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Funktionen der unbestimmten Rechtsbegriffe im Immaterialgüterrecht

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Benvenuto Samson zum 90. Geburtstag
This chapter is in the book Benvenuto Samson zum 90. Geburtstag
209 Funktionen der unbestimmten Rechtsbegriffe im Immaterialgüterrecht Von Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernst Windisdi, Karlsruhe*) Zu den Themen, die Benvenuto Samson immer bewegt haben, ge-hört das Spannungsverhältnis zwischen Dogmatik und Individual-gerechtigkeit. Sein Name ist besonders mit dem Urheberrecht verbun-den, einem Bereich, in dem die Begegnung der schöpferischen Phanta-sie mit den nüchternen Maßstäben der Normen solche Spannung er-warten läßt. Ist es Zufall, daß sich ein Jurist dem Immaterialgüterrecht zuwendet? I. Immaterialgttterrechtliche Tatbestände 1. Werkänderung als Tatbestandsmerkmal Die Antwort auf diese Frage wird hinter den Eigentümlichkeiten dieses Rechtsgebiets verborgen liegen, die es vom Recht der Mate-rialgüter unterscheiden. Aus der Fülle der besonderen Aspekte des Immaterialgüterrechts greife ich einen heraus, der eng mit der Auf-gabe, Konflikte zwischen Dogmatik und Individualgerechtigkeit zu vermeiden und zu beseitigen, verbunden ist. Ein Konflikt kann z. B. entstehen, wenn das dem Urheberrecht immanente Gebot, dem Ur-heber die Bestimmung zu überlassen, „in welcher Gestalt sein geisti-ges Kind an die Öffentlichkeit treten soll" (BGH in GRUR 1971, 35, 37 = UFITA Bd. 60 [1971] S. 247, 251 — Maske in Blau), auf ein Ände-rungsbedürfnis stößt, beispielsweise bei der „Umsetzung eines Schrift-werkes in die Bühnenform" (BGH, aaO.). § 39 UG normiert mit weni-gen Worten den Grundsatz (Abs. 1: Änderungsverbot) und die Aus-nahme (Abs. 2: Zumutbare Änderungen) für ein weites künstlerisches Betätigungsfeld. Im Normtatbestand wird für eine Zulassung einer Werkänderung auf Treu und Glauben abgestellt. Ob das Werk geän-dert worden ist, entnimmt die Rechtsprechung dem — alle Einzelhei-ten und den Gesamtinhalt ausschöpfenden — Vergleich des geschütz-ten Werkes mit der Neufassung. Eine Werkänderung kann bei einer Operette „auch darin liegen, daß eine Szene ohne Änderung des Tex-tes oder der Musik in einer Art wiedergegeben wird, die den Charak-") Vom Verfasser zur Ehrung von Professor Dr. Benvenuto Samson anläßlich der Vollendung seines 90. Lebensjahres erstellt.
© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Munich/Boston

209 Funktionen der unbestimmten Rechtsbegriffe im Immaterialgüterrecht Von Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernst Windisdi, Karlsruhe*) Zu den Themen, die Benvenuto Samson immer bewegt haben, ge-hört das Spannungsverhältnis zwischen Dogmatik und Individual-gerechtigkeit. Sein Name ist besonders mit dem Urheberrecht verbun-den, einem Bereich, in dem die Begegnung der schöpferischen Phanta-sie mit den nüchternen Maßstäben der Normen solche Spannung er-warten läßt. Ist es Zufall, daß sich ein Jurist dem Immaterialgüterrecht zuwendet? I. Immaterialgttterrechtliche Tatbestände 1. Werkänderung als Tatbestandsmerkmal Die Antwort auf diese Frage wird hinter den Eigentümlichkeiten dieses Rechtsgebiets verborgen liegen, die es vom Recht der Mate-rialgüter unterscheiden. Aus der Fülle der besonderen Aspekte des Immaterialgüterrechts greife ich einen heraus, der eng mit der Auf-gabe, Konflikte zwischen Dogmatik und Individualgerechtigkeit zu vermeiden und zu beseitigen, verbunden ist. Ein Konflikt kann z. B. entstehen, wenn das dem Urheberrecht immanente Gebot, dem Ur-heber die Bestimmung zu überlassen, „in welcher Gestalt sein geisti-ges Kind an die Öffentlichkeit treten soll" (BGH in GRUR 1971, 35, 37 = UFITA Bd. 60 [1971] S. 247, 251 — Maske in Blau), auf ein Ände-rungsbedürfnis stößt, beispielsweise bei der „Umsetzung eines Schrift-werkes in die Bühnenform" (BGH, aaO.). § 39 UG normiert mit weni-gen Worten den Grundsatz (Abs. 1: Änderungsverbot) und die Aus-nahme (Abs. 2: Zumutbare Änderungen) für ein weites künstlerisches Betätigungsfeld. Im Normtatbestand wird für eine Zulassung einer Werkänderung auf Treu und Glauben abgestellt. Ob das Werk geän-dert worden ist, entnimmt die Rechtsprechung dem — alle Einzelhei-ten und den Gesamtinhalt ausschöpfenden — Vergleich des geschütz-ten Werkes mit der Neufassung. Eine Werkänderung kann bei einer Operette „auch darin liegen, daß eine Szene ohne Änderung des Tex-tes oder der Musik in einer Art wiedergegeben wird, die den Charak-") Vom Verfasser zur Ehrung von Professor Dr. Benvenuto Samson anläßlich der Vollendung seines 90. Lebensjahres erstellt.
© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Munich/Boston

