Startseite Haug, Christine; Jacobs, Stephanie (Hrsg.): Zwischen den Zeilen und Zeiten. Buchhandel und Verlage 1825–2025. Eine andere Geschichte des Börsenvereins. Herausgegeben im Auftrag der Historischen Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Göttingen: Wallstein Verlag, 2025. 568 S. Abb. ISBN 978-3-8353-5847-8. Klappenbroschur, Farbschnitt, 28 €
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Haug, Christine; Jacobs, Stephanie (Hrsg.): Zwischen den Zeilen und Zeiten. Buchhandel und Verlage 1825–2025. Eine andere Geschichte des Börsenvereins. Herausgegeben im Auftrag der Historischen Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Göttingen: Wallstein Verlag, 2025. 568 S. Abb. ISBN 978-3-8353-5847-8. Klappenbroschur, Farbschnitt, 28 €

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Veröffentlicht/Copyright: 26. Juni 2025

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Haug Christine; Jacobs Stephanie (Hrsg.): Zwischen den Zeilen und Zeiten. Buchhandel und Verlage 1825–2025. Eine andere Geschichte des Börsenvereins. Herausgegeben im Auftrag der Historischen Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Göttingen: Wallstein Verlag, 2025. 568 S. Abb. ISBN 978-3-8353-5847-8. . Klappenbroschur, Farbschnitt, 28 €


Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels feiert seinen 200. Geburtstag. Damit ist er der älteste Branchenverband Europas. Als „Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig“ auf der Jubilate-Messe 1825 gegründet, hat er das „lange 19. Jahrhundert“ und das turbulente 20. Jahrhundert durch- und überlebt: Trotz aller politischen wirtschaftlichen und sozialen Krisen hat er sich zwar gewandelt oder besser gesagt dem Wandel anpassen müssen, blieb aber grosso modo immer seinem ursprünglichen Auftrag verpflichtet.

Mit berechtigtem Stolz war er bemüht, seine „runden“ Jubiläen durch entsprechende Aktivitäten angemessen zu feiern. Das 50-Jahre-Jubiläum war für das Vorstandsmitglied, den Verleger Eduard Brockhaus, 1875 der äußere Anlass, eine Geschichte des Deutschen Buchhandels in Angriff zu nehmen. Er beantragte, die Einsetzung einer Kommission, die das Projekt auf den Weg bringen sollte. 1876 konstituierte sich die „Historische Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels“.[1] Zwischen 1886 und 1913 erschien dann das Standardwerk, der nach den Verfassern benannte „Kapp/Goldfriedrich“. Seine Fortsetzung Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert kam ab 1983 in Gang und dürfte in absehbarer Zeit abgeschlossen werden. Das Jubiläum 100 Jahre Börsenverein war 1925 Anlass für einen „stolzen Auftritt“ mit „mehrtägigen Feierlichkeiten“ und der Publikation einer Festschrift.[2] Kurz erwähnt sei, dass in der DDR 1955 in Leipzig der 130. Geburtstag gefeiert wurde. Des 150-Jahre-Jubiläums wurde im Börsenblatt von 1975, Nr. 32 gedacht.[3] Als dann im Jahr 2000 der geschichtliche Aufriss Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels 1825–2000 erschien, war dies eine groß angelegte Hommage zum 175. Jahrestag.[4]

Als das 200-Jahre-Jubiläum näher rückte, begann die Historische Kommission, sich mit der Möglichkeit der Publikation einer Festschrift zu befassen. Unter anderem wohl aus Kostengründen, wie vermutet werden darf, lehnte es der Vorstand des Börsenvereins ab, die eingereichten Vorschläge der Kommission zu übernehmen. So entschloss sie sich, Konzept und Ausführung in eigener Verantwortung zu verwirklichen. Da ihr ein erstes Exposé von Michael Knoche aus dem Jahr 2020 vorlag, konnte an seine Überlegungen angeknüpft und über das Projekt nachgedacht werden. Im Herbst 2022 war man bereit, sich auf das Wagnis einzulassen und das Buchprojekt „mit vereinten Kräften“ zu realisieren. Die frühere Vorsitzende der Kommission, Christine Haug, und ihr Nachfolger, der Verleger Thedel von Wallmoden, ergriffen die Initiative und leiteten die ersten Schritte ein.

