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Versudi eines zukünftigen Dramas

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III. Dramaturgie des Expressionismus KURT PINTHUS Versudi eines zukünftigen Dramas Ein junger Mensch, magern Gesichts, glühenden Auges, las vor kurzem in Berlin ein Drama ,Der Sohn' vor, über das einiges Klärende, Proklamatorische gesagt werden muß. Zwar alle, die das Stück Walter Hasenclevers hörten, anerkannten den see-lischen Furor, aus dem es sich gebar, die lyrische Besdiwingt-heit, die jeden Satz auf funkelnden Wolken schweben ließ, das Menschliche, das quellend zum Licht schrie. Nidit aber erkannte man das Wesentliche dieses jugendlich-lodernden Werkes. Denn ,Der Sohn' muß als das erste Drama erachtet werden, welches auf dramatischem Gefilde zu dem von der neuesten Malerei und auch der Musik bereits erstrebten Ziel hinwill. Da man diese Bestrebungen: Seelischstes, Innerstes, Ewigstes mit Wut, Glut und Furioso herauszugestalten, mit dem allzu uniformen Wort ,Expressionismus* bedadit hat, so wäre also hier der Ver-sudi eines expressionistischen, exhibitiven kühne Jünglinge werden sogar sagen: metaphysischen - Dramas nachzuweisen. Unreif, meinten die Einen, sei das Stück, weil es die tausend-fach abgehandelte Pubertätsrevolte des Sohnes gegen den har-ten, verständnisfernen Vater mit jünglingshafter Parteilichkeit abermals aufrolle. Undramatisch nannten es die Anderen, denn wo sei hier die aufsteigende und abfallende Handlung? Der Konflikt entwickle sich nicht, sondern sei von der ersten Szene bis zur letzten drohend vorhanden, ohne geknüpft, ohne gelöst zu werden. Auch unorganisch sei es, da die Darsteller bald realistische Menschen, bald abstrahierte Typen seien, jetzt in rasender Dialektik diskutierten, dann in lyrisierenden Mono-logen einherschwelgten. Gar zum Verbrechen aufreizend, des-halb verbietenswert - als Predigt und Fanfare für die Söhne, alle obstinaten Väter niederzuknallen. Und alle meinten, kein Theater könne wagen, ein Stück aufzuführen, das nichts zeige

III. Dramaturgie des Expressionismus KURT PINTHUS Versudi eines zukünftigen Dramas Ein junger Mensch, magern Gesichts, glühenden Auges, las vor kurzem in Berlin ein Drama ,Der Sohn' vor, über das einiges Klärende, Proklamatorische gesagt werden muß. Zwar alle, die das Stück Walter Hasenclevers hörten, anerkannten den see-lischen Furor, aus dem es sich gebar, die lyrische Besdiwingt-heit, die jeden Satz auf funkelnden Wolken schweben ließ, das Menschliche, das quellend zum Licht schrie. Nidit aber erkannte man das Wesentliche dieses jugendlich-lodernden Werkes. Denn ,Der Sohn' muß als das erste Drama erachtet werden, welches auf dramatischem Gefilde zu dem von der neuesten Malerei und auch der Musik bereits erstrebten Ziel hinwill. Da man diese Bestrebungen: Seelischstes, Innerstes, Ewigstes mit Wut, Glut und Furioso herauszugestalten, mit dem allzu uniformen Wort ,Expressionismus* bedadit hat, so wäre also hier der Ver-sudi eines expressionistischen, exhibitiven kühne Jünglinge werden sogar sagen: metaphysischen - Dramas nachzuweisen. Unreif, meinten die Einen, sei das Stück, weil es die tausend-fach abgehandelte Pubertätsrevolte des Sohnes gegen den har-ten, verständnisfernen Vater mit jünglingshafter Parteilichkeit abermals aufrolle. Undramatisch nannten es die Anderen, denn wo sei hier die aufsteigende und abfallende Handlung? Der Konflikt entwickle sich nicht, sondern sei von der ersten Szene bis zur letzten drohend vorhanden, ohne geknüpft, ohne gelöst zu werden. Auch unorganisch sei es, da die Darsteller bald realistische Menschen, bald abstrahierte Typen seien, jetzt in rasender Dialektik diskutierten, dann in lyrisierenden Mono-logen einherschwelgten. Gar zum Verbrechen aufreizend, des-halb verbietenswert - als Predigt und Fanfare für die Söhne, alle obstinaten Väter niederzuknallen. Und alle meinten, kein Theater könne wagen, ein Stück aufzuführen, das nichts zeige

Chapters in this book

  1. Frontmatter I
  2. INHALTSVERZEICHNIS V
  3. VORWORT VII
  4. I. Dramaturgie des Naturalismus
  5. Aus: Technik des realistischen Dramas 1
  6. Aus: Die Freie Bühne in Berlin 7
  7. Aus: Evolution des Dramas 11
  8. Die Menschen in Ibsens Dramen Eine kritische Studie 17
  9. Ibsen Gedenkrede 26
  10. Aus: Das Drama und die moderne Weltanschauung 34
  11. II. Die neuen Vorbilder: Strindberg, Wedekind, Hofmannsthal
  12. August Strindberg 38
  13. Wedekind und das tragische Epigramm 39
  14. Die Büchse der Pandora 44
  15. Die Wedekind 55
  16. Hofmannsthal und das neue Pathos 56
  17. Aus: Brief über das Drama an Hugo von Hofmannsthal 65
  18. III. Dramaturgie des Expressionismus
  19. Versudi eines zukünftigen Dramas 70
  20. Kunst und Definition 74
  21. Die Unsterblichen. Zwei Überdramen 77
  22. Das lebendige Theater 79
  23. Aus: Theater 85
  24. Aus: Das politische Theater 89
  25. IV. Die Dramaturgie der Dichter
  26. Formung von Drama – Bericht vom Drama 95
  27. Gedanken über das Wesen des Dramas – Die Kunst, ein heiteres Theaterwerk, das den Zeitaugenblick überdauert, zu schreiben 99
  28. Das Drama im geistigen Leben der Völker – Aus: Dramaturgie 104
  29. Der Held im Drama 111
  30. Aus: Über Charaktere im Roman und im Drama – Komödie 114
  31. Das neue Drama und das neue Theater 125
  32. Aus: Über experimentelles Theater 127
  33. Aus: Theaterprobleme 135
  34. Aus: Der Autor und das Theater 139
  35. V. Theorie und Kritik der Philosophen
  36. Aus: Zur Soziologie des modernen Dramas 143
  37. Aus: Zum Phänomen des Tragischen 152
  38. Was ist das epische Theater? 162
  39. Über das Tragische 170
  40. QUELLENNACHWEIS 181
  41. NAMENVERZEICHNIS 185
Downloaded on 10.10.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/9783111333731-014/html?licenseType=restricted&srsltid=AfmBOop9q6Pjfd30XG2Mb1Defd0OBjxCNz59P53JrtHg3R44rX8SEuZ0
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