Abstract
This study analyzes the formulation »Jews and (other) merchants« as it appears in sources from the 9th to the early 11th centuries. It addresses Michael Toch’s thesis with an aim to clarify the historical meaning of such formulations. By doing so, this study sheds light on how specific social differences between Jewish and non-Jewish merchants arose, while economic activities among both groups remained the same. Both Jews and non-Jews traded in the whole Frankish Empire and beyond. Both groups, therefore, took part in the lucrative as well as extensive slave trade, which was an essential element of the long-distance trading of the early Middle Ages.
Einleitung
Eine im Hinblick auf die allgemeine Quellenarmut dieser Zeit nicht ganz kleine Gruppe von Quellen aus dem Fränkischen und Ottonischen Reich, entstanden vom früheren 9. bis zum frühen 11. Jahrhundert, nennt in einem Atemzug Kaufleute und Juden. Mehrfach wird in diesen Quellen sogar die Formulierung Iudei et ceteri mercatores, Juden und andere Kaufleute, gebraucht,[1] werden die Juden also aus der Gruppe der Kaufleute noch besonders hervorgehoben. Unter Heranziehung weiterer Quellen, auch solcher aus dem arabischen Raum,[2] die in unterschiedlichen Zusammenhängen jüdische Kaufleute erwähnen, wurde in der einschlägigen Literatur schon im 19. Jahrhundert daraus meistens der Schluss gezogen, jüdische Fernhändler seien in dieser Zeit die wichtigste Gruppe unter den Kaufleuten gewesen; manchmal wurde sogar von einem jüdischen Handelsmonopol gesprochen.[3]
Da im Fränkischen und Ottonischen Reich Sklaven ein wichtiges Handelsgut waren und auch in einigen der hier angesprochenen Quellen als solches erwähnt werden, wurde den jüdischen Kaufleuten auch eine wichtige Rolle im Sklavenhandel dieser Zeit zugewiesen.[4] Es war dann vor allem der belgische Historiker Charles Verlinden (1907–1996), der in zahlreichen Arbeiten zur mittelalterlichen Sklaverei[5] Thesen über eine beherrschende Stellung jüdischer Kaufleute im frühmittelalterlichen Sklavenhandel entwickelte, die von der Fachwelt weitgehend übernommen wurden. Bei genauerer Betrachtung halten allerdings viele seiner Thesen einer kritischen Überprüfung nicht stand. Das betrifft insbesondere auch seine Ansichten zur Rolle und Bedeutung der Juden im frühmittelalterlichen Sklavenhandel.
Mit beiden Themen, also der tatsächlichen Bedeutung jüdischer Kaufleute im Allgemeinen in der Zeit vom 9. bis zum 11. Jahrhundert und ihrem Engagement im damaligen Sklavenhandel im Besonderen, hat sich seit den 1990er Jahren Michael Toch in einer Reihe von Arbeiten auseinandergesetzt.[6] Ein wesentliches Anliegen war es ihm dabei, die Thesen von der herausragenden Rolle und dem – für damalige Verhältnisse – weltweiten Agieren der frühmittelalterlichen jüdischen Kaufleute sowie insbesondere von ihrer großen Bedeutung im damaligen Sklavenhandel zu widerlegen. Auf der Basis intensiver Quellenstudien und mehrerer vorangegangener Arbeiten stellte er ihnen vor einigen Jahren in seinem Maßstäbe setzenden und durchwegs sehr positiv aufgenommenen[7] Buch zur Wirtschaftsgeschichte der Juden im Frühmittelalter einen eigenen Entwurf entgegen,[8] in dem er zu folgendem Ergebnis kam: »Our thesis is that European Jews had no significant part in the early medieal slave trade, even though some might have been involved to some extent in some places. The only noteworthy historical fact to be arrived at is the obvious one that for a time, Jews indeed kept slaves in their households.«[9] Dafür hatte er die in Betracht kommenden Quellen einer genauen Untersuchung unterzogen vor allem nach dem Gesichtspunkt, was man seriöserweise aus den Quellen erschließen könne. Denn Quellen sprechen nicht aus sich heraus, sondern müssen erst zum Sprechen gebracht werden. Und dafür sind verschiedene quellenkritische Fragen zu stellen, vor allem: »understanding what was their [i. e. der Quellen] context, how and by whom they were produced, who stood to gain or to lose from their making«.[10]
In Bezug auf die Bedeutung der Juden im frühmittelalterlichen Handel, vor allem auch im Sklavenhandel, hat er allerdings meines Erachtens das Kind mit dem Bad ausgeschüttet. Denn in seinem zweifellos erfolgreichen Bestreben, Verlindens Thesen zu widerlegen, versuchte er unter anderem, die Bedeutung der jüdischen Kaufleute im Fränkischen und Ottonischen Reich möglichst gering darzustellen – je geringer ihre Bedeutung als Kaufleute, desto geringer musste notwendigerweise auch ihre Bedeutung im Sklavenhandel sein. Bei seiner Interpretation der einschlägigen Quellen überging er allerdings in mehreren Fällen klar historische Fakten, bei anderen zog er ohne Notwendigkeit ihren historischen Wert in Zweifel, und schließlich blieben einzelne Quellen, die im gegebenen Zusammenhang von Bedeutung sind, gänzlich unbeachtet.[11]
Aus diesen Gründen scheint es sinnvoll, den einschlägigen Quellenkomplex noch einmal einer genauen Prüfung zu unterziehen. Als ersten Schritt stelle ich dazu jene Quellen, die in unterschiedlichen Formulierungen Juden und (andere) Kaufleute gemeinsam nennen, zusammen,[12] und ordne sie in ihr jeweiliges Umfeld ein. Daran schließt sich eine Bewertung dieser Quellen für das hier in Rede stehende Themenfeld, das heißt in erster Linie hinsichtlich der Bedeutung jüdischer Kaufleute im späteren Frühmittelalter. Da es sich dabei durchwegs um Urkunden und andere Rechtsquellen handelt,[13] sollten sich dadurch nicht nur Schlüsse auf die wirtschaftliche Bedeutung der Juden in dieser Zeit, wie sie durch ihre Nennung als Kaufleute gegeben ist, ziehen lassen. Denn die explizit getrennte Nennung von Juden und anderen Kaufleuten in Rechtsquellen legt darüber hinaus den Schluss nahe, dass die Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen nicht nur durch ihre Religion gegeben waren,[14] sondern auch einen rechtlichen Hintergrund hatten. Die Berücksichtigung dieses rechtlichen Hintergrunds sollte in einem gewissen Rahmen auch Rückschlüsse auf soziale Unterschiede zwischen christlichen und jüdischen Kaufleuten zulassen. Bei der Analyse der wirtschaftlichen Bedeutung jüdischer Kaufleute ist unter anderem auch die Frage ihrer Tätigkeit als Sklavenhändler zu berücksichtigen.
