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3. Zur narrativen Inszenierung von Ambivalenz

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3Zur narrativenInszenierungvonAmbivalenzWiedie vorangegangenen Überlegungenzur historischen Narratologie nahele-gen, basierenauch die folgendenBetrachtungenaufder Annahme,dass diepoetische undvorallem rhetorischeTradition für das zeitgenössischeErzähleneine überausprominenteRollegespielt hat.Die antikelateinische Bildungstra-dition sowieauch gelehrte zeitgenössische Diskurse werden somit als Horizontvorausgesetzt;sie prägen nicht nur das mittelalterlichebzw. frühneuzeitlicheBildungssystem, sondern beeinflussenaufdieseWeiseauch das rhetorischeWissen und die dichterische Praxis der Zeitinerheblichem Maße. Diese zentraleRolle der lateinischen Bildungstradition wurde bereitsvielfach nachgewiesen;auch wurde die Relevanz antiker Quellen für den mittelalterlichen Rhetorikun-terricht und hier insbesondere der StatusvonCicerosDe inventioneund derRhetorica ad Herenniumals Kompendien formalerTextproduktions- undText-bearbeitungsregeln¹und damit dieBedeutung der rhetorischennarratio-Lehrefür diegelehrte Unterrichtspraxis hervorgehoben.²DieserUmstand wieauch dieHübner2010a,141.Die Rolle der antiken Rhetoriktradition für das mittelalterliche bzw. frühneuzeitliche Bil-dungssystem sowie für das rhetorischeWissen und die dichterische Praxis wurden mehrfachbetont,vgl. dazu exemplarischHübner2010;Hübner2011;Hübner2015;Hübner2018;Copelandund Sluiter2009;Schneider2013;Knape2001a;vonMoos 1997; Haug 1992,7ff. Für einen Über-blick über dieverschiedenenfrühen Positionen zu Rolle und Einfluss der lateinischen Rhetorikaufvolkssprachiges Erzählenvgl. auch Chinca 1993, 3ff. Fried 1997, VIIff., macht allerdingsdaraufaufmerksam,dass die antikelateinische Bildungstradition nicht in ihrer ursprünglichen Breiteeine Rollegespielt habe. Neben eher allgemeinen,primär pädagogischem Anspruchverpflich-teten Lehrbüchern(Copeland und Sluiter2009,1f.) waren im Rahmen dergelehrten Unter-richtspraxisvorallem CicerosDe Inventioneund dieRhetorica adHerenniumgrundlegend (vgl.Hübner2010a,141f.; Schneider2013,160;Brandtund Loleit2003,1317; Knape2008, 56;Knape2015,66: DieRhetorica ad Herenniumtrat [...]imWestennicht zuletztwegenihrerKürze,System-Vollständigkeit und Übersichtlichkeitin Mittelalter und früher Neuzeit unterdem Na-menrhetorica novaeinen unvergleichlichen Siegeszug als Lehrbuch der lateinischen Rhetorikan.). Dabei spielte insbesonderedie hier systematisiertenarratio-Lehre eine zentrale Rolle;ausihr wurden nicht nur Schulübungenabstrahiert,sondern sie beeinflussteauch die zeitgenössi-sche Erzählpraxis in erheblichem Maße (vgl. Knape2003,98, 105;Hübner2010a, 122 f.;Hübner2011, 198;Hübner2018, 87 ff.; Christ 1977,25; vgl. zu denausdernarratio-LehrestammendenSchulübungenund der Progymnasmata-Tradition Cizek 1994,277318). Insgesamt wurde antikesrhetorischesWissen in Mittelalter undFrüher Neuzeit natürlichzuverschiedenen ZeiteninunterschiedlicherIntensitätgepflegt(Knape2008, 56),auch wurde dessen epistemologischeRelevanz je anders bewertet,nichtsdestowenigerwurde die antikerhetorischeTraditionvorallemim Rahmen des Bildungssystems stets rezipiert,wie zeitgenössischeSchultexte und Biblio-thekskataloge zeigen(vgl. Knape2008, 57 f.; Knape2001a, 1378), und übteinfolgedessen Einflusshttps://doi.org/10.1515/9783110672589-003
