Qualität in der Inhaltserschließung
Rezensierte Publikation:
Michael Franke-Maier, Anna Kasprzik, Andreas Ledl und Hans Schürmann (Hrsg.). – Berlin, Boston: De Gruyter, 2021. IV, 420 S., (Bibliotheks- und Informationspraxis; Bd. 70; ISSN 2191-3587). ISBN 978-3-11-069149-8 (Festeinband); ISBN: 978-3-11-069159-7 (PDF), ISBN 978-3-11-069164-1 (EPUB), 69,95 Euro. DOI 10.1515/9783110691597

Mit dieser Publikation ist ein umfangreiches Werk zum Thema Qualität in der Inhaltserschließung erschienen. Im Editorial werden die einzelnen Beiträge der Veröffentlichung vorgestellt. Diese kurze Vorstellung ermöglicht ein Fokussieren auf Fragestellungen in der eigenen Arbeit und damit gezieltes Lesen.
Das Werk gibt einen Überblick der vielfältigen Betrachtungen, Herangehensweisen nicht nur in der bibliothekarischen Welt. Alle Publizierenden legen einen hohen Anspruch an die Qualität in der Inhaltserschließung und vielfach wird das Problem der zu erschließenden Menge thematisiert. Dieser Spanungsbogen von Quantität und Qualität zieht sich durch alle Beiträge und berichtet über interessante Herangehensweisen in der messbaren und nachvollziehbaren Findung von vergleichbaren Werten. Bei der Fragestellung was ist Qualität in der Inhaltserschließung und wie kann ich diese messen, wird verglichen zwischen intellektueller und maschineller Inhaltserschießung einerseits und Erschließung durch die Bibliothek, durch den Ersteller der Quelle und durch Nutzer. Die Publikation berichtet über verschiedene Formen in unterschiedlicher Kombination.
Die umfangreiche Aufsatzsammlung „Qualität in der Inhaltserschließung“ umfasst 19 Darstellungen von wichtigen spezialisierten bibliothekarischen Theoretikern und Praktikern mit teilweise langjähriger Erfahrung in dieser Thematik sowie die umfangreichen, oft weiterführenden Überlegungen und Projektberichte von IT-Theoretikern: Bewährte Verfahren neben und mit technologischen Neuentwicklungen werden so unter unterschiedlichem Blickwinkel von 49 Autorinnen und Autoren gezeigt, in der Diskussion vorgestellt und in ihren zukünftigen Möglichkeiten skizziert. Die Auswahl der Themen aus der Vielfalt der Theorie und Praxis zur Qualität in der Inhaltserschließung ist außerordentlich gut gelungen. So wirkt das „Expertenteam RDA-Anwendungsprofil für die verbale Inhaltserschließung“ mit, darunter auch Ulrike Junger. Sie trägt auch einen Einzelaufsatz bei und ist neben Klaus Gantert Mitherausgeberin der Reihe Bibliotheks-und Informationspraxis. All dies ermöglicht insgesamt einen intensiven Blick auf die Arbeit der DNB bezüglich der Inhaltserschließung (55/70) allgemein, besonders aber auf Standardisierung (170 f.), nicht zuletzt auf die GND (93/112). Der Aufsatz zur Qualitätsbewertung von MARC 21 (177/227) erlaubt nun durch das konsequente Heranziehen besonders ungarischer Bibliotheken einen gewissen Blick über die Grenzen.
Qualitätskriterien und Qualitätssicherung stellen die zentralen Fragestellungen dar, neben Überlegungen, ob und wie Algorithmen und Automatisierung die Inhaltserschließung vereinfachen und kostengünstiger machen könnten. Hier fokussiert sich der Blick auf den sprachlichen Aspekt an: Kann die Erschließung durch Reduktion auf vergleichbarem Niveau gehalten werden? Als weitere Gesichtspunkte werden der idealistische und der fachliche Aspekt angegeben, deren Trennschärfe allerdings schwer zu erkennen ist.
Vierter Aspekt ist nach der angebotenen Gliederung der historische. Dafür steht notgedrungener Weise knapp, aber hilfreich als Hintergrund der „Überblick aus 50 Jahren“ von Andreas Ledl (19/34); das enthaltene, durchaus umfangreiche Literaturverzeichnis (29/34) bietet selbstverständlich nur einen Ausschnitt aus der gerade in den genannten Jahrzehnten dank neuer Regelwerke für den Schlagwortkatalog und die intensive Entwicklung im Klassifikationsbereich stark angeschwollene Literatur zur Inhaltserschließung. Da ist auch die Erinnerung an drei Definitionen der Sacherschließung hilfreich. Zu Beginn der Einleitung (1) wird bereits auf die Bedeutung der Normierung durch ISO (1) verwiesen. Besonders gelungen ist vor allem der Ansatz, die Aspekte des Diskurses an ausgewählten deutschsprachigen Publikationen zu erläutern.
Es kristallisieren sich schon in dieser zusammenfassenden Einleitung (1/18) einige grundsätzliche Thesen heraus, die nicht allesamt Neuigkeiten darstellen, die aber im Zusammenhang des Buches zu sehen sind und den Neueinsteigenden ins Thema einen guten Ausgangspunkt ermöglicht.
