Home Law Individualisierung contra Normativierung – Oder: Überlegungen zum Auslegungsmaßstab konkludenter Täuschungshandlungen beim Betrug (§ 263 StGB)
Chapter
Licensed
Unlicensed Requires Authentication

Individualisierung contra Normativierung – Oder: Überlegungen zum Auslegungsmaßstab konkludenter Täuschungshandlungen beim Betrug (§ 263 StGB)

Become an author with De Gruyter Brill
Individualisierung contra NormativierungOder: Überlegungen zum Auslegungsmaßstab konkludenter Täuschungshandlungen beim Betrug (§ 263 StGB) Erik KraatzDas Betrugsstrafrecht ist mit jährlich 955.804 Fällen und einem jährlichenGesamtschaden von 2,2 Milliarden Euro (2009)1einer der maßgeblichenrechtlichen Eckpfeiler unseres Wirtschaftslebens. Sein „monumentaler“2Grundtatbestand § 263 StGB schützt ausweislich seiner normierten Hand-lungsmodalitäten („Vorspiegelung falscher“ oder „Entstellung oder Unter-drückung wahrer Tatsachen“), die anerkanntermaßen lediglich verschiedene,sich überlappende Formen des Oberbegriffs „Täuschung“ darstellen3, dasVermögen des Opfers als Ganzes4vor eigenen schädigenden Handlungeninfolge missbrauchten Vertrauens in ihm mittels Kommunikation durch denTäter vermittelte Informationen über die Realität5.6Solange die maßgebliche1Quelle: Bundeskriminalamt, Polizeiliche Kriminalitätsstatistik 2009 (2010), S. 187 und190.2Tiedemannin: 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, Band IV:Strafrecht, Strafprozeßrecht, herausgegeben von Claus Roxin und Gunter Widmaier, 2000,S. 551.3So bereits BindingLehrbuch des Gemeinen Deutschen Strafrechts Besonderer Teil,Erster Band, 2. Aufl. 1902, S. 347 f.; ebenso Cramer/Perronin: Schönke/Schröder, Straf-gesetzbuch-Kommentar, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 7; FischerStrafgesetzbuch und Neben-gesetze, 57. Aufl. 2010, § 263 Rn. 14; Hefendehlin: Münchener Kommentar zum Straf-gesetzbuch, 2006, § 263 Rn. 73; Hoyerin: Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch(Stand: 2010), § 263 Rn. 10, Kindhäuserin: Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch,3. Aufl. 2010, § 263 Rn. 57; Lackner/KühlStrafgesetzbuch-Kommentar, 26. Aufl. 2007, § 263 Rn. 3; MaaßGA 1984, 264 (265); Tiedemannin: Leipziger Kommentar zum Straf-gesetzbuch, 11. Aufl. 2005, § 263 Rn. 7. Um die vom Gesetzgeber offensichtlich gewollteRestriktion der tauglichen Betrugshandlung zu respektieren, wird jedoch vertreten, jeden-falls die Modalität der „Vorspiegelung falscher Tatsachen“ zumindest als Teil des Ober-begriffs beizubehalten („Täuschung durch Vorspiegeln falscher Tatsachen“): Lackner/Kühl(o. Fn. 3) § 263 Rn. 3; Tiedemann (o. Fn. 2) S. 551 (553); ders.(o. Fn. 3) § 263 Rn. 7.4Vgl. hierzu nur RGSt. 74, 167 (168); BGHSt. 16, 220 (221); BGHSt. 16, 321 (325);BGHSt. 16, 367 (372); BGH StV 1995, 254; BGH NStZ-RR 2000, 331.5Denn wie Kindhäuser/NikolausJuS 2006, 193 (194) zutreffend sagen: „Die erfahrbareRealität selbst kann weder wahr noch falsch sein; sie ist so, wie sie ist.“6Ebenso Hefendehl (o. Fn. 3) § 263 Rn. 21. WimmerDRZ 1948, 116 (118 Fn. 6) sprichtdaher von einem Vermögensschutz „gegen die zur Selbstschädigung veranlasste Täu-schung“.