Die Quellen
1. Zu Beginn des 10. Jahrhunderts[15] wurden in der sogenannten Raffelstettener Zollordnung aufgrund von Klagen der Betroffenen über ungerechtfertigte Zölle, die ihnen bei Reisen in orientales partes (= das bayrische Ostland) abverlangt würden, die geltenden Zollbestimmungen für das bayrische Ostland, insbesondere für den Donauraum von Passau bis etwa zur Wachau, in Art eines Weistums erfragt und niedergeschrieben. Grundlage dafür waren die Zollstätten, Zollgebühren und Zollbefreiungen, wie sie an den verschiedenen Orten für diverse Handelsgüter zu Zeiten der Könige Ludwig[16] und Karlmann[17] üblich waren, also grob gesprochen im dritten Viertel des 9. Jahrhunderts. Am Schluss der Urkunde wurde festgehalten, dass »die Kaufleute, das heißt die Juden und die übrigen Kaufleute, wo auch immer sie herkämen, aus diesem Land oder aus anderen Ländern, den rechten Zoll wie in den früheren Zeiten zu bezahlen hätten, sowohl von Sklaven wie auch von anderen Dingen, wie es in den früheren Zeiten der Könige immer war« (Mercatores, id est Iudei et ceteri mercatores, undecunque venerint, de ista patria vel de aliis patriis, iustum theloneum solvant tam de mancipiis quam de aliis rebus, sicut semper in prioribus temporibus regum fuit).[18]
2. Etwa sechzig Jahre später verlieh am 9. Juli 965 Kaiser Otto I. der Kirche des von ihm im Jahr 937 gegründeten Mauritiusklosters zu Magdeburg, gleichzeitig Kirche seiner wichtigsten Pfalz, die als Sitz des in Gründung befindlichen Erzbistums Magdeburg vorgesehen war, im Rahmen von mehreren größeren Schenkungen den Bann im befestigten Platz Magdeburg, das Burgwerk der in der Umgebung Ansässigen,[19] die Gerichtsbarkeit über die am Ort wohnenden Juden und übrigen Kaufleute und anderes (… bannum … in urbe Magadaburg et opus construendae urbis et circummanentibus illarum partis incolis … et ne vel Iudei vel ceteri ibi manentes negotiatores …).[20]
3. Diese Schenkungen bestätigte sein Sohn Otto II. am 4. Juni 973 zusammen mit weiteren Privilegien seines Vaters und diversen Besitzungen der nunmehr erzbischöflichen Kirche von Magdeburg. Dabei wurden die zahlreichen Vorlagenurkunden Ottos I. relativ kurz zusammengefasst. Ausdrücklich festgehalten wurde die dem vom Erzbischof eingesetzten Vogt vorbehaltene Gerichtsbarkeit über die am Ort wohnenden Kaufleute und Juden (negotiatores vel Iudaei ibi habitantes) sowie über alle zu ihm gehörenden Familien der Liten, Kolonen, Sklaven/Hörigen[21] und Slawen (omnesque familiae lidorum vel colonorum vel servorum vel Sclavorum illuc pertinentes).[22]
4. Im August 979 erweiterte Otto II. diese Schenkung, indem er dieser Kirche die Banngewalt über Kirche und civitatem (= den befestigen Platz) Magdeburg übertrug unter Ausschluss jeder weltlichen Gewalt und mit der Maßgabe, dass nur der erzbischöfliche Vogt über die jetzt oder künftig dort oder in der Vorstadt wohnenden Kaufleute, Juden und sonstigen Bewohner, welchen Standes sie auch seien (in dicta civitate vel suburbium eius undiquessecus inhabitantibus aut in posterum habitaturis negotiatoribus sive Iudeis aliisque cuiuscumque conditionis inibi morantibus), die Gerichtsbarkeit ausüben dürfe.[23]
5. Zu einem ungenannten Zeitpunkt – aber jedenfalls vor 981, da in diesem Jahr das Bistum wieder aufgelöst und seine Güter an diverse Nachbarn aufgeteilt wurden[24] – schenkte Otto II. nach der Chronik des Thietmar von Merseburg (Bischof ebendort 1009–1018) dem Bistum Merseburg das von Mauern umschlossene Ortsgebiet von Merseburg mit [den Abgaben von] Juden, Kaufleuten und Münze (… quicquid Merseburgiensis murus continet urbis, cum Iudeis et mercatoribus ac moneta …)[25]
6. Bei der Wiedererrichtung des Bistums Merseburg im Jahr 1004 erhielt dieses die genannten Rechte zusammen mit anderen wieder zurück. Nach Thietmar verlieh König Heinrich II. dem neuen Bischof Wigbert erneut die Abgabe der Kaufleute und der »ungläubigen Juden« (Insuper Wigberto antistiti mercatores et Iudeos Appellas … reddidit).[26]
Im Detail bleibt bei diesen beiden nur von Thietmar überlieferten Schenkungen, vor allem bei der Restitution von 1004, manches unklar. Denn im Zusammenhang mit der Wiedererrichtung und Neuausstattung des Bistums im Februar und März dieses Jahres erwähnt Thietmar nur ganz kurz, dass die an die angrenzenden Bistümer aufgeteilten Merseburger Rechte und Besitzungen von diesen zurückgestellt worden seien,[27] und geht dann zu den politischen und militärischen Ereignissen dieses Jahres über. Erst als sich Heinrich nach Feldzügen in Polen und Italien gegen Ende des Jahres wieder in Merseburg aufhielt, hätte er demnach Bischof Wigbert die Abgaben von den Kaufleuten und Juden zurückgegeben.[28]
Tatsächlich hatte König Heinrich aber schon mit einer Urkunde vom 4. März dem Bischof wesentlich umfangreichere Rechte zurückgestellt und bestätigt, nämlich unter anderem in der Stadt Merseburg den Königshof mit allen Gebäuden sowie alle Höfe der Kaufleute inner- und außerhalb der Stadt, dazu noch Markt, Münze, Zoll und alle dortigen königlichen Gerechtsame (… curtem quoque regiam cum aedificiis infra urbem Merseburg positam et omnia curtilia infra et extra urbem que negotiatores possident, insuper et mercatum, monetam theloneumque …).[29] Die im Original erhaltene Urkunde scheint echt zu sein. Das ist wichtig zu betonen, weil Thietmar im Zug seiner Bestrebungen, seinem Bistum die alten Rechte – und vielleicht auch ein paar neue – zu sichern, nicht nur eine Reihe von Fälschungen anfertigte, sondern auch seine Chronik »bewußt gefälscht zu haben« scheint [im Sinn von: bewusst falsche Nachrichten eingebaut], obwohl – oder vielleicht besser: gerade weil – er ihr andererseits »den Charakter eines Rechtsdokuments« über die Merseburger Ansprüche geben wollte.[30]
Es lässt sich daher nicht eindeutig entscheiden, ob Thietmar bei seiner Chronik nur die Chronologie etwas durcheinander geraten ist, ob König Heinrich tatsächlich erst gegen Ende des Jahres 1004 eine sonst nicht bekannte Urkunde Kaiser Ottos II. zur Übertragung der Merseburger jüdischen und anderen Kaufleute an den Bischof bestätigte, oder ob Thietmar sowohl die Urkunde Ottos wie auch deren Bestätigung durch Heinrich nur erfunden hat, um seine diesbezüglichen Ansprüche abzusichern. Andererseits ist diese Frage für die hier vorgenommene Untersuchung nicht von Bedeutung, denn selbst als Erfindung Thietmars ergeben diese beiden Urkunden nur dann einen Sinn, wenn tatsächlich jüdische und andere Kaufleute in Merseburg gelebt haben. Dabei dürfte es sich bei diesen anderen Kaufleuten nicht nur um Christen gehandelt haben, denn Merseburg lag, ebenso wie Magdeburg, unmittelbar an der Grenze zum heidnischen Gebiet, war als Missionsbistum gegründet worden und hatte in seinem Sprengel einen erheblichen Anteil an heidnischer Bevölkerung. Wichtig im hier gegebenen Zusammenhang ist aber der genaue Wortlaut in den genannten drei Urkunden: die Nennung der Juden vor den Kaufleuten in der (angeblichen) Urkunde Ottos, die umgekehrte Reihenfolge bei der (angeblichen) Bestätigung durch Heinrich, und die Nennung nur von Kaufleuten in der tatsächlich noch erhaltenen Urkunde Heinrichs. Auf diese Problematik wird unten noch näher einzugehen sein.
