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Nr. 342 - Nr. 386
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Band 2 Januar 1935 – April 1937
"Nr. 342 - Nr. 386". Band 2 Januar 1935 – April 1937, edited by Carola Tischler and Sergej Slutsch, Berlin, Boston: De Gruyter Oldenbourg, 2019, pp. 955-1052. https://doi.org/10.1515/9783110548723-017
(2019). Nr. 342 - Nr. 386. In C. Tischler & S. Slutsch (Ed.), Band 2 Januar 1935 – April 1937 (pp. 955-1052). Berlin, Boston: De Gruyter Oldenbourg. https://doi.org/10.1515/9783110548723-017
2019. Nr. 342 - Nr. 386. In: Tischler, C. and Slutsch, S. ed. Band 2 Januar 1935 – April 1937. Berlin, Boston: De Gruyter Oldenbourg, pp. 955-1052. https://doi.org/10.1515/9783110548723-017
"Nr. 342 - Nr. 386" In Band 2 Januar 1935 – April 1937 edited by Carola Tischler and Sergej Slutsch, 955-1052. Berlin, Boston: De Gruyter Oldenbourg, 2019. https://doi.org/10.1515/9783110548723-017
Nr. 342 - Nr. 386. In: Tischler C, Slutsch S (ed.) Band 2 Januar 1935 – April 1937. Berlin, Boston: De Gruyter Oldenbourg; 2019. p.955-1052. https://doi.org/10.1515/9783110548723-017
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8. 1. 1936 Nr. 342955 Nr. 342 Bericht des Marinegehilfen des Militärattachés in Moskau von Baumbach an das AA und das Reichskriegsministerium Nr.342 8. 1. 19368. 1. 1936Deutsche Botschaft Der Marinegehilfe des Militärattachés Moskau, den 8. Januar 1936 Nr. 1/36An das Reichskriegsministerium, Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Berlin, An das Auswärtige Amt, Berlin. Die sowjetrussische Marine an der Jahreswende 1935/36[...]1V. Operative Verwendung der SeestreitkräfteDas rasche Anwachsen der U-Bootbestände lässt die Annahme zu, dass der Ostseeflotte neben den bisherigen defensiven Aufgaben künftig auch offensive Operationen übertragen werden. Als solche kommen in Frage a) Handelskriegführung in der Ostsee b) Verhinderung einer schwedisch-finnischen militärischen Zusammenarbeit. Die Alandinseln spielen in der zu b) genannten Aufgabe eine wichtige Rolle und werden möglicherweise ein sowjetrussisches Operationsgebiet bilden. Schon jetzt ist das Interesse der Sowjetpresse für die Auslandsfrage unverkennbar. Nähere Ausführungen hierzu enthält Anlage 3. VI. Gesamtbeurteilung der Sowjetmarine.Die strenge Geheimhaltung aller Flottenübungen, an denen seit Jahren kein ausländischer Fachmann teilgenommen hat, erschwert die Urteilsbildung. So- weit sich aus verschiedenen Anhaltspunkten schließen lässt, ist der militärische Aufbau auf dem richtigen Wege. Man ist in vieler Hinsicht zu altbewährten, militärischen Erziehungsgrundsätzen zurückgekehrt und führt mit System und nicht ohne Umsicht ein Ausbildungs- und Aufbauprogramm durch, dem auf die Dauer der Erfolg nicht versagt bleiben kann. Das Urteil der „Übersicht über die russische Marine“, dass die russischen Seestreitkräfte als durchgebildet und kriegsverwendungsfähig angesehen werden müssen, kann nur unterstrichen wer- den. Die Frage nach der Kriegsleistungsfähigkeit der Sowjetmarine lässt sich aber erst beantworten, wenn man die Frage untersucht, welche Rolle die Sowjetmarine im Rahmen der sowjetrussischen Wehrmacht spielen kann, und dies führt unmit-telbar zu der Grundfrage der Kriegskapazität des gesamten Sowjetstaates. Ebenso wie die Armee und Luftwaffe, so hängt die Marine einzig und al- lein von der Gesamtkampffähigkeit des sowjetischen Staatsorganismus ab, von der 1 Ausgelassen sind die Punkte I. Kriegsschiffbau, II. Kriegsschiffbestand, III. Personal, IV. Geheimhaltungsmethoden (Bl. 246–257).
Nr. 342 8. 1. 1936 956 Rüstungsindustrie, der Rohstoffversorgung, der Ernährung, der Bevölkerung, dem Transportwesen und der Finanzkraft. Wie die folgenden Ausführungen zeigen sol-len, ist die Rohstofflage des Landes zwar nicht ungünstig, die Industriebasis ist aber noch nicht genügend entwickelt, es fehlen Reserveindustrien für die Erweite-rung der militärischen Produktion im Kriegsfalle, das Transportwesen hält mit der allgemeinen Entwicklung nicht Schritt und die Überbürokratisierung des Landes hemmt die Ausnutzung aller Kapazitäten für die Kriegsführung. [...]2VIII. Zusammenfassung*Es ist kaum zweifelhaft, dass die sowjetrussische Wehrmacht auf dem Wege ist, ein gefährlicher Gegner zu werden.*3 Der Rahmen für die Weiterentwicklung ist geschaffen. Gegenstand von Meinungsverschiedenheiten ist nur der Zeitpunkt, zu dem der Aufbau abgeschlossen und die Armee schlag- und angriffsbereit der Sow-jetregierung zur Verfügung steht. Vergleicht man die Einzelfaktoren, aus denen sich der Kriegsapparat der Sow-jetunion zusammensetzt, so scheint es, dass die stehende Wehrmacht (Armee, Kriegsmarine, Luftflotte) im Kriegsfalle noch am besten funktionieren wird und dass sie voll in Rechnung gestellt werden kann. Die in ihr stetig heranwachsende Gefahr für Mitteleuropa wird jedoch vorläufig noch durch die geschilderten Tatbe-stände gemildert, die bei einer Untersuchung der Kriegskapazität der Sowjetwehr-macht nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Die Schwächen der Kriegsbevorra-tung, des Nachschubes, der Rüstungsindustrie, des Transportwesens und der Organisation des Hinterlandes sind so offenkundig, dass sie die Schlagkraft der Wehrmacht noch auf lange Zeit schwer beeinträchtigen müssen. Vielleicht ist das Bewusstsein dieser Schwächen die Ursache zahlreicher lauttönender Lobreden auf die Unbesieglichkeit der Sowjetwehrmacht und die Ursache der demonstrativen Paradevorführungen mit unzähligen Tanks, Flugzeugen und anderen neuzeitli-chen Truppenverbänden. Eine gewisse, allerdings beschränkte Kriegsbereitschaft besteht indessen schon heute. Schwächemomente der geschilderten Art mögen ein hochentwickeltes, fein organisiertes Staatswesen in Kriegszeiten zum Zusam-menbruch bringen. Die robuste Natur des hiesigen Staates und seiner Bewohner verträgt jedoch stärkere Belastungen, wie der Verlauf der Intervention4, während der noch keine Ansätze der inzwischen geschaffenen Kriegsfaktoren vorhanden waren, und die Verwindung der schweren Hungersnot von 1933 gezeigt haben. Die Zeit arbeitet, wenn auch in langsamen Tempo, für die Ausfüllung der vor- handenen Lücken. Von der Zeit hängt es ab, wann dieser Prozess beendet sein wird. von Baumbach 2 Ausgelassen ist Punkt VII. Militärische Kapazitäten des Sowjetstaates (Bl. 259–267). 3 Der Satz ist unterstrichen. 4 Gemeint sind militärischen Interventionen der Ententemächte, aber auch deutscher und japanischer Einheiten zur Unterstützung der Weißgardisten gegen die Rote Armee während des Bürgerkrieges 1917/18 bis 1922.
9. 1. 1936 Nr. 343957 Eigenhändige Unterschrift. Auf erstem Blatt Stempel des AA: II M 397g, Eing. 16. Jan. 1936. Stempel: Geheim und Gesehen: Schulenburg (eigenhändige Unterschrift). PA AA, R 30101b, Bl.246–268, hier Bl.246, 257–259, 267–268. Nr. 343 Bericht des Botschafters in Moskau Graf von der Schulenburg an das AA Nr.343 9. 1. 19369. 1. 1936E/16 Moskau, den 9. Januar 1936 Vertraulich.An das Auswärtige Amt Berlin Im Anschluss an Bericht E/26 vom 21. Januar 19351. Inhalt: Weihnachten 1935 in Moskau. Verfolgung der Kirche. Zulassung des „Neujahrsbaumes“. Weihnachtsfeier der deutschen Kolonie. Schon im vorigen Jahre war die antireligiöse Propaganda, die in der UdSSR unmittelbar vor großen kirchlichen Feiertagen früher mit besonderem Nachdruck betrieben wurde, verhältnismäßig wenig in Erscheinung getreten. Wenn die gleiche Beobachtung auch anlässlich des Weihnachtsfestes 1935 gemacht werden konnte, *so wäre es falsch, daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, dass Partei und Regie-rung der UdSSR ihren Standpunkt gegenüber der Religion geändert hätten und an-stelle der bisherigen Verfolgungen Toleranz und Nachsicht üben wollten. Tatsache ist vielmehr, dass die Sowjetregierung ihr Zerstörungswerk an der Kirche weiter systematisch fortsetzt, indem in Stadt und Land ein kirchliches Gebäude nach dem anderen niedergerissen oder weltlichen Zwecken zugeführt wird, die Verhaftungen unter den Geistlichen aller Konfessionen unentwegt fortdauern und durch Schlie-ßung der Predigerseminare die Heranbildung eines Nachwuchses unterbunden wird*2. Wie die Verhältnisse in der evangelischen Kirche in der UdSSR liegen, er-hellt allein aus der Tatsache, dass gegenwärtig in der UdSSR nur noch 15 evangelische Pastoren (davon 11 deutschstämmige) amtieren, die sich auf Mos-kau, Leningrad, die Ukraine und den Kaukasus verteilen, während in westöstlicher *Richtung auf einer Entfernung von 10.000 km von Moskau bis zum Stillen Ozean kein einziger evangelischer Pastor im Amte ist. Ähnlich liegen die Verhältnisse in der griechisch-katholischen, der früheren russischen Staatskirche; die Zahl ihrer Gotteshäuser in Moskau beträgt gegenwärtig kaum noch ein Zwanzigstel von der Zahl, die vor der Revolution bestanden hat*3. 1 Handschriftlich dazu: IV Ru 258/35. Der Bericht befindet sich in PA AA, R 83836, o. P. 2 Der Text ist unterstrichen. 3 Der Text ist am Seitenrand angestrichen.
Nr. 343 9. 1. 1936 958 Nachdem die Sowjetregierung ihrem Endziel, das auf eine Ausrottung der Religion und eine Vernichtung der Kirche gerichtet ist, in den letzten Jahren in einem beträchtlichen Umfange näher gekommen ist, kann sie auf eine antireligi-öse Propaganda nach außen hin gern verzichten, zumal sie damit in den falsch oder ungenügend informierten Kreisen des Auslandes leicht den ihr willkom- menen Eindruck erweckt, als ob eine Verfolgung der Kirche in der UdSSR nicht mehr stattfindet. Dabei ist das Gefühl der Anhänglichkeit, das die gläubigen Tei-le der hiesigen Bevölkerung ihrer Kirche entgegenbringen, nach wie vor recht stark, was aus der Tatsache des regen Kirchenbesuches anlässlich des Neujahrs-festes geschlossen werden kann. Über den Verlauf des Weihnachtsgottesdienstes in der Moskauer evangelischen Kirche ist unter E/6 vom 28. Dezember 19354 be- reits berichtet worden. Dem kann heute hinzugefügt werden, dass auch die ortho-doxen Kirchen anlässlich des russischen Weihnachtsfestes (6.–8. Januar) überfüllt waren, ohne dass Störungen der gottesdienstlichen Handlungen bekannt geworden wären. Ein besonderes Ereignis während der diesjährigen russischen Weihnachten bildete die *Wiederzulassung des Tannenbaumes*5 unter der Bezeichnung des „Neujahrsbaumes für die Kinder der Sowjetunion“. Bekanntlich war seit der Revo-lution der Weihnachtsbaum in der UdSSR verpönt, weil die Partei darin ein gefähr-liches Überbleibsel religiöser und bürgerlicher Sitten erblickte. Wenn sie heute durch den Mund eines ihrer einflussreichsten Führer, des ukrainischen Parteisek-retärs Postyschew, erklären lässt, dass der Bevölkerung niemals untersagt worden sei, ihre Kinder durch einen „Neujahrsbaum“ zu erfreuen, und gleichzeitig allen einschlägigen Organisationen zur Pflicht macht, Neujahrsbäume für die Kinder zu beschaffen, so bedeutet diese Maßnahme nicht etwa eine Rückkehr zum Alten oder ein Zugeständnis gegenüber entsprechenden Wünschen der Bevölkerung, *sondern lediglich den raffinierten Versuch der Machthaber, sich als Beglücker der sowjeti-schen Kinder aufzuspielen, die bisher niemals einen strahlenden Weihnachtsbaum zu Gesichte bekommen haben und nun in ihrer Naivität allen Ernstes die Sowjet-machthaber für die Erfinder dieser herrlichen Errungenschaft halten*. Unter dem Deckmantel einer Maßnahme, die im Auslande *fälschlicherweise als ein Zeichen fortschreitender „Verbürgerlichung“*6 der Sowjetregierung aufgefasst wird, erfolgt somit in Wirklichkeit nichts anderes, als einer der üblichen heuchlerischen Propa-gandatricks, deren sich die Sowjetregierung mit Vorliebe bedient, um als Beglücke-rin des Volkes zu erscheinen. Um die deutsche Kolonie in dieser Atmosphäre zynischer Negierung und ge-schmackloser Taschenspielerkünste für das Fehlen der weihnachtlichen Stimmung zu entschädigen, wurde auch in diesem Jahre in der Dienstwohnung des Bot-schaftsrates7 das traditionelle Krippenspiel aufgeführt, an dem die Zöglinge der Moskauer reichsdeutschen Schule teilnahmen. Außerdem wurde am 29. Dezember von der Botschaft im hiesigen Grand-Hotel die übliche Weihnachtsfeier für die 4 Der Bericht befindet sich in PA AA, R 83836, o. P. 5 Der Text ist unterstrichen. 6 Die beiden Textstellen sind unterstrichen. 7 Werner von Tippelskirch.
