Home 13. Schlussbetrachtung
Chapter
Licensed
Unlicensed Requires Authentication

13. Schlussbetrachtung

Become an author with De Gruyter Brill
Kunst, Diskurs und Nationalsozialismus
This chapter is in the book Kunst, Diskurs und Nationalsozialismus
13. Schlussbetrachtung That which may be nothing more than simple mental imagery to our mind, is, in primitive consciousness, an active force, some mysterious entity belonging to a peculiar dimension of reality which is more ,real' than our so-called reality. And it is on this kind of super-reality that words are supposed to have an essen-tial, infallible hold. T. Izutsu: Language and Magic Die vorliegende Untersuchung sieht sich in der Tradition der so genannten „energeti-schen" Sprachauffassung, die die kognitions- und handlungsrelevante Rolle der Sprache betont. Die linguistische Begriffsgeschichte der beiden zentralen kunstpolitischen Begrif-fe des Nationalsozialismus, deutsche Kunst und entartete Kunst, wurde mit Hilfe der diskurssemantischen Analyse geschrieben. Bedeutungsgeschichtliche Kapitel untersu-chen die Genese der Begriffe mit framesemantischen Mitteln und werden durch die dis-kurspragmatische Analyse der kulturpolitisch besonders beachtenswerten Zeit der Wei-marer Republik und der ersten Jahre des NS-Regimes ergänzt. Die Pseudoterminologien der nationalsozialistischen Kunstpolitik basieren auf ideologischen Einheiten, die sich -als spezifisch deutsche, einzelsprachliche Begriffe - durch eine bemerkenswerte, ja ein-zigartige Geschichte auszeichnen. Der Begriff Entartung ist seit dem späten 18. Jahrhundert sowohl in kunstkritischen als auch in medizinischen Texten heimisch. Die untersuchten Bezeichnungen (Entartung, Degeneration, Dekadenz, Verfall) stammen aus unterschiedlichen Diskursen, die am Anfang des 20. Jahrhunderts miteinander verschmelzen: aus der Medizin, der Völkerpsy-chologie, der Rassentheorie, der national gesinnten Kunstwissenschaft. Framesemanti-sche Übersichten des Buchteils Α illustrieren die Komplexität der Begriffsintension. Die Kultur, vor allem die Kunst, sieht man vor dem Hintergrund sozialdarwinistischer weltan-schaulicher Konzepte als eine Lebensäußerung des gemeinschaftlichen „nationalen" Organismus. Das Unbehagen an neuen Kunststilen versucht man mit medizinischen, vor allem psychologischen Zusammenhängen oder mit national und „rassisch" bedingten Unterschieden in der Kunstwahrnehmung zu erklären, was zu der begrifflichen Kontami-nation führt. Der Begriff Entartung wird also in Kontexten abgehandelt, die zitatfähig sind und eine Orientierung fur dessen weitere semantische Entwicklung geben: Der „na-tionalistische Tenor"' und die „Angst vor der Dekadenz"2 werden salonfähig. Wissen-schaftliche Termini verschmelzen zunehmend mit metaphorischen Vereinnahmungen in der Bildungssprache: Metaphern verlieren ihren rhetorischen Charakter, so auch die Be-zeichnung entartete Kunst. Mit dem Auffinden des „Fremden" bzw. „Abnormen" gehen dabei sprachliche Bewertungen einher, die sich in den Konnotationen der betreffenden Wörter niederschlagen: Die deontischen Begriffe tragen verschiedene „Namen" {fremde Kunst, Dekadenz, Volkskunst, deutscher Stil); die Bezeichnung entartete Kunst wird erst nach der Femeausstellung 1937 zu einem Quasi-Terminus der NS-Kunstpolitik. Die zahl-1 Manheim 1987, S. 278. 2 Marcel Struwe: „Nationalsozialistischer Bildersturm". Funktion eines Begriffs. In: Warnke 1973, S. 130.