Die bisher angeführten Quellen betreffen sämtlich Verhältnisse in den östlichen Randgebieten des Ostfränkischen bzw. Deutschen Reichs. Für die vorliegende Untersuchung sind aber auch noch einige andere von Bedeutung, die im gegebenen thematischen Zusammenhang bisher weniger Beachtung gefunden haben, die aber zeigen, dass sich im Hinblick auf die Existenz jüdischer Kaufleute die Verhältnisse im Westen des Frankenreichs und in Italien nicht grundsätzlich von denen an der Ostgrenze unterschieden haben.
7. Einige Urkunden aus dem Raum südlich der Alpen verwenden zwar nicht die Substantiva mercatores oder negotiatores, beschreiben aber klar die Tätigkeit gemeinsam genannter christlicher und jüdischer Kaufleute.[31] Im Jahr 905 schenkte König Berengar von Italien der bischöflichen Kirche von Treviso zwei Drittel von Zoll und Markt des dortigen Hafens und der Münzstätte sowie den Zoll innerhalb und außerhalb der Stadt »sowohl von den Christen wie von den Juden, die dort Handel treiben wollen« (tam de Christianis quamque et de Iudeis qui ibidem negotia exercere studuerint).[32]
8. Am 18. April 991 und noch einmal am 5. August 996 bestätigte Kaiser Otto III. diese im Original erhaltene Urkunde und erwähnte dabei auch – nicht erhaltene – Bestätigungen seines Vaters und Großvaters.[33] Eine weitere Bestätigung erfolgte durch Kaiser Heinrich II. im Mai 1014.[34] Alle drei erhaltenen Bestätigungen nennen ausdrücklich den tam de Christianis quamque et Iudeis zu bezahlenden Zoll.
Im Westen werden in einigen Quellen des 9. Jahrhunderts aus dem Raum von Aachen bis Paris Juden und andere Kaufleute in einem gemeinsamen Kontext genannt:
9. Im Capitulare de disciplina palatii Aquisgranensis aus den Jahren um 820 werden verschiedene Leute angewiesen zu untersuchen, ob die ihnen Untergebenen unbekannte Männer oder liederliche Frauen (ignotum hominem vel meretricem latitantem) in ihren Häusern versteckt halten. Ein gewisser Ernaldus hat diesen Auftrag in den Häusern aller Kaufleute durchzuführen, gleich, ob sie auf dem Markt oder anderswo handeln, sowohl der Christen wie auch der Juden (per mansiones omnium negotiatorum, sive in mercato sive aliubi negotientur, tam christianorum quam et Iudaeorum).[35]
10. Den beim Konzil von Meaux-Paris (Juni 845 und Februar 846) versammelten Bischöfen ging es in erster Linie um Anliegen einer Kirchenreform, der die weitaus meisten der hier beschlossenen Kanones gelten.[36] Anschließend wurden, wohl unter dem Einfluss Amolos von Lyon, in den Can. 73–75 zahlreiche Bestimmungen und Forderungen bezüglich der Juden von antiken Kaisern, Kirchenvätern und älteren Konzilien aufgegriffen und inhaltlich oder wörtlich wiederholt.[37] An diese schließt sich als Can. 76 eine in dieser Form neue Forderung bezüglich des Sklavenhandels:[38]
Wie die Kaufleute dieses Reichs, Christen wie Juden, die durch so viele Länder und Städte der Gläubigen ziehen und dabei heidnische Sklaven in die Hände der Ungläubigen und unserer schärfsten Feinde führen – sodass diese unglücklichen Sklaven, die, wenn sie von Christen gekauft worden wären, hätten gerettet werden können, elendiglich zugrundegehen, während die große Zahl der Feinde des Reichs vermehrt wird –, dass sie [die Kaufleute] von unseren frommen Fürsten zurechtgewiesen und genötigt werden, sie [die Sklaven]innerhalb der Grenzen der Christenheit zu verkaufen, damit nicht durch so horrende Grausamkeit, offenen Unglauben und Verlust von Seelen Gott gereizt und die Macht der Feinde vermehrt werde (Ut mercatores huius regni, christiani sive Iudei, mancipia pagana, quae per tot populos et civitates fidelium transeuntes ad manus infidelium et sevissimorum hostium nostrorum perducunt, ex quo et ipsi infelices servi, qui, si a christianis emerentur, poterant salvari, miserabiliter pereunt et inimicorum regni maximus numerus augetur, coerceantur a piis principibus nostris et intra christianorum fines vendere conpellantur, ne tam horrenda crudelitate et aperta infidelitate et animarum dampnis Deus exasperetur et vires hostibus augeantur).[39]
Wie fast alle zeitgenössischen kirchlichen Forderungen in Bezug auf Juden fanden auch diese nicht die für ihre Umsetzung notwendige Unterstützung durch die weltliche Macht. Das zeigt sich deutlich beim nur wenige Monate nach dem Konzil gehaltenen Reichstag von Épernay, bei dem von den insgesamt 83 Kanones des Konzils vom König nur 19 bestätigt wurden, darunter kein einziger, der die Juden betroffen hätte.[40]
11. Schließlich ist eine Bestimmung des Kapitulares von Quierzy des westfränkischen Königs Karls des Kahlen vom 14. Juni 877 zu nennen, die aus dem durch die bisher genannten Quellen gegebenen Rahmen fällt und Fragen offen lässt: »Und bezüglich der Beschnittenen und der anderen Kaufleute, nämlich dass die Juden den Zehnten geben und die christlichen Kaufleute den Elften« (Et de cappis[41] et aliis negotiatoribus, videlicet ut Iudaei dent decimam et negotiatores christiani undecimam).[42]
Mit dem Kapitulare von Quierzy regelte Karl der Kahle die Verhältnisse im Westfrankenreich für die Zeit seiner Abwesenheit, bevor er zu einem Italienzug aufbrach, von dem er nicht mehr lebend zurückkehrte. Der zitierte Satz ist der zweite Teil von cap. 31; er knüpft wahrscheinlich an cap. 30 an, das sich auf den fälligen Tribut an die Wikinger, die in Karls Reich eingefallen waren, bezieht.[43] Allerdings sind viele Kapitel dieses Kapitulares schwer zu interpretieren, weil sie nur aus Überschriften oder wenigen Schlagworten bestehen.
12. Nur der Vollständigkeit in Bezug auf die untersuchte Wortkombination halber führe ich noch eine Urkunde an, die 1074 Kaiser Heinrich IV. den Bürgern von Worms als Dank für ihre Treue in seiner Auseinandersetzung mit dem Wormser Bischof und anderen oppositionellen Fürsten ausstellte. Mit ihr erließ er den Wormser Bürgern den Zoll, den sie, das heißt Iudei et coeteri Wormatienses, bisher an genannten kaiserlichen Zollstätten zu entrichten hatten.[44] Sie fällt allerdings zeitlich wie inhaltlich und formal so weit aus dem Rahmen der übrigen hier behandelten Quellen,[45] dass ich nicht näher auf sie eingehe.
Zur Interpretation der einzelnen Quellen
Die meisten der oben angeführten Quellen sind nicht nur mehr- bis vielfach ediert, sondern auch entsprechend oft kommentiert worden. Die hier folgenden Interpretationen können und müssen sich daher auf die Bedeutung dieser Quellen im Hinblick auf die Geschichte der Juden und insbesondere der jüdischen Kaufleute beschränken. Trotzdem ist manchmal ein etwas weiteres Ausgreifen nötig, wenn Toch die Bedeutung der jeweiligen Quelle bestritten hat, sei es hinsichtlich der jüdischen Händler allgemein oder im engeren Bezug des Sklavenhandels.