Es verdient höchsten Respekt, wie schnell es gelang, die anvisierten 200 kurzen Essays „just in time“ zu erhalten. Durch zahlreiche Spenden konnten sogar alle eingegangenen 216 aufgenommen werden. Unter den Autorinnen und Autoren finden sich Professoren und Professorinnen, Doktoranden und Doktorandinnen sowie sonstige akademische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Bibliothekarinnen und Bibliothekare, Archivarinnen und Archivare sowie Sammlungsleiterinnen und Sammlungsleiter, Verlegerinnen und Verleger. Viele von ihnen sind als erfahrene Expertinnen und Experten, als Buchwissenschaftlerinnen und Buchwissenschaftler ausgewiesen. Die Herausgeberschaft lag in den Händen von Prof. Christine Haug und der Leiterin des Deutschen Buch- und Schriftmuseums der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig, Dr. Stephanie Jacobs.

Wie präsentiert sich nun das inhaltliche Konzept? Da der historische Aufriss von 2000 eine mehr oder weniger linear erzählte Geschichte von Institutionen war, entschied man sich nun für das Format einer Chronik, das heißt einer Gliederung nicht nach Themen, sondern in Jahres- und Mehrjahreschritten, freilich nicht traditionell „historisierend“. Nicht eine durchgehende Entwicklung unter der Rubrik „Börsenverein, Buchhandel und Verlage“ steht nun im Vordergrund, sondern signifikante Ereignisse, Entwicklungen, Maßnahmen, politische Entscheidungen, Institutionen und Organisationen, Personen und Diskussionen. Grundlage für die Planung waren Stichwörter in einer mehrfach fortgeschriebenen Lemmataliste, die dann die Suche nach qualifizierten Beiträgerinnen und Beiträgern ermöglichte. Dass dieser innovative Ansatz tragfähig war, zählt zu den Vorzügen dieser Publikation.

Die Breite des Ansatzes und die Vielzahl der vorgeschlagenen Themen, von denen man keines vermissen möchte, machen es unmöglich, im Einzelnen darauf einzugehen. Beinahe wahllos seien exemplarisch einige Überschriften herausgegriffen:

  • Erster Schritt zum Börsenverein

  • Der Justizmord an Johann Philipp Palm

  • Der Raubdruck als Instrument der Leseförderung

  • Die Berner Übereinkunft

  • 330 Milliarden Mark für einen Reclam-Band

  • Die Gleichschaltung des Börsenvereins

  • Entmilitarisierung und Entnazifizierung

  • „Vereinigungsprozess einleiten“

  • Einsatz für Demokratie und Meinungsfreiheit

Auch auf Anekdotisches wird nicht verzichtet, wenn vom wechselvollen Schicksal des „Silbernen Hammers“ des Präsidenten beim jeweiligen Kongress der Internationalen Verleger-Union die Rede ist.

