosen Kapitulation mit dem Ende einer deutschen Zentralregierung gerechnet.[81] Das RWM hatte mit Blick auf die Nachkriegszeit vor, die gesamte deutsche Wirtschaftsforschung unter der Ägide des Ministeriums zu zentralisieren.
Neben dem Aufbau einer Forschungsinfrastruktur mit einer umfassenden Bibliothek und einem Wirtschaftsarchiv sollte in Kooperation mit allen einschlägigen Wissenschaftlern an den Universitäten und Forschungsinstituten, mit anderen staatlichen Stellen und Privatunternehmen das Grundsatzreferat des RWM zur volkswirtschaftlichen Lenkungszentrale Deutschlands und der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft unter deutscher Führung fortentwickelt werden.[82] Der Einbindung des Statistischen Reichsamts (StRA) kam besondere Bedeutung zu, weil sie den umfassenden Zugriff auf fast alle relevanten Wirtschaftsstatistiken sicherte. Damit konkurrierte das RWM natürlich mit dem Speerschen Planungsamt, das in der Endphase des Regimes auf die laufende Zulieferung der Planungsdaten vom StRA angewiesen war.
Leiter der volkswirtschaftlichen Abteilung, und damit zentrale Figur für Ohlendorfs auf die Nachkriegszeit gerichteten Pläne wurde Willy Lück (zugleich Leiter des Instituts für Wirtschaftsforschung in Leipzig).[83] Der „Arbeitsbericht des Referats II/1 Dr. Lück von Mitte August bis Mitte Oktober 1944“, der am 21. Oktober 1944 verfasst wurde,[84] gibt beredt Auskunft über die weitgesteckten Ambitionen. Als oberstes Ziel galt die „Erforschung der Probleme und wissenschaftliche Fundierung der zentralen Wirtschaftslenkung in Gegenwart und Zukunft“[85] und die „Herstellung einer Verbindung von Wissenschaft und Praxis.“ Ohlendorf und Lück versuchten das wirtschaftswissenschaftliche und wirtschaftsstatistische Potential anderer Institutionen und auswärtiger Sachverständiger heranzuziehen. Allerdings stieß das RWM bei Wagemann und dem DIW eher auf hinhaltenden Unwillen zu einer engen Kooperation.[86] Wagemann setzte offensichtlich auf die schon beschriebene konkurrierende Verbindung zu Göring, die ihm auch weitreichende Kompetenzen für eine vom RWM unabhängige Forschung des DIW in der Nachkriegszeit zu bieten schien.
Im Herbst 1944 hatte Lück im Auftrag Ohlendorfs mehrfach das DIW, das schließlich unter die Dienstaufsicht des RWM fiel, besucht.[87] In einem Vermerk an Ohlendorf berichtete der Referent Lück im September 1944 über seine auftragsgemäße Durchsicht der Korrespondenz und der Arbeitsberichte des DIW.[88] In einer „besondere[n] Übersicht“ führte er aus:
„Mir scheint, dass das Wagemannsche Institut doch recht beachtliche Arbeit geleistet hat und auch weiterhin leisten kann, sodass wir seiner uns ferner mit bedienen sollten. Für uns dürfte das Wagemannsche Institut – vorbehaltlich einer Besichtigung und Unterredung an Ort und Stelle – insbesondere im Rahmen der Aufgaben einer intensivierten Wirtschaftsbeobachtung und Wirtschaftsanalyse mitarbeiten können.“[89]
Über die umfangreichen Auftragsarbeiten des Instituts berichtete Wagemann auf den Sitzungen des Kuratoriums und des Verwaltungsausschusses. Er bezog sich dabei grundsätzlich auf die vorgelegten jährlichen Arbeitsberichte, die nach gleichbleibenden Themen gegliedert waren. Mehrfach betonte Wagemann, „bei all den neuen Arbeiten des Instituts habe es sich um ungemein wichtige und interessante Probleme gehandelt, zu deren strikter Geheimhaltung die Institutsleitung verpflichtet sei“.