Chapters in this book

  1. Frontmatter I
  2. Inhaltsverzeichnis V
  3. Benvenuto Samson zum Gruße IX
  4. Benvenuto Samson zum 90. Geburtstag (11. Juni 1977) XI
  5. Samson-Veröfientlichungen ab 1972 XIII
  6. Das Urheberrecht als letzte Hilfe bei nicht rechtsbeständigen Geschmacksmusterregistrierungen 1
  7. Die Erschöpfung des Verbreitungsrechts im internationalen Verkehr mit urheberrechtlich geschützten Werken 9
  8. Immaterielle Wirtschaftsgüter im Steuerrecht unter Berücksichtigung des Urheber- und Verlagsrechts 25
  9. Die Rechtsnatur des Vertrags der arbeitnehmerähnlichen freien Mitarbeiter geistiger Berufe 47
  10. Zulässigkeit und Grenzen der wissenschaftlichen Kritik im außerwettbewerblichen Bereich 67
  11. Zum Verhältnis von Persönlichkeitsschutz und Kunstfreiheit 89
  12. Grundzüge der persönlichkeitsrechtlichen Theorie im sozialistischen Urheberrecht 99
  13. Das Recht des Urhebers zur Abwehr von Importen und das Europäische Recht 123
  14. Werk und Urheber in der schweizerischen Urheberrechtsreform 153
  15. Überlegungen zur Anwendung des GWB bei der Verwertung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten 175
  16. Urheberrechte und Leistungsschutzrechte an Filmwerken 213
  17. Ein Beitrag zu der Thoma-Stühle-Entscheidung des Bundesgerichtshofes 241
  18. Das Verhältnis der Regelung des Art. 14ter RBÜ über das Folgerecht zum deutschen Recht 261
  19. Rechtsschutz der Computerprogramme 275
  20. Zur erforderlichen Änderung der §§ 53, 54 des Urheberrechtsgesetzes (sog. Fotokopierrecht) 287
  21. Kann für Allgemeine Geschäftsbedingungen Urheberrechtsschutz in Anspruch genommen werden? 313
  22. Anhängige Probleme des Urheberrechts 321
  23. Überlegungen für ein Urhebervertragsgesetz 345
  24. Dargestellt an Fragen der Werkfortsetzung, des Selbstplagiats und der Parodie 367
  25. Gedanken zur Regelung des Rechts der Verwertungsgesellschaften in Österreich 383
  26. Tarife und Gesamtverträge der Verwertungsgesellschaften 391
  27. Ein Beitrag zur Entstehung von Bearbeiter-Urheberrediten an Werken der bildenden Kunst 399
  28. Ein Beitrag zur Entstehung von Bearbeiter-Urheberrediten an Werken der bildenden Kunst 399
  29. Die Bildung des Urhebervertragsrechts 413
  30. Funktionen der unbestimmten Rechtsbegriffe im Immaterialgüterrecht 449
  31. Werberechtsreform und Verbraucherschutz 461
Downloaded on 10.10.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/9783112326527-028/html?licenseType=restricted&srsltid=AfmBOooY1z22btkw7AOMN21lu6Ga2kB2D3srsJN2PphcUBL8pClz6rwW
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