9. 1. 1936 Nr. 344959 deutsche Kolonie veranstaltet. Zu dieser Feier hatten sich jedoch einschließlich der Botschaftsmitglieder diesmal kaum 100 Personen eingefunden, da die Kolonie im Verlaufe des letzten Jahres durch Abwanderung eine weitere starke Einbuße erlitten hat. Ich begrüßte die Anwesenden durch eine Ansprache, in der ich der Heimat und ihres großen Führers gedachte. Sodann folgten musikalische Darbietungen und das Absingen deutscher Weihnachtslieder. Auf diese Weise konnte unseren hiesi-gen deutschen Landsleuten – soweit sie zum Dritten Reich und zur Botschaft hal-ten – ein Teil der Stimmung vermittelt werden, von der das deutsche Volk zu Weih-nachten erfasst war. Schulenburg Eigenhändige Unterschrift. Auf erstem Blatt Stempel des AA: IV Ru 212, Eing. 15. Jan. 1936. Am Seitenrand: H[errn] Baum, H[encke] 17/I, Kenntnisnahme von R[oediger] 15/I und weitere, nicht entzifferte Bemerkungen. Unten Po 16 Ru. PA AA, R 83836, o. P., 4 Bl. Nr. 344 Aufzeichnung der Unterredung des Volkskommissars für Auswärtige Angelegenheiten Litvinov mit dem Botschafter in Moskau Graf von der Schulenburg Nr. 3449. 1. 19369. 1. 1936Geheim Expl. Nr. 4 [9.1.1936] AUS DEM TAGEBUCH M.M. LITVINOVS EMPFANG SCHULENBURGS, 9.1.36 Schulenburg suchte mich heute erstmals nach seiner Rückkehr aus Deutsch-land auf. Er äußerte Genugtuung darüber, dass es ihm gelungen sei, sich mit ein-flussreichen Personen zu treffen, darunter mit Hitler1, Blomberg und Schacht. Hitler ist seiner Meinung nach gegenüber der UdSSR offensichtlich sehr vernünf-tig gewesen. Hitler hätte ihm gesagt, dass die Lage in Europa höchst unbestimmt sei und deshalb nichts unternommen werden könne. Ich bemerkte, dass jeder Staat natürlich die allgemeine internationale Lage berücksichtigen müsse, daraus folge jedoch nicht, dass er keine eigenständige Politik führe. Deshalb wäre es für mich interessant zu erfahren, ob sich in der politischen Grundhaltung Hitlers et-was verändert habe. Sch[ulenburg] antwortete, dass Hitler nichts Entscheidendes gegen Wirtschaftsbeziehungen mit uns einzuwenden habe, und im Grunde ge- nommen bleibe die Lage in Deutschland, wie auch bei uns, unverändert. Ich ant- 1 Vgl. Dok. 306, Anm. 8.
Nr. 344 9. 1. 1936 960 wortete, dass, solange es keine Veränderungen seitens Deutschlands gäbe, keine Veränderungen unserer Haltung, die in diesem Fall eine Gegenreaktion sei, erwar-tet werden dürfe. Nachdem mir Sch. zugestimmt hatte, beklagte er sich über das Verhalten unserer Presse2, in der angeblich in letzter Zeit die antideutschen Aus-fälle zugenommen hätten. Unter anderem verwies er auf das „Journal de Mos-cou“, die „DZZ“ und auf das gestrige Interview von Dimitrov3. Ich sagte, dass ich bereit sei, das Gewicht, die Anzahl und den Umfang der antisowjetischen Ver-öffentlichungen der deutschen Presse und die antifaschistischen Veröffentlichun-gen unserer Presse gegeneinander abzuwiegen, und äußerte meine Überzeugung, dass Sch. den Preis für seine Presse in jeder Hinsicht in Anspruch nehmen könn- te. Sch. sprach auch über die sich häufenden Ausweisungen und Verhaftungen von deutschen Staatsbürgern. Dabei hob er den Fall Bergmann, den man **wohl**4unnötigerweise einer terroristischen Tätigkeit beschuldige5, und die Visumverwei-gerung für Görbing hervor. Er erwähnte aus welchem Grund auch immer Konsul Großkopf in Novosibirsk, wobei sich herausstellte, dass nicht er sich über uns be-klage, sondern wir uns über Großkopf beklagen würden, was nach Auffassung Schulenburgs nicht gerechtfertigt sei. Er, Schulenburg, hätte diesen Brief viel-leicht nicht wie Großkopf in diesem Ton geschrieben, halte ihm zugute, dass letz-terer sich bereits seit 10–12 Jahren an dem gleichen Ort in einer höchst ungünsti-gen Lage befände, sich mit niemandem treffe, was eine gewisse Nervosität hervorrufen könne. Sch. gedenke Großkopf nach Kiev zu versetzen. Ich sagte, dass mir diese Fälle von Ausweisungen und Verhaftungen unbekannt seien, wäh-rend der Abwesenheit von Gen. Krestinskij hätte ich jedoch in Erfahrung ge-bracht, dass diese Verhaftungen ein großes Ausmaß annähmen, und ich interes-sierte mich für diese Angelegenheit als eine allgemeine Erscheinung, nicht aber für jeden einzelnen Fall. Mir sei gesondert nur der Fall Görbing vorgetragen wor-den, und ich erinnerte mich daran, dass wir seine Ehefrau, die aus der sowjeti-schen Staatsbürgerschaft ausgetreten sei, zuerst nicht weglassen wollten, und als er sich einverstanden erklärt habe, ohne Ehefrau zu fahren, hätten wir an den Fall seines Sekretärs erinnert, der Görbing verleumdet hatte, und wir im Interesse von Görbing entschieden, ihm anzuraten, nicht mehr hierher zurückzukehren. Wir be-fürchteten sowohl für das NKID als auch für die Deutsche Botschaft Scherereien. Es sei zu berücksichtigen, dass unsere Gesellschaft und unsere Amtspersonen, die Tag für Tag in der Presse läsen, dass sich Hitler-Deutschland auf einen Überfall auf die UdSSR vorbereite, uns mit unseren Freunden entzweie, unsere Feinde un-terstütze usw., mitunter dazu neigten, in jedem Deutschen einen Agenten Hitler-Deutschlands zu sehen, der nach Kräften ein Teilchen dieser Ränke darstelle. Sowohl diese Verhaftungen als auch das Verhalten der Presse dürften nicht losge- löst von den politischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern gewertet wer-den. 2 Vgl. Dok. 351. 3 Vgl. „Otvet gospodinu Ribbentropu. Interv’ju, dannoe G. Dimitrovym predstavitel’jam pečati“ (Antwort an Herrn Ribbentrop. Interview G. Dimitrovs für Vertreter der Presse). In: Pravda vom 8. Januar 1936, S. 4. 4 Das Wort ist über die Zeile geschrieben. 5 Vgl. Dok. 296, 302.
9. 1. 1936 Nr. 344961 Sch. erinnerte mich an mein früheres Versprechen, bei ihm zu frühstücken. Ich sagte, dass ich mich an das Versprechen erinnere und es sehr gern nach meiner Rückkehr aus Genf oder bei einer Nichtreise6 dorthin einlösen werde. Sch. berührte auch die Frage bezüglich Italiens und der Erdölsanktionen.7 Ich äußerte meine Bedenken hinsichtlich einer Erweiterung der Sanktionen auf das Erdöl, und zwar aus dem Grund, dass erstens Amerika die Erdölausfuhr nicht völ-lig verbiete und es schwierig sein werde, deren Transit nach Italien durch andere Länder zu kontrollieren, und zweitens, weil solange über diese Sanktionen gespro-chen worden sei, dass es Italien in der Zwischenzeit vermutlich gelungen sei, sich auf viele Monate hinaus mit Erdöl zu bevorraten. England werde wohl kaum in dieser Sache die Initiative ergreifen, und die anderen Staaten umso weniger. Wenn sich herausstelle, dass es in der Sanktionsfrage keine neue Bewegung gebe, und die Verhandlung unserer Klage gegen Uruguay8 vertagt werde, würde ich wohl kaum nach Genf fahren. Sch. äußerte sich skeptisch zu einem möglichen italienisch-deutschen Ab-kommen. Ich stimmte ihm zu, indem ich die abwartende Haltung Hitlers guthieß, weil im Falle eines missglückten Ausgang des Abessinienkrieges Italien derartig viel von seinem internationalen Ansehen verliere, dass es als Partner für Deutsch-land nicht besonders anziehend sein werde, und im Falle eines siegreichen Kriegsausganges würden die italienisch-deutschen Gegensätze in der Österreich- und Balkanfrage erneut an Schärfe gewinnen. Sch. erzählte mir von der Popularität von Madame Attolico9 in Berlin. LITVINOV Vermerk M.M. Litvinovs mit blauem Farbstift: an Gen. Štern.Vermerk D.G. Šterns mit Tinte: zu den Akten. Š[tern]. 12-1-3710. Oben rechts in der Mitte befindet sich der Stempel der 2. Politischen Westabteilung des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 90 vom 11.1.1936. Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:5Expl. Das 1. [Exemplar] ins Archiv, das 2. an Gen. Krestinskij, das 3. an Gen. Stomo- njakov, das 4. an *Gen. Štern*11, das 5. nach Berlin. AVP RF, f. 082, op. 19, p. 83, d. 1, l. 4–2. Kopie. 6 So im Dokument. 7 Am 18.12.1935 fasste das „Komitee der 18“ des Völkerbundes des Beschluss, dass die erlassenen Wirtschaftssanktionen gegen Italien nicht auf die Lieferung von Erdöl ausgedehnt werden sollten. 8 Vgl. Dok. 367, Anm. 21. 9 Eleonora Attolico. 10 So im Dokument; richtig: 12-1-36. 11 Der Name ist mit blauem Farbstift unterstrichen.
Nr. 345 10. 1. 1936 962 Nr. 345 Aktenvermerk des Generalbevollmächtigten der Firma Otto Wolff Siedersleben Nr.345 10. 1. 193610. 1. 1936Köln den 10. Januar 1936 Aktenvermerk.Betr.: RusslandBei den Unterredungen, die Herr Wolff, Herr Baron von Swieykowski und ich in Herrn Wolffs Berliner Wohnung Lützowufer 33 gestern Abend ab 20 Uhr mit dem Handelsvertreter der UdSSR Herrn Kandelaki und seinem Vertreter Friedrich-son hatten, wurden bis zu meiner Abreise nach Köln (22.30 Uhr) folgende Fragen behandelt: 1.) Die Russen stellten große Aufträge für die Deschimag1 in Aussicht, wobei von über RM 100 Millionen schon für absehbare Zeit gesprochen und die angeblich bereits erteilte Zustimmung der deutschen Behörde vorgetragen wurde. 2.) Dem Plane einer Anleihe bis 19 Jahre Laufzeit (Durchschnittslaufzeit 10 Jahre), die zur allmählichen Bezahlung der zusätzlichen Bestellungen in Deutschland dienen soll, stimmten die Russen, wie bereits in früheren Verhand-lungen mit dem Herrn Reichswirtschaftsminister2, grundsätzlich zu. Jedoch ließ sich wegen der Wertgrundlage (Wertmesser) eine Einigkeit nicht erzielen. Herr Kandelaki lehnte wiederholt und in ultimativer Form jede Gold- oder Valutaklausel ab, obwohl, wie zugegeben wurde, Goldklauseln bei derart langfristigen internatio-nalen Geschäften schon in der Vorkriegszeit selbstverständlich gewesen sind. Wir betonten den theoretischen Charakter dieser Frage. Herr Wolff bemerkte mehrfach, dass er keinerlei amtlichen Auftrag habe, sondern rein als privater Ge-schäftsmann verhandele und nicht wisse, welche Genehmigung die Regierung schließlich geben werde. 3.) Wegen des Fischer-Benzin-Verfahrens3 gab Herr Friedrichson, den ich frag-te, positive Erklärungen nicht ab. Siedersleben Urschrift: H.A. Russland Durchschlag: H.A. Ruhrchemie Eigenhändige Unterschrift. RWWA, 72-48-6, o.P., 2 Bl. 1 Die Deutsche Schiff- und Maschinenbau Aktiengesellschaft (1928–1945) war ein Zu-sammenschluss von acht norddeutschen Werften und hatte ihren Sitz in Bremen. Die De-schimag war auch im Flugzeugbau tätig. 2 Hjalmar Schacht. 3 Gemeint ist die 1925 entwickelte Fischer-Tropsch-Synthese der Kohleverflüssigung zur Herstellung synthetischer Kraftstoffe und Motoröle.
