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Unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit? – Werbung und die Grenze zur Rechtsverletzung

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Kunst und Strafrecht
Ein Kapitel aus dem Buch Kunst und Strafrecht
Joanna Melz Unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit? – Werbung und die Grenze zur Rechtsverletzung* Jeden Tag stoßen wir auf sie im Internet, im Fernsehen, auf der Straße, sogar im Briefkasten. Die Werbung wurde, ob wir es wollen oder nicht, zu einem festen Bestandteil unseres Lebens, und oftmals nehmen wir sie gar nicht mehr wahr. Ihre Legaldefinition suchen wir im Gesetz gegen den unlauteren Wettbe-werb vergebens. Der Bundesgerichtshof hat sie aber, gestützt auf den allgemei-nen Sprachgebrauch, als „alle Maßnahmen eines Unternehmens“ bezeichnet, „die auf die Förderung des Absatzes seiner Produkte oder Dienstleistungen gerichtet sind“1. Im Vordergrund der Reklame steht also stets ihre wirtschaftliche Funktion. Kann Werbung Kunst sein? Vergleichen wir an dieser Stelle zwei Beispiele, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Widmen wir uns zunächst einem Werk von Alfons Mucha, einem der bekann-testen Vertreter des Jugendstils. Auf einem von ihm geschaffenen Werbeposter für die Champagner-Marke Moët & Chandon ist eine barfüßige, anmutige blonde Dame im rosafarbenen Kleid mit einer Schale voller üppiger Trauben in der Hand abgebildet, umschlungen von Weinreben und weißen Blüten2. Auch andere Künstler, wie Henri de Toulouse-Lautrec, verdienten ihr tägliches * Der Beitrag hat den um Nachweise ergänzten Vortrag zum Inhalt, den die Autorin am 20. Oktober 2017 auf der in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Strafrecht (prof. zw. dr hab. Emil W. Pływaczewski) der Universität Białystok veranstalteten interna-tionalen Tagung „Darf die Kunst alles? Aktuelle Rechtsentwicklungen aus deutscher und polnischer Perspektive / Czy sztuce wolno wszystko? Aktualne kierunki rozwoju prawa z perspektywy polskiej i niemieckiej“ an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) gehalten hat. Der Beitrag ist auch als Aufsatz in dem von Emil W. Pływaczewski und Ewa M. Guzik-Makaruk herausgegebenen Band 8 der Reihe „Current problems of the penal law and criminology / Aktuelle Probleme des Straf-rechts und der Kriminologie“, 2019, S. 257 ff. erschienen. 1 BGH, MMR 2014, 250 (251). 2 Alfons Mucha, Poster für Moët & Chandon: Champagne White Star (1899). Das Bild ist im Internet zu finden unter http://www.muchafoundation.org/gallery/browse-works/object/53. https://doi.org/10.1515/9783110784992-006
© 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Joanna Melz Unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit? – Werbung und die Grenze zur Rechtsverletzung* Jeden Tag stoßen wir auf sie im Internet, im Fernsehen, auf der Straße, sogar im Briefkasten. Die Werbung wurde, ob wir es wollen oder nicht, zu einem festen Bestandteil unseres Lebens, und oftmals nehmen wir sie gar nicht mehr wahr. Ihre Legaldefinition suchen wir im Gesetz gegen den unlauteren Wettbe-werb vergebens. Der Bundesgerichtshof hat sie aber, gestützt auf den allgemei-nen Sprachgebrauch, als „alle Maßnahmen eines Unternehmens“ bezeichnet, „die auf die Förderung des Absatzes seiner Produkte oder Dienstleistungen gerichtet sind“1. Im Vordergrund der Reklame steht also stets ihre wirtschaftliche Funktion. Kann Werbung Kunst sein? Vergleichen wir an dieser Stelle zwei Beispiele, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Widmen wir uns zunächst einem Werk von Alfons Mucha, einem der bekann-testen Vertreter des Jugendstils. Auf einem von ihm geschaffenen Werbeposter für die Champagner-Marke Moët & Chandon ist eine barfüßige, anmutige blonde Dame im rosafarbenen Kleid mit einer Schale voller üppiger Trauben in der Hand abgebildet, umschlungen