[90] Deshalb konnte er auch den Wunsch einiger Kuratoriumsmitglieder nach „Abdrucken von größeren Institutsarbeiten“ nicht erfüllen, unterstützte aber den Vorschlag des Kuratoriums, „sich an die auftraggebende Stelle zu wenden und um Erlaubnis zur Übersendung und Einsichtnahme des Manuskripts zu bitten“.[91] Die Geheimhaltung von Institutsarbeiten galt sogar gegenüber Ohlendorf vom dienstaufsichtführenden Reichswirtschaftsministerium, dem Wagemann in seinem Brief vom 13. Juli 1944 die Herausgabe der angeforderten Arbeiten abschlug: „Bei einer Reihe von Arbeiten haben sich die Ressorts, für die sie angefertigt wurden, jede Weitergabe ausdrücklich vorbehalten. Das gilt vor allem für Arbeiten, die im Auftrag des Planungsamtes und des Oberkommandos der Wehrmacht durchgeführt wurden. Ich kann Ihnen diese Arbeiten daher erst zuleiten, wenn die betreffenden Stellen zugestimmt haben“.[92]
Nach seinen Besuchen (auf Veranlassung Ohlendorfs) am 27. September und am 4. Oktober 1944 schilderte Lück vom RWM die Probleme, die dem DIW aus der Heterogenität der Aufträge erwuchsen:
„Prof. Wagemann gab weiter aufschlussreiche Hinweise auf die Arbeitsweise des Instituts. Das Institut bekommt im Rahmen von Werkverträgen von den verschiedensten Behördenstellen Aufträge über laufende und einmalige Untersuchungen. Es entsteht hierbei das Problem, wie diese oft sich widersprechenden Aufträge, die von gegensätzlichen Stellen gegeben werden, zu vereinigen sind. In vielen Fällen wird, um Konflikte zu vermeiden, den Bearbeitern gar nicht mitgeteilt, wer den Auftrag gegeben hat. Es sei unmöglich, zu irgendeinem Auftrag besonders Stellung zu nehmen, in dem Sinne, dass man beispielsweise auf Irrtümer und Fehler hinweise aus der Kenntnis anderer Aufträge heraus, dass man also die Aufträge der einzelnen Stellen bezw. diese selbst gegeneinander ausspiele. Das Vertrauen, das die Auftraggeber in das Institut mit der Erteilung ihrer Aufträge setzen, würde durch ein derartiges Vorgehen gefährdet werden, was unter keinen Umständen eintreten dürfe.“[93]
Wenngleich Ohlendorf und sein enger Mitarbeiter Lück scheiterten, das DIW in ihr volkswirtschaftlich-statistischen Informationssystem als wirtschaftspolitisches Lenkungsinstrument für die Nachkriegswirtschaft einzubinden, so blieb das RWM mit seiner Dienstaufsicht, als Kuratoriumsmitglied mit seinen Beitragszahlungen und natürlich als Auftraggeber von Gutachten weiterhin mit dem DIW eng verbunden. Während des Krieges war die Mitgliederversammlung des DIW, das Kuratorium, so aufgebläht, dass ein Verwaltungsausschuss und daraus schließlich am 30. März 1944 ein Unterausschuss gebildet wurde: Vorsitzender war Ohlendorf vom RWM und natürlich saß auch Kehrl für das Planungsamt in diesem Gremium.
3 Kriegswirtschaftliche Forschungen des DIW
Die ergänzende Online-Dokumentation geht auf die Veröffentlichungen und ausführlich auf die vertraulichen Gutachten und geheimen Berichte des Instituts ein. Hier genügen folglich einige Schlaglichter zu allen Themen der Dokumentation. Schon vor Beginn des Krieges hatte sich das Institut mit kriegswirtschaftlichen Forschungen beschäftigt. Im Jahresbericht des IfK für das Jahr 1937 war festgehalten, dass in „verstärktem Maße […] das Institut seine Aufmerksamkeit den wehrwirtschaftlichen Problemen geschenkt“ habe; zum Beispiel „über den Welthandel in Kriegsmaterial, über Brennstoffversorgung und Bevorratung anderer Länder, über Vorbereitungen der industriellen Mobilmachung im Ausland, über die Rüstungen zur See und in der Luft“.[94] Die Veröffentlichungen des Instituts für Konjunkturforschung zur Kriegswirtschaft vor 1939 sind in Übersicht 1 der Online-Dokumentation zusammengestellt.