10. 1. 1936 Nr. 346963 Nr. 346 Auszug aus dem Vortrag des Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare Molotov auf der II. Tagung des CIK der UdSSR Nr.346 10. 1. 193610. 1. 193610. Januar 1936 [...] Ich sage es rundheraus, die sowjetische Regierung würde sich die Herstellung besserer Beziehungen mit Deutschland als die jetzigen wünschen. Uns scheint dies unter dem Aspekt der Interessen der Völker sowohl der UdSSR als auch Deutsch-lands unbestritten zweckdienlich zu sein. Aber die Umsetzung dieser Politik hängt nicht allein von uns ab, sondern auch von der Regierung Deutschlands. Worin besteht aber die Außenpolitik der jetzigen deutschen Regierung? Über die Hauptrichtung dieser Außenpolitik habe ich auf dem VII. Sowjetkongress1 ge-sprochen, als ich aus dem programmatischen Buch Hitlers „Mein Kampf“, das in Deutschland in Millionen von Exemplaren verbreitet wird, zitierte. In diesem Buch spricht Hitler direkt von der Notwendigkeit, „zur Politik territorialer Eroberungen“ überzugehen. Dabei erklärt Hitler unumwunden: „Wenn wir aber heute in Europa von neuem Grund und Boden reden, können wir in erster Linie nur an Russland und die ihm untertanen Randstaaten denken.“ Seitdem diese Erklärung Hitlers von der Tribüne des Sowjetkongresses vorge-tragen wurde, hat die deutsche Regierung keinen einzigen Versuch unternommen, diesen Eroberungsplänen gegenüber der Sowjetunion eine Absage zu erteilen. Im Gegenteil, sie hat mit ihrem Schweigen vollauf bekräftigt, dass die zitierte Erklä-rung Hitlers in Kraft bleibt. Das war für uns keine Überraschung. Die Herren Natio-nalsozialisten, die in ihren Plänen jedes Maß verloren haben, betreiben, wie allen bekannt ist, die Vorbereitung auf Eroberung gerade in diese Richtung, wenn auch nicht allein in diese Richtung. Diese verbrecherische Propaganda zur Eroberung fremder Territorien hat auch schon neue Anhänger außerhalb Deutschlands. Es gibt bereits alle möglichen Nachbeter des deutschen Kapitals auch im benachbarten Polen, vom Typ des Herrn Studnicki und der kopflosen Herren der Krakower Zeitung „Czas“, die dermaßen über die Stränge schlagen, dass sie in der Presse offen von der Eroberung einiger Territorien der UdSSR faseln, wovon einige Sonderlinge schon wiederholt im Al-koholrausch geträumt haben. Solche Wahnvorstellungen sind auch einigen Ele-menten des mit uns benachbarten Finnland nicht fremd, die sich immer mehr an den aggressivsten imperialistischen Staaten orientieren. Allen ist bekannt, dass sich der deutsche Faschismus nicht darauf beschränkt, Eroberungspläne nur zu schmieden, sondern sich zum Handeln in nächster Zeit vorbereitet. Vor unser aller Augen verwandelten die deutschen Faschisten das in ihre Verfügungsgewalt geratene Land in ein Kriegslager, das wegen seiner Lage im Zentrum Europas auch keineswegs nur eine Bedrohung für die Sowjetunion dar-stellt. Selbst wenn man von den anderen Ländern absieht, so weiß doch jeder-mann, dass zum Beispiel der Tschechoslowakei, die keinen ihrer Nachbarn bedroht 1 Am 28.1.1935. Vgl. Dok. 19.
Nr. 346 10. 1. 1936 964 und ihrer friedlichen Arbeit nachgeht, bereits die Finsternis des deutschen Fa-schismus droht, welcher mit Bajonetten und Kanonenrohren strotzt, der alle mögli-chen und bis gestern noch für unmöglich gehaltenen chemischen Kampfstoffe be-sitzt, um Menschen zu vergiften und zu vernichten, der mit einer schnellen und mit einer lautlosen Luftwaffe für den unerwarteten Überfall ausgerüstet ist und über all das verfügt, was einen jetzigen Krieg in eine Massentötung nicht nur von Soldaten an der Front, sondern auch von einfachen Zivilisten, von Frauen und Kindern verwandelt. All das stellt eine wachsende Gefahr für den Frieden nicht nur in Europa dar. Wie widersprüchlich die Lage gegenwärtig in Deutschland ist, wird aus dem Folgenden ersichtlich. Neben der rücksichtslosen antisowjetischen Außenpolitik bestimmter deut-scher Regierungskreise wurde der Sowjetunion auf Initiative der deutschen Re- gierung der am 9. April 1935 unterzeichnete Vertrag zwischen Deutschland und der UdSSR über einen Kredit von 200 Millionen Mark mit einer Laufzeit von fünf Jahren vorgeschlagen.2 Dieser Kredit wird von uns im Großen und Ganzen erfolg-reich umgesetzt, wie auch der Fünfjahreskredit über 250 Millionen Kronen, den uns die Tschechoslowakei im vergangenen Jahr gewährt hat.3 In den letzten Mona-ten konfrontierten uns deutsche Regierungsvertreter mit der Frage eines neuen, größeren Kredits, nun bereits mit einer Laufzeit von 10 Jahren.4 Obgleich wir aus-ländischen Krediten nicht nachjagen und im Unterschied zur Vergangenheit in ei-nem bedeutenden Umfang dazu übergegangen sind, die Einkäufe im Ausland in bar zu bezahlen und nicht über Kredit zu tätigen, haben wir es nicht abgelehnt und lehnen es nicht ab, auch diesen Geschäftsvorschlag der deutschen Regierung zu prüfen. Die Entwicklung von Handels- und Wirtschaftsbeziehungen mit anderen Staa-ten, unabhängig davon, welche politische Kraft zeitweilig die Herrschaft in ihnen ausübt, entspricht der Politik der Sowjetmacht. Wir glauben, dass dies auch den In-teressen des deutschen Volkes entspricht. Daraus praktische Schlussfolgerungen zu ziehen, ist selbstverständlich Sache der Regierung Deutschlands. [...] Veröffentlicht in: DVP, Bd.XIX, Anlage 1, S. 695-705, hier S.697–699. 2 Vgl. Dok. 116. 3 Vgl. Dok. 92, Anm. 5. 4 Vgl. Dok. 166.
11. 1. 1936 Nr. 347965 Nr. 347 Schreiben des Stellv. Volkskommissars für Auswärtige Angelegenheiten Krestinskij an den Bevollmächtigten Vertreter in Berlin Suric Nr.347 11. 1. 193611. 1. 1936GeheimExpl. Nr. 5 11. Januar [1936] 4002 An den Bevollmächtigten Vertreter der UdSSR in Deutschland Gen. Suric Lieber Jakov Zacharovič, Sie kennen bereits den Text der gestrigen Rede des Gen. Molotov zur interna-tionalen Lage. Obgleich er in dem Deutschland betreffenden Teil1 Bezug auf sein Referat auf dem Sowjetkongress2 nahm und feststellte, dass die deutsche Regierung seitdem keinerlei Erklärungen abgegeben hat, dass sich die Außenpolitik Deutschlands von den Programmerklärungen Hitlers in dem Buch „Mein Kampf“ distanziert, schlug Gen. Molotov dennoch in seiner Rede gegenüber Deutschland einen etwas milde-ren Ton als in der vorjährigen an.3 Denn er sprach direkt unseren Wunsch aus, mit der deutschen Regierung bessere als die jetzigen Beziehungen zu haben, und unse-re Bereitschaft, mit Deutschland auf der Grundlage eines uns gewährten Kredites Handel zu treiben und ihn sogar auszubauen. Ich meine deshalb, dass die Rede des Gen. Molotov von den deutschen Regierungskreisen nicht als besonders feindselig aufgenommen werden wird. Das schließt selbstverständlich nicht aus, dass die deutsche Presse mit dem Segen der deutschen Regierung in den gewohnten feindseligen und verleumderi-schen Tönen auf die Rede antworten wird. Gestern habe ich auf dem Kongress ein paar Worte mit Gen. Pjatakov gewech-selt. Er erwartet von Tag zu Tag die Mitteilung Kandelakis, dass die Deutschen be-reit sind, die Verhandlungen fortzusetzen. Wenn er diese Mitteilung erhält, reist er unverzüglich ab. Bezugnehmend auf die letzten Schreiben und Tagebücher von Ihnen und Gen. Bessonov4 scheint mir, dass wir uns hinsichtlich dieses 500-Millionenkredits mit den Deutschen verständigen werden. Was jedoch die Frage einer Veränderung der politischen Haltung der Deutschen uns gegenüber betrifft, so sind in dieser Rich-tung weder in Berlin, noch in Moskau, noch an anderen Ort des Erdballs Anzei-chen irgendwelcher Veränderungen zu bemerken. 1 Vgl. Dok. 346. 2 Vgl. Dok. 19. 3 Nach Auffassung von Graf von der Schulenburg habe sich der Ton der Rede Molotovs gegenüber Deutschland eher verschärft. Vgl. Dok. 348. 4 Vgl. Dok. 330, 331, 338.
Nr. 348 11. 1. 1936 966 Im Gegenteil, es gibt immer mehr Anzeichen für eine Konsolidierung der deutsch-japanischen Beziehungen, einer Konsolidierung, die eine klare antisowje-tische Stoßrichtung aufweist. Mit kameradschaftlichem Gruß N. Krestinskij Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:5E[xemplare]. Das 1. [Exemplar] an den Adr[essaten], das 2. an Gen. Litvinov, das 3. an Gen. Stomonjakov, das 4. an Gen. Štern, das 5. zu den Akten. AVP RF, f. 010, op. 11, p. 68, d. 34, l. 9–8. Kopie. Veröffentlicht in: DVP, Bd.XIX, Dok.12, S.25–265. 5Nr. 348 Telegramm des Botschafters in Moskau Graf von der Schulenburg an das AA Nr.348 11. 1. 193611. 1. 1936Telegramm (Geh. Ch. V.) Moskau, den 11. Januar 1936 23.15 Uhr Ankunft, den 12. Januar 1936 0.30 Uhr Nr. 8 vom 11.11.Über außenpolitischen Teil Rede Molotows1 hat Deutsches Nachrichtenbüro Meldungen Moskauer Vertreters und von TASS erhalten. Verglichen mit Rede *Molotows vor dem VII. Sowjetkongress im Januar 1935*2 ist verstärktes überhebliches Auftrumpfen festzustellen, das durch Ankün-digung wesentlicher Erhöhung Militäretats unterstützt wird. Deutschland gegenüber hat sich Ton eher verschärft. Zwar erklärt Molotow einleitend, er wünsche Verbesserung Beziehungen zwischen beiden Staaten, ande-rerseits erhebt Molotow besonders scharfe direkte und indirekte Angriffe gegen Deutschland. *Er spricht von „verbrecherischer Propaganda für Eroberung fremden Bodens“*3, welche Nationalsozialisten betrieben und die Nachahmer in Polen und Finnland fände. Auf seinen vor VII. Sowjetkongress erfolgten Hinweis betr. Äuße-rungen in „Mein Kampf“, die gegen Russland gerichtet seien, habe deutsche Regie-rung geschwiegen. Hierdurch würde bestätigt, dass diese Äußerungen in Kraft blie-ben. Deutsches Argument, dass Deutschland und Sowjetunion keine gemeinsame Grenze hätten, sei nicht stichhaltig, da Deutschland fieberhaft Beherrschung Ostsee vorbereite und zu Polen besondere Beziehungen entwickelt hätte. Deutsches Ex-5 Die Veröffentlichung in DVP erfolgte ohne Legende und nach eigenen Redaktionsricht-linien. 1 Vgl. Dok. 346. 2 Der Text ist unterstrichen. Dazu am Seitenrand, aber durchgestrichen: „Akten betr. Kom.Kongress. In diesen ist über eine Rede Molotoffs nichts zu ermitteln.“ Vgl. Dok. 19. 3 Der Text ist unterstrichen.