Individualisierung contra NormativierungOder: Überlegungen zum Auslegungsmaßstab konkludenter Täuschungshandlungen beim Betrug (§ 263 StGB) Erik KraatzDas Betrugsstrafrecht ist mit jährlich 955.804 Fällen und einem jährlichenGesamtschaden von 2,2 Milliarden Euro (2009)1einer der maßgeblichenrechtlichen Eckpfeiler unseres Wirtschaftslebens. Sein „monumentaler“2Grundtatbestand § 263 StGB schützt ausweislich seiner normierten Hand-lungsmodalitäten („Vorspiegelung falscher“ oder „Entstellung oder Unter-drückung wahrer Tatsachen“), die anerkanntermaßen lediglich verschiedene,sich überlappende Formen des Oberbegriffs „Täuschung“ darstellen3, dasVermögen des Opfers als Ganzes4vor eigenen schädigenden Handlungeninfolge missbrauchten Vertrauens in ihm mittels Kommunikation durch denTäter vermittelte Informationen über die Realität5.6Solange die maßgebliche1Quelle: Bundeskriminalamt, Polizeiliche Kriminalitätsstatistik 2009 (2010), S. 187 und190.2Tiedemannin: 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, Band IV:Strafrecht, Strafprozeßrecht, herausgegeben von Claus Roxin und Gunter Widmaier, 2000,S. 551.3So bereits BindingLehrbuch des Gemeinen Deutschen Strafrechts Besonderer Teil,Erster Band, 2. Aufl. 1902, S. 347 f.; ebenso Cramer/Perronin: Schönke/Schröder, Straf-gesetzbuch-Kommentar, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 7; FischerStrafgesetzbuch und Neben-gesetze, 57. Aufl. 2010, § 263 Rn. 14; Hefendehlin: Münchener Kommentar zum Straf-gesetzbuch, 2006, § 263 Rn. 73; Hoyerin: Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch(Stand: 2010), § 263 Rn. 10, Kindhäuserin: Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch,3. Aufl. 2010, § 263 Rn. 57; Lackner/KühlStrafgesetzbuch-Kommentar, 26. Aufl. 2007, § 263 Rn. 3; MaaßGA 1984, 264 (265); Tiedemannin: Leipziger Kommentar zum Straf-gesetzbuch, 11. Aufl. 2005, § 263 Rn. 7. Um die vom Gesetzgeber offensichtlich gewollteRestriktion der tauglichen Betrugshandlung zu respektieren, wird jedoch vertreten, jeden-falls die Modalität der „Vorspiegelung falscher Tatsachen“ zumindest als Teil des Ober-begriffs beizubehalten („Täuschung durch Vorspiegeln falscher Tatsachen“): Lackner/Kühl(o. Fn. 3) § 263 Rn. 3; Tiedemann (o. Fn. 2) S. 551 (553); ders.(o. Fn. 3) § 263 Rn. 7.4Vgl. hierzu nur RGSt. 74, 167 (168); BGHSt. 16, 220 (221); BGHSt. 16, 321 (325);BGHSt. 16, 367 (372); BGH StV 1995, 254; BGH NStZ-RR 2000, 331.5Denn wie Kindhäuser/NikolausJuS 2006, 193 (194) zutreffend sagen: „Die erfahrbareRealität selbst kann weder wahr noch falsch sein; sie ist so, wie sie ist.“6Ebenso Hefendehl (o. Fn. 3) § 263 Rn. 21. WimmerDRZ 1948, 116 (118 Fn. 6) sprichtdaher von einem Vermögensschutz „gegen die zur Selbstschädigung veranlasste Täu-schung“.