Der letzte Artikel, dem Erscheinungsjahr 2025 gewidmet, ist mit „Das Ende der Geschichte. Büchermachen als Blaupause einer offenen Gesellschaft“ überschrieben. Torsten Köchlin liefert mit der Anspielung auf Francis Fukuyamas Buch eine quasi philosophische Schlussbetrachtung mit der Hervorhebung von „Freiheit, Demokratie, Menschenrechte[n] und dem Kampf gegen Populismus und Fremdenfeindlichkeit“ als „Gegennarrative“ zur gegenwärtigen politischen Situation. Diese Gegennarrative seien und sollen zugleich die Kernthemen des Börsenvereins sein. Der Geist der Beiträge spiegle in beispielhafter Weise die Einstellungen der Autorinnen und Autoren: gegenseitiges Interesse, Austausch und die Bereitschaft zu gesellschaftlichen Kompromissen. Köchlin betont, dass das Ende der Geschichte immer auch der Anfang einer neuen Geschichte ist. Der vorgegebene Umfang der Texte und ihre Themenbreite verleihen dem Buch den Charakter einer Enzyklopädie, sofern man unter einer solchen auch die Zusammenfassung des gesamten Wissens, hier über das Buch, versteht. Aus den vielen Einzelbeiträgen ist ein „Totum“ entstanden, und das ist kein geringes Lob. Es ist anzunehmen, dass ihre Überschaubarkeit und konzise Darstellung den Lesegewohnheiten einer jüngeren Generation entgegenkommt, die angeblich vor längeren Fachbeiträgen zurückscheut.

Das Grußwort der Herausgeberin Christine Haug und die Einleitung von Stephanie Jacobs heben die „kongeniale Gestaltung“, das „exzellent gestaltete Buch“ hervor. Ganz ohne Zweifel ist der „experimentelle gestalterische Ansatz“, für den Torsten Köchlin aus Leipzig verantwortlich zeichnet, höchst bemerkenswert. Das Buch hebt sich wohltuend von dem sonst bei Festschriften eher wenig inspirierenden Layout ab. Die Gestaltung des Einbands mit seitlichen Klappen, rotem Kopf-, Vorder- und Fußschnitt lassen die Broschur ansehnlich erscheinen. Der Satzspiegel besteht aus zwei Kolumnen, von denen nur die jeweils rechte bedruckt ist. Da das Flächengewicht des Papiers mit 60g/m2 verhältnismäßig gering ist, schimmert der Text auf den frei bleibenden Kolumnen durch, was bei der Lektüre irritiert. Die Abbildungen sind immer auf mehreren Seiten gebündelt, aber nach Meinung des Rezensenten oft aus gestalterischen Gründen unnötig verkleinert (zum Beispiel S. 64) oder nur in einem Ausschnitt (S. 190) reproduziert. Dass das Grußwort der ehemaligen Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth, und das Vorwort der Vorsteherin des Börsenvereins, Katrin Schmidt-Friderichs, in einem wesentlich größeren Schriftgrad hervorgehoben sind, stört die Einheitlichkeit des Erscheinungsbildes. Allerdings wo es um die Ästhetik der Gestaltung geht, sei ausdrücklich betont, dass man in Geschmacksfragen immer geteilter Meinung sein kann.

Am Ende des Textes sind als Addenda hinzugefügt ein nach Stichjahren geordnetes Verzeichnis der Lemmata, Kurzbiografien der Beiträgerinnen und Beiträger, ein Verzeichnis der Abbildungen und der Dank an die Zuwenderinnen und Zuwender, ohne deren Spenden eine Veröffentlichung des Bandes nicht zustande gekommen wäre.

Abschließend sei die Kurzcharakteristik des Buches auf der letzten Umschlagseite zitiert: Der bilderreiche Band „erzählt eine etwas andere Geschichte des Handels mit Wissen“. Dass das Ziel dieser „etwas anderen Festschrift“, nämlich „die Geschichte von Buchhandel und Verlagswesen einem breiten Publikum zugänglich zu machen“, erreicht wird, ist ihr ausdrücklich zu wünschen. Dem ist nichts hinzuzufügen. Vermutlich wird die gleichnamige Ausstellung „Zwischen Zeilen und Zeiten“ vom 24. April bis 15. Dezember 2025 im Deutschen Buch- und Schriftmuseum in Leipzig dazu beitragen, diesen Wunsch zu erfüllen.

Online erschienen: 2025-06-26

© 2025 bei den Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Heruntergeladen am 1.10.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/bfp-2025-0016/html
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