11. 1. 1936 Nr. 348967 pansionsstreben bedrohe nicht nur Sowjetunion. *Deutscher Faschismus be-schränke sich nicht auf Pläne, sondern bereite sich vor, in nächster Zeit zu han-deln. Faschismus habe „in seine Hand gefallenes“ Deutschland in Kriegslager ver-wandelt, welches friedlichen Nachbarn, wie Tschechoslowakei, mit allem Schreck modernen Luft- und Gaskriegs bedrohe.*4 Etwas unvermittelt kommt Molotow dann auf deutsch-sowjetisches Kreditabkommen vom April 19355, das er als Be-weis für „widerspruchsvolle Lage in Deutschland“ anführt. Trotz deutscher Anti-sowjetkampagne sei auf „Initiative Deutschlands“ Abkommen geschlossen worden und werde erfolgreich realisiert. Im letzten Monat habe deutsche Regierung Sow-jetunion noch größeren Kredit auf 10 Jahre vorgeschlagen.6 Sowjetunion nachlaufe nicht ausländischen Krediten, aber ablehne auch nicht, geschäftlichen Vorschlag zu erörtern. Entwicklung Wirtschaftsbeziehungen zu anderen Ländern, unabhängig von ihren zeitweiligen Regierungssystem, entspreche sowjetischer Politik. Damit werde auch Interessen deutschen Volkes gedient. Praktische Schlussfolgerung müs-se jedoch deutsche Regierung ziehen. Neben heftigen Angriffen, welche Nervosität angesichts wachsenden politi-schen Schwergewichts Deutschlands verraten, tritt somit Erklärung, zur wirtschaft-lichen Zusammenarbeit bereit zu sein. Hierbei bleibt offen, inwieweit es sich um taktischen Schritt handelt, der auf andere Staaten einwirken soll.7Schulenburg Auf erstem Blatt oben der Stempel des AA: IV Ru 165, Eing. 13. Jan. 1936. Am Seiten-rand Stempel: R.K./ P.K. vorgelegt. Tel Kentn. sowie Stempel über die Verteilung. Gefer-tigt in 15 Exemplaren. Unten zdA H[encke] 14/1 und Po 2 Ru. PA AA, R 83399, Bl.H 047398-047399. Veröffentlicht in: ADAP, Ser. C, Bd.IV/2, Dok.489, S.965–966. 4 Der Text ist unterstrichen. 5 Vgl. Dok. 116. 6 Einen ersten Hinweis auf den Vorschlag findet sich im Tagebuch Bessonovs vom Mai 1935; vgl. Dok. 166. Hier wird Bezug genommen auf das Gespräch Schachts mit Kandelaki am 16.12.1935; vgl. Dok. 329. Am 11.1.1936 rief ein Redakteur der „Frankfurter Zeitung“ bei Dittmann an und fragte wegen des Kreditangebotes nach. Nach telefonischer Rücksprache mit dem Reichswirtschaftsministerium informierte Dittmann die Redaktion noch am glei- chen Tage, dass dazu „jede Veröffentlichung der Presse dringend unerwünscht sei“. PA AA, R 31477, Bl. H 097938-097939, hier H 097939. In den Presseanweisungen vom 13.1.1936 hieß es: „Die Molotow-Rede soll groß aufgemacht werden, und zwar möglichst in der ausführli-chen Fassung des DNB.“ Dagegen lautete die Anweisung am 14.1.1936: „Die Debatte über Mo-lotow soll nunmehr abgeschlossen werden.“ In: NS-Presseanweisungen, Bd. 4/I, S. 35 und S. 40. 7 Schulenburg verfasste über den außenpolitischen Teil der Rede Molotovs einen ausführ-lichen Bericht, der unter der Nummer A/48 am 13.1.1936 an das AA geschickt wurde. Darin hieß es zu der Kreditfrage: „Beim Hinweis Molotows auf die Verhandlungen über einen künf-tigen deutschen Zehn-Jahres-Kredit für die Sowjetunion liegt der Gedanke nahe, dass der Ne-benzweck, auf Verhandlungen mit anderen Staaten zu drücken, dafür maßgeblich war, wenn Molotow eine Mitteilung über jene Kreditverhandlungen, dazu unter Entstellung der Initiativ-Frage, an die große Glocke hing.“ PA AA, Moskau 59, Bl. 375277-375284, hier Bl. 375282-375283.
Nr. 349 11. 1. 1936 968 Nr. 349 Aufzeichnung von Unterredungen des Rates der Bevollmächtigten Vertretung in Berlin Bessonov Nr.349 11. 1. 193611. 1. 1936GEHEIMExpl. Nr. 1 Berlin, den 11. Januar 1936 Tagebuch S. Bessonovs **2.–12. Januar Nr. 6/s**1DIE WIRTSCHAFTSVERHANDLUNGEN(Gespräche mit Bräutigam, Mossdorf und Hencke) Die Deutschen führten am 4. Januar eine Vorbesprechung zu den Wirtschafts-verhandlungen mit uns durch.2 Auf dieser Besprechung sind keine greifbaren Be-schlüsse gefasst worden. Es wurden folgende Fragen erörtert: 1. Zum Zahlungsmodus für unsere Verbindlichkeiten im Jahr 1936.*In dieser Frage dominiert bislang die Haltung Schachts, der bereits in den Gesprächen mit Gen. Kandelaki forderte, sämtliche Verbindlichkeiten im Jahr 1936 in Gold oder in Devisen zu bezahlen.3 Während des Frühstücks, das die Bevoll-mächtigte Vertretung am 6. Januar zu Ehren von Bräutigam anlässlich seiner Abrei-se gab4, stellte sich jedoch heraus, dass in dem Gespräch Kandelakis mit Mossdorf, das einige Tage vor diesem Treffen stattgefunden hatte, Mossdorf von der anfängli-chen Haltung Schachts bereits abgerückt war und durchblicken ließ, dass es mög-lich wäre, nur 40 Mio. Mark in Gold und in Valuta zu bezahlen.*52. Zum Rohstoffimport aus der UdSSR.Die Besprechung beschäftigte sich mit der sehr merkwürdigen Berechnung, welche Rohstoffe möglichst regelmäßig aus der Sowjetunion zu beziehen wären. Dazu ist eine Liste in Höhe von 160–200 Mio. Mark für den jährlichen Rohstoffim-port aus der UdSSR erstellt worden. Laut Erklärung der Deutschen würden sie mit dieser Liste zwei Ziele verfol-gen. Einerseits käme es für Deutschland angesichts des Misserfolges, Rohstoffe aus anderen Quellen zu beziehen, darauf an, den Bezug der erforderlichen Rohstoffe gerade aus der UdSSR sicherzustellen. Andererseits könnte die UdSSR auf diese Weise gezwungen werden, in Deutschland die laufenden Aufträge zu tätigen oder Waren in bar zu kaufen, was für die Deutschen von ganz bestimmter Bedeutung wäre*6, da zwischen dem Auslaufen der Zahlungen bezüglich unserer alten Ver-1 Der Text ist mit Tinte geschrieben. 2 Vgl. Dok. 341. 3 Vgl. Dok. 329. 4 Bräutigam wurde an die Deutsche Botschaft in Frankreich versetzt. 5 Der Text ist am linken Seitenrand mit blauem Farbstift angestrichen. 6 Der Text ist am linken Seitenrand mit blauem Farbstift angestrichen.
11. 1. 1936 Nr. 349969 bindlichkeiten und der Zahlungsaufnahme für unsere neuen Verbindlichkeiten eine Zeitspanne von 3–4 Jahren liegt, die mit unseren laufenden Aufträgen ausge-füllt werden muss. In dieser Frage sind wir sehr einträchtig über die Deutschen hergefallen und haben erklärt, dass überhaupt keine Rede davon sein könne, unseren Export nach Deutschland zu fixieren, mit Ausnahme jenes Teils, der für die Deckung der jährli-chen Zahlungen im Rahmen des 500-Millionenkredits erforderlich sein wird. *Wir machten die Deutschen weiterhin darauf aufmerksam, dass sie weit über das hinausgingen, worüber Schacht gesprochen hätte, als er vorschlug, lediglich jene Summe zu fixieren, die für die Deckung unserer Verpflichtungen erforderlich sei, und alles das, was darüber hinausgehe, keiner Begrenzung zu unterwerfen. Er machte lediglich den Vorbehalt, dass wir die durch den Export erzielten Erlöse in Deutschland ausgeben müssten.*73. Die oben angeführte Besprechung beschäftigt sich nur mit diesen zwei Fra-gen. Im Allgemeinen sind alle Verhandlungen bis zum 10. Januar, an diesem Tag wird Schacht aus dem Urlaub erwartet, unterbrochen. In der Zwischenzeit zeich-nete sich jedoch in dem Gespräch Kandelakis mit Wolff8 sowie in meinen Ge-sprächen mit Bräutigam und Mossdorf ab, dass die Deutschen möglicherweise die Garantiefrage für das Abkommen in Gold oder in einer beliebigen anderen Wäh-rung aufwerfen werden. *Wolff erklärte die Forderung nach einem Goldkurs in unseren Obligationen damit, dass die Deutschen dank dieses Goldkurses in Eng-land Kredite bekommen können.*9 Mossdorf und Bräutigam sprachen darüber, dass der Goldkurs zumindest für Teile unserer Obligationen notwendig sei, damit die Deutschen ausländische Kredite für jene Rohstoffe bekommen könnten, die für die Herstellung von Waren benötigt werden, die für die Lieferung an die UdSSR bestimmt sind. So oder so ist sicherlich damit zu rechnen, dass die Frage eines garantierten Markkurses in den bevorstehenden Abkommen zur Sprache gebracht werden wird. Im Übrigen sind sich alle meine Gesprächspartner sicher, dass es bereits im Januar gelingen werde, das Gesamtabkommen zu unterzeichnen. S. Bessonov Vermerk mit blauem Farbstift: M.M.10Oben links von der Mitte befindet sich der Stempel des Sekretariats des Volks- kommissars des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 163 vom 14.1.1936. Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:7Expl. 4 an Litvinov, 2 an Krestinskij, 1 [Exemplar] zu den Akten. 11.1.36. AVP RF, f. 05, op. 16, p. 118, d. 49, l. 11–11R. Original. 7 Der Text ist am linken Seitenrand mit blauem Farbstift angestrichen. 8 Vgl. Dok. 345. 9 Der Text ist am linken Seitenrand mit blauem Farbstift angestrichen. 10 Litvinov.
Nr. 350 11. 1. 1936 970 Nr. 350 Schreiben des Bevollmächtigten Vertreters in Berlin Suric an den Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten Litvinov Nr.350 11. 1. 193611. 1. 1936GEHEIMExpl. Nr. 1 11. Januar 19351Nr. 4/s2AN DEN VOLKSKOMMISSAR Gen. M.M. LITVINOV Lieber Maksim Maksimovič. *In letzter Zeit stellen wir vermehrt Anzeichen dafür fest, dass die Deut-schen zu Repressalien gegenüber sowjetischen Bürgern in Deutschland greifen könnten. Beamte des Ministeriums deuteten uns unlängst an (im Zusammenhang mit der Verweigerung des Rückreisevisums für den deutschen Journalisten Gör-bing3), dass die deutschen Innenbehörden gegen Gen. Gofman einige Repressa-lien anwenden könnten.*4 Außerdem hat das Ministerium unlängst noch einmal bei uns demarchiert wegen der bedrohlichen Zunahme von Verhaftungen deut-scher Staatsbürger in der UdSSR5; man habe über das Schicksal einer recht be-deutenden Anzahl von Inhaftierten keinerlei Informationen. Zum Beispiel wurde darauf verwiesen, dass in zwei oder drei Fällen, obwohl die Deutsche Botschaft in Moskau vom NKID vor langer Zeit die Benachrichtigung über die Ausweisung von inhaftierten deutschen Staatsbürgern erhalten hätte, diese deutschen Staats-bürger jedoch bis jetzt nicht in Deutschland erschienen seien und über ihren Aufenthaltsort auch niemand etwas wisse. In diesem Zusammenhang wurden erneut dahingehend Andeutungen gemacht, dass die deutschen Innenbehörden auf solch eine Lage der Dinge in der Sowjetunion mit gewissen Repressalien ge-gen sowjetische Bürger in Deutschland antworten könnten. Inwiefern das alles ernst gemeint ist, lässt sich vorerst schwer sagen. Aber es gibt bereits einige Fak-ten. Zum Beispiel wurde ein Mitarbeiter der Derunapht, der aufgrund seines Dienstpasses die Aufenthaltserlaubnis für Deutschland erhalten hatte, dieser Tage zur Polizei einbestellt, wo man ihm anstelle einer langfristigen Aufenthaltserlaub-nis eine kurz befristete anbot. *Wir meinen hier, dass deutsche Repressalien gegen unsere Bürger, wenn sie in nächster Zeit in Anwendung kommen sollten, einen negativen Einfluss auf den Charakter und auf das Tempo der jetzt geführten Wirtschaftsverhandlungen neh-men können.* In diesem Zusammenhang erachten wir es als zweckmäßig, die An- 1 So im Dokument; richtig: 11. Januar 1936. 2 Die Ausgangsnummer ist mit Tinte geschrieben. 3 Vgl. Dok. 340, 344. 4 Der hier und im Folgenden so gekennzeichnete Text wurde von Litvinov am linken Sei-tenrand mit blauem Farbstift angestrichen. 5 Vgl. Dok. 339.