von Weinreben und weißen Blüten2. Auch andere Künstler, wie Henri de Toulouse-Lautrec, verdienten ihr tägliches * Der Beitrag hat den um Nachweise ergänzten Vortrag zum Inhalt, den die Autorin am 20. Oktober 2017 auf der in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Strafrecht (prof. zw. dr hab. Emil W. Pływaczewski) der Universität Białystok veranstalteten interna-tionalen Tagung „Darf die Kunst alles? Aktuelle Rechtsentwicklungen aus deutscher und polnischer Perspektive / Czy sztuce wolno wszystko? Aktualne kierunki rozwoju prawa z perspektywy polskiej i niemieckiej“ an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) gehalten hat. Der Beitrag ist auch als Aufsatz in dem von Emil W. Pływaczewski und Ewa M. Guzik-Makaruk herausgegebenen Band 8 der Reihe „Current problems of the penal law and criminology / Aktuelle Probleme des Straf-rechts und der Kriminologie“, 2019, S. 257 ff. erschienen. 1 BGH, MMR 2014, 250 (251). 2 Alfons Mucha, Poster für Moët & Chandon: Champagne White Star (1899). Das Bild ist im Internet zu finden unter http://www.muchafoundation.org/gallery/browse-works/object/53. https://doi.org/10.1515/9783110784992-006
© 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Kapitel in diesem Buch

  1. Frontmatter I
  2. Vorwort V
  3. Inhaltsverzeichnis IX
  4. Einleitung 1
  5. Wenn Kunst und Strafrecht einander begegnen – Auszug aus einer Spurensuche … 5
  6. Kunst und Freiheit der Kunst – Zwei schwierige Rechtsbegriffe in Deutschland 21
  7. Wenn zwei unbestimmte Begriffe über die Strafbarkeit entscheiden sollen 31
  8. Die vorbehaltlose Kunstfreiheit des deutschen Grundgesetzes – nur ein Lippenbekenntnis? 43
  9. Unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit? – Werbung und die Grenze zur Rechtsverletzung 65
  10. Kunst und Sachbeschädigung – Von einer enthaupteten Meerjungfrau und den Streifzügen eines Säureattentäters – 77
  11. Kunst, „Gotteslästerung“ und Bildersturm* – Kurze Gedanken zu einer kleinen, aber befremdlichen Begebenheit – 99
  12. Diebstahl von Buntmetallskulpturen im öffentlichen Raum 105
  13. Hin und zurück – Die Geschichte der Rückführung der Bibelglasfenster der St. Marienkirche in Frankfurt (Oder) – 121
  14. Malle Babbe, die Hexe von Haarlem – An was ein Strafrechtler so bei dem Gemälde des niederländischen Barockmalers Frans Hals denkt – 133
  15. Talent schützt vor Strafe nicht – Aus dem Atelier eines Meisterfälschers 147
  16. „#MeToo“ und Kunstzensur 155
  17. Grenzen der zulässigen Satire zur verbotenen Schmähkritik – damals und heute 201
  18. Böhmermanns Gedichtzeilen über Erdoğan – mal ganz anders betrachtet 219
  19. „Verfassungsrechtlich gibt es keine gute oder schlechte Kunst“* Ermittlung gegen Künstlergruppe „Zentrum für politische Schönheit“ als kriminelle Vereinigung 237
  20. Kunst und Gewaltverherrlichung – Zwei Beispiele‚ die verdeutlichen, dass nicht jedes künstlerische Werk die gleiche grundrechtliche Freiheit genießt – 241
  21. „Gotteslästerung“ und Ars artis gratia 249
  22. „The Holy Virgin Mary“ von Chris Ofili auf dem Prüfstand 261
  23. De Kölsche Jong Max Ernst und seine prügelnde Gottesmutter aus dem Museum Ludwig 281
  24. George Grosz vor Gericht 301
  25. Die nackten Hexenbilder des Hans Baldung Grien – Ein Fall berechtigter Zensur im Museum? 335
  26. Wenn die Muse das Recht (scheinbar) küsst … 351
  27. Balthus, der Maler der „Gitarrenstunde“, und das neue deutsche Kinderpornographiestrafrecht 367
  28. Antonio da Correggios „Leda mit dem Schwan“ – Das vielleicht schönste Gemälde der Renaissance und seine ereignisreiche Geschichte – 419
  29. Autorenverzeichnis 445
Heruntergeladen am 14.11.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/9783110784992-006/html?lang=de&srsltid=AfmBOopZlusnNOz_xbUjWPagTU6Twlcj0MxcpQoiC5n5-WFgBYVf9b2_
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