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6. Das politische Ästhetische in den Frühschriften Wilhelm von Humboldts

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Die schöne Republik
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6. Das politische Ästhetische in den Frühschriften Wilhelm von Humboldts Der junge Wilhelm von Humboldt überführt konsequent die Kategorien des ästhetischen Diskurses des späten 18. Jahrhunderts in die Sphäre des Politischen. Humboldt zeigt sowohl, dass die Kunst eine soziale Funktion gerade in ihrer Autonomie und Eigengesetzlichkeit gewinnt, weil nur durch diese eine nicht-instrumentelle Welt- und Selbstwahrnehmung ermöglicht und eingeübt wird. In der (autonomen) Kunst konkretisiert sich so die Forderung des Kantischen Kategorischen Imperativs. Daher ist für Humboldt das Ästhetische als Ästhe-tisches (und nicht etwa als Logisches, Moralisches oder Technisches) selbst bereits politisch. Humboldt nimmt damit eine in allen demokratischen Verfassungen verankerten Grundsatz der Schutzwürdigkeit der Autonomie der Kunst vorweg, wie er sich auch im deutschen Grundgesetz, Art. 5 Abs. 3 findet (»Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei«). Darüber hinaus entwirft er eine der liberalsten Staatstheorien der deutschen Geschichte, die er auf der Basis der aus der Ästhetik stammenden Postulate der Individualität (Selbstzweckhaftig-keit) und Pluralität (Mannigfaltigkeit) konzipiert. Seine Grundgedanken eines politischen Ästhetischen entwickelt Humboldt dabei bereits vor Friedrich Schillers großem Entwurf einer politisch-ästhetischen Anthropologie in den >Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen< von 1795 und auch vor seiner Freundschaft mit Schiller und Goethe, die dann in Humboldts kunsttheoretischer Hauptschrift >Über Göthes Hermann und Doro-thea< von 1798 kulminiert.1 Die Genese von Humboldts Ideen ist daher immer auch im Kontext der Berliner Debatten zu sehen, an denen Humboldt während seiner ersten Berliner Periode - also bis zum ersten Austritt aus dem Preußischen Staatsdienst und dem Weggang 1791 - regen Anteil nahm. So ist Humboldts erste - nicht veröffentlichte - Schrift >Uber Religion< von 1789 nur zu verstehen innerhalb der Debatte um Wöllners Religionsedikt vom 9. Juli 1788. >Uber Religion< ist innerhalb dieser Debatte eine der weitestgehen-den Zurückweisungen der Wöllnerschen Machtansprüche. Entgegen Wöllners Vorwurf, dass die aufgeklärten Berliner Theologen die Moralität untergraben hätten, stellt Humboldt lapidar fest, dass Moralität und Religiosität überhaupt 1 Zum Verhältnis Humboldt-Schiller vgl. Cora Lee Price, Wilhelm von Humboldt und Schillers >Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen;, in: Jahrbuch der Deut-schen Schillergesellschaft 11 (1967), S. 358-373. 176

6. Das politische Ästhetische in den Frühschriften Wilhelm von Humboldts Der junge Wilhelm von Humboldt überführt konsequent die Kategorien des ästhetischen Diskurses des späten 18. Jahrhunderts in die Sphäre des Politischen. Humboldt zeigt sowohl, dass die Kunst eine soziale Funktion gerade in ihrer Autonomie und Eigengesetzlichkeit gewinnt, weil nur durch diese eine nicht-instrumentelle Welt- und Selbstwahrnehmung ermöglicht und eingeübt wird. In der (autonomen) Kunst konkretisiert sich so die Forderung des Kantischen Kategorischen Imperativs. Daher ist für Humboldt das Ästhetische als Ästhe-tisches (und nicht etwa als Logisches, Moralisches oder Technisches) selbst bereits politisch. Humboldt nimmt damit eine in allen demokratischen Verfassungen verankerten Grundsatz der Schutzwürdigkeit der Autonomie der Kunst vorweg, wie er sich auch im deutschen Grundgesetz, Art. 5 Abs. 3 findet (»Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei«). Darüber hinaus entwirft er eine der liberalsten Staatstheorien der deutschen Geschichte, die er auf der Basis der aus der Ästhetik stammenden Postulate der Individualität (Selbstzweckhaftig-keit) und Pluralität (Mannigfaltigkeit) konzipiert. Seine Grundgedanken eines politischen Ästhetischen entwickelt Humboldt dabei bereits vor Friedrich Schillers großem Entwurf einer politisch-ästhetischen Anthropologie in den >Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen< von 1795 und auch vor seiner Freundschaft mit Schiller und Goethe, die dann in Humboldts kunsttheoretischer Hauptschrift >Über Göthes Hermann und Doro-thea< von 1798 kulminiert.1 Die Genese von Humboldts Ideen ist daher immer auch im Kontext der Berliner Debatten zu sehen, an denen Humboldt während seiner ersten Berliner Periode - also bis zum ersten Austritt aus dem Preußischen Staatsdienst und dem Weggang 1791 - regen Anteil nahm. So ist Humboldts erste - nicht veröffentlichte - Schrift >Uber Religion< von 1789 nur zu verstehen innerhalb der Debatte um Wöllners Religionsedikt vom 9. Juli 1788. >Uber Religion< ist innerhalb dieser Debatte eine der weitestgehen-den Zurückweisungen der Wöllnerschen Machtansprüche. Entgegen Wöllners Vorwurf, dass die aufgeklärten Berliner Theologen die Moralität untergraben hätten, stellt Humboldt lapidar fest, dass Moralität und Religiosität überhaupt 1 Zum Verhältnis Humboldt-Schiller vgl. Cora Lee Price, Wilhelm von Humboldt und Schillers >Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen;, in: Jahrbuch der Deut-schen Schillergesellschaft 11 (1967), S. 358-373. 176
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