11. 1. 1936 Nr. 350971 lässe für deren Entstehung in der nächsten Zeit wenn nicht vollständig zu beseiti-gen, so doch wenigstens zu verringern. Mir scheint, in diesem Zusammenhang wäre es richtig: erstens, den Deutschen zu allen Inhaftierten, über die wir bis jetzt den Deutschen nichts mitgeteilt haben, eine Information über deren Aufenthaltsort und Schicksal zu geben, zweitens, darauf einzugehen, die Gefängnishaft der wegen Steuersachen Inhaftierten in eine Ausweisung umzuwandeln, wenn keine besonde-ren erschwerenden Umstände vorliegen. *Obgleich ich in Ermangelung jeglicher Informationen nicht in der Lage bin, mich zu äußern, so halte ich es, was Görbing betrifft, dennoch für möglich, der Frau Görbings eine Kurzreise nach Moskau zu erlauben, um die Wohnung und den Besitz aufzulösen.* Mit kameradschaftlichem Gruß Ja. Suric Vermerk M.M. Litvinovs mit blauem Farbstift: *An N.N.6, Umanskij*7, Štern und darüber ist mit Bleistift durchgestrichen: umgehend Štern vorzulegen. Vermerk D.G. Šterns mit Tinte: An Gen. Lev[in], Gen. Kant[er], mit Bitte um Rück- sprache. 17.1.36 Š[tern]. Oben in der Mitte befindet sich der Stempel des Sekretariats des Volkskommissars des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 165 vom 14.1.1936. Oben rechts von der Mitte befindet sich der Stempel des Sekretariats des Stellvertre- tenden Volkskommissars des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 233 vom 15.1.1936. Oben in der Mitte befindet sich der Stempel der 2. Politischen Westabteilung des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 139 vom 16.1.1936. Oben links befindet sich der Stempel des Geheimarchivs der Presseabteilung des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 35 vom 16.1.1936. Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:2Expl. 1 [Exemplar] an den Adressaten, 1 zu den Akten. 11.1.36. Auf Kopfbogen der Bevollmächtigten Vertretung der UdSSR in Deutschland geschrieben. AVP RF, f. 082, op. 19, p. 83, d. 4, l. 17–17R. Original. 6 Krestinskij. 7 Der Text ist mit Bleistift geschrieben.
Nr. 351 13. 1. 1936 972 Nr. 351 Bericht des Botschafters in Moskau Graf von der Schulenburg an das AA Nr.351 13. 1. 193613. 1. 1936Moskau, den 13. Januar 1936 **1 Tgb.Nr. A/43 Durchschlag An das Auswärtige Amt BerlinInhalt: Protest gegen die Haltung der sowjetischen Presse und des Sowjetrund-funks gegenüber Deutschland Im Anschluss an die Berichte von 19.12.1935 – A/27632 – und vom 6.1.1935 – A/313Am 9. Januar habe ich beim Volkskommissar Litwinow gegen folgende Deutsch- land und seine führenden Staatsmänner beleidigende Äußerungen der Sowjetpresse und des sowjetischen Rundfunks nachdrücklich protestiert: 1) gegen den Artikel des „Journal de Moscou“ vom 3. Dezember 19354, der schwere Beleidigungen des Führers und Reichskanzlers im Zusammenhang mit dem Interview an die United Press5 enthielt; 2) gegen eine Sendung des Komintern-Senders vom 4. Dezember 1935, die den obenerwähnten Artikel des „Journal de Moscou“ zum Inhalt hat; 3) gegen das in der „Prawda“ vom 8. Januar 19366 und in der „Deutsche Zent-ral-Zeitung“ vom 9. Januar 19367 erschienene Interview Dimitroffs, in dem sich dieser mit dem Briefe des Botschafters von Ribbentrop an Lord Allen8 auseinander-setzte und das schwere Angriffe gegen die deutsche Rechtsordnung enthielt; 4) gegen eine Reihe von besonders ausfallenden und unflätigen Karikaturen der Moskauer und der Provinzpresse, in denen führende *deutsche Persönlichkei-ten*9 verunglimpft wurden. 1 Handschriftlich eingefügt: zu. 2 Vgl. PA AA, Moskau 212, Bl. 429145. Inhalt: Protest gegen Verunglimpfungen des Füh-rers und Reichskanzlers in der Sowjetunion. 3 So im Dokument; richtig: 6.1.1936. Vgl. PA AA, Moskau 212, Bl. 429160-429162. Inhalt: Angriff des Journal de Moscou auf die angeblichen „Auslandsagenturen“ des Nationalsozia-lismus. 4 Vgl. Dok. 308, Anm. 4. 5 Anlässlich der Einweihung der Deutschlandhalle am 29.11.1935 erklärte Hitler gegen-über der United Press, die Nürnberger Rassegesetze seien pro-deutsch, nicht anti-jüdisch. 6 „Otvet gospodinu Ribbentropu. Interv’ju, dannoe tov. G. Dimitrovym predstaviteljam pečati“ (Eine Antwort an Ribbentrop. Interview, das Gen. Dimitrov Pressevertretern gab). In: Pravda vom 8. Januar 1936, S. 4. 7 „Antwort an Herrn Ribbentrop. Interview von Pressevertretern mit Genossen G. Di-mitroff“. In: Deutsche Zentral-Zeitung vom 9. Januar 1936, S. 2. 8 „Ein Brief an Lord Allen. Botschafter Ribbentrop antwortet auf eine englische Eingabe“. In: Völkischer Beobachter vom 17. Dezember 1935, S. 1–2. Ribbentrop lehnte darin die von Allen und anderen geforderte Freilassung Hans Littens ab. 9 Der Text ist unterstrichen.
13. 1. 1936 Nr. 352973 Ich habe Herrn Litwinow bei dieser Gelegenheit erneut und sehr energisch auf die Unzulässigkeit derartiger beleidigender Angriffe gegen ein fremdes Staatsober-haupt hingewiesen sowie den besonders gehässigen Ton der Presseveröffentlichung unterstrichen, in denen noch dazu unwahre Anwürfe gegen Deutschland und seine führenden Männer vorgebracht worden seien. Als Herr Litwinow einwandte, dass auch in der deutschen Presse Angriffe gegen die Sowjetunion und ihre leitenden Männer erschienen, erwiderte ich ihm, dass die deutschen Zeitungen niemals derart grobschlächtige Angriffe, wie sie in der Sowjetpresse enthalten seien, gebracht hätte. Abschließend versprach mir Herr Litwinow, dass er mäßigend auf die Sowjet-presse einwirken wolle.10gez. Schulenburg Auf erstem Blatt oben: A/ 582 36 und zdA 14/1, am Seitenrand: ab 13.I Gü[nther]. Gefer-tigt in vier Durchschlägen.PA AA, Moskau 212, Bl.429165-429166. 10Nr. 352 Aufzeichnung der Unterredung des Gehilfen des Leiters der Presseabteilung im NKID Mironov mit dem Korrespondenten der „Münchener Neuesten Nachrichten“ in Moskau Mehnert Nr.352 13. 1. 193613. 1. 1936Geheim [13.1.1936] Nr. 245061GESPRÄCH des Gen. MIRONOV mit MEHNERT Heute suchte mich MEHNERT („Münchener Neueste Nachrichten“ und einige andere Provinzzeitungen) auf und händigte mir ein Schreiben aus, mit dem er die Presseabteilung davon unterrichtet, dass er in Abstimmung mit seinen Redaktionen seine Tätigkeit in Moskau zeitweilig unterbricht und abreist. Mündlich ergänzte M[ehnert], dass er deshalb abreise, weil es vollkommen unmöglich geworden wäre, in der deutschen Presse irgendetwas Positives über die Sowjetunion zu veröffentli-chen. Das Fass seiner Geduld hätten zwei Tatsachen, die jüngst zu beobachten wa-ren, zum Überlaufen gebracht: 1) das Organ der Hitlerjugend (M. ist bekanntlich Fachmann für die Jugendbewegung) habe eine komplette antisowjetische Nummer herausgebracht – bis jetzt sei dieses Organ nicht für die Rosenbergsche Lehre zu-gänglich gewesen, und 2) habe Just wegen des Artikels über die Einführung der Neujahrstanne in der UdSSR2 vom Propagandaministerium große Unannehmlich-10 Eine Aufzeichnung unmittelbar nach dem Gespräch vom 9.1.1936 befindet sich auch in PA AA, Moskau 212, Bl. 429163-429164. Vgl. auch Dok. 344. 1 Die Ausgangsnummer ist mit Tinte geschrieben. 2 An der Jahreswende zu 1936 wurde in der UdSSR die Tanne offiziell zum Symbol des Neujahrsfestes deklariert. Vgl. auch Dok. 343.
Nr. 353 14. 1. 1936 974 keiten bekommen. Wenn man nicht einmal über die Neujahrstanne schreiben dür-fe, worüber könne man denn sonst noch schreiben?! Ich habe die Erklärung Mehnerts lediglich zur Kenntnis genommen. B. Mironov 13. Januar 1936 Vermerk D.G. Šterns mit Tinte: An Gen. Lev[in], Gen. Kant[er] 14.I.36. Š[tern]. Oben rechts von der Mitte befindet sich der Stempel der 2. Politischen Westabteilung des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 99 vom 14.1.1936.Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:5Expl. 1 [Exemplar] an Gen. Lit[vinov], 1 an Gen. Kr[estinskij], 1 an Gen. Štern, 1 nach Berlin, 1 zu den Akten. AVP RF, f. 082, op. 19, p. 85, d. 26, l. 7. Kopie. Nr. 353 Brief des Leiters des Referats Russland in der II. Abteilung im AA Hencke an den Botschafter in Tokio von Dirksen Nr.353 14. 1. 193614. 1. 1936Berlin, den 14. Januar 1936 Vertraulich!Hochzuverehrender Herr Botschafter, Zunächst muss ich wieder um Entschuldigung bitten, dass ich erst diesen Ku-rier dazu benutze, um Euer Hochwohlgeboren für das gütige Schreiben vom 14. Ok-tober1 zu danken, das für mich wie stets eine ganz besondere Freude und Ehre bedeutet hat. Jetzt, nachdem ich nun schon einige Wochen in dem neuen Arbeits-gebiet tätig bin, bin ich auch besser in der Lage, Ihnen, hochverehrter Herr Bot-schafter, sachlich antworten zu können. Ich muss gestehen, dass die Leitung des Referats IV Ru zwar recht interessant, aber unter den gegebenen Verhältnissen doch noch wesentlich schwieriger ist, als ich es mir gedacht habe. Für den gegenwärtigen Stand unserer Beziehungen zur Sowjetunion ist die letzte Rede Molotows auf der ZIK-Sitzung2 in Moskau recht bezeichnend. Wenn sie auch schlecht sind, so besteht *doch immerhin nicht mehr der Zustand der Stagna-tion*, der noch vor einigen Monaten herrschte. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Sowjetregierung seit *etwa 2 Monaten ein besseres Verhältnis zu uns anstrebt*. Der Grund für diesen Wunsch dürfte – abgesehen von unserer militärischen Erstar-kung – ebenso sehr in gewissen *Enttäuschungen* an *Frankreich* (Haltung La-vals) als auch in der Absicht liegen, sich *England zu nähern*. Dazu drängt offen-bar das gemeinsame Interesse an einer *politischen Abwehr des japanischen Expansionsdranges*. Für die Engländer sind die Russen wohl aber nur dann inte-ressant, wenn ihr Rücken im Westen einigermaßen frei ist. So erklärt sich jedenfalls 1 Vgl. Dok. 256. 2 Vgl. Dok. 346.
14. 1. 1936 Nr. 353975 für uns der russische Versuch, eine Entspannung der deutsch-russischen Beziehun-gen herbeizuführen. Nachdem sich die Lage im Laufe der letzten Jahre so verschärft hat, ist es für die *Sowjetunion natürlich schwierig und unbequem, ihre Propagan-da umzustellen*, wofür die schon erwähnte recht herausfordernde Molotow-Rede einen deutlichen Beweis gibt. Auch bei uns stößt der an sich zweifellos vorhande-ne Wunsch nach einer Realisierung der Entspannung so lange auf Schwierigkeiten, als die Sowjetunion nicht wirkungsvollere Beweise ihres guten Willens als nur schöne Worte gibt. *Das ewige Herumreiten auf dem für uns untragbaren Ostpakt* ist, ganz abgesehen von den weltanschaulichen Gegensätzen, das *Haupthindernis für eine Normalisierung der Beziehungen, – mehr kommt nicht in Frage –, weil nun einmal unser Ausgleich mit den Westmächten durch diese russische Politik immer wieder gestört wird*3. Die Russen wollen sich aber nicht von dem Glauben abbringen lassen, dass wir Angriffsabsichten gegen sie haben, und ziehen alle ent-sprechenden amtlichen Erklärungen hierüber in Zweifel. Es mag für die Russen nicht einfach sein, sich über die außenpolitischen Kräfteverhältnisse in Deutsch-land ein zuverlässiges Bild zu machen. Diese Schwierigkeit rechtfertigt aber doch nicht ihr Misstrauen, insbesondere im Hinblick auf die Tatsache, dass sie über ei-nen Stab von guten Deutschlandkennern verfügen. In letzter Zeit scheint allerdings die *russische Gespensterseherei etwas nach-zulassen*, nachdem *Schacht in großzügige Besprechungen über die Gewährung einer* verhältnismäßig großen und *sehr langfristigen Obligationsanleihe (500 Mill. RM auf 10 Jahre)*4 mit den Russen eingetreten ist. Während für uns die Bedeutung dieses Abkommens in erster Linie auf wirtschaftlichem Gebiet liegt, – wir beziffern unseren Rohstoffbedarf aus der Sowjetunion auf rund 160 Mill. RM jährlich, – neigt die Sowjetregierung dazu, dieses Projekt vor allem politisch auszuwerten, und zwar in erster Linie gegen dritte Staaten. Gewissen einflussreichen Sowjetkreisen, zu de-nen auch *Stalin gehört, erscheint die deutsche Anleihebereitschaft offenbar wie eine Art getarnter Nichtangriffspakt*. Ob das Geschäft nun zustande kommt, ist heute noch in keiner Weise zu übersehen. Die Angelegenheit ist hier ganz vertrau-lich behandelt worden. *Umso illoyaler war die Bekanntgabe durch Molotow auf dem ZIK-Kongress.5* Der 200 Millionen Kredit wickelt sich übrigens jetzt ganz nor-mal ab. Im Ganzen gilt die *Instruktion des Herrn* Staatssekretärs6: „Viel Geduld haben, die Wasser *langsam steigen*7 lassen.“ Für die *Prognose* Euer Hochgeboren bezüglich der Entwicklung der *rus- sisch-japanischen Beziehungen* war ich außerordentlich *dankbar*. Für uns ist es hier außerordentlich schwer, ein klares Bild über diese so komplizierte Seite der internationalen Politik zu gewinnen. Es *hat allerdings den Anschein, dass die gegenseitigen Reibungen neuerdings wieder*8 zunehmen. Dass es deshalb aber in absehbarer Zeit nicht zu einer dramatischen Entwicklung zu kommen braucht, ist mir angesichts des japanischen Engagements in der Mandschurei und Nordchina völlig einleuchtend. Ich glaube, dass bei uns vielfach die Möglichkeiten eines bal-3 Die neun Textstellen des Absatzes sind unterstrichen. 4 Die drei Textstellen sind unterstrichen. 5 Vgl. Dok. 346. 6 Bernhard von Bülow. 7 Die vier Textstellen sind unterstrichen. 8 Die drei Textstellen des Absatzes sind unterstrichen.
