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2. Gotthold Ephraim Lessing – Geschichte als Parabel der Wahrheit

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Geschichte und Dichtung
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2Gotthold EphraimLessingGeschichtealsParabel derWahrheitGeschichten,diemansicherzählenkann,dienenoft derVerbildlichungunddamitderVerdeutlichungvonkomplexen Zusammenhängen,die,aufeineein-gängigeWeiseerzählt,eineandersschwervermittelbareWahrheitenthalten.DeshalbeignetdiesenGeschichtenoft einegleichermaßendidaktischeundmo-ralische Tendenz.WenigeGeschichtender deutschenLiteratursind,vor allemauspädagogischenGründen,so bekanntwieLessings Ringparabel. AlsZeugnisundProgrammderaufgeklärtenToleranzist die Ringparabelso verbreitet,daß sie oftausihremdramatischenKontextherausgelösterscheint und,als handelteessichumeinenautonomenText,separat rezipiertwurde. Damitgeht aberderfunk-tionaleZusammenhang verloren,in demdieParabel, als Beispielerzählung, einArgumentbebildernsollwieschonLessingsDramaNathanderWeise(1779)insgesamt nurdiebildlicheFortsetzungeinestheologischenDisputsmitpoeti-schenMittelnwar,indem es umdenWahrheitsanspruchorthodoxerRechtgläu-bigkeit ging.Als der jüdischeKaufmannNathan,der eigentlichnurGeschäftemachenwill,vonseinemmuslimischen Gastgeber,demmächtigen SultanSaladin,bedrängtwird,sichzwischenJudentum, ChristentumundIslamzu entscheiden (Vondiesendrei/Religionenkann docheinenur/Die wahresein;III/5, V. 18431845),¹entzieht er sichder heiklenSituation,indemer eineParabelerzählt,die zudeutener,soklugwie weise,dem Fragestellerüberläßt:Ein Vater vermachtjedemseinerdreiSöhneeinenRing,abernureinerderdreiRingehat,soheißtes, dieWunderkraftbeliebtzu machen(V.2017). Darüberzerstritten, werdenechtenRinghat,gehendiedreiSöhnezu einemRichter,der sie belehrt,daß derjenigedenechtenRinghat,der im Glaubenan die Wunderkraft seinesRings, durch seinVerhalten, durch Sanftmut,Verträglichkeit,WohltunundErgebenheitin Gott,derbeliebtestewird.ImStrebenallerdreiumdiesenVorzugist es schließlichgleichgültig, ob es je einenechtenRinggegebenhat.Saladinverstehtgerührtdie Moral der Parabel: daßdie Wahrheit der Religionsichdarinerweist,wie derenAnhänger ihrenGlaubenim Umgang mitanderenMenschenpraktizieren.GelebteReligionist verantwortlichesSozialverhalten.Weil es dabeiumdie KonkurrenzderdreimonotheistischenReligionengeht,lages nahe,aus ihrerethischenAnthropologisierungnurdenim Text garnichtge-GottholdEphraimLessing,NathanderWeise,in: Lessing,Werke,hrsg. v. HerbertG. Göpfert,Bd.2,München:Hanser1971,204347.https://doi.org/10.1515/9783110679878-004
© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Munich/Boston

2Gotthold EphraimLessingGeschichtealsParabel derWahrheitGeschichten,diemansicherzählenkann,dienenoft derVerbildlichungunddamitderVerdeutlichungvonkomplexen Zusammenhängen,die,aufeineein-gängigeWeiseerzählt,eineandersschwervermittelbareWahrheitenthalten.DeshalbeignetdiesenGeschichtenoft einegleichermaßendidaktischeundmo-ralische Tendenz.WenigeGeschichtender deutschenLiteratursind,vor allemauspädagogischenGründen,so bekanntwieLessings Ringparabel. AlsZeugnisundProgrammderaufgeklärtenToleranzist die Ringparabelso verbreitet,daß sie oftausihremdramatischenKontextherausgelösterscheint und,als handelteessichumeinenautonomenText,separat rezipiertwurde. Damitgeht aberderfunk-tionaleZusammenhang verloren,in demdieParabel, als Beispielerzählung, einArgumentbebildernsollwieschonLessingsDramaNathanderWeise(1779)insgesamt nurdiebildlicheFortsetzungeinestheologischenDisputsmitpoeti-schenMittelnwar,indem es umdenWahrheitsanspruchorthodoxerRechtgläu-bigkeit ging.Als der jüdischeKaufmannNathan,der eigentlichnurGeschäftemachenwill,vonseinemmuslimischen Gastgeber,demmächtigen SultanSaladin,bedrängtwird,sichzwischenJudentum, ChristentumundIslamzu entscheiden (Vondiesendrei/Religionenkann docheinenur/Die wahresein;III/5, V. 18431845),¹entzieht er sichder heiklenSituation,indemer eineParabelerzählt,die zudeutener,soklugwie weise,dem Fragestellerüberläßt:Ein Vater vermachtjedemseinerdreiSöhneeinenRing,abernureinerderdreiRingehat,soheißtes, dieWunderkraftbeliebtzu machen(V.2017). Darüberzerstritten, werdenechtenRinghat,gehendiedreiSöhnezu einemRichter,der sie belehrt,daß derjenigedenechtenRinghat,der im Glaubenan die Wunderkraft seinesRings, durch seinVerhalten, durch Sanftmut,Verträglichkeit,WohltunundErgebenheitin Gott,derbeliebtestewird.ImStrebenallerdreiumdiesenVorzugist es schließlichgleichgültig, ob es je einenechtenRinggegebenhat.Saladinverstehtgerührtdie Moral der Parabel: daßdie Wahrheit der Religionsichdarinerweist,wie derenAnhänger ihrenGlaubenim Umgang mitanderenMenschenpraktizieren.GelebteReligionist verantwortlichesSozialverhalten.Weil es dabeiumdie KonkurrenzderdreimonotheistischenReligionengeht,lages nahe,aus ihrerethischenAnthropologisierungnurdenim Text garnichtge-GottholdEphraimLessing,NathanderWeise,in: Lessing,Werke,hrsg. v. HerbertG. Göpfert,Bd.2,München:Hanser1971,204347.https://doi.org/10.1515/9783110679878-004
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