3.1 Veröffentlichte Arbeiten in den Kriegsjahren: Schriften des Instituts
Trotz Kriegsbeginns wurden die Ergebnisse der empirischen Wirtschaftsanalysen zunächst unverändert in den Schriften des Instituts veröffentlicht: Im Wochenbericht, in den Vierteljahrsheften zur Wirtschaftsforschung, in den Halbjahrsberichten zur Wirtschaftslage und in Sonderheften (siehe den Überblick in der Online-Dokumentation). In den allgemeinen Stellungnahmen zur wirtschaftlichen Mobilmachung für den Krieg ließ das IfK/DIW keine Zweifel an seiner Einstellung zum Regime aufkommen, jedoch wurden nach und nach diese Publikationen eingestellt, da sich das Institut ganz auf die geheim zu haltende Kriegswirtschaftsforschung konzentrierte.[95] Die positive Haltung des Instituts zur Kriegswirtschaft geht aus der Stellungnahme im Halbjahrsbericht von 1939/40 hervor, in dem das IfK die große Leistungskraft der deutschen Wirtschaft zu Beginn des Krieges herausstellte. Die folgende Würdigung der Wirtschaftspolitik war allerdings möglicherweise durch die Zensur des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda beeinflusst worden. Gelobt wurden die Maßnahmen für eine erfolgreiche „Kriegswirtschaft“: 1. Durch „Ausrichtung der gesamten Wirtschaft auf die Volksgemeinschaft“ seien „soziale Kämpfe und Reibungen ausgeschaltet“ worden. 2. „Durch systematische Steigerung der einheimischen Nahrungs- und Rohstoffproduktion“ sei „seit 1933 […] Deutschlands Abhängigkeit von ausländischen Zufuhren auf kriegswichtigen Gebieten entscheidend vermindert worden.“ 3. Habe die „einheitliche Lenkung der Erzeugung, der Investitionen und des Verbrauchs […] schon lange vor Kriegsbeginn die Wirtschaft zu einem wirksamen Instrument in der Hand des Staates gemacht“. „Alle diese Maßnahmen“ seien „bereits seit 1933 zielbewußt ins Werk gesetzt worden“. „In diesem zeitlichen Vorsprung“ liege „eine entscheidende Überlegenheit gegenüber den Feindmächten, die erst jetzt das Stückwerk improvisierter kriegswirtschaftlicher Lenkung einer bisher mehr oder minder ‚freien‘ Wirtschaft aufzupfropfen“ versuchten.[96]
3.2 Nicht veröffentlichte Arbeiten: Vertrauliche Gutachten und geheime Berichte des Instituts
Der Jahresbericht des IfK für das erste volle Kriegsjahr hob hervor, dass das IfK verstärkt Aufgaben bearbeitete, „die den obersten wirtschaftlichen und militärischen Führungsstellen bei der Planung, Kontrolle und Anpassung der kriegswirtschaftlichen Massnahmen zunächst im Reich selbst, dann aber auch in den neu eingegliederten und besetzten Gebieten gestellt waren.“ Zudem war das Institut in „die Vorbereitungen für den geplanten Aufbau des kontinental-europäischen Wirtschaftsraumes“ eingebunden. Dadurch habe „sich das Schwergewicht der Institutsarbeiten immer mehr auf vertraulich erstattete Gutachten“ verlagert. [97] Nach eigenen Aussagen in den Arbeitsberichten von 1943 und 1944 habe sich das Institut in den folgenden Kriegsjahren „ganz überwiegend“ oder sogar „ausschliesslich auf die Durchführung der kriegswirtschaftlich wichtigen Arbeitsaufträge namentlich der Reichsressorts ausgerichtet“.[98]
Die begrenzten archivalischen Quellen ermöglichen nur einzelne Arbeiten aus der Vielzahl der in den Jahren 1939 bis 1945 vom DIW behandelten Themen den jeweiligen Auftraggebern zuzuordnen. Aus der ausführlichen Online-Dokumentation werden hier einige wenige Themen der vertraulichen Gutachten, Denkschriften und anderer geheimer Berichte sach- und inhaltsbezogen hervorgehoben. Zu allen vom Institut bearbeiteten Themenbereichen siehe Übersicht 3 der Online-Dokumentation.
Seit Beginn des Krieges befassten sich industriewirtschaftliche Arbeiten mit den Konsequenzen der Eroberungspolitik, die „mit der künftigen Neuordnung Europas und der Weltwirtschaft im Zusammenhang“ standen und besonders auf die Rohstoff- und Nahrungsmittelversorgung Deutschlands abstellten. Nach dem vertraulichen Jahresbericht des Instituts für Konjunkturforschung für das Jahr 1940[99] wurden zum Beispiel die „Rohstoffbilanz der europäischen Länder“ und „die gewerbliche Wirtschaft des europäischen Grosswirtschaftsraumes“ für „einzelne Gebiete dieses Raumes (Skandinavische Länder)“ untersucht.[100] Ein Jahr später erschien unter dem Titel „Rohstoffbilanz Kontinentaleuropas unter Einschluss des europäischen Russlands und Nordafrikas“ eine aktualisierte Fassung der IfK-Zusammenstellung, in der diskutiert wurde, inwieweit „sowohl in der UdSSR als auch in Afrika noch bedeutende Hilfsquellen“ zu erschließen wären.[101]
Die Handakten Wagenführs[102] in den Archivalien des Reichsministeriums für Rüstung und Kriegsproduktion verdeutlichen, womit sich die Abteilung in den Jahren 1939/40 beschäftigte: Die Sammlung von Entwürfen, statistischen Übersichten und Handnotizen enthält Ausarbeitungen zur deutschen Industriewirtschaft, zu Deutschlands Häute-, Leder- und Schuhindustrie bei Kriegsausbruch, zur Vorbereitung der Industrie auf den Krieg mit einem Kapazitätsvergleich zwischen Deutschland, Großbritannien und Frankreich und zu den Arbeitskräftereserven in England. Auch eine geplante Denkschrift über die mögliche Aufrechterhaltung des deutschen Außenhandels gehörte zu Wagenführs Entwürfen.