Die Qualität der Daten ist die Grundlage qualitativer Inhaltserschließung. (11 f.) Denn Datenqualität stellt die Grundlage der Qualität der Information dar (168 f.), die aus der Inhaltserschließung möglich ist.
Dazu stellt sich die Frage: Ist Quantität dabei ein Qualitätsmerkmal? (14)
Jedenfalls steigert die Inhaltserschließung den Wert der Bibliothek (13), die diese Inhaltserschließung leistet bzw. als Fremdleistung anbietet.
Ohne formale (Normdatenformate 171) wie inhaltliche Regel(unge)n (172) ist Datenqualität nicht möglich (169, 171).
Die zu Zeiten hochgeschätzte Folksonomie (25) tritt inzwischen wieder zurück angesichts des (zwingend) subjektiven Ansatzes eines Autors bzw. einer Autorin zur inhaltlichen Beschreibung ihrer Texte (19) – und sicherlich auch des weitgehenden Desinteresses, eine Inhaltserschließung für den eigenen Text zu leisten. Die Nutzer und Nutzerinnen von Inhaltserschließung mit ihren erforderlichen und erwarteten Anforderungen sind im Band eher am Rande relevant (z. B. 294 f.).
Eine zentrale Rolle spielen auch in dieser Aufsatzsammlung die beiden Klassiker der (in der Regel bibliothekarischen) Inhaltserschließung, Klassifikation und Schlagwörter (wobei auf S. 294 zu Recht gefragt wird, warum der anerkanntermaßen inzwischen jahrhundertealte Terminus „Schlagwort“ nicht durch einen für die Nutzung verständlicheren wie zum Beispiel „Thema“ abgelöst wird). Dabei wird nun betont, dass Klassifikationen „von immenser Bedeutung" sind (200). An eher versteckter Stelle (365 f.) wird über die Quantität der Anwendung von Sacherschließungssystemen in den Verbünden berichtet. Hier erweist sich – wie schon seit Jahrzehnten – die herausragende Rolle der RVK. Die knappen Skizzen von DA3 (366) und hebis.SET (368 f.) erinnern an die während der Jahresbesprechung der RVK am 17. November 2021 geäußerte Idee, beide Systeme eventuell in einem DA4 zusammenzuführen. Gerade die Verwendung mehrerer Erschließungssysteme erinnert daran, dass „ein Retrievalsystem aus vielen Komponenten besteht“ (344). Die Arbeit an der Inhaltserschließung wird inzwischen ohnehin dominierend in Verbünden geleistet (361 f.); der Sammelband geht allerdings wohl zu wenig auf die Arbeit der zahlreichen kleineren Bibliotheken außerhalb von Verbünden ein. Sie verfolgen zumeist eine sehr in die thematische Tiefe gehende Sacherschließung. Erfahrungen aus diesem Bereich der Bibliotheken wären sehr interessant gewesen.
Insgesamt enthält der Band ein knappes allgemeines Literaturverzeichnis und erfreut in einigen Themenbereichen durch sehr ausführliche Literaturverzeichnisse, vor allem 49/54, 160/165, 254/257 und 344/348, die zur Weiterarbeit einladen.
Sehr bedauerlich, wenn nicht gar unverständlich, ist das völlige Fehlen eines Index. So begegnen einem zentrale Begriffe zwar in den einzelnen Überschriften, ihre teilweise zahlreichen Verwendungen innerhalb der Kapitel sind jedoch eher mühsam zu suchen und zu finden.
So ist ein in den vergangenen Jahren sehr relevant gewordener Begriff wie Digital Humanities nur als untergeordnete Überschrift zu finden (155 f.). Terminologische Unsicherheiten (z. B. Schlagwortvergabe 60, 63 neben Verschlagwortung 325 ff.) sind vielleicht nicht ganz zu vermeiden.
Für ein gründliches und gezieltes Arbeiten mit dem wertvollen Buch wär es hingegen zweifellos belangreich, sich orientieren zu können über häufig in den Aufsätzen verwendete Begriffe wie BK (z. B. 117, 128, 169), DDC (z. B. 117, 128, 131, 169, 200, 296, 370), RVK (z. B. 117, 128, 130, 169, 296, 362, 365, 366, 368 f.) oder auch Thesaurus (341, 366), GND (u. a. 10, 56, 229 ff., 259 ff.) (2) oder FRBR (z. B. 94, 224).
Hilfreich ist allerdings die recht ausführliche Vorstellung der Autorinnen und Autoren (407-420). Der Band ist gut gestaltet und sorgfältig erstellt. Die Anzahl von Wiederholungen, Schreibfehlern u.ä. ist gering, der kleine Aufsatz von J. Hubrich und B. Lorenz, der auf S. 30 aufgeführt wird, stammt von 2012, nicht 2021. Bemerkenswert ist, dass der Beitrag von K. Ceynowa 2017 in der FAZ sowohl im historischen Überblick (27) als auch im Kontext „Neue Wege“ (55) zitiert wird – und dann nochmals S. 62.
Das Ziel des Bandes, eine Handreichung darzustellen und Anregung für Diskussion und Arbeit zu liefern, ist gewiss erreicht.
© 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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