Nr. 353 14. 1. 1936 976 digen militärischen Konflikts zwischen Russland und Japan falsch beurteilt wer-den. Von den Interna im Amt steht die bevorstehende Neuorganisation im Mittel-punkt des Interesses. Genaues darüber, wie das Amt nach dem 1. April aussehen wird, weiß vorläufig niemand.9 *Sicher ist nur, dass unter Herrn Dieckhoff die Po-litische Abteilung gebildet wird*, die von allen wirtschaftlichen Fragen völlig ent-lastet werden soll (für Russland ist das allerdings sehr schwierig). Es heißt, dass unter Herrn Dieckhoff zwei Gesandte erster Klasse als Dirigenten fungieren sollen, dann kämen etwa 8 Vortragende Räte als Generalreferenten für größere Länder-gruppen, während Hilfsarbeiter die einzelnen Staaten etwa so wie die jetzigen Re-ferenten bearbeiten sollen. Aber, wie gesagt, kein Mensch weiß etwas Genaues. Ich würde es lebhaft bedauern, wenn auf diese Weise meine Arbeit unter Herrn Roedi-ger eine Veränderung erfahren würde. *Herr R[oediger] hat sich glänzend in die Leitung der Abteilung hineingefunden und*10 ist auch in menschlicher Hinsicht ein besonders angenehmer Chef. Bräutigam ist vorgestern auf seinen Pariser Posten abgereist. Sein Fortgang be-deutet für die Abteilung einen schweren Verlust. Bis zum Eintreffen von Balser be-arbeitet unter mir Herr Dittmann aus Moskau kommissarisch die Wirtschaftsfra- gen. – Tippelskirch ist auf Urlaub in Berlin. Er muss sich im Westsanatorium einer kleinen Operation unterziehen, wird das Krankenhaus aber schon in einigen Tagen verlassen dürfen. Twardowski beginnt, soweit ich das übersehe, allmählich Geschmack an sei-ner neuen Arbeit mit den Minderheiten zu gewinnen. Am kommenden Samstag wird Gerda heiraten. *Wir haben in der Friedrichsruher Str. eine ganz*11 nette kleine Wohnung ge-funden und richten uns nun hier für einige Jahre ein. Darf ich dieses Schreiben mit dem aufrichtigen Wunsch schließen, dass es Ih-nen, hochverehrter Herr Botschafter, vergönnt ist, auch im Jahre 1936 so erfolgreich arbeiten zu können wie bisher. Dass meine aufrichtigsten Wünsche in alter Dank-barkeit und Anhänglichkeit Ihnen immer in persönlicher wie dienstlicher Bezie-hung gelten, bitte ich nicht betonen zu brauchen. **Ich darf mir erlauben, den direkten Kurier jetzt regelmäßig zu Informationen auszunutzen.12Für heute bitte ich mit der Versicherung meiner alten Verehrung verbleiben zu dürfen Euer Hochwohlgeboren stets gehorsamster Hencke 9 Die Reorganisation trat am 15.5.1936 in Kraft; vgl. auch die Einleitung. 10 Die beiden Textstellen des Absatzes sind unterstrichen. 11 Der Text ist unterstrichen. 12 Dirksen antwortete darauf am 1.2.1936 aus Tokio: „Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Absicht, mich auch mit den kommenden Kurieren über die Entwicklung der deutsch-russischen Beziehungen auf dem Laufenden halten zu wollen; Sie wissen, wie lebhaft sie mich interessieren und wie wichtig diese Kenntnis für mich hier ist.“ Er informierte Hencke seinerseits über die sowjetisch-japanischen Beziehungen. In: Mundt, Ostasien im Spiegel, S. 189-192, hier S. 191. Das Original befindet sich in PA AA, R 27443, Bl. 450891-450896.
16. 1. 1936 Nr. 354977 PS.: Görbing ist ausgewiesen, Just hat ziemliche Schwierigkeiten – hier und in Moskau.**13PA AA, NL Dirksen, Bd.2, Bl.M 014712-014717. Veröffentlicht in: Mund, Ostasien im Spiegel der deutschen Diplomatie, Dok.25, S.187–189. 13Nr. 354 Aufzeichnung von Unterredungen des Rates der Bevollmächtigten Vertretung in Berlin Bessonov Nr.354 16. 1. 193616. 1. 1936GEHEIMExpl. Nr. 1 Berlin, den 16. Januar 1936 Tagebuch S. Bessonovs 12.–16. Januar 36 Nr. 17/s1DIE REDE DES Gen. MOLOTOV UND DIE WIRTSCHAFTSVERHANDLUNGEN(Gespräche mit den Referenten Schachts Brinkmann, Göring, Blessing, mit dem Direktor der Reichsbank Dreyse und dem Dirigenten des Aus[wärtigen] Amtes Roediger). Wir telegrafierten bereits nach Moskau, dass die deutsche Presse bei ihrer Ein-schätzung der Rede des Gen. Molotov2 die Fragen nach neuen Krediten wohl be-dacht umgeht. Von einem Mitarbeiter des „Der Ost-Express“3 erfuhren wir, dass dieses Schweigen der deutschen Presse auf eine spezielle Anweisung des Auswär-tigen Amtes und des Propagandamin[isteriums] zurückzuführen ist. Erst am 15. des Monats ist **in**4 den sogenannten „Führerbriefen“5, die nur einer begrenzten Anzahl von Abonnenten zugänglich sind, dieses Thema zur Sprache gekommen, allerdings in einer äußerst vorsichtigen Form. (Siehe das Bulletin unserer Presseab-teilung zu dieser Frage). Am 13. Januar habe ich gemeinsam mit Kandelaki, Fridrichson und Gasjuk mit den oben genannten Referenten Schachts – Göring, Brinkmann, Blessing – zu Abend gegessen. Obwohl an diesem Tag die Rede des Gen. Molotov in den deut-schen Zeitungen ausführlich wiedergegeben wurde, ist keiner der Referenten 13 Der gesamte Text ist handschriftlich hinzugefügt. Zu Görbing vgl. Dok. 374, Anm. 5. 1 Die Ausgangsnummer ist mit Tinte geschrieben. 2 Vgl. Dok. 346. 3 Dieser Informationsdienst erschien in drei Serien: Der Ost-Express. Artikeldienst: Poli-tisch-wirtschaftlicher Nachrichtendienst aus Russland, Polen und Oststaaten, Berlin 1920–1943; Der Ost-Express. Politische Ausgabe: Sowjetunion, Polen, Finnland, Baltische Staaten, Berlin 1920–1942; Der Ost-Express. Wirtschaftsausgabe: Nachrichtendienst für Politik, Wirt-schaft, Kultur; Russland, Finnland für die Baltischen Staaten, Berlin 1920–1941. 4 Das Wort ist mit Tinte über die Zeile geschrieben. 5 Vgl. Dok. 360, Anm. 8.
Nr. 354 16. 1. 1936 978 Schachts auf sie eingegangen. Im Gegenteil, das ganze Benehmen und alle Äuße-rungen dieser Personen während des Abendessens lassen darauf schließen, dass es bei den Deutschen in der Politik keine Veränderungen bezüglich der Wirtschafts-verhandlungen gibt, die man als Reaktion auf die Rede des Gen. Molotov werten könnte. Alle drei zeigten sich vollkommen davon überzeugt, dass die Verhandlun-gen in nächster Zeit zum glücklichen Abschluss gebracht werden und von deut-scher Seite keine gravierenden Einwände bestehen würden, **darunter**6 auch zur Liste der Objekte. Am 14. des Monats hatten Gen. Kandelaki und ich mit dem Direktor der Reichsbank Dreyse (der Stellvertreter Schachts) und mit dem Dirigenten des Aus-wärtigen Amtes Roediger7 ein sehr ausführliches Gespräch zum Thema der Rede des Gen. Molotov. Beide reagierten sehr nervös auf die Rede des Gen. Molotov und insbesondere auf den Teil, bei dem es um die Kredite geht. Ihrer Meinung nach hät-te Gen. Molotov nicht über die Verhandlungen, die noch nicht beendet seien, son-dern sich erst in ihrem Anfangsstadium befänden, sprechen dürfen, weil das den allgemeingültigen Regeln widerspräche. Da es bei diesen Verhandlungen um sehr diffizile und delikate Dinge gehe, könne der Umstand, die Verhandlungen verfrüht in die Öffentlichkeit **zu bringen**8, nicht ohne Folgen für deren weiteren Gang bleiben. Nach Ansicht Roedigers ist in der Rede des Gen. Molotov angeblich die bestehende Klausel verletzt worden, diese Verhandlungen nicht vor ihrem Ab-schluss öffentlich zu machen. Dreyse äußerte die Vermutung, dass die Motive, die Molotov dazu bewogen haben, auf die deutschen Kredite einzugehen, von dem Wunsch der sowjetischen Seite getragen wären, auf diese Weise auf die französische und englische öffentli-che Meinung in der Hoffnung einzuwirken, die dort geführten Verhandlungen über die Gewährung eines Kredits an die UdSSR zu beschleunigen. Ein anderer Vorwurf, den unsere beiden Gesprächspartner bezüglich dieses Teil der Rede des Gen. Molotov vortrugen, bestand darin, dass in der Rede Molo-tovs die Kreditinitiative und der tatsächliche Stand der Verhandlungen angeblich nicht richtig dargelegt worden seien. Sie meinen, dass Molotov in seiner Rede die Initiative für die Kredite der deutschen Seite zuschreibe9, während doch im Zuge der Verhandlungen vereinbart worden sei, die Kreditfrage im gegenseitigen Wunsch und Einvernehmen aufzuwerfen. Dreyse meint außerdem, dass Gen. Molotov in seiner Rede den Verhandlungsstand nicht richtig dargestellt hätte, als er erklärte, dass die sowjetische Regierung bereit sei, die von den Deutschen unterbreiteten Vorschläge zu prüfen. Diese Erklärung könnte, wie Dreyse meint, in dem Sinne in-terpretiert werden, dass die sowjetische Regierung noch nicht ihre Haltung zur Kreditfrage festgelegt hätte und es deshalb aus Sicht der deutschen Seite logisch wäre, jetzt die Verhandlungen zu unterbrechen und eine Entscheidung der sowjeti-schen Regierung abzuwarten. Unterdessen hatten sich die Deutschen aufgrund des Treffens Schachts mit Kandelaki im Dezember10 die Vorstellung zu eigen gemacht, 6 Das Wort ist mit Tinte über die Zeile anstelle von „ebenso“ geschrieben. 7 Vgl. Dok. 355. 8 Das Wort ist mit Tinte über die Zeile korrigiert; ursprünglich: vorzustellen. 9 Vgl. Dok. 166. 10 Vgl. Dok. 329.