Nach dem Arbeitsbericht des DIW von April 1943 bis Juni 1944 waren in den folgenden Kriegsjahren die „industriewirtschaftlichen Arbeiten des Instituts […] fast ausschliesslich der organisatorischen Vervollkommnung der deutschen Rüstungswirtschaft, und zwar zunächst im Auftrage des Generalreferats des Reichswirtschaftsministeriums und später im Auftrage des Planungsamts beim Generalbevollmächtigten für Rüstungsaufgaben“, gewidmet.[103] Unsere Online-Dokumentation geht detailliert auf die Arbeit der Wagenführschen Abteilung ein. An dieser Stelle wird nur eine Statistik herausgegriffen, die nach dem Krieg als Beleg für das Speersche „Rüstungswunder“ diente: Ab Mitte 1943 wurden im DIW die Indexziffern der Rüstungsendfertigung berechnet. Sie zeigten (auf Basis Januar/Februar 1942=100) die monatsdurchschnittliche Entwicklung von 1941 bis 1944 und die monatliche Entwicklung von Januar 1942 bis Januar 1945. Die Probleme bei der Konzeption des Indexes (Repräsentationsgrad der erfassten Rüstungsgüter, Wägung mit geeigneten Preisen, Basis des Volumenindex) und das praktische Vorgehen bei der Berechnung beschrieb Wagenführ im methodischen Anhang seines 1954 veröffentlichten Buches.[104] Dieser von Wagenführ verantwortete Produktionsindex ist allerdings inzwischen kritisch hinterfragt worden: So arbeiteten Jonas Scherner und Jochen Streb heraus, dass Wagenführs Index wegen der darin enthaltenen Lieferungen aus den besetzten Gebieten die Produktion von Rüstungsgütern seit 1942 systematisch überschätzte.[105] Die Rüstungsentwicklung unter Speer war demnach gar nicht so wundersam verlaufen.
Beim Thema Arbeitseinsatz befasste sich das Institut mit „Fragen der Mobilisierung zusätzlicher Arbeitskräfte, der Verwendung der Kriegsgefangenen und der Heranziehung von Arbeitskräften aus den besetzten Gebieten“.[106] Im Jahr 1944 wurden für „einen zwischenstaatlichen Vergleich des Arbeitspotentials der Dreierpaktmächte einerseits und der Feindmächte andererseits […] umfassende Unterlagen erarbeitet“, und für den „Grossdeutschen Wirtschaftsbereich“ ging es unter anderem um die „Fluktuation der Arbeitskräfte in der Rüstungswirtschaft und die Lohngestaltung im Zuge der Industrieverlagerung.“ [107] Teilweise beschäftigte sich das DIW bereits 1944 mit Auswirkungen des Krieges auf den Arbeitsmarkt nach dem Krieg.[108]
Aspekten der Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (Volkseinkommen, Verbrauch und volkswirtschaftliche Bilanzen) widmete sich das Institut ständig. Trotzdem ist das DIW selbst nicht ganz unschuldig daran, dass sich der Mythos hartnäckig hielt, die deutsche Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) sei während des Krieges hinter derjenigen der USA und Großbritanniens zurückgeblieben. So lamentierte das DIW in seinem Jahresprogramm vom Juli 1944, dass in „England und Amerika auf einzelnen Gebieten der empirischen Wirtschaftsforschung in der Methodik und in den Ergebnissen während der letzten Jahre Fortschritte erzielt“ seien, „denen wir in Deutschland kaum Gleichwertiges an die Seite stellen können.“ Das gelte „namentlich für das Gebiet der volkswirtschaftlichen Bilanzen im Kriege, d.h. die quantitative Erforschung des Volkseinkommens, der Quellen der Kriegsleistung, der Gliederung des Verbrauchs, des Vermögensverzehrs und ähnlicher Vorgänge.“ Es bestehe „daher der paradoxe Zustand, dass wir z.B. über die Struktur des Volkseinkommens und der volkswirtschaftlichen Ausgaben bei unseren Feinden sehr gut, im eigenen Lande aber nur recht mangelhaft unterrichtet sind.“[109] Nicht nur aus dem in der Online-Dokumentation angeführten Schreiben des DIW an das Finanzministerium vom 2. September 1944 lässt sich ableiten, dass die Klagen über ein vermeintliches Zurückbleiben der deutschen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung hinter den USA und Großbritannien instrumentalisiert wurden, um Zugang zu geheimen Daten zu erhalten. Das Veröffentlichungsverbot statistischer Daten betraf nämlich auch die Sperre oder die nur beschränkte Weitergabe statistischer Daten aus den Ministerien und dem Statistischen Reichsamt.