Zu 1. Bezüglich der Zollordnung von Raffelstetten stellt Toch fest, dass Juden erst ganz am Ende und recht allgemein erwähnt werden, während jene Dinge, die nichtjüdische Kaufleute betreffen, sehr viel detaillierter ausgeführt werden. Das beträfe z. B. die Sklaven »of Bavarian and Slavonic merchants«, die neben diesen Sklaven auch mit Transporttieren und Fahrzeugen unterwegs seien. Diese Sklaven seien aber, wie François Ganshof ausgeführt habe, nicht als Handelsware zu verstehen, sondern als Arbeitskräfte für den Transport.[46] »The same interpretation must be applied to the Jewish paragraph with its slaves and other things,«[47] die demnach also ebenfalls keine Handelsware wären.
Nun ist die Erklärung Ganshofs zweifellos zutreffend,[48] nicht aber ihre von Toch vorgenommene Erweiterung auch auf die Juden. Denn Toch übersieht, dass von den erwähnten Arbeitssklaven – eben deshalb, weil sie keine Handelsware waren – kein Zoll bezahlt zu werden brauchte,[49] die Juden und anderen Kaufleute von ihren Sklaven ebenso wie von ihrer anderen Handelsware dagegen sehr wohl Zoll zu zahlen hatten. Die Tatsache, dass von allen Handelsgütern der Berufskaufleute einzig die Sklaven eigens genannt werden, lässt vielmehr den Schluss zu, dass es sich bei ihnen um den wichtigsten und wertvollsten Teil dieser Güter handelte.
Auch die Nennung der Berufskaufleute erst am Ende der Urkunde hat nichts mit ihrer relativen Bedeutung im gesamten Handelsspektrum der Raffelstettener Zollordnung zu tun, wie das die oben genannte Feststellung Tochs suggeriert, sondern liegt im Zweck dieser Urkunde begründet. Denn mit dieser sollte in erster Linie festgestellt werden, wer von den bayrischen Herren und ihren Leuten, die mit Personen und Gütern zwischen ihren Besitzungen im altbayrischen Raum und in den Ostgebieten unterwegs waren, wo vom Zoll befreit war und wo nicht.[50] Da die Berufskaufleute unter keine dieser Befreiungen fielen, brauchte zu ihnen nicht mehr gesagt zu werden, als dass sie (überall) den traditionellen Zoll zu zahlen hätten. Das sagt jedoch nichts über die relative Bedeutung aus, die sie und ihre Waren in quantitativer oder qualitativer Hinsicht zu den anderen in der Urkunde genannten Händlern und Handelsgütern hatten.
Nur am Rand sei hier festgehalten, dass Toch auch hinsichtlich des Koblenzer Zolltarifs, den er in eine Reihe mit Raffelstetten stellt,[51] mehrfach irrt. Zunächst stammt dieser nicht aus dem 10., sondern aus dem 11. Jahrhundert.[52] Dann werden die Juden dort nicht so wie in Raffelstetten ganz am Ende der Urkunde genannt, sondern an der Spitze des – allerdings recht kurzen – zweiten Teils, der die Zollsätze für einige spezielle Waren enthält (Sklaven, als deren Händler Juden genannt werden, Schwerter und Jagdfalken); im ersten Teil werden dagegen die nicht waren-, sondern herkunftsspezifischen Zollsätze für Kaufleute aus einer großen Zahl von Städten des Reichs genannt. Weiters kann wie schon bei der Raffelstettener Urkunde keine Rede davon sein, dass die im Koblenzer Tarif im Zusammenhang mit den Juden genannten Sklaven nur Transportpersonal gewesen wären, denn sie werden ausdrücklich als sclavo empticio (Kaufsklave), also als Handelsware, bezeichnet.[53] Schließlich hat Toch zwei Dinge nicht beachtet: Zum einen liegt vom Koblenzer Zolltarif kein Original vor, sondern nur verschiedene Abschriften von einer gemeinsamen Vorlage, von denen die älteste aus dem 11. Jahrhundert die Juden nennt,[54] die nächstjüngere, eine im frühen 12. Jahrhundert produzierte Fälschung auf Kaiser Heinrich IV., jedoch nicht.[55] Und zum anderen werden in diesem Zolltarif im Zusammenhang mit dem Sklavenhandel nur Juden genannt, keine anderen Kaufleute – wenn ich das richtig sehe, die einzige derartige Urkunde: »Die Juden geben für jeden Kaufsklaven vier Pfennige, und ebensoviel von einem [beladenen] Saumtier« (Judei pro unoquoque sclavo empticio debent quatuor denarios, similiter de soumario).
Es ist jedoch völlig klar, dass die Koblenzer Zollstelle keinesfalls nur von jüdischen Sklavenhändlern passiert wurde, auch wenn die Eintragung in der Liste das zu suggerieren scheint und gerade diese Urkunde deshalb oft im Sinn eines jüdischen Sklavenhandelsmonopols interpretiert wurde. Denn die Heinrichs-Urkunde nennt zwar keine Juden mehr, aber nach wie vor Sklaven als Handelsgut: »Von jedem Saumtier werden 4 Pfennige gegeben, von einem Kaufsklaven 4 Pfennige« (De unoquoque somario dantur IIIIor denarii, de sclavo empticio IIIIor denarii). Zum nunmehrigen Fehlen der Juden wurde vermutet, dass die Pogrome im Vorfeld des Ersten Kreuzzugs 1095/96 dazu geführt haben könnten, dass die Juden aus dem Sklavenhandel weitgehend ausgeschieden sind, und dass die Heinrichs-Urkunde diese neuen Verhältnisse berücksichtigte.[56] Das ist nicht auszuschließen, zumal gerade in dieser Zeit ohnedies eine immer stärkere Verlagerung der jüdischen Geschäftstätigkeit vom Warenhandel hin zum Geldhandel erfolgte,[57] müsste aber noch näher untersucht werden. Denn wie bei Berücksichtigung der übrigen Quellen zum Sklavenhandel deutlich wird, haben, da es kein jüdisches Sklavenhandelsmonopol gab, vor 1095 zweifellos auch christliche Sklavenhändler die Koblenzer Zollstelle passiert. Andererseits ist keineswegs ausgeschlossen, dass jüdische Sklavenhändler auch nach 1100 noch im Geschäft waren. Deutlich wird aus der Gegenüberstellung dieser beiden Urkunden jedenfalls nur die Höhe des Zolls für bestimmte Waren, nicht aber welche Kaufleute tatsächlich unterwegs waren.
Zu 2. Magdeburg lag an einem wichtigen Übergang über die Elbe und an einer bedeutenden Fernstraße. Spätestens um 800 entwickelte sich hier an der Grenze zum Slawenland ein zunächst wohl noch wenig bedeutender Markt, der zusammen mit der Furt über die Elbe von einer fränkischen Burg kontrolliert wurde. Aber schon kurz nach seiner Krönung 936 begann Kaiser Otto I., diesen Ort zu seiner bedeutendsten Pfalz auszubauen.[58] Dazu erteilte er unter anderem dem dort 937 von ihm gegründeten Mauritiuskloster zahlreiche Privilegien, die insgesamt nur dann Sinn ergeben, »wenn sich zu diesem Zeitpunkt in und vor der Magdeburg bereits eine beständige Handelstätigkeit entfaltet hatte.«[59] Eines dieser Privilegien war die oben angeführte Urkunde von 965 mit den darin genannten Juden und anderen Kaufleuten.