13. Schlussbetrachtung That which may be nothing more than simple mental imagery to our mind, is, in primitive consciousness, an active force, some mysterious entity belonging to a peculiar dimension of reality which is more ,real' than our so-called reality. And it is on this kind of super-reality that words are supposed to have an essen-tial, infallible hold. T. Izutsu: Language and Magic Die vorliegende Untersuchung sieht sich in der Tradition der so genannten „energeti-schen" Sprachauffassung, die die kognitions- und handlungsrelevante Rolle der Sprache betont. Die linguistische Begriffsgeschichte der beiden zentralen kunstpolitischen Begrif-fe des Nationalsozialismus, deutsche Kunst und entartete Kunst, wurde mit Hilfe der diskurssemantischen Analyse geschrieben. Bedeutungsgeschichtliche Kapitel untersu-chen die Genese der Begriffe mit framesemantischen Mitteln und werden durch die dis-kurspragmatische Analyse der kulturpolitisch besonders beachtenswerten Zeit der Wei-marer Republik und der ersten Jahre des NS-Regimes ergänzt. Die Pseudoterminologien der nationalsozialistischen Kunstpolitik basieren auf ideologischen Einheiten, die sich -als spezifisch deutsche, einzelsprachliche Begriffe - durch eine bemerkenswerte, ja ein-zigartige Geschichte auszeichnen. Der Begriff Entartung ist seit dem späten 18. Jahrhundert sowohl in kunstkritischen als auch in medizinischen Texten heimisch. Die untersuchten Bezeichnungen (Entartung, Degeneration, Dekadenz, Verfall) stammen aus unterschiedlichen Diskursen, die am Anfang des 20. Jahrhunderts miteinander verschmelzen: aus der Medizin, der Völkerpsy-chologie, der Rassentheorie, der national gesinnten Kunstwissenschaft. Framesemanti-sche Übersichten des Buchteils Α illustrieren die Komplexität der Begriffsintension. Die Kultur, vor allem die Kunst, sieht man vor dem Hintergrund sozialdarwinistischer weltan-schaulicher Konzepte als eine Lebensäußerung des gemeinschaftlichen „nationalen" Organismus. Das Unbehagen an neuen Kunststilen versucht man mit medizinischen, vor allem psychologischen Zusammenhängen oder mit national und „rassisch" bedingten Unterschieden in der Kunstwahrnehmung zu erklären, was zu der begrifflichen Kontami-nation führt. Der Begriff Entartung wird also in Kontexten abgehandelt, die zitatfähig sind und eine Orientierung fur dessen weitere semantische Entwicklung geben: Der „na-tionalistische Tenor"' und die „Angst vor der Dekadenz"2 werden salonfähig. Wissen-schaftliche Termini verschmelzen zunehmend mit metaphorischen Vereinnahmungen in der Bildungssprache: Metaphern verlieren ihren rhetorischen Charakter, so auch die Be-zeichnung entartete Kunst. Mit dem Auffinden des „Fremden" bzw. „Abnormen" gehen dabei sprachliche Bewertungen einher, die sich in den Konnotationen der betreffenden Wörter niederschlagen: Die deontischen Begriffe tragen verschiedene „Namen" {fremde Kunst, Dekadenz, Volkskunst, deutscher Stil); die Bezeichnung entartete Kunst wird erst nach der Femeausstellung 1937 zu einem Quasi-Terminus der NS-Kunstpolitik. Die zahl-1 Manheim 1987, S. 278. 2 Marcel Struwe: „Nationalsozialistischer Bildersturm". Funktion eines Begriffs. In: Warnke 1973, S. 130.
Downloaded on 23.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/9783110945874.318/html?lang=en&srsltid=AfmBOopzGJzq8CNjdBH7OPaBHFGYjsgJIrrg0O042FlC1uPJKYjxERPE
Scroll to top button