Die vom DIW beanstandete vermeintliche Datensperre war aber keineswegs so strikt wie beklagt: Selbst auf Daten zum Staatshaushalt konnten die Wirtschaftsforscher des DIW zugreifen. Umfassende Daten zur Wertschöpfung der deutschen Industrie standen dem Statistischen Reichsamt schon spätestens seit dem Industriezensus von 1936 zur Verfügung. Wagenführs Verbindungsmann zum Statistischen Reichsamt, Kurt Werner, war der Experte für dieses Material.[110] Bei der Lenkung der Kriegswirtschaft wurde ausschließlich mit Mengendaten und physischen Input-Output-Koeffizienten (Einsatzschlüsseln) gearbeitet. Die Wertgrößen der Produktion, Brutto- und Nettoproduktionswerte (Wertschöpfung), welche die Grundlage für die Berechnung des Bruttoinlandproduktes bilden, spielten für die Produktionsplanung keine Rolle.
Unsere Online-Dokumentation widmet sich eingehend den quantitativen Arbeiten des DIW zur VGR. Ein letzter Hinweis auf die intensive Beschäftigung des DIW mit der VGR ist die Unterlage des Wagemann-Instituts vom Januar 1945 über „Volkseinkommen, öffentlicher Brutto- und Netto-Aufwand und priv. Aufwand“. Sie brachte detaillierte Zahlen zur Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und spezifisch zur Kriegsfinanzierung („Beanspruchung des Staatshaushalts“), die vermutlich von Wagenführ stammten.[111] Überliefert sind sie in den Archivalien des Reichsministeriums für Rüstung und Kriegsproduktion. Nach dem Krieg verwendete der U.S. Strategic Bombing Survey diese Angaben.[112] Aus dem umfangreichen Datensatz wurde Tabelle 1 der Online-Dokumentation erstellt, welche die zunehmende Beanspruchung des Volkseinkommens durch die Kriegsausgaben quantitativ belegt.
Eng verknüpft mit dem Thema Volkseinkommen und Kriegsausgaben sind die Öffentlichen Finanzen und damit die Kriegsfinanzierung, auf die das Institut und insbesondere sein Präsident, auch im Vergleich zu anderen Ländern, oft eingingen. Die im Zusammenhang mit dem U.S. Strategic Bombing Survey bereits erwähnten Nachkriegsbelege enthalten auch vom DIW zusammengestellte Angaben über „Die Kriegskosten und ihre Finanzierung“, über „Die Kaufkraftabschöpfung und die Erhaltung des Wertes unseres Geldes“[113] sowie eine zweiseitige Ausarbeitung über „Einige Zahlen über die Entwicklung der Reichsfinanzen im Kriege“.[114]
Aus dem Themenkomplex Geld- und Kreditwirtschaft, Währungswesen verweisen wir auf die jährlichen Zahlen über die Geldkapitalbildung von 1933 bis 1941.[115] Tabelle 2 der Online-Dokumentation zeigt einen Ausschnitt der umfangreichen Tabelle mit der gesamten „Geldkapitalbildung“, unterteilt nach kurz-und langfristigen Formen. Sie spiegelt die inflationäre Wirkung der Aufrüstung vor dem Krieg und der Kriegsausgaben im Krieg deutlich wider. So nahm schon allein der Stückgeldumlauf von 75 Millionen RM 1933 auf 5.543 Millionen RM 1941 zu. Jedoch wurde die kaufkräftige Nachfrage des privaten Konsums nicht nur durch Rationierung, sondern auch durch enorm gesteigerte Sparguthaben (1933: 630 Mill. RM, 1941: 13.800 Mill. RM) und Depositeneinlagen (1933: 406 Mill. RM, 1941: 3.562 Mill. RM) wirkungsvoll neutralisiert. Auch mit Ursachen und Folgen eines erhöhten Notenumlaufs während des Krieges beschäftigte sich Wagemann. Im Herbst 1944 betonte er gegenüber Lück vom RWM, dass „zu untersuchen [wäre], wie sich der Gesamtnotenumlauf praktisch aufgliedere, welcher Teil gehortet werde, welcher Teil für die unmittelbare Bedarfsdeckung gebraucht werde und welcher Teil für die Käufe auf dem schwarzen Markt einzusetzen sei. Daraus würde sich dann die praktische Folgerung ergeben, wie hoch bei Friedensschluss die Geldabwertung sein müsste.“[116]
Zahlreiche Arbeiten des Instituts griffen die eng zusammengehörenden Themen Außenhandel und Auslandswirtschaft auf. In seinem zusammenfassenden Bericht über die Besuche im DIW vom 30. Oktober 1944 resümierte Lück vom RWM, das Arbeitsgebiet der Auslandsabteilung umfasse das gesamte Ausland ausschließlich Russlands und Südosteuropas, die gesondert bearbeitet würden. Das Schwergewicht der Untersuchungen liege naturgemäß bei den „Feindländern, bei den USA und Grossbritannien,“ für die auch die besten Fachleute in der Abteilung vorhanden seien. Auftraggeber der Abteilung sei in erster Linie das Ministerium für Rüstung und Kriegsproduktion, sodann das Auswärtige Amt und das Propagandaministerium.[117]
Der Arbeitsbericht des DIW von April 1943 bis Juni 1944 führte die Untersuchung sehr vieler Länder auf. Dabei ging es unter anderem um das „Rüstungspotential der Vereinigten Staaten, Grossbritanniens und der Sowjetunion“. Und in „einer sehr umfassenden Denkschrift auf der Grundlage einer eingehenden Darstellung der Wirtschaft Indiens [wurden] Anregungen für das Wirtschaftsprogramm einer frei-indischen Regierung gegeben.“[118] Mit „mehreren Abhandlungen über die japanische[119] Wirtschaftspolitik im grossostasiatischen Wirtschaftsraum [wurden] die Untersuchungen über die Wirtschaft Südostasiens fortgesetzt.“ Ferner gab es größere Arbeiten über die „amerikanischen und britischen Wirtschaftsinteressen im Vorderen Orient, über die pan-amerikanischen Bestrebungen der USA auf wirtschaftlichem Gebiet, über die Entwicklung des Pacht-Leih-Verkehrs zwischen den Feindmächten und über schwedische Gedanken zur Nachkriegswirtschaft.“[120] Die Übersichten 4 und 5 unserer Online-Dokumentation verdeutlichen, dass das Spektrum der Themen und der erfassten Länder noch viel breiter war als hier wiedergegeben.