Zu ihr stellt Toch zunächst fest: »The [text] notes in the future sense Jews and other merchants who shall be subject to the archbishop of Magdeburg’s authority«.[60] Dabei handelt es sich jedoch um einen Übersetzungs- oder vielleicht auch Verständnisfehler, indem die in die Zukunft weisende Gerundivkonstruktion opus construendae urbis,[61] also die (für die Zukunft geltende) Verpflichtung der Umlandbewohner zum Burgwerksbau, fälschlich auch auf die nachfolgend im Präsens genannten, also zur Zeit der Ausstellung der Urkunde eindeutig schon dort lebenden Juden und anderen Kaufleute bezogen wird. Der an das obige Zitat angeschlossene Halbsatz »… once his see will eventually be set up« ist außerdem nicht, wie es den Eindruck erweckt, ein Teil des Urkundentexts, sondern nur eine irrtümliche Folgerung Tochs, die er mit dem etwas apodiktischen Satz »Neither is evidence for actual Jews, nor for their slave trade« fortsetzt.
Tatsächlich lag die Errichtung des Erzbistums zu dieser Zeit noch in der Zukunft, da sie erst 968 realisiert werden konnte. Otto hatte sie aber schon lange geplant, und wie zahlreiche andere Schenkungen diente auch die hier in Rede stehende zu ihrer Vorbereitung. Und wie bei den anderen Schenkungen handelte es sich auch bei dieser nicht um eine Eventualschenkung an den künftigen Erzbischof, sondern sie ging an das oben genannte Mauritiuskloster, das durch ebendiese Schenkungen zu einem würdigen Erzbischofssitz ausgebaut werden sollte. Dass Kaufleute – und damit ganz gewiss auch jüdische Kaufleute – 965 in Magdeburg schon sehr gegenwärtig waren, geht auch aus einer weiteren Schenkung vom selben Tag hervor, mit der Otto der nämlichen Moritzkirche den Markt, die Münze und alle Zollerträge zu Magdeburg schenkte.[62] Gerade diese beiden Urkunden stehen ja nicht nur in einem unmittelbaren zeitlichen, sondern in einem genau so engen inhaltlichen Zusammenhang: Der Markt – mit dem in ottonischer Zeit Münze und Zoll direkt verbunden waren – und seine Akteure, also die Juden und anderen Kaufleute, sollten sowohl materiell durch das Burgwerk wie rechtlich durch die Erteilung der Banngewalt bestmöglich geschützt werden.
Wovon in diesen Urkunden tatsächlich keine Rede ist, ist Sklavenhandel. Es gab auch keinen Anlass, in irgendeiner Art auf ihn einzugehen, weil einzelne Handelswaren gar nicht angesprochen werden. Nichtsdestotrotz war er, wie aus den unten folgenden Bemerkungen zum Sklavenhandel zu erschließen ist, in der wichtigen und nahe der Slawengrenze gelegenen Handelsstadt Magdeburg unzweifelhaft präsent.
Zu 3. und 4. Diese beiden Urkunden Kaiser Ottos II. für Magdeburg sind in unserem Zusammenhang vor allem deshalb von Bedeutung, weil in ihnen im Gegensatz zu den beiden bisher behandelten nicht von »Juden und übrigen Kaufleuten« die Rede ist, sondern in umgekehrter Reihenfolge die am Ort lebenden »Kaufleute und Juden« genannt werden. Da – auch unter Berücksichtigung der gleichzeitigen Urkunde 5 – nicht anzunehmen ist, dass sich in den wenigen Jahren seit Ausstellung der Urkunde Ottos I. von 965 das quantitative oder qualitative Verhältnis zwischen jüdischen und anderen Kaufleuten[63] in Magdeburg gravierend geändert hätte, müssen wir das als Beleg dafür sehen, dass es zwar Gründe gab, Juden und andere Kaufleute getrennt zu nennen, dass es aber unerheblich war, wer von ihnen bei der Nennung vorangestellt wurde.[64]
Zu 5. und 6. Das Nämliche gilt auch für diese beiden Merseburger Urkunden, bei denen ebenfalls die Reihenfolge der Juden und Kaufleute wechselt. In Merseburg tritt aber noch ein weiterer Aspekt zu den bisher genannten hinzu: Während Thietmar in seiner Chronik die Schenkung der Merseburger Juden und Kaufleute durch Kaiser Otto II. an den Bischof erwähnt, und ebenso die neuerliche Schenkung durch Kaiser Heinrich II., diesmal mit Nennung in umgekehrter Reihenfolge, spricht die dritte und wichtigste Urkunde, die Heinrich bei der Wiedererrichtung des Bistums am 4. März 1004 ausstellte, nur von Kaufleuten und ihren Häusern,[65] obwohl doch zweifellos zu dieser Zeit auch jüdische Kaufleute in Merseburg lebten und in den Begriff der Kaufleute miteingeschlossen waren.[66]
Wir ersehen daraus, dass es bei Schenkungs- und wohl auch anderen Urkunden keineswegs nötig war, Juden eigens zu nennen, wenn sie in einem genannten Überbegriff enthalten waren, und wir lernen daraus weiterhin, dass »Kaufleute« ein solcher Überbegriff war.
Zu 7. und 8. Treviso, seit der Spätantike Bischofssitz und im 9. Jahrhundert Sitz eines fränkischen Grafen,[67] liegt am Mittellauf des Sile, der bis hierhin schiffbar war, anscheinend auch für seegängige Schiffe. Denn die fränkischen Reichsannalen berichten zum Jahr 806, dass eine aus dem Orient zurückkehrende Gesandtschaft Karls d. Gr. an den Kalifen sicher in den Hafen von Treviso (ad Tarvisiani portus) zurückkehrte.[68] Umgekehrt scheint sich jene bekannte Gesandtschaft, an der auch der Jude Isaak teilnahm und mit einem Elefanten als Geschenk Harun al-Raschids an Karl zurückkehrte, bei der Hinreise im Hafen von Treviso eingeschifft zu haben.[69] Außerdem wurde ein beträchtlicher Teil des venezianischen Handels Richtung Deutschland über den Hafen von Treviso abgewickelt, denn wegen der Insellage Venedigs mussten alle Waren zunächst mit Schiffen auf das Festland beziehungsweise vom Festland nach Venedig gebracht und dort umgeladen werden. Von Treviso aus verlief einer der beiden südlichen Hauptäste der Brennerstraße direkt nach Norden durch das Tal des Piave nach Innichen im Pustertal und über dieses nordwestlich weiter zum Brenner. Die Bedeutung dieser Verbindung im 10. Jahrhundert wird durch eine umfangreiche Schenkung von Gütern im Raum zwischen Treviso und Vicenza durch Kaiser Otto I. an das Kloster Innichen, mit der der Weg und die ottonische Herrschaft in diesem Raum abgesichert werden sollte, deutlich. Von einem dieser Güter wird erwähnt, dass es früher einem Juden Isaak gehört hatte[70] – ein wichtiger Beleg für in der Region lebende Juden. Ein weiterer von Treviso ausgehender bedeutender Verkehrsweg verlief von hier nach Nordosten und erreichte über das Kanaltal und Kärnten den heute österreichischen Donauraum mit Fortsetzungsmöglichkeiten nach Böhmen und Mähren.
