Home Classical, Ancient Near Eastern & Egyptian Studies Die Geburt des Kindes. Eine geschichtliche Weihnachtsbetrachtung (1928)
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Die Geburt des Kindes. Eine geschichtliche Weihnachtsbetrachtung (1928)

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DIE GEBURT DES KINDESEine geschichtliche Weihnachtsbetrachtung1928»Die Endzeit ist gekommen, die Geburt eines göttlichen Kindessteht bevor. Es ist dazu berufen, nach Tilgung der alten Sündenschulddie Menschheit zu erneuern, für die ein Zeitalter des Friedens und derGerechtigkeit anbricht. Darob herrscht in der ganzen Welt, im Him-mel wie auf Erden, Freude.« Welcher Text ist in diesen Sätzen aufseinen Wesensinhalt gebracht? Weitaus die meisten Leser werden er-widern: der des Weihnachtsevangeliums. Und sie haben recht. Nurwenige werden der Antwort hinzufügen: aber auch der Text einesvorchristlichen lateinischen Gedichts. In der Tat ist in jenen Sätzenkein Wort enthalten, das nicht auch in dem Gedicht stände, kein Ge-danke, der auch nur leicht umgebogen wäre. Was für ein merkwür-diges Gedicht muß das sein! Es ist in der Tat eine der allerseltsamstenSchöpfungen, die uns die Antike hinterließ, Altertumsforschern undTheologen wohlbekannt, aber um seiner weltgeschichtlichen Bedeutungwert, auch einem gebildeten, für große Zusammenhänge empfäng-lichen weiteren Leserkreis erschlossen zu werden.Sein Verfasser war Virgil. Bevor er durch seine Aeneis Italiensnationaler Dichter wurde, dessen zweitausendjährigen Geburtstag imJahr 1930 zu feiern man sich dort schon jetzt zu rüsten beginnt, hatteer ein sehr schönes, großes Gedicht über den Landbau verfaßt, dieGeorgica, und noch früher, etwa als Dreißigjähriger, zehn kleineHirtengedichte, die Bucolica, auch »Eklogen« genannt. Dieser Stofflag ihm besonders gut: war er doch der Sohn eines Dorfes bei Mantua,und das Weiche, Zarte, Stimmungsvolle war seiner Natur gemäß.»Und von der Wiege Virgils kam mir ein laulicher Wind«, sagt Goethein dem melodischen Verse eines der Venezianischen Epigramme. Auchüber jenem Gedicht, das wir betrachten wollen, der vierten Ekloge,ist ein zarter Schleier wie über einem süß atmenden Traumgebilde ge-breitet. Aber bevor wir ihn lüpfen, müssen wir gar sehr in die Weltder Realitäten hinabsteigen. Das Gedicht trägt eine bestimmte Zeit-marke: es ist gewidmet dem Konsul Asinius Pollio, einem hoch-angesehenen Gönner des Dichters, mit dem ihn auch die Liebe zu denMusen verband. Pollio bekleidete das Konsulat im Jahre 40 vor un-serer Zeitrechnung; das Gedicht soll, wie es in seinen ersten Versen

DIE GEBURT DES KINDESEine geschichtliche Weihnachtsbetrachtung1928»Die Endzeit ist gekommen, die Geburt eines göttlichen Kindessteht bevor. Es ist dazu berufen, nach Tilgung der alten Sündenschulddie Menschheit zu erneuern, für die ein Zeitalter des Friedens und derGerechtigkeit anbricht. Darob herrscht in der ganzen Welt, im Him-mel wie auf Erden, Freude.« Welcher Text ist in diesen Sätzen aufseinen Wesensinhalt gebracht? Weitaus die meisten Leser werden er-widern: der des Weihnachtsevangeliums. Und sie haben recht. Nurwenige werden der Antwort hinzufügen: aber auch der Text einesvorchristlichen lateinischen Gedichts. In der Tat ist in jenen Sätzenkein Wort enthalten, das nicht auch in dem Gedicht stände, kein Ge-danke, der auch nur leicht umgebogen wäre. Was für ein merkwür-diges Gedicht muß das sein! Es ist in der Tat eine der allerseltsamstenSchöpfungen, die uns die Antike hinterließ, Altertumsforschern undTheologen wohlbekannt, aber um seiner weltgeschichtlichen Bedeutungwert, auch einem gebildeten, für große Zusammenhänge empfäng-lichen weiteren Leserkreis erschlossen zu werden.Sein Verfasser war Virgil. Bevor er durch seine Aeneis Italiensnationaler Dichter wurde, dessen zweitausendjährigen Geburtstag imJahr 1930 zu feiern man sich dort schon jetzt zu rüsten beginnt, hatteer ein sehr schönes, großes Gedicht über den Landbau verfaßt, dieGeorgica, und noch früher, etwa als Dreißigjähriger, zehn kleineHirtengedichte, die Bucolica, auch »Eklogen« genannt. Dieser Stofflag ihm besonders gut: war er doch der Sohn eines Dorfes bei Mantua,und das Weiche, Zarte, Stimmungsvolle war seiner Natur gemäß.»Und von der Wiege Virgils kam mir ein laulicher Wind«, sagt Goethein dem melodischen Verse eines der Venezianischen Epigramme. Auchüber jenem Gedicht, das wir betrachten wollen, der vierten Ekloge,ist ein zarter Schleier wie über einem süß atmenden Traumgebilde ge-breitet. Aber bevor wir ihn lüpfen, müssen wir gar sehr in die Weltder Realitäten hinabsteigen. Das Gedicht trägt eine bestimmte Zeit-marke: es ist gewidmet dem Konsul Asinius Pollio, einem hoch-angesehenen Gönner des Dichters, mit dem ihn auch die Liebe zu denMusen verband. Pollio bekleidete das Konsulat im Jahre 40 vor un-serer Zeitrechnung; das Gedicht soll, wie es in seinen ersten Versen