Das Agrarreferat des Instituts war maßgeblich an der Planung der Lebensmittelrationierung während des Krieges beteiligt. Anfang Oktober 1939 wurden die ersten Lebensmittelkarten ausgegeben. Das IfK/DIW hatte zudem nach 1939 mehrfach die Lebensmittelversorgung in den besetzten Gebieten (Niederlande, Tschechoslowakei, Polen, Litauen, Lettland, Estland, Norwegen, Belgien, Nordfrankreich etc.) untersucht.[121] In den Kriegsjahren führte das Institut Arbeiten über Agrarproduktion und landwirtschaftliche Verkaufserlöse fort und befasste sich für das Reichsernährungsministerium mit der jeweiligen „Lage der Landwirtschaft und über den Stand der Lebensmittelversorgung.“ Dazu erstellte es ein „statistisches Nachschlagewerk mit 150 Schaubildern und zahlreichen Tabellen“. Untersucht wurden die „Versorgungslage Kontinentaleuropas mit Nahrungsmitteln“, die „Vereinheitlichung der europäischen Agrarstatistik“ und „agrarpolitische Massnahmen zur endgültigen Sicherung der europäischen Nahrungsfreiheit.“[122] Das breite Spektrum der vom Institut untersuchten Themen ist in den Archivalien des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft und des Reichswirtschaftsministeriums überliefert (siehe Übersicht 6 der Online-Dokumentation).
Kriegswichtige Themen der Verkehrswirtschaft waren „die Verkehrsverlagerungen und Verkehrsumschichtungen, die die Kriegshandlungen auslösten.“[123] Im Jahre 1943 legte das DIW eine umfangreiche Untersuchung über die Bedeutung der Saisonschwankungen im Güterverkehr für die Kriegswirtschaft vor. Analysiert wurde, ob „durch Milderung der Saisonschwankungen im Güterverkehr weitere Leistungsreserven im Transportwesen freizulegen“ wären. Dabei hielt es die Betriebsführung der Deutschen Reichsbahn für die „Aufgabe der Wirtschaft, so zu disponieren, dass die Transporte mehr und mehr in die verkehrsstille Zeit verlegt würden. Diese Problemstellung hat während des Krieges ungewöhnliche Bedeutung gewonnen, da die Anforderungen jetzt weit stärker als früher stossweise erfolgen und ein Versagen des Verkehrsapparats in entscheidenden Augenblicken zu nicht übersehbaren Folgen führen könnte“.[124] Auf der Sitzung des Verwaltungsausschusses im November 1944 hielt Wagemann einen Vortrag über „Leistungsreserven der Verkehrswirtschaft“ und zog den Schluss: Gelänge der „saisonmässige Ausgleich vollständig, so könnte hierdurch allein das Leistungsvermögen der deutschen Reichsbahn um 25-30 Millionen Tonnen im Jahre gesteigert werden, das heisst um bis zu 7%.“[125] Arbeiten für das Reichsernährungsministerium griffen die Frage der Einsatzmöglichkeiten von Schiene und Wasserstraße für den Abtransport landwirtschaftlicher Erzeugnisse aus dem Osten auf.[126] Weiterhin wurde unter anderem untersucht, ob die Leistungsfähigkeit des Schienennetzes ausreichen würde, um Italien, dessen Seewege durch feindliche Streitkräfte leicht zu blockieren waren, mit deutscher Kohle zu versorgen. Für das Reichsverkehrsministerium beschäftigte sich das DIW mit den „verkehrswirtschaftliche[n] Grundlagen für den Ausbau der Eisenbahnverbindungen zwischen den besetzten Ostgebieten und dem Reich.“[127] Unsere Online-Dokumentation mit der Übersicht 7 führt weitere Themen der Verkehrsabteilung des DIW während des Krieges auf.