Um das Jahr 900 war Treviso also eine verwaltungsmäßig, kirchlich und vor allem wirtschaftlich bedeutende Stadt mit einem wichtigen Hafen[71] und dementsprechendem Handelsverkehr. Trotzdem interpretiert Toch den – wie bei solchen Urkunden nicht selten – etwas blumigen lateinischen Text, der von Christen und Juden qui ibidem negotia exercere studuerint, spricht,[72] als Erwartung an die Zukunft, dass hier einmal Juden Handel treiben würden, eine Erwartung, die über ein Jahrhundert »might not yet have been realized«, weil die Bestätigungen von 991 und 1014 immer noch dieselben Worte gebrauchen würden.[73]
Er beachtet dabei allerdings nicht, dass in allen diesen Urkunden Christen und Juden in einem Atemzug genannt werden; die unerfüllte Zukunftserwartung müsste sich demnach auch auf die christlichen Kaufleute beziehen. Er lässt weiters die Bedeutung außeracht, die Treviso schon im 9. Jahrhundert als Hafenstadt und Sitz des Grafen einer großen Grafschaft hatte, und die auch in den hier behandelten Urkunden durch die Übertragung von zwei Dritteln des Hafenzolls, des Marktes, der Münze und des städtischen Zolls an den Bischof zur Geltung kommt. Es ist auszuschließen, dass an einem italienischen Ort dieses Ranges keinerlei Kaufleute, weder christliche noch jüdische, ansässig gewesen sein sollten. Und woher sollten die dem Bischof verliehenen Zölle und Marktgebühren kommen, wenn nicht von Kaufleuten? Aus all dem müssen wir folgern, dass die Urkunde von 905, und natürlich auch ihre Bestätigungen, von realen und nicht nur von potentiellen christlichen und jüdischen Kaufleuten sprechen, und dass von diesen Kaufleuten, Christen wie Juden, zumindest ein Teil in Treviso ansässig war.
Zu 9. Wir wissen aus einer Reihe von Quellen, dass jüdische Kaufleute mehr oder weniger regelmäßig an den kaiserlichen Hof zu Aachen gekommen sind, um dort ihren Geschäften nachzugehen. Aber nur das Capitulare de disciplina palatii Aquisgranensis belegt tatsächlich in Aachen ansässige jüdische Händler.[74] Aus dem Text der Quelle können wir schließen, dass sie aus der herrschaftlichen Sicht des Hofes in erster Linie als Kaufleute wahrgenommen wurden, und dass sie das mit ihren christlichen Berufsgenossen verband. Wir können dem Text aber auch entnehmen, dass es gewisse Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen gegeben haben muss, die es geraten erscheinen ließen, in einem Nachsatz darauf hinzuweisen, dass sich die erteilte Anweisung tatsächlich auf beide Gruppen bezog. Wir erfahren allerdings nichts über die Natur dieser Unterschiede.
Zu 10. Can. 76 des Konzils von Meaux-Paris unterscheidet sich von den anderen hier besprochenen Quellen dadurch, dass er nicht weltliches Recht, sondern kirchliche Forderungen enthält. Da er nicht in weltliches Recht umgesetzt wurde, blieb er faktisch folgenlos.[75] Trotzdem ist er im hier behandelten Zusammenhang von großer Bedeutung, weil er im Gegensatz zu den in den Can. 73–75 wiederholten älteren Judenartikeln nicht das Judentum als eine mehr oder weniger imaginierte Gefahr für das Christentum zur Grundlage hat, sondern den in der zeitgenössischen Realität, sozusagen vor der Haustüre, beobachteten Sklavenhandel, der sowohl von christlichen wie auch von jüdischen Kaufleuten »dieses«, also des Fränkischen, Reichs betrieben wurde. Insofern ist dieser Kanon auch nicht den eigentlichen Judenkanones zuzuzählen, weil er keinerlei judenspezifische Forderung enthält.[76] Seine Sorge ist vielmehr die mögliche, aber nicht verwirklichte Rettung der Seelen jener heidnischen Sklaven, die quer durch das Frankenreich in den moslemischen Herrschaftsbereich geführt werden. Das würde nicht nur Gott erzürnen (und damit eventuell göttliche Strafen herausfordern), sondern auch die Macht der Moslems stärken (weil in den islamischen Ländern viele Sklaven als Krieger eingesetzt wurden).[77] Die christlichen Fürsten werden deshalb aufgefordert, gegen diese Praktiken einzuschreiten. Bezeichnenderweise enthält diese Forderung aber kein Verbot des Sklavenhandels allgemein oder wenigstens des Exports in den moslemischen Machtbereich, sondern nur die Mahnung, für einen Verkauf der Sklaven innerhalb der Christenheit zu sorgen.
Mit irgendwelchen spezifisch an die Juden gerichteten Forderungen hat der ganze Kanon nichts zu tun.[78] Gerade daraus, weil er nämlich eine relativ neutrale Beobachtung wiedergibt, bezieht er aber seinen historischen Wert zum auch von Juden – und zwar solchen, die im Fränkischen Reich beheimatet sind – durchgeführten Sklavenhandel.[79] Die Qualität seiner Aussage ist damit eindeutig. Zur Quantität, also zum mengenmäßigen Anteil jüdischer Kaufleute an diesem Sklavenhandel, vermag er freilich nichts zu sagen.
Zu 11. Diesen Text habe ich in die vorliegende Quellensammlung mit aufgenommen, weil er wie die übrigen Juden und andere Kaufleute gemeinsam nennt. Offensichtlich wurden sie auch hier als eine zusammengehörige Gruppe gesehen, die unter diesen gemeinsamen Gesichtspunkten zum Wikingertribut beitragen sollte. Völlig unklar bleibt jedoch, warum die christlichen und jüdischen Kaufleute unterschiedlich besteuert werden sollten. Der Unterschied bewegt sich zwar eher im symbolischen Bereich und fällt praktisch kaum ins Gewicht, aber es ist doch die erste diesbezügliche Ungleichbehandlung, die im Spätmittelalter zu ganz anderen Dimensionen anwuchs.[80] Die abschätzige Bezeichnung der Juden als cappis (Kastraten)[81] lässt jedenfalls auf einen tendenziell judenfeindlichen Hintergrund schließen.
Zur Bedeutung der jüdischen Kaufleute in fränkisch-ottonischer Zeit
Ein zusammenfassender Blick auf die für diese Untersuchung herangezogenen Quellen ergibt zunächst, dass Tochs Bedenken hinsichtlich ihrer Aussagekraft für die jüdische Geschichte, insbesondere hinsichtlich der Tätigkeit jüdischer Kaufleute, völlig unbegründet sind, da sie in jedem einzelnen Fall widerlegt werden konnten.[82] Im Gegensatz zu Tochs Argumentation beziehen sich alle Quellen eindeutig auf in ihrer Entstehungszeit an den genannten Orten aktive jüdische Kaufleute.
Trotzdem führt eine gemeinsame Auswertung dieser Quellen zunächst zu einer negativen Aussage: Es lassen sich aus ihnen kaum Rückschlüsse auf die relative Bedeutung von jüdischen und christlichen Kaufleuten ziehen, und keinesfalls kann ein jüdisches Handelsmonopol daraus abgeleitet werden.[83] Andererseits muss es Gründe gegeben haben, in diesen Quellen jüdische und andere, also nichtjüdische, Kaufleute eigens zu nennen. Wie an den Merseburger Urkunden zu sehen ist, die Juden einmal an vorderer und einmal an hinterer Stelle nennen und das dritte Mal gar nicht,[84] können diese Gründe nicht so gravierend gewesen sein, dass eine getrennte Nennung notwendig gewesen wäre oder dass dabei die Reihenfolge eine Rolle gespielt hätte. Aber sie müssen doch ausreichend groß gewesen sein, dass es gelegentlich sinnvoll erschien zu betonen, dass eine getroffene Regelung für alle Kaufleute, sowohl jüdische wie nichtjüdische, galt. Die bloße Wahrnehmung der Handelstätigkeit auf der einen Seite, der zusätzlichen religiösen Identität auf der anderen, als Hauptcharakteristika der beiden Gruppen[85] ist dafür jedenfalls zu wenig.
