Startseite Kulturwissenschaften I. Kolonialismus, Antikolonialismus und postkoloniale Studien
Kapitel
Lizenziert
Nicht lizenziert Erfordert eine Authentifizierung

I. Kolonialismus, Antikolonialismus und postkoloniale Studien

Weitere Titel anzeigen von transcript Verlag
Postkoloniale Theorie
Ein Kapitel aus dem Buch Postkoloniale Theorie
I.Kolonialismus, Antikolonialismus und postkoloniale Studien»Wir leben alle in einer postkolonialen Welt, nicht nur jene Menschen in und aus ehemals kolonisierten Ge-bieten.« (Eckert/Randeria 2009: 11)Trotz aller Versuche der Klärung bleibt der Begriff »postkolonial« unscharf und heiß debattiert. Beschrieb er in den 1970er Jahren noch die Lage ehema-liger Kolonien, die die Unabhängigkeit von der kolonialen Herrschaft errun-gen hatten, so wurde er in den 1980ern ausgeweitet und bezeichnete fortan alle kolonisierten Regionen und Gemeinschaften – und zwar vom Moment der Kolonisierung bis hin zur Gegenwart (vgl. Ashcroft/Griffiths/Tiffin 1989: 2). Die Perspektiven und Herangehensweisen, die mit postkolonialer Kritik assoziiert werden, finden dabei auch Anwendung auf die Bedingungen so ge-nannter »interner Kolonien« innerhalb des Westens – etwa Schottland, Irland und Wales (vgl. etwa Young 2001). Auch postsozialistische Studien wurden durch diese inspiriert (vgl. etwa Todorova 2009). Auf ein Problem mit dem Begriff »postkolonial« weist Ania Loomba hin, die nicht nur das Präfix »post« problematisiert, sondern auch den Terminus »kolonial« in »postkolonial« als Bezeichnung aller vormals kolonisierten Länder. Damit werden, so Loomba, die reichen Traditionen, Ideologien und Geschichten dieser Länder verleugnet – als seien sie erst mit dem Kolonialismus entstanden und nur durch den-selben überhaupt bedeutsam (vgl. 1998: 17). Dagegen wertet etwa der nigeria-nische Historiker Jacob Ade Ajayi die »Kolonialperiode [...] lediglich [als] eine ›Episode‹ im langen Kontinuum der afrikanischen Geschichte« (Eckert 2006: 60). Kolonialismus hat nicht auf einer Tabula rasa stattgefunden. Wenngleich die präkolonialen Geschichten heute schwer nachzuzeichnen sind – gegeben hat es sie. Dies impliziert, dass die präkolonialen Strukturen in die kolonialen hineingewirkt haben. Shalini Randeria spricht in diesem Zusammenhang von »verwobenen Geschichten« (entangled histories, Conrad/Randeria 2002: 17) und beschreibt damit eine relationale Perspektive, die die Unmöglichkeit aufzeigt, eine Geschichte des Westens ohne die Geschichte der kolonisierten Länder zu
© 2015 transcript Verlag

I.Kolonialismus, Antikolonialismus und postkoloniale Studien»Wir leben alle in einer postkolonialen Welt, nicht nur jene Menschen in und aus ehemals kolonisierten Ge-bieten.« (Eckert/Randeria 2009: 11)Trotz aller Versuche der Klärung bleibt der Begriff »postkolonial« unscharf und heiß debattiert. Beschrieb er in den 1970er Jahren noch die Lage ehema-liger Kolonien, die die Unabhängigkeit von der kolonialen Herrschaft errun-gen hatten, so wurde er in den 1980ern ausgeweitet und bezeichnete fortan alle kolonisierten Regionen und Gemeinschaften – und zwar vom Moment der Kolonisierung bis hin zur Gegenwart (vgl. Ashcroft/Griffiths/Tiffin 1989: 2). Die Perspektiven und Herangehensweisen, die mit postkolonialer Kritik assoziiert werden, finden dabei auch Anwendung auf die Bedingungen so ge-nannter »interner Kolonien« innerhalb des Westens – etwa Schottland, Irland und Wales (vgl. etwa Young 2001). Auch postsozialistische Studien wurden durch diese inspiriert (vgl. etwa Todorova 2009). Auf ein Problem mit dem Begriff »postkolonial« weist Ania Loomba hin, die nicht nur das Präfix »post« problematisiert, sondern auch den Terminus »kolonial« in »postkolonial« als Bezeichnung aller vormals kolonisierten Länder. Damit werden, so Loomba, die reichen Traditionen, Ideologien und Geschichten dieser Länder verleugnet – als seien sie erst mit dem Kolonialismus entstanden und nur durch den-selben überhaupt bedeutsam (vgl. 1998: 17). Dagegen wertet etwa der nigeria-nische Historiker Jacob Ade Ajayi die »Kolonialperiode [...] lediglich [als] eine ›Episode‹ im langen Kontinuum der afrikanischen Geschichte« (Eckert 2006: 60). Kolonialismus hat nicht auf einer Tabula rasa stattgefunden. Wenngleich die präkolonialen Geschichten heute schwer nachzuzeichnen sind – gegeben hat es sie. Dies impliziert, dass die präkolonialen Strukturen in die kolonialen hineingewirkt haben. Shalini Randeria spricht in diesem Zusammenhang von »verwobenen Geschichten« (entangled histories, Conrad/Randeria 2002: 17) und beschreibt damit eine relationale Perspektive, die die Unmöglichkeit aufzeigt, eine Geschichte des Westens ohne die Geschichte der kolonisierten Länder zu
© 2015 transcript Verlag
Heruntergeladen am 14.11.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/9783839411483-002/html?lang=de&srsltid=AfmBOooscTPGAZlUgmJZfxpKwTZiOf4ua37pza2ymOt80JgRZeZDLa6s
Button zum nach oben scrollen