Für das Reichspostministerium wurden zahlreiche Gutachten zum Post- und Fernmeldewesen mit der wissenschaftlichen Analyse praktischer Verwaltungsaufgaben, wie der Neuorganisation der Reichspostdirektionsbezirke erstellt.[128] Weiterhin widmete sich das Institut der Entwicklung des Post- und Fernmeldewesens bei den Mitgliedsstaaten des Europäischen Post- und Fernmeldevereins und der Erstellung eines statistischen Handbuchs über das Post- und Fernmeldeaufkommen im europäischen Raum.[129] Darüber hinaus siehe die DIW-Arbeiten zum Post- und Fernmeldewesens in unserer Übersicht 8 der Online-Dokumentation.
Nachdem der Hitler-Stalin Pakt geschlossen worden war, nahm das IfK 1939/40 seine Russlandforschung wieder auf. Sie wurde 1941 nach der Besetzung großer Teile Russlands durch die deutschen Truppen in Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsstab-Ost fortgeführt. Über die seit 1939/40 herausgegebene Schriftenreihe „Die Wirtschaft der UdSSR in Einzeldarstellungen“ berichtete Wagemann vermutlich im Mai 1942, dass „vor allem [die] seit 1939 herausgebrachten internen Berichte [des DIW] über die UdSSR […] immer wieder darauf hingewiesen [haben], daß die Sowjets zwar unter außerordentlich großen Verlusten, mit einem unermeßlichen Verschleiß an Menschen, Sachgütern und unter Ertötung der Initiative des Einzelnen gearbeitet haben – daß dank der gewaltigen Naturschätze und der großen Menschenreserven des Landes aber doch ein wirtschaftlich und vor allem machtpolitisch großes Potential entstanden“ sei. Auf das DIW kämen „schon jetzt mehr und mehr die Anforderungen, die mit dem Neubau im Osten Zusammenhängen – und ich [Wagemann] werde glücklich sein, wenn bei dieser historischen Aufgabe auch der Stab meines Instituts herangezogen wird.“[130] Zu den Heften der Schriftenreihe „Die Wirtschaft der UdSSR in Einzeldarstellungen“ siehe Übersicht 9 in unserer Online-Dokumentation.
Preise wurden nicht nur empirisch-statistisch erfasst, sondern auch preistheoretisch zu erklären versucht. Neben den Preisproblemen der deutschen Kriegswirtschaft wurde auch „die Preispolitik und Preisentwicklung der anderen europäischen Länder, vor allem des Südostens, […] laufend beobachtet. […] Die Probleme der deutschen Preisentwicklung, zumal die Frage des steigenden Drucks auf das gesamte Preisgefüge, machte eine Überprüfung der bisher verwendeten preisstatistischen Methoden notwendig.“[131] Weiterhin wurde die „Preispolitik im Rahmen der gesamten Wirtschaftssteuerung der einzelnen Länder sowie die während des Krieges eingetretenen Verschiebungen in den Preisrelationen“ analysiert. Dazu wurde „eine Arbeit über die kriegsbedingten Veränderungen auf den internationalen Märkten für Rohstoffe und Nahrungsmittel abgeschlossen“. „Als Beitrag zu einer Methodik der Preislenkungsmassnahmen wurde die Preispolitik der Sowjetunion untersucht, die durch den Versuch zum Aufbau eines geschlossenen Preisbildungssystems in einer totalen Planwirtschaft gekennzeichnet ist.“[132] Über die Beziehungen zwischen Preisen und Mengen referierte Wagemann auch auf der Sitzung des Verwaltungsausschusses am 8. November 1944. Er bezog sich auf Untersuchungen seines Instituts in den Niederlanden zum Thema Substitutionselastizität: „Die Ergebnisse sind frappant; sie zeigen, dass Preissenkungen und damit auch Devalvationen verhältnismässig wenig wirksam sind. […] Die Politik der Preisstops erfährt hiermit eine gewisse Rechtfertigung. Das Argument jedenfalls, dass erhöhte Preise erhöhte Produktion nach sich ziehen würden, gilt hiernach nur in sehr beschränktem Umfange.“[133]
Das 1937 erweiterte Filmreferat des Instituts stützte sich vor allem auf die von Alexander Jason erarbeitete „Filmkartei über sämtliche in Deutschland zugelassenen Filme“.[134] Dieses Material bildete die Grundlage zahlreicher Arbeiten des Instituts über die Filmwirtschaft. Während des Krieges wurde für das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda „das Filmschaffen in Deutschland und in den kontinentaleuropäischen Ländern laufend beobachtet und in mehreren grossen Übersichten dargestellt.“[135]
Zur Regionalwirtschaft hob der Jahresbericht des IfK für das Jahr 1940 hervor, dass man „den neuen deutschen Grenzgebieten im Osten und Westen des Reiches besondere Aufmerksamkeit geschenkt“ habe. „Auf Grund der Lageberichte der Wirtschafts- und Industrie- und Handelskammern wurde auch weiterhin im Auftrage der Reichswirtschaftskammer regelmässig ein Gesamtbericht über die Lage der deutschen Kriegswirtschaft zusammengestellt. Neu in Angriff genommen wurde eine fortlaufende zweijährige Übersicht über die Entwicklung der wirtschaftlichen Kapazitäten in den einzelnen Regierungsbezirken auf Grund der Statistik der Gewerbeaufsichtsbeamten“.[136] Grundsätzlich aber wurden regionale Themen vorwiegend von den Außenstellen des IfK/DIW bearbeitet.