Tatsächlich gab es solche Gründe. Denn die christlichen Kaufleute waren, auch wenn wir jene von außerhalb des Reichs außeracht lassen, keineswegs eine einheitliche Gruppe.[86] Neben einem gewissen Anteil an Freien handelte es sich bei ihnen überwiegend um unfreie Angehörige von Grundherrschaften oder um ebenso unfreie Mitglieder einer bischöflichen oder fürstlichen familia,[87] und als solche unterstanden sie anderen rechtlichen Voraussetzungen als Freie, zu denen auch die Juden gehörten. Das mag auch der Grund dafür gewesen sein, dass in einem Teil der untersuchten Quellen die Juden vor den anderen Kaufleuten genannt werden: Als Freie hatten sie eine höhere Standesqualität, also einen Vorrang im eigentlichen Sinn des Wortes vor den Unfreien.
Zwar lassen sich aus den hier herangezogenen Quellen, wie schon erwähnt, nur geringe Rückschlüsse auf die relative Bedeutung von jüdischen und christlichen Kaufleuten ziehen, aber es wird doch klar, dass beide Gruppen von Bedeutung waren. Es ist also weder gerechtfertigt, einer dieser Gruppen eine besondere Dominanz zuzuweisen, noch eine bloß marginale Funktion. Letzteres ist an dieser Stelle vor allem in Bezug auf die jüdischen Kaufleute zu betonen, deren umfangreiche Aktivitäten innerhalb des Frankenreichs – und teilweise auch über dessen Grenzen hinaus – auch ohne die Berücksichtigung weiterer, nur auf Juden bezogener, Quellen[88] deutlich werden. An der Ostgrenze des Reichs waren sie genauso präsent wie in seinem Zentrum oder südlich der Alpen, in Südfrankreich sowieso, und der zitierte Kanon des Konzils von Meaux belegt auch ihre Handelstätigkeit – ebenso wie die von christlichen Kaufleuten – quer durch das Fränkische Reich von den Slawengebieten in den islamischen Raum, also zumindest bis nach Spanien.
Außerdem müssen wir aus zwei Gründen davon ausgehen, dass die tatsächliche Präsenz jüdischer Kaufleute im Fränkischen und Ottonischen Reich deutlich größer war, als wir das aus den wenigen erhaltenen Quellen definitiv feststellen können. Zum einen gab es einen erheblichen Verlust einschlägiger Urkunden. Die beiden für Merseburg nur durch die Erwähnungen in der Chronik Thietmars überlieferten Stücke[89] sind mit Sicherheit nur die Spitze eines Eisbergs an verlorenen Quellen, dessen Ausmaß wir kaum abschätzen können. Zum anderen treten die Juden in den Quellen des 9. und 10. Jahrhunderts – soweit es sich nicht um kirchliche Quellen handelt – fast ausschließlich als Händler bzw. als Teil der größeren Gruppe der Kaufleute in Erscheinung. Wie wir bei den Merseburger Quellen gesehen haben, können die Juden innerhalb dieser Gruppe eigens genannt werden, müssen das aber nicht.[90] Auch für Magdeburg gibt es neben den besprochenen Urkunden, die Kaufleute und Juden eigens anführen, gleichzeitige weitere Urkunden, die nur von Kaufleuten sprechen.[91] Das bedeutet, dass wir bei vielen zeitgenössischen Quellen, in denen Kaufleute genannt werden, jüdische Kaufleute zumindest potentiell mitdenken müssen, insbesondere wenn es dabei um Bischofsstädte und andere bedeutende Marktorte geht. Nicht erlaubt ist natürlich der Umkehrschluss, dass sich überall, wo Kaufleute genannt werden, unter diesen auch Juden befunden hätten. Wir können es aber auch nirgends von vornherein ausschließen.
In diesem Zusammenhang wurde schon vor langer Zeit auf die inhaltlichen Parallelen zwischen dem Praeceptum negotiatorum,[92] karolingischen Vorschriften für Kaufleute aus dem Jahr 828, und den in den vorangegangenen Jahren von Kaiser Ludwig dem Frommen für verschiedene jüdische Kaufleute ausgestellten Privilegien hingewiesen.[93] Unter dem Aspekt eines heute weitgehend anderen Blicks auf die jüdische Geschichte scheint eine neuerliche vergleichende Beschäftigung mit diesen Quellen sinnvoll und wäre wohl imstande, die Rolle und Bedeutung der jüdischen Kaufleute im Fränkischen Reich weiter auszuleuchten.
Es ist hier nicht der Ort, näher auf die Handelsgüter der jüdischen Kaufleute einzugehen. Grundsätzlich muss jedenfalls festgestellt werden, dass es zumindest in den von christlicher Seite stammenden Quellen keine Hinweise auf wie auch immer geartete Unterschiede bei den von jüdischen und nichtjüdischen Kaufleuten gehandelten Waren gibt. Eine Sparte darf allerdings nicht übergangen werden, weil sie, wie oben schon erwähnt, in der Forschungsgeschichte in einem engen Konnex zu den hier untersuchten Urkunden steht, nämlich der Sklavenhandel.[94]
Tatsächlich werden Sklaven und Sklavenhandel nur in zweien der hier untersuchten Urkunden genannt, nämlich in der Zollordnung von Raffelstetten (Quelle 1) und im Kanon 76 des Konzils von Meaux-Paris (Quelle 10); als dritte wäre noch der oben im Zusammenhang mit Raffelstetten behandelte Koblenzer Zolltarif anzuführen. In allen übrigen ist bloß von Kaufleuten und deren nicht näher spezifizierter Tätigkeit die Rede.
Die drei genannten Urkunden sprechen nun ganz eindeutig von Sklavenhandel, offensichtlich in großem Stil und durchgeführt von christlichen, jüdischen und auch – zumindest in Raffelstetten – anderen Händlern. Das entspricht den aus der allgemeinen Wirtschaftsgeschichte bekannten Gegebenheiten, dass Sklaven innerhalb wie außerhalb des Frankenreichs nicht nur ein bedeutendes gesellschaftliches Element dieser Zeit waren,[95] sondern auch eines der wichtigsten Handelsgüter.[96] Bekannt ist auch, dass diese Sklaven bis tief in den arabischen Raum gebracht wurden. Und Tatsache scheint auch abseits der eben genannten Quellen zu sein, dass jüdische Kaufleute an diesem Handel einen beträchtlichen Anteil hatten.
Jedenfalls berichtet der schon genannte Ibn Khordadhbeh von jüdischen Kaufleuten, die er Radhaniten nennt und die praktisch die gesamte damals bekannte Welt bereisten, sowie über die von ihnen in das Kalifat importierten Waren, darunter unterschiedliche Sorten von Sklaven aus Europa.[97] Von einer gewissen Bedeutung ist im Zusammenhang mit den im vorliegenden Aufsatz behandelten Fragen auch der nur von Ibn Khordadhbeh gebrauchte Name der Radhaniten, weil damit die Frage nach ihrer Herkunft verbunden ist. Dabei stehen sich zwei Haupttheorien gegenüber, deren eine den Namen von der Rhone ableitet (und damit eine europäische, insbesondere südfranzösische Herkunft propagiert), die andere, heute mehrheitlich vertretene, von einem Gau Radan in Babylonien. Beide Thesen weisen verschiedene Probleme auf, unter anderem, dass sie mit der Festlegung der Herkunft der Radhaniten aus einer bestimmten Landschaft – gleich, ob in Europa oder in Mesopotamien – eine weltweite Reisetätigkeit einzelner Personen aus dieser Gruppe insinuieren.
