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III. Die Beweiserleichterung durch den Anscheinsbeweis

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11 berechtigt, nach subjektiver Beliebigkeit zu urteilen. Er hat Erfahrungs-sätze und Denkgesetze zu beachten und soll - und darin liegt ein berechtigter Versuch einer „Teilobjektivierung" - den Beweis dann als geführt ansehen, „wenn er als besonnener, gewissenhafter und lebenser-fahrener Mann aus objektiven Gründen die erreichte Wahrscheinlichkeit als genügend ansieht"". Aber im letzten muß er eben doch seinem richterlichen Gewissen folgen und in diesem Sinn muß die richterliche Uberzeugung, es sei die notwendige Beweisstärke erreicht, nach wie vor das entscheidende Kriterium abgeben. Den Maßstab rein objektiv zu fassen, etwa in Form einer zu errreichenden, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit in Form einer Prozentzahl (z.B. 99,5%ige Wahr-scheinlichkeit), wäre nur dann sinnvoll, wenn auch das Beweisergebnis auf einen solchen Zahlenwert gebracht werden könnte. Dies kann jedoch allenfalls auf bestimmten Sachgebieten gelingen, aber schon wenn - etwa im Prozeß auf Feststellung der Vaterschaft - neben Sachverständigengut-achten, die zu einer in Prozentzahlen ausgedrückten Wahrscheinlichkeit führen, andere Beweismittel, wie z.B. Zeugenaussagen, zu würdigen sind, kann die erreichte Gesamtwahrscheinlichkeit nicht mehr streng objektiv bestimmt werden. Im Ergebnis gelangt man also nicht zu einer entweder rein subjektiven oder rein objektiven Beweismaßtheorie, sondern die richterliche Uber-zeugung stellt sich als eine Entscheidungsfindung dar, bei der objektive Vorgaben und Maßstäbe zu beachten sind, letztlich aber doch in vielen Fällen ein erheblicher subjektiver Spielraum verbleibt. III. Die Beweiserleichterung durch den Anscheinsbeweis 1. Herabsetzung der Beweisanforderungen Mit dem Anscheinsbeweis hat es eine eigentümliche Bewandtnis. Er nimmt seit Jahrzehnten in der Rechtsprechung seinen festen Platz ein, gehört aber gleichwohl nach Rechtsnatur, Anwendungsbereich und Rechtsfolge zu den umstrittensten Instituten des Zivilprozeßrechts. Ob dieser Unruhestifter im Bereich des Beweisrechts das herkömmliche allgemeine Beweismaß, nämlich den sogenannten Vollbeweis, aus den Angeln heben kann, hängt zunächst einmal davon ab, wie sich die Wirkungen des Anscheinsbeweises von einem „normalen" Beweis unter-scheiden. Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Formulierungen ist eigentlich alles ganz harmlos: Der Anscheinsbeweis ist eine besondere Art des Indizienbeweises. Er bezieht sich auf Fälle eines typischen Gesche-" Stein/Jonas/Leipold (Ν. 1) §286 Rdn. 1.

11 berechtigt, nach subjektiver Beliebigkeit zu urteilen. Er hat Erfahrungs-sätze und Denkgesetze zu beachten und soll - und darin liegt ein berechtigter Versuch einer „Teilobjektivierung" - den Beweis dann als geführt ansehen, „wenn er als besonnener, gewissenhafter und lebenser-fahrener Mann aus objektiven Gründen die erreichte Wahrscheinlichkeit als genügend ansieht"". Aber im letzten muß er eben doch seinem richterlichen Gewissen folgen und in diesem Sinn muß die richterliche Uberzeugung, es sei die notwendige Beweisstärke erreicht, nach wie vor das entscheidende Kriterium abgeben. Den Maßstab rein objektiv zu fassen, etwa in Form einer zu errreichenden, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit in Form einer Prozentzahl (z.B. 99,5%ige Wahr-scheinlichkeit), wäre nur dann sinnvoll, wenn auch das Beweisergebnis auf einen solchen Zahlenwert gebracht werden könnte. Dies kann jedoch allenfalls auf bestimmten Sachgebieten gelingen, aber schon wenn - etwa im Prozeß auf Feststellung der Vaterschaft - neben Sachverständigengut-achten, die zu einer in Prozentzahlen ausgedrückten Wahrscheinlichkeit führen, andere Beweismittel, wie z.B. Zeugenaussagen, zu würdigen sind, kann die erreichte Gesamtwahrscheinlichkeit nicht mehr streng objektiv bestimmt werden. Im Ergebnis gelangt man also nicht zu einer entweder rein subjektiven oder rein objektiven Beweismaßtheorie, sondern die richterliche Uber-zeugung stellt sich als eine Entscheidungsfindung dar, bei der objektive Vorgaben und Maßstäbe zu beachten sind, letztlich aber doch in vielen Fällen ein erheblicher subjektiver Spielraum verbleibt. III. Die Beweiserleichterung durch den Anscheinsbeweis 1. Herabsetzung der Beweisanforderungen Mit dem Anscheinsbeweis hat es eine eigentümliche Bewandtnis. Er nimmt seit Jahrzehnten in der Rechtsprechung seinen festen Platz ein, gehört aber gleichwohl nach Rechtsnatur, Anwendungsbereich und Rechtsfolge zu den umstrittensten Instituten des Zivilprozeßrechts. Ob dieser Unruhestifter im Bereich des Beweisrechts das herkömmliche allgemeine Beweismaß, nämlich den sogenannten Vollbeweis, aus den Angeln heben kann, hängt zunächst einmal davon ab, wie sich die Wirkungen des Anscheinsbeweises von einem „normalen" Beweis unter-scheiden. Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Formulierungen ist eigentlich alles ganz harmlos: Der Anscheinsbeweis ist eine besondere Art des Indizienbeweises. Er bezieht sich auf Fälle eines typischen Gesche-" Stein/Jonas/Leipold (Ν. 1) §286 Rdn. 1.
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