16. 1. 1936 Nr. 354979 die sowjetische Seite hätte ihre positive Haltung zum Kredit endgültig vorent-schieden und beabsichtige, ein konkretes Gespräch zu dieser Frage zu führen. Dreyse vertritt die Meinung, dass das Referat Molotovs somit ein Element der Un-sicherheit in die Verhandlungen hineintrage und nicht ohne Auswirkungen auf de-ren weiteren Verlauf bleiben könne. Ich und Gen. Kandelaki schätzten die Nervosität unserer Gesprächspartner als eine Widerspiegelung der Gespräche ein, die in den interessierten deutschen Krei-sen stattgefunden haben. Zugleich ließen die vorgetragenen deutschen Bemerkun-gen zur Rede des Gen. Molotov darauf schließen, dass die Deutschen noch keine Entscheidung in Bezug auf die Rede getroffen haben. Wir machten unsere Ge-sprächspartner darauf aufmerksam, dass es keinerlei Absprache darüber gibt, dass wir nichts zur Frage dieser Kredite sagen dürfen, dies gab es nicht und daher sind wir auch keinerlei Verpflichtung eingegangen, Stillschweigen zu bewahren. Die deutsche Nervosität in dieser Frage verstünden wir nicht, weil sie so interpretiert werden könnte, dass die Deutschen entweder diese Verhandlungen leichtfertig auf-genommen haben (wenn sie derart deren Veröffentlichung fürchten) oder dass sie das alles konsequent in absoluter Geheimhaltung bewerkstelligen wollten, was wohl kaum möglich und wahrscheinlich sei. In der Rede des Gen. Molotov habe es keine Entstellung **bezüglich der Initiative**11 gegeben, weil Gen. Molotov wört-lich gesagt habe, dass die deutsche Seite uns mit der Frage nach neuen großen Kre-diten konfrontiert habe; auf Russisch könne man nicht anders über den tatsächli-chen Stand der Dinge sprechen, weil die Deutschen uns, und nicht umgekehrt, Kredite gewähren. Es ist anzumerken, dass Roediger im Gesprächsverlauf erklärte, dass in der Rede Molotovs **angeblich**12 das Volumen der neuen Kredite in einer Höhe von 500 Mio. angegeben worden sei. Davon hätten sie aufgrund der Meldungen von TASS, der Nachrichten des sowjetischen Rundfunks und der Telegramme ihrer Botschaft Kenntnis. Ich **bestritt**13 kategorisch diese Behauptung. Am nächsten Morgen bat mich Roediger telefonisch um Entschuldigung und erklärte, er hätte sich in der Tat geirrt. Da die Deutschen im Gesprächsverlauf einige Male auf mögli-che Auswirkungen der Rede des Gen. Molotov auf den weiteren Gang der Verhand-lungen hinwiesen, habe ich sie mit Nachdruck gefragt, was sie damit meinen. Roe-diger erschrak und sagte, dass er überhaupt nichts gemeint und lediglich seine persönliche Meinung geäußert hätte. Dreyse gab zu verstehen, dass es, obgleich **die Rede**14 wohl kaum Einfluss auf den Gang der Verhandlungen nehmen kön-ne, nichtsdestoweniger in der Liste der von uns bestellten Objekte15 zu Verände-rungen kommen könnte. S. Bessonov Vermerk mit blauem Farbstift: Zu den Akten.Oben in der Mitte befindet sich der Stempel des Sekretariats des Volkskommissars des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 237 vom 20.1.1936. 11 Der Text ist über die Zeile geschrieben. 12 Das Wort ist mit Tinte über die Zeile geschrieben. 13 Das Wort ist mit Tinte über die Zeile geschrieben; ursprünglich: bekämpfte. 14 Das Wort ist mit Tinte über die Zeile anstelle von „das“ geschrieben. 15 Vgl. Dok. 297, Anm. 9.
Nr. 355 16. 1. 1936 980 Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:7Expl. 4 an Gen. Litvinov, 1 [Exemplar] an Gen. Krestinskij, 1 an Gen. Stomonjakov, 1 zu den Akten. AVP RF, f. 05, op. 16, p. 118, d. 49, l. 12–13. Original. Nr. 355 Aufzeichnung von Unterredungen des Rates der Bevollmächtigten Vertretung in Berlin Bessonov mit dem Leiter der Gruppe Osteuropa und Skandinavien in der II. Abteilung im AA Roediger und dem Direktor der Reichsbank Dreyse Nr.355 16. 1. 193616. 1. 1936GeheimExpl. Nr. 5 Berlin, den 16. Januar 1936 Tagebuch S. Bessonovs 12.–16. Januar 1936 Nr. 16/s1REAKTIONEN DER DEUTSCHEN AUF DIE REDE DES Gen. MOLOTOV(Gespräche mit dem Dirigenten des Auswärtigen Amtes Roediger und dem Direktor der Reichsbank Dreyse 14.1.) Im Unterschied zur Presse, die sich bei ihrer Einschätzung der Rede des Gen. Molotov2 auf die Zunahme der sowjetischen Rüstungen, den sog. roten Imperialis-mus, und den Vergleich der Rede Molotovs mit den Reden auf dem letzten Kon-gress der Komintern3 konzentrierten, hoben meine Gesprächspartner4 vor allem die Unzulässigkeit hervor, jetzt gegen Hitler Beschuldigungen vorzubringen, die sich auf sein Buch aus dem Jahr 19235 beziehen. Damals sei Hitler noch in der Opposi-tion gewesen. Unter solchen Bedingungen sei es unmöglich, einem Staatsmann das vorzuhalten, was er noch in der Opposition gesagt oder geschrieben habe. Es sei völlig klar, dass man von Hitler nicht fordern dürfe, sein Buch zu desavouieren, zumal, laut Dreyse, 9/10 der Menschen es in ihrer Bibliothek, aber nicht gelesen hätten und es für sie ein Buch mit sieben Siegeln sei. Außerdem würden wir offen-bar eine recht geringe Meinung von den intellektuellen Fähigkeiten der Deutschen haben, wenn wir annehmen, dass der deutsche Leser des Buches von Hitler nicht zwischen den Thesen dieses Buches und der tatsächlichen Ausrichtung der deut-schen Außenpolitik unterscheiden6 könne. Nachdem Hitler an die Macht gekom-men ist, habe er einige Erklärungen abgegeben, die praktisch ein Abrücken von den Thesen des Buches „Mein Kampf“ bedeuten würden. Dazu gehörten: die Verlänge- 1 Die Ausgangsnummer ist mit Tinte geschrieben. 2 Vgl. Dok. 346. 3 Vgl. Dok. 204, Anm. 1. 4 Vgl. auch Dok. 354. 5 So im Dokument. „Mein Kampf“ erschien im Juli 1925. 6 Das nachfolgende Wort Unterschiede ist durchgestrichen.
16. 1. 1936 Nr. 355981 rung des Berliner Protokolls7; die gegenüber Chinčuk abgegebene Erklärung8; die Rede vor dem Reichstag9; die Erklärung über Bereitschaft zur Unterzeichnung, des Nichtangriffspaktes vom 21. Mai 193510 sowie die Erklärung in der Rede auf dem Nürnberger Parteitag, dass es keine aggressiven Absichten gibt11. Diesen zahlreichen friedfertigen Erklärungen stünde aber die militante Poli-tik der Sowjetunion gegenüber, die eine klare Ausrichtung gegen Deutschland trüge. Roediger gab mir zu verstehen, dass die Deutschen im Besitz entsprechen-der französischer Erklärungen wären, denen zufolge wir, d.h. die UdSSR, die ganze Zeit danach streben würden, dem sowjetisch-französischen Beistandspakt einen militärisch-aggressiven, antideutschen Charakter zu verleihen, und offenbar gegen den Widerstand der Franzosen. Die Beschlüsse des Plenums des CIK, die Haushaltsmittel der UdSSR für das Militär auf 14 Mrd. [Rubel] zu erhöhen, lös-ten in diesem Zusammenhang bei den Deutschen große Befürchtungen aus. Ich machte Reodiger und Dreyse darauf aufmerksam12, dass es neben den von ihnen erwähnten Erklärungen Hitlers noch dutzende, bei weitem gewichtigere Erklä-rungen von ihm und einer Reihe seiner engsten Mitarbeiter gebe, die davon zeu-gen, dass die herrschenden Kreise der deutschen Nationalsozialisten nicht nur nicht an den Ostplänen festhalten, die Hitler in „Mein Kampf“ entwickelt hat, sondern diese weiterentwickeln und vertiefen. Die zahlreichen und immer wie-derkehrenden scharfen antisowjetischen Kampagnen in der deutschen Presse werden im Geiste der in „Mein Kampf“ entwickelten Ideen geführt. Und schließ- lich sind die deutschen Schulen, die deutsche Armee und der deutsche Rund-funk sämtlich von diesen Ideen durchdrungen. Angesichts solcher Bedingungen davon zu sprechen, dass die Ideen von „Mein Kampf“ ihre Bedeutung in Deutsch- land verloren hätten, wäre wohl eher für einen uninformierten Gesprächspartner bestimmt. Was die französischen Erklärungen betrifft, in deren Besitz angeblich das Auswärtige Amt sei, so könne ich dazu selbstverständlich nichts sagen, weil mir solche Erklärungen unbekannt sind. In diesem Rahmen zog sich die fruchtlose Polemik ziemlich lange hin. Im Übrigen fragte ich zum Abschluss Roediger, was er von dem Teil der Rede des Gen. Molotov halte, wo er von der Existenz des deutsch-japanischen Bündnis-ses sprach. Roediger zeigte sich sehr verlegen und sagte, dass ihm nichts über 7 Das Protokoll über die Verlängerung des Berliner Vertrags vom 24.4.1926 aus dem Jahre 1931 wurde am 5.5.1933 ratifiziert. 8 Hitler erklärte am 28.4.1933 gegenüber Chinčuk unter anderem von dem Bestreben, „die deutsch-russischen Beziehungen dauernd freundschaftlich zu gestalten“. In: ADAP, Ser. C, Bd. I/1, Dok. 194. S. 352. Vgl. auch die Aufzeichnung Chinčuks über dieses Treffen in: Deutschland und die Sowjetunion 1933–1941, Bd. 1, Dok. 79, S. 345–347. 9 Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich um die Rede Hitlers im Reichstag am 23.3.1933, in der er gesagt hatte: „Gegenüber der Sowjetunion ist die Reichsregierung gewillt, freundschaftliche, für beide Teile nutzbringende Beziehungen zu pflegen. Gerade die Regie-rung der nationalen Revolution sieht sich zu einer solchen positiven Politik gegenüber Sow-jetrussland in der Lage.“ In: Domarus, Hitler. Reden und Proklamationen, Bd. I/2, S. 229–237, hier S. 236. 10 Vgl. ebd., S. 512. 11 Vgl. Dok. 248, Anm. 3. 12 Das nachfolgende Wort ist durchgestrichen.
Nr. 356 16. 1. 1936 982 dieses Bündnis bekannt sei, und dass er, offen gesagt, nicht verstünde, warum Deutschland diesen Punkt nicht dementiere. S. Bessonov Vermerk N.N. Krestinskijs mit Bleistift: NK. Oben links von der Mitte befindet sich der Stempel des Sekretariats des Stellvertreten-den Volkskommissars des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 298 vom 19.1.1936. Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:7Expl. 4 an Gen. Litvinov, 1 [Exemplar] an Gen. Krestinskij, 1 an Gen. Stomonjakov, 1 zu den Akten. AVP RF, f. 010, op. 11, p. 68, d. 31, l. 16–14. Kopie. Nr. 356 Aufzeichnung der Unterredung des Rates der Bevollmächtigten Vertretung in Berlin Bessonov mit dem Staatssekretär im Reichsluftfahrtministerium Milch Nr.356 16. 1. 193616. 1. 1936GEHEIMExpl. Nr. 1 Berlin, den 16. Januar 1936 Tagebuch S. Bessonovs 12.–16. Januar Nr. 18/s1DAS LUFTFAHRTMINISTERIUM UND UNSERE AUFTRÄGE(Unterredung mit Staatssekretär Milch) Am 13. Januar hatte ich mit Milch ein Gespräch über unsere Aufträge und über die Haltung des Luftministeriums2 dazu. Milch teilte mir Folgendes mit: Das Luftmin[inister]ium habe, wie auch die anderen deutschen Ministerien, eine Liste von Objekten, die für den Export verboten sind. Diese Liste werde von Zeit zu Zeit sowohl hinsichtlich einer Kürzung als auch hinsichtlich von Ergänzungen über-prüft und sei formal gleichermaßen für den Export nach einem beliebigen Land bindend. Wenn das Wirtschaftsministerium oder das Auswärtige Amt aus wirt-schaftlichen oder politischen Erwägungen eine Freigabe von Objekten für den Ex-port in dieses oder jenes Land fordere, so komme das Luftmin[inister]ium, wie auch die anderen Kriegsmin[inister]ien, in der Regel dieser Forderung entgegen. Zusätzlich zu den Verboten komme es sehr oft vor, dass es faktisch unmöglich sei, die einen oder anderen Objekte zu exportieren, da das Luftmin[inister]ium sie selbst in hoher Anzahl anfordere. So verhalte es sich zum Beispiel bei vielen Flugzeuginstrumenten. Aber auch in diesen Fällen käme es vor, dass das Luft- 1 Das Datum und die Ausgangsnummer sind mit Tinte geschrieben. 2 So im Dokument. Gemeint ist das Reichsluftfahrtministerium.