Diesbezüglich scheint mir die anscheinend wenig bekanntgewordene[98] Theorie von Jürgen Jacobi wesentlich schlüssiger: Er leitet den Namen aus der von Ibn Khordadhbeh verwendeten persischen Verwaltungssprache ab und übersetzt ihn mit »die Wegekundigen«, womit jüdische Fernhändler, die dieser als Auskunftspersonen nutzte, unabhängig von ihrer Herkunft gemeint seien.[99] Mit dieser Erklärung fällt auch das Problem weg, viele einzelne Individuen auf dem gesamten Weg zwischen Westeuropa und Ostasien unterwegs zu sehen, weil die allermeisten von ihnen nur einzelne Abschnitte dieser großen Strecke zurückgelegt und dann ihre Waren an andere Händler weitergegeben hätten. In Europa wären demnach – wenn wir nur den Ausschnitt der jüdischen Händler betrachten und die christlichen außer acht lassen – überwiegend fränkische Juden mit den Sklaven unterwegs gewesen. »Kaufleute dieses Reichs«, also des Frankenreichs, werden ja ausdrücklich im Konzilstext von Meaux genannt. Da sie durch »viele Länder und Städte« der Christen zogen, müssen sie innerhalb des Frankenreichs einen sehr weiten Weg zurückgelegt haben, wofür nur die Strecke von der Slawengrenze, allenfalls auch von der dänischen Grenze, bis Spanien in Frage kommt. Dort oder vielleicht auch erst in Nordafrika werden die meisten von ihnen ihre Ware entweder schon an die »Endverbraucher« verkauft haben, oder aber an Händler aus dem moslemischen Raum, die den nächsten Transportabschnitt in das Zentrum des Kalifenreichs durchgeführt hätten. Dagegen besteht bei den in der Raffelstettener Zollordnung genannten Juden die Möglichkeit, dass ein Teil von ihnen von außerhalb des Frankenreichs stammte, denn hier ist ja von Kaufleuten »aus diesem Land oder anderen Ländern« die Rede, wobei »dieses Land« (ista patria) nach heute übereinstimmender Meinung allerdings nicht das Frankenreich, sondern nur Bayern meint.[100] Der Export der in Raffelstetten genannten Sklaven dürfte weniger auf die Iberische Halbinsel gegangen sein als über die Alpen und verschiedene Adriahäfen direkt ins östliche Mittelmeer. Es ist hier aber keine Gelegenheit, näher darauf einzugehen.
Fazit
Die Untersuchung jener Quellen, die Formulierungen wie Iudei et ceteri mercatores oder ähnliche getrennte Nennungen dieser beiden Kaufleutegruppen enthalten, ergibt keine Anhaltspunkte, die auf unterschiedliche Tätigkeit dieser Gruppen oder Unterschiede bei den gehandelten Waren hinweisen. Da aber die jüdischen Kaufleute persönlich frei waren, die christlichen dagegen größeren- oder größtenteils unfrei, existierten sozialrechtliche Unterschiede, die es gelegentlich sinnvoll erscheinen lassen konnten, darauf hinzuweisen, dass bestimmte Zölle, Abgaben oder andere Regelungen tatsächlich beide Gruppen betrafen, obwohl es rein rechtlich nicht nötig gewesen wäre. Deshalb spielte es auch keine wesentliche Rolle, in welcher Reihenfolge die Juden und die (anderen) Kaufleute angeführt wurden. Es scheint allerdings, dass man den Juden dort, wo sie zuerst genannt wurden, aufgrund ihres Status als Freie einen gewissen Vorrang einräumte.
Ebenso ergibt sich kein Anhaltspunkt für die in älteren Arbeiten gerade aus diesen Quellen abgeleitete große oder sogar monopolähnliche Bedeutung jüdischer Kaufleute, freilich auch nicht für das Gegenteil, also eine nur marginale Bedeutung. Das ist eine logische Folge der Tatsache, dass die getrennte Nennung der jüdischen und anderen Kaufleute in den Urkunden nicht aus quantitativen, sondern aus qualitativen Gründen erfolgte. Die einzige Aussage, die sich in dieser Frage aus den Quellen ableiten lässt, ist, dass es im Fränkischen und Ottonischen Reich durch Jahrhunderte nebeneinander jüdische und nichtjüdische Kaufleute gab und dass beide Gruppen von Bedeutung waren.
Die von Michael Toch bestrittene Aussagekraft der meisten dieser Quellen für die Geschichte jüdischer Händler im Frühmittelalter konnte bei dieser detaillierten Untersuchung für keine einzige Quelle bestätigt werden. Es ist im Gegenteil ausdrücklich festzuhalten, dass alle Quellen die jeweils reale Anwesenheit und Tätigkeit jüdischer Kaufleute zweifelsfrei bestätigen. In ihrer Summe bestätigen sie auch eine umfangreiche Tätigkeit jüdischer Kaufleute nicht nur innerhalb des Fränkischen Reichs, sondern auch über dessen Grenzen hinaus.
Das gilt insbesondere auch für den Sklavenhandel, in den Juden keineswegs nur über den Erwerb von Sklaven für den eigenen Gebrauch[101] involviert waren, sondern auch und vor allem im Zug ihrer normalen Handelstätigkeit. Deutlich muss dazu freilich betont werden, dass Sklavenhandel keineswegs ein jüdisches Spezifikum war, sondern im Zusammenhang mit der großen Bedeutung der Sklaverei in dieser Zeit zu den allgemeinen Handelsusancen gehörte. Und die hier untersuchten Quellen zeigen, dass sich die jüdischen Kaufleute an diesem sehr einträglichen Handel in gleicher Weise beteiligten wie die nichtjüdischen. Wenn Toch den – wie die vorliegende Untersuchung zeigen konnte: vergeblichen – Versuch unternahm, zumindest die europäischen Juden von diesem »Makel« möglichst reinzuwaschen, übersieht er, dass nach zeitgenössischen Kriterien Sklavenhandel abgesehen von gewissen religiösen Bedenken, die aber nicht den Sklavenhandel grundsätzlich betrafen,[102] ein Geschäft war wie jedes andere auch, wenngleich eines mit höheren Gewinnspannen als die meisten anderen Sparten. Ein Erklärungsversuch, warum sich Juden (oder auch eine andere Gruppe von Kaufleuten) nicht oder nur marginal am Sklavenhandel beteiligt hätte, müsste daher zuvorderst die – von Toch gar nicht gestellte – Frage beantworten, aufgrund welcher religiös-moralischen Überzeugungen oder aus welchen anderen Gründen sie das hätten tun sollen.
Gerade unter diesem Gesichtspunkt hat die von Toch am Ende seiner Einleitung quasi als Leitfrage für sein Buch gestellte Frage, ob, wie das in der einschlägigen Literatur oft zum Ausdruck komme, Juden in ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit wirklich so anders waren als ihre Zeitgenossen, besondere Bedeutung: »Our question: did they really ›do things differently there‹?«[103] Die Antwort, die sich aus den hier untersuchten Quellen ergibt, ist eindeutig: Sie taten das, wie im Grunde zu erwarten, nicht, auch nicht beim Sklavenhandel.
© 2020 Wenninger, publiziert von De Gruyter
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