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Einleitung

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Einleitung Das Profil des deutschen Protestantismus seit 1900 wurde im Bewußtsein einer breiteren Öffentlichkeit nicht nur von den verfaßten evangelischen Landeskir-chen, sondern ebenso, wenn nicht nachhaltiger, von den auf verschiedensten Sektoren praktisch tätigen Verbänden geprägt. So zielt unser Thema auf den grö-ßeren Bereich des sogenannten Verbandsprotestantismus; darunter ist die Viel-falt des evangelischen Vereinswesens zu verstehen, das um die Mitte des 19. Jahrhunderts als organisiertes religiöses Sonderinteresse neben das klassische Erscheinungsbild protestantischer Kirchlichkeit tritt, d.h. neben Ortsgemeinden und kirchenleitende Behörden.1 Grob skizziert können vier Grundtypen solcher Vereine unterschieden werden: 1. diejenigen mit primär religiös-evangelistischer oder kirchenpolitischer Zielset-zung, 2. Zusammenschlüsse zur Ausübung und Förderung kirchlicher Sozialar-beit, 3. berufsständische Vertretungen und 4.evangelische Frauen-, Männer- und Jugendverbände mit zum Teil unspezifiziertem Vereinszweck. All diese Gruppen operierten sowohl in Anlehnung an die einzelnen Kirchengemeinden als auch überregional und unterhielten enge Beziehungen zur Spitze der verfaßten Kir-che. Die Verbände repräsentierten das protestantische ,Laienelement' und nah-men mit wachsender Größe einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf ,Amts-kirche' und Kirchenvolk, was angesichts ihrer Mitgliederzahl, die - um nur ein Beispiel zu nennen - allein beim Evangelischen Bund 1914 mehr als 500.000 betrug, nur zu verständlich war. Sie wurden deshalb in einem weiteren gesell-schaftlichen Kontext häufig mit dem Protestantismus und seinem (kirchen-)poli-tischen Wollen bzw. Handeln schlechthin identifiziert. Während das Vereinswesen als neuartiges Phänomen des bürgerlichen Lebens im 19. Jahrhundert zunehmend das Interesse der historischen Forschung auf sich zieht, fehlen vergleichbare systematisierende Studien für die Zeit zwischen 1918 und 1945. Zwar existieren inzwischen zahlreiche Einzelmonographien zum bür-gerlichen oder sozialistischen Vereinswesen auch für diese Zeit. Jedoch bildeten die Verbände des frühen 20. Jahrhunderts nur einen Ausschnitt aus jener Viel-zahl heterogener Gruppierungen wie herkömmlicher Vereine, Parteien und gei-stig-politischer Strömungen bzw. Bewegungen, die den Emanzipationsanspruch 1 Eine veränderte und gekürzte Fassung dieser Einleitung erschien 1987 in der Zeitschrift „Pastoraltheologie" unter dem Titel „Zur Geschichte des Verbandsprotestantismus im 20. Jahrhundert. Das Beispiel der Inneren Mission 1914-1945".
© 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Munich/Boston

Einleitung Das Profil des deutschen Protestantismus seit 1900 wurde im Bewußtsein einer breiteren Öffentlichkeit nicht nur von den verfaßten evangelischen Landeskir-chen, sondern ebenso, wenn nicht nachhaltiger, von den auf verschiedensten Sektoren praktisch tätigen Verbänden geprägt. So zielt unser Thema auf den grö-ßeren Bereich des sogenannten Verbandsprotestantismus; darunter ist die Viel-falt des evangelischen Vereinswesens zu verstehen, das um die Mitte des 19. Jahrhunderts als organisiertes religiöses Sonderinteresse neben das klassische Erscheinungsbild protestantischer Kirchlichkeit tritt, d.h. neben Ortsgemeinden und kirchenleitende Behörden.1 Grob skizziert können vier Grundtypen solcher Vereine unterschieden werden: 1. diejenigen mit primär religiös-evangelistischer oder kirchenpolitischer Zielset-zung, 2. Zusammenschlüsse zur Ausübung und Förderung kirchlicher Sozialar-beit, 3. berufsständische Vertretungen und 4.evangelische Frauen-, Männer- und Jugendverbände mit zum Teil unspezifiziertem Vereinszweck. All diese Gruppen operierten sowohl in Anlehnung an die einzelnen Kirchengemeinden als auch überregional und unterhielten enge Beziehungen zur Spitze der verfaßten Kir-che. Die Verbände repräsentierten das protestantische ,Laienelement' und nah-men mit wachsender Größe einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf ,Amts-kirche' und Kirchenvolk, was angesichts ihrer Mitgliederzahl, die - um nur ein Beispiel zu nennen - allein beim Evangelischen Bund 1914 mehr als 500.000 betrug, nur zu verständlich war. Sie wurden deshalb in einem weiteren gesell-schaftlichen Kontext häufig mit dem Protestantismus und seinem (kirchen-)poli-tischen Wollen bzw. Handeln schlechthin identifiziert. Während das Vereinswesen als neuartiges Phänomen des bürgerlichen Lebens im 19. Jahrhundert zunehmend das Interesse der historischen Forschung auf sich zieht, fehlen vergleichbare systematisierende Studien für die Zeit zwischen 1918 und 1945. Zwar existieren inzwischen zahlreiche Einzelmonographien zum bür-gerlichen oder sozialistischen Vereinswesen auch für diese Zeit. Jedoch bildeten die Verbände des frühen 20. Jahrhunderts nur einen Ausschnitt aus jener Viel-zahl heterogener Gruppierungen wie herkömmlicher Vereine, Parteien und gei-stig-politischer Strömungen bzw. Bewegungen, die den Emanzipationsanspruch 1 Eine veränderte und gekürzte Fassung dieser Einleitung erschien 1987 in der Zeitschrift „Pastoraltheologie" unter dem Titel „Zur Geschichte des Verbandsprotestantismus im 20. Jahrhundert. Das Beispiel der Inneren Mission 1914-1945".
© 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Munich/Boston
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