Chapters in this book

  1. I-XVI I
  2. In Varronis saturas Menippeas observationes selectae (Diss. 1891) 1
  3. Varroniana (1893) 88
  4. [Mitteilung zu Varros Logistoricus ›Pius aut de pace‹] (1918) 114
  5. Sprachliche Beobachtungen zu Plautus (1894) 115
  6. Besprechung: Günther Jachmann, Die Geschichte des Terenztextes im Altertum (1925) 128
  7. Aus Ciceros Werkstatt (1913) 133
  8. Dreieck. Ein Beitrag zur Geschichte des Fremdwörtergebrauchs im Altertum (1925) 165
  9. Berichtigung (1925) 178
  10. Das Germanenepigramm des Krinagoras (1917) 179
  11. Philemon der Geograph. Mit einem Beitrag zur Entstehungsgeschichte des Namens Mare Balticum von Hans Philipp (1921) 191
  12. Besprechung: Minucius Felix, Octavius, rec. H. Boenig (1904) 197
  13. [Zu Minucius Felix 35, 1] (1894) 216
  14. Die Petrusapokalypse und ihre antiken Vorbilder (1893) 218
  15. Uber zwei spätlateinische precationes (1911) 234
  16. Josephus und Tacitus über Jesus Christus und eine messianische Prophetie (1913) 241
  17. Jahve und Moses in hellenistischer Theologie (1921) 276
  18. Das Genesiszitat in der Schrift vom Erhabenen (1923) 286
  19. Die Kompostion und Literaturgattung der horazischen Epistula ad Pisones (1905) 314
  20. Vergils Aeneis im Lichte ihrer Zeit (1901) 358
  21. Ein Panegyrikus auf Augustus in Vergils Aeneis (1899) 422
  22. Das Alter des Codex Romanus Vergils (1901) 437
  23. De Vitis Vergilianis (1906) 439
  24. Die Geburt des Kindes. Eine geschichtliche Weihnachtsbetrachtung (1928) 449
  25. Einem zweitausendjährigen Geburtstagskinde zum Gruß (1929) 458
  26. Orpheus und Eurydike. Ein nachträgliches Gedenkblatt für Vergil (1934) 468
  27. Logos und Rhythmus (1928) 533
  28. Heldenehrungen (1928) 552
  29. Antike Menschen im Ringen um ihre Berufsbestimmung (1932) 565
  30. Die Bildungswerte der lateinischen Literatur und Sprache auf dem humanistischen Gymnasium (1920) 583
  31. Universität und Schule (1927) 608
  32. Universitas. Ein Streifzug durch acht Jahrhunderte Bildungsgeschichte (1928) 616
  33. Lessing als klassischer Philologe (1929) 621
  34. Geleitwort: Theodor Mommsen, Römische Geschichte (1932) 639
  35. Geleitwort: Theodor Mommsen, Weltreich der Cäsaren (1933) 651
  36. Geleitwort: Hermann Usener, Götternamen (1929) 662
  37. Worte des Gedächtnisses an Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff (1931) 664
  38. Richard Heinze. Ein Gedenkblatt (1930) 669
  39. Antrittsrede in der Berliner Akademie der Wissenschaften (1913) 674
  40. Dankadresse anläßlich der Errichtung der Eduard-Norden-Stiftung (1928) 680
  41. Bibliographie der Veröffentlichungen Eduard Nordens 683
  42. Liste der unter Eduard Nordens Mitverantwortung erschienenen Dissertationen 689
  43. Indices 691
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