16. 1. 1936 Nr. 356983 min[inister]ium auf Anfrage des Wirtschaftsministeriums und des Auswärtigen Amtes einen Teil der von ihnen selbst bestellten Objekte für das entsprechende Land bewilligte. Deshalb könne er, (Milch), bezüglich der Haltung des Luftministe-riums zu unseren Aufträgen nur Folgendes sagen. Wenn Schacht und Neurath aus wirtschaftlichen und politischen Erwägungen zu dem Schluss gelangten, dass es erforderlich wäre, der UdSSR diese oder jene Flugobjekte zu liefern, so würde es seitens des Luftmin[inister]iums dazu keine Einwände geben. Die Rolle des Luft-min[inister]iums sei in dieser Frage rein dienstlich. Das Luftmin[inister]ium würde sich in diesen Fällen den größeren gesellschaftspolitischen oder wirtschaftlichen Erfordernissen unterordnen. Was die Situation bei der Vergabe von Aufträgen à Konto des 200-Millionen- kredits betrifft, so äußerte Milch aufgrund der ihm vorliegenden Informationen die Annahme, dass es inzwischen bedeutend leichter geworden sei, diese Aufträge un-terzubringen. Er gab mir zu verstehen, dass zu dieser Frage entsprechende Weisun-gen vorliegen, darunter auch für sein Ministerium. Zum Abschluss äußerte Milch den großen Wunsch, sich den Film „Die Vertei-digung Kievs“3 anzuschauen, es gebe in deutschen Luftfahrtkreisen auch ein brei-tes Interesse an [dem Film] „Luftlandetruppen“4. S. Bessonov Vermerk N.N. Krestinskijs mit blauem Farbstift: Zu den Akten. Oben links von der Mitte befindet sich der Stempel des Sekretariats des Volkskommis-sars des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 238 vom 20.1.1936. Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:7Expl. 4 an Gen. Litvinov, 1 [Exemplar] an Gen. Krestinskij, 1 an Gen. Stomonjakov, 1 zu den Akten. AVP RF, f. 05, op. 16, p. 118, d. 45, l. 13–13R. Original. 3 So im Dokument; richtig: „Bor’ba za Kiev“ (Der Kampf um Kiev, 1935, Ukrainfil’m-Ukrinochronika), Regie: Samuil D. Bubrik und Lazar’ J. Anci-Polovskij. Dokumentarfilm über die Truppenmanöver des Kiever Militärbezirks im September 1935. 4 „Vozdušnyj desant“ (Mostechfil’m, 1935), Kameramann: Grigorij A. Mogilevskij.
Nr. 357 17. 1. 1936 984 Nr. 357 Schreiben des Stellv. Volkskommissars für Auswärtige Angelegenheiten Krestinskij an den Bevollmächtigten Vertreter in Berlin Suric Nr.357 17. 1. 193617. 1. 1936GEHEIM17. Januar 1936 UdSSR–NKID Nr. 931021AN DEN BEVOLLMÄCHTIGTEN VERTRETER DER UdSSR IN DEUTSCHLAND Gen. SURIC In den heutigen Nummern von „Izvestija“ und „Pravda“ ist das Dekret über die Exportbeschränkung nach einigen Ländern veröffentlicht.2 Dieses Dekret zielt in erster Linie auf Deutschland ab und ist vom NKVT eingebracht worden3, um auf Schacht einen gewissen Druck auszuüben, der in den Verhandlungen mit uns for-dert, unsere sämtlichen Verbindlichkeiten nicht aus dem Exporterlös zu bezahlen, sondern mit Gold und Devisen. Den Ausländern werden wir das Dekret folgendermaßen erläutern: In einigen Ländern Europas, so in Mitteleuropa, in erster Linie in Deutsch-land, in den Balkanstaaten, im Baltikum usw., ist ein Verfahren eingeführt worden, bei dem der Erlös aus dem Export auf ein Sperrkonto eingezahlt wird und diese Summen nicht für den Aufkauf von Waren für die Ausfuhr und für die Bezahlung der alten Schulden verwendet werden dürfen. Unter diesen Bedingungen wird sich unser Export in diese Länder als unzweckmäßig erweisen. Wir können in solche Länder exportieren, wenn wir auf der Grundlage von Abkommen mit den entspre-chenden Regierungen unseren Erlös für den Aufkauf von Waren für den Export und für die Bezahlung der alten Schulden frei verwenden können, wie das zum Bei-spiel in Griechenland und in Lettland der Fall ist. STELLV. VOLKSKOMMISSAR Krestinskij Vermerk D.G. Šterns mit Tinte: an Gen. Beža[nov], Gen. Lev[in], Gen. Kant[er]. Š[tern]. 20.1.36. Oben in der Mitte befindet sich der Stempel der 2. Politischen Westabteilung des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 163 vom 20.1.1936. Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:8Expl. 1 [Exemplar] an die Adresse, 1 an Gen. *Štern*4, 1 an Gen. Krestinskij, 1 an Gen. 1 Die Ausgangsnummer ist mit Tinte geschrieben. 2 Vgl. „Ob ograničenii ėksporta v nekotorye strany. Postanovlenie Soveta narodnych ko-missarov SSSR“ (Über die Exportbeschränkung nach einigen Ländern. Beschluss des Rates der Volkskommissare der Sowjetunion). In: Pravda vom 17. Januar 1936, S. 2; Izvestija vom 17. Januar 1936, S. 4. 3 Vgl. das Schreiben von Rozengol’c vom 27.12.1935 an Stalin und Molotov. In: RGASPI, f. 17, op. 166, d. 556, l. 22. 4 Der Familienname ist mit Tinte unterstrichen.
18. 1. 1936 Nr. 358985 Rubinin, 1 an Gen. Potemkin, 1 an Gen. Majskij, 1 an Gen. Davtjan, 1 zu den Akten der Wirtschaftsabteilung. AVP RF, f. 082, op. 19, p. 83, d. 1, l. 7. Beglaubigte Kopie. Nr. 358 Telegramm des Leiters der Gruppe Osteuropa und Skandinavien in der II. Abteilung im AA Roediger an die Botschaft in Moskau Nr.358 18. 1. 193618. 1. 1936Telegramm in Ziffern (Geh. Chiffr.Verf.) Berlin, den 18. Januar 1936 **zu II Ru 287**1Diplogerma MoskauNr. 9 Auf Telegramm Nr. 14 vom 17. Januar.2In Hinblick auf Indiskretion Molotows bei Erwähnung deutschen Kreditange-bots in Zik-Rede hat Reichsbankpräsident Schacht Herrn Kandelaki, der zwecks Weiterführung eingeleiteter Kreditbesprechung um Empfang nachgesucht hat, mit-teilen lassen, dass er einstweilen keine Möglichkeit sehe, mit ihm zu sprechen. Präsident ließ dabei bemerken, dass „Herr Molotow Angelegenheit offenbar selbst in Hand genommen habe“.3 Kandelaki war stark beeindruckt, äußerte aber Hoff-nung, dass durch Rede entstandene Verstimmung vorübergehender Natur sei und neue Verhandlungen Ende nächster Woche möglich sein würden. Ob Verordnung Rats der Volkskommissare vom 16. Januar4 hiermit in Zusam-menhang steht, hier nicht zu übersehen. Präsident Schacht teilt aber dortige Auf-fassung, dass ihr rein demonstrativer Charakter zukommt, als unter Anwendung Außenhandelsmonopols bereits seit Anfang Januar Sowjetregierung Lieferungen nach Deutschland mit Ausnahme von Naphta völlig eingestellt hatte. Präsident Schacht beabsichtigt, vorläufig von sich aus nichts zu unternehmen und neue Initiative Sowjetseite abzuwarten. 1 Der Text ist handschriftlich korrigiert; ursprünglich: e.o. W IV Ru 293 pr. 18.1.1936. 2 Vgl. PA AA, R 94659, Bl. E 665017. In dem Telegramm fragte Schulenburg an, ob die Verordnung des Rats der Volkskommissare vom 16.1.1936, den Export in einige Länder einzu-schränken, im Zusammenhang mit den deutsch-sowjetischen Wirtschaftsgesprächen stehen könnte. 3 Schacht behauptete nach der Rede Molotovs im Gespräch mit Mossdorf, dass nicht er, sondern die Sowjetunion die Initiative für ein neues Kreditgeschäft ergriffen hätte. „Präsident Schacht“, so Dittmann in einer Aufzeichnung vom 14.1.1936, „bitte jedoch, von irgendwel-chen Vorstellungen auf dem diplomatischen Wege Abstand zu nehmen. Er selbst werde aus dem Verhalten Molotows nur die Konsequenz ziehen, dass er von sich aus, nachdem Herr Molotow ‚die Verhandlungen nunmehr in die Hand genommen habe‘, an Herrn Kandelaki wegen der Weiterführung der Verhandlungen vorläufig nicht mehr herantreten werde.“ In: ADAP, Ser. C, Bd. IV/2, Dok. 489, Anm. 4, S. 966. 4 Vgl. Dok. 357, Anm. 2.
Nr. 359 19. 1. 1936 986 Bitte dort nach Möglichkeit Erklärungen deutschen Standpunkt zu Verord-nung ausweichen, erforderlichenfalls darauf hinweisen, dass uns in Hinblick auf Außenhandelsmonopol ihr juristischer und praktischer Zweck nicht einleuchtet. Roediger Auf erster Seite am Seitenrand maschinenschriftlich: Vermerk: Wortlaut mit Hrn. M.D. Mossdorf (R.Wi.M.) vereinbart. Stempel: Hat Herrn R.M. vorgelegen und aus dem Büro R.M. 20. Jan. 1936 Ko[tze]20. Außerdem: bei W. mit [?] Bitte um Mit[teilun]g. Unten:H11 Ru. und Stempel: Abgesandt. 18/1. Am Schluss Paraphen von Hencke, Roediger und Clodius mit Datum vom 18.1. PA AA, R 94659, Bl.E 665018-665019. Nr. 359 Schreiben des Leiters der 2. Westabteilung im NKID Štern an den Bevollmächtigten Vertreter in Berlin Suric Nr.359 19. 1. 193619. 1. 1936GEHEIM19. Januar 1936 UdSSR NKID 2. Westabteilung Nr. 024/1/ **8081**1AN DEN BEVOLLMÄCHTIGTEN VERTRETER DER UdSSR IN DEUTSCHLAND Gen. JA.Z. SURIC Sehr geehrter Jakov Zacharovič, ich möchte Sie im Zusammenhang mit Ihrem Schreiben vom 11. Januar2 über den Stand der deutschen Haftfälle und Konflikte informieren und einige meiner Überlegungen mitteilen: 1. Wir sind uns der Bedeutung und des Ernstes der Konflikte und Haftfälle von deutschen Staatsbürgern völlig bewusst. Welch ernste Bedeutung wir diesen Fällen beimessen, wird daraus ersichtlich, dass auf Initiative der Abteilung gegen-über der Leitung des Volkskommissariats die Frage bezüglich des Bearbeitungs-durchlaufs dieser Fälle aufgeworfen wurde. Es wurde der sehr gewichtige Be-schluss gefasst, die Verfahrensweise hinsichtlich der Überstellung ausländischer Staatsbürger an Gerichte zu vereinfachen und die relativ oft stattfindenden Ge-richtsverfahren durch eine administrative Ausweisung zu ersetzen. 2. Diese Konfliktfälle tragen ausnahmslos einen außerordentlich komplizierten rechtlichen und politischen Charakter. Zu jedem Fall führen wir einen umfangrei-chen Schriftwechsel nicht nur mit der Deutschen Botschaft, sondern auch mit un-1 Die gekennzeichnete Ziffer ist mit Tinte geschrieben. 2 Vgl. Dok. 350.
19. 1. 1936 Nr. 359987 seren Organen des Inneren. Angesichts der allgemeinpolitischen Lage und der stark zunehmenden antisowjetischen Tätigkeit der Deutschen bei uns gelingt es uns mit großer Mühe, positive Ergebnisse zu erzielen. Ein sehr kompliziertes Problem be-steht für uns darin, die Urteile zu den Fällen, die von dem Militärtribunal verhan-delt werden3, der Botschaft auszuhändigen. In der Mehrheit der Fälle erwirken wir die Aushändigung der Urteile nur mit großer Mühe, wobei die Urteile **häufig**4in einem derartigen Ton abgefasst sind, dass wir sie nicht der Botschaft übergeben können, während der Wortlaut der Urteile jedoch, wie Sie wissen, nicht verändert werden darf. 3. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt zeichnet sich zu den die Deutschen interes-sierenden Fällen folgendes Bild ab: a) Haegele und Kaiser sollten in nächster Zeit **ausgewiesen**5 werden, wo-bei wir deren Ausweisung nicht auf dem üblichen Vollzugswege, wie vorgesehen, sondern auf eine andere, für sie günstigere Weise durchsetzten; b) zwecks Ausweisung werden die Fälle Gil’bert und Pfeil geprüft. Bei den Strafsachen Krupenskij, Hurtig und Langeljutke gibt es eine ähnliche Vorgehens-weise. Vorerst darf den Deutschen darüber selbstverständlich nichts gesagt werden, weil diese Frage noch nicht entschieden ist; c) wir setzten ein Treffen eines Vertreters der Deutschen Botschaft mit Fuchs durch, das bereits stattgefunden hat.64. Bezüglich der deutschen Staatsbürger, über die die Deutsche Botschaft mit-teilte, dass sie keine Informationen über deren Schicksal habe, ging es um folgen-de zwei Gruppen von Fällen. Zur ersten Gruppe gehören die Strafsachen Fuchs und Klassen, wobei, worauf ich bereits hinwies, die Angelegenheit mit Fuchs be-reits geregelt ist; um die Angelegenheit Klassen steht es sehr ernst, weil Klassen bereits seit einigen Jahren tot ist. Dies habe ich Schulenburg inoffiziell bereits mitgeteilt.7