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3Zur narrativenInszenierungvonAmbivalenzWiedie vorangegangenen Überlegungenzur historischen Narratologie nahele-gen, basierenauch die folgendenBetrachtungenaufder Annahme,dass diepoetische undvorallem rhetorischeTradition für das zeitgenössischeErzähleneine überausprominenteRollegespielt hat.Die antikelateinische Bildungstra-dition sowieauch gelehrte zeitgenössische Diskurse werden somit als Horizontvorausgesetzt;sie prägen nicht nur das mittelalterlichebzw. frühneuzeitlicheBildungssystem, sondern beeinflussenaufdieseWeiseauch das rhetorischeWissen und die dichterische Praxis der Zeitinerheblichem Maße. Diese zentraleRolle der lateinischen Bildungstradition wurde bereitsvielfach nachgewiesen;auch wurde die Relevanz antiker Quellen für den mittelalterlichen Rhetorikun-terricht und hier insbesondere der StatusvonCicerosDe inventioneund derRhetorica ad Herenniumals Kompendien formalerTextproduktions- undText-bearbeitungsregeln¹und damit dieBedeutung der rhetorischennarratio-Lehrefür diegelehrte Unterrichtspraxis hervorgehoben.²DieserUmstand wieauch dieHübner2010a,141.Die Rolle der antiken Rhetoriktradition für das mittelalterliche bzw. frühneuzeitliche Bil-dungssystem sowie für das rhetorischeWissen und die dichterische Praxis wurden mehrfachbetont,vgl. dazu exemplarischHübner2010;Hübner2011;Hübner2015;Hübner2018;Copelandund Sluiter2009;Schneider2013;Knape2001a;vonMoos 1997; Haug 1992,7ff. Für einen Über-blick über dieverschiedenenfrühen Positionen zu Rolle und Einfluss der lateinischen Rhetorikaufvolkssprachiges Erzählenvgl. auch Chinca 1993, 3ff. Fried 1997, VIIff., macht allerdingsdaraufaufmerksam,dass die antikelateinische Bildungstradition nicht in ihrer ursprünglichen Breiteeine Rollegespielt habe. Neben eher allgemeinen,primär pädagogischem Anspruchverpflich-teten Lehrbüchern(Copeland und Sluiter2009,1f.) waren im Rahmen dergelehrten Unter-richtspraxisvorallem CicerosDe Inventioneund dieRhetorica adHerenniumgrundlegend (vgl.Hübner2010a,141f.; Schneider2013,160;Brandtund Loleit2003,1317; Knape2008, 56;Knape2015,66: DieRhetorica ad Herenniumtrat [...]imWestennicht zuletztwegenihrerKürze,System-Vollständigkeit und Übersichtlichkeitin Mittelalter und früher Neuzeit unterdem Na-menrhetorica novaeinen unvergleichlichen Siegeszug als Lehrbuch der lateinischen Rhetorikan.). Dabei spielte insbesonderedie hier systematisiertenarratio-Lehre eine zentrale Rolle;ausihr wurden nicht nur Schulübungenabstrahiert,sondern sie beeinflussteauch die zeitgenössi-sche Erzählpraxis in erheblichem Maße (vgl. Knape2003,98, 105;Hübner2010a, 122 f.;Hübner2011, 198;Hübner2018, 87 ff.; Christ 1977,25; vgl. zu denausdernarratio-LehrestammendenSchulübungenund der Progymnasmata-Tradition Cizek 1994,277318). Insgesamt wurde antikesrhetorischesWissen in Mittelalter undFrüher Neuzeit natürlichzuverschiedenen ZeiteninunterschiedlicherIntensitätgepflegt(Knape2008, 56),auch wurde dessen epistemologischeRelevanz je anders bewertet,nichtsdestowenigerwurde die antikerhetorischeTraditionvorallemim Rahmen des Bildungssystems stets rezipiert,wie zeitgenössischeSchultexte und Biblio-thekskataloge zeigen(vgl. Knape2008, 57 f.; Knape2001a, 1378), und übteinfolgedessen Einflusshttps://doi.org/10.1515/9783110672589-003
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