Chapters in this book

  1. Frontmatter I
  2. Klaus Geppert zum 10. März 2011 V
  3. Inhaltsverzeichnis VII
  4. Vorwort XI
  5. Einwilligungsdoktrin und Teilnahmelehre 1
  6. Der „Compliance Officer“ als Aufsichtsgarant? 23
  7. Sicher fahrunsicher 43
  8. Zur Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung bei einverständlicher Fremdgefährdung 53
  9. Der Vollrauschtatbestand de lege lata und de lege ferenda 63
  10. Zur Unterrichtungspflicht der Finanzbehörden gegenüber der Staatsanwaltschaft zwecks Ermöglichung der Ausübung des Evokationsrechts 81
  11. Ungereimtheiten bei der Anwendung von § 299 StGB 97
  12. „Der Tatrichter als Revisionsrichter“ 113
  13. Über Anomalien des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens und die daraus resultierenden Gefahren 137
  14. Die Nötigung im Straßenverkehr 153
  15. Das vorsätzliche „Dazwischentreten“ des Täters in seine eigene Tat 171
  16. Strafrechtliche Sozialkontrolle der Straftaten im Straßenverkehr – aktuelle rechtstatsächliche Befunde 187
  17. Zwischenbilanz des langjährigen Meinungsstreits über die actio libera in causa 233
  18. Vereinigungsbegriff im Wandel? – Begriffsprägende Systematik als Auslegungsgrenze 245
  19. Zum Ende des Fortbewegungszwecks beim verkehrsfeindlichen Inneneingriff 259
  20. Individualisierung contra Normativierung – Oder: Überlegungen zum Auslegungsmaßstab konkludenter Täuschungshandlungen beim Betrug (§ 263 StGB) 269
  21. Die Bekämpfung von Korruption mit dem OWiG 287
  22. Einordnungs- und Anwendungsprobleme bei der Nachstellung 311
  23. Glaube, Glaubensfreiheit und Gefängnis 323
  24. Verspätete Pflichterfüllung, Täter-Opfer-Ausgleich und Schadenswiedergutmachung bei § 142 StGB 337
  25. Die Beteiligungsregelung des Römischen Statuts im Lichte der jüngsten Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs 357
  26. Höchststrafe und Verfassung: Verteidigung des geständigen und resozialisierten Doppelmörders 375
  27. Systemgerechtigkeit und Normakzeptanz im Straßenverkehrsstrafrecht unter besonderer Berücksichtigung der Geschwindigkeitsüberschreitung 405
  28. Strafrecht im Zukunftsstaat? – Zur negativen Utopie in Juli Zehs Roman „Corpus Delicti“ 423
  29. Garantenstellung aufgrund der Beteiligung an vorausgegangenen Misshandlungen oder sonstigen Gewalttätigkeiten 441
  30. Gefährlichkeit und Gefahr bei den Straßenverkehrsdelikten 461
  31. Kein Ende der Erfolgshaftung bei den erfolgsqualifizierten Delikten 479
  32. Der bedingte Tötungsvorsatz und die Hemmschwellentheorie des Bundesgerichtshofs 497
  33. Grund und Grenzen der „qualifizierten“ Belehrung im Strafprozess 519
  34. Aushorchungen in der Untersuchungshaft als Überführungsmittel 549
  35. Klaus Geppert im Spiegel der „JURA“ 569
  36. Maßregeln der Abschreckung? 583
  37. Zur Strafbarkeit des Verteidigers wegen Strafvereitelung durch Stellen von Beweisanträgen zum Zwecke der Prozessverschleppung 607
  38. Die berufstypische Beihilfe im Strafprozess: Methodisches zur Feststellung erkennbarer Tatgeneigtheit 633
  39. Strafverfolgung bei Nichtauslieferung 643
  40. Gedanken zur zweiten Instanz in Strafsachen 649
  41. Konsens der qualifizierten Minderheit 665
  42. Beweisverwertungsverbote im Spannungsfeld zwischen nemo-tenetur-Grundsatz und fair-trial-Prinzip 689
  43. Rationierung in der Medizin und strafrechtliche Haftung des Arztes 723
  44. Der zivilrechtliche Besitzschutz als Grundlage des Hausrechts 749
  45. Die Tötungen an der deutsch-deutschen Grenze – Verbrechen gegen die Menschlichkeit? 757
  46. Wiederaufnahme zu Ungunsten des Angeklagten 785
  47. Schriftenverzeichnis 801
  48. Abgeschlossene Habilitations- und Promotionsverfahren 817
  49. Autorenverzeichnis 823
Downloaded on 8.10.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/9783899497298.269/html?srsltid=AfmBOookLOmh1gpf3DNNasYlV1tVqW5KiimZWhizgj6Dt16RWFFVRtJ-
Scroll to top button