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„Gesamtkunstwerk“, bel composto – oder wie sonst? Ein Topos der Barockforschung auf dem Prüfstand

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Bild-Raum-Wissenschaft
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„GESAMtKUnStWERK“, BEL COMPOSTO – ODER WIE SOnSt?193MEInRAD V. EnGElBERG„Gesamtkunstwerk“, bel compostooder wie sonst? Ein Topos der Barockforschung auf dem PrüfstandDas „G-Wort“ als ToposEiniges öffentliches Aufsehen erregte 2021 eine Initiative der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, welche die FAZ so beschrieb: Gut 150 vermeintlich diffamierende Objekttitel wurden umformuliert. [...] die historische Bezeichnung der vor 300 Jahren für die Schatzkammer Augusts des Starken geschaffenen Statuette eines kräftigen, schwarzen jungen Mannes, der auf einem tablett 16 Smaragd-kristalle präsentiert, lautete seit jeher Mohr mit der Smaragdstufe. Die Staatlichen Kunst-sammlungen Dresden (SKD) ersetzten nun das seit Jahrzehnten im Deutschen nicht mehr gebräuchliche Wort Mohr durch vier Asterisken.1Die SKD erläutern ihr Vorgehen so:Durch eine Änderung von Werktiteln ändert sich die Aussage des jeweiligen Werkes nicht. Im Gegenteil wird durch die Änderung jetzt präziser beschrieben, was man sieht. [...] Im Audioguide kann man die alten namen weiterhin hören. August der Starke spricht etwa das Wort „Mohr“ aus. Aktuell befindet sich der Audioguide in Überarbeitung und zukünftig wird eine Kinderstimme den Sprecher unterbrechen und darauf hinweisen, dass dieses Wort diskriminierend ist.2Das aktuelle Beispiel belegt ein Phänomen, das mutatis mutandis auch Gegenstand dieses Beitrags ist: Kunsthistorische Fachterminologie ist weder selbsterklärend oder „unschuldig“ noch unwandelbar, sondern zutiefst zeitgebunden. Begriffe kodieren Perspektiven. Sie set-zen einen bestimmten Konsens voraus oder konstruieren ihn. Insofern möchte man wiede-rum die Kinderstimme des Audioguides unterbrechend korrigieren, dass das Wort „Mohr“ nicht diskriminierend ist, sondern von Menschen des 21. Jahrhunderts inzwischen mehrheit-lich so wahrgenommen wird, während es im 18. Jahrhundert wertfrei, objektivierend und gebräuchlich war. Dieses Phänomen der Verschiebung lässt sich auch bei Begriffen feststellen, die jeder rassistischen Intention unverdächtig sind, z.B. bei dem „Fräulein“: Vergleicht man
© 2024 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

„GESAMtKUnStWERK“, BEL COMPOSTO – ODER WIE SOnSt?193MEInRAD V. EnGElBERG„Gesamtkunstwerk“, bel compostooder wie sonst? Ein Topos der Barockforschung auf dem PrüfstandDas „G-Wort“ als ToposEiniges öffentliches Aufsehen erregte 2021 eine Initiative der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, welche die FAZ so beschrieb: Gut 150 vermeintlich diffamierende Objekttitel wurden umformuliert. [...] die historische Bezeichnung der vor 300 Jahren für die Schatzkammer Augusts des Starken geschaffenen Statuette eines kräftigen, schwarzen jungen Mannes, der auf einem tablett 16 Smaragd-kristalle präsentiert, lautete seit jeher Mohr mit der Smaragdstufe. Die Staatlichen Kunst-sammlungen Dresden (SKD) ersetzten nun das seit Jahrzehnten im Deutschen nicht mehr gebräuchliche Wort Mohr durch vier Asterisken.1Die SKD erläutern ihr Vorgehen so:Durch eine Änderung von Werktiteln ändert sich die Aussage des jeweiligen Werkes nicht. Im Gegenteil wird durch die Änderung jetzt präziser beschrieben, was man sieht. [...] Im Audioguide kann man die alten namen weiterhin hören. August der Starke spricht etwa das Wort „Mohr“ aus. Aktuell befindet sich der Audioguide in Überarbeitung und zukünftig wird eine Kinderstimme den Sprecher unterbrechen und darauf hinweisen, dass dieses Wort diskriminierend ist.2Das aktuelle Beispiel belegt ein Phänomen, das mutatis mutandis auch Gegenstand dieses Beitrags ist: Kunsthistorische Fachterminologie ist weder selbsterklärend oder „unschuldig“ noch unwandelbar, sondern zutiefst zeitgebunden. Begriffe kodieren Perspektiven. Sie set-zen einen bestimmten Konsens voraus oder konstruieren ihn. Insofern möchte man wiede-rum die Kinderstimme des Audioguides unterbrechend korrigieren, dass das Wort „Mohr“ nicht diskriminierend ist, sondern von Menschen des 21. Jahrhunderts inzwischen mehrheit-lich so wahrgenommen wird, während es im 18. Jahrhundert wertfrei, objektivierend und gebräuchlich war. Dieses Phänomen der Verschiebung lässt sich auch bei Begriffen feststellen, die jeder rassistischen Intention unverdächtig sind, z.B. bei dem „Fräulein“: Vergleicht man
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