Im Auftrag Wagemanns war Ulrich von Hassell – der im September 1944 als Widerstandskämpfer hingerichtet wurde – seit März 1942 Verbindungsmann des Wiener Instituts für Wirtschaftsforschung zu den südöstlichen Außenstellen. In dieser Funktion verfasste von Hassel einen Bericht über seine Reise nach Bulgarien, Rumänien und Ungarn, auf der er die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit des DIW in Berlin und des Wirtschaftsforschungsinstituts in Wien mit entsprechenden Instituten in Sofia, Bukarest und Budapest erkundete.[137]
Das Institut beschäftigte sich ferner mit zahlreichen Einzelfragen, namentlich auf den Gebieten „der Bauwirtschaft (Bauplanung nach dem Kriege, künftiger Wohnungsbedarf, Zusammenhang zwischen Binnenwanderung und Wohnungsbedarf), der Textilwirtschaft (nach den einzelnen Ländern des europäischen Grosswirtschaftsraumes), der Energiewirtschaft“.[138]
4 Schlussbemerkung
Bereits hinreichend erforscht und dokumentiert war die lenkungswirtschaftliche Funktion der Industrieabteilung des DIW für das Reichswirtschaftsministerium und später für das Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion. Unser Aufsatz hier dokumentiert dagegen zum ersten Mal umfassend die kriegswichtigen Auftragsarbeiten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschungfür viele Reichsressorts und die Wehrmacht.
Erschwert wurden diese DIW-Arbeiten, nachdem Wagemann 1933 seine Doppelfunktion als Institutsleiter und als Präsident des Statistischen Reichsamts verloren hatte. Denn seither konnte das IfK/DIW nicht mehr selbstverständlich direkt auf interne Statistiken des Reichsamts zugreifen. Daher mussten sich das Institut und sein Präsident mit überzeugender fachlicher Kompetenz das Vertrauen seiner Auftraggeber sichern, um weiterhin gutachterlich tätig sein zu können. Wagemann und seinen Mitarbeitern gelang es, die Aufträge und Anfragen der verschiedenen Reichsbehörden so zufriedenstellend zu erledigen, dass das DIW damit zu einer kriegswichtigen Institution wurde. Gegenüber anderen Institutionen wurde dem DIW eine Sonderstellung, etwa im Reichsforschungsrat,eingeräumt. Zu diesem Stellenwert hat sicher auch das Geschick des Präsidenten beigetragen, den Regierenden sein Institut während des Zweiten Weltkriegs als unverzichtbares Wirtschaftsforschungsinstitut darzustellen. So hat sich Wagemann im nationalsozialistischen System behauptet und sich und sein Institut unentbehrlich gemacht.
About the authors
Rainer Fremdling is Professor Emeritus of Economics at the University of Groningen. He worked as an economic historian at the University of Münster and the Free University of Berlin before he became full professor at the University of Groningen (1987, Chair of Economic and Social History, Dept. of Economics and History); in addition, he was research fellow of the German (DFG, 1978-1980) and Dutch (NWO, 2002/03) research foundations and held visiting fellowships at the University of Pennsylvania (ACLS-fellow, 1975/76), St. Antony´s College Oxford (British Academy Wolfson and Leverhulme fellow, 1978/79; Senior Fellow, 1986), KU Leuven (1979), DIW (research professor and senior research associate, 2002-2019), WZB and FU Berlin (both 2002/03).
Reiner Stäglin was Honorary Professor in Economic Statistics at the Economics Department of the Free University of Berlin. He gave lectures on national accounts, input-output analysis and empirical statistics both at the Humboldt University Berlin and Potsdam University. He worked as a scientific researcher and as head of the input-output group at the German Institute for Economic Research (DIW Berlin) where he became a research professor and a senior research associate after his retirement. He is author of many publications on empirical economics and archivebased research. On behalf of DIW, Eurostat, the Federal Statistical Office and GTZ, he worked as an economic and statistical advisor in many countries in Europe and beyond. He was elected President of the International Input-Output Association (IIOA) and Chairman of the German Statistical Society (DStatG). In 2006, he was awarded the Cross of Merit of the Federal Republic of Germany (Bundesverdienstkreuz 1. Klasse).
© 2024 Rainer Fremdling/Reiner Stäglin, publiziert von De Gruyter
Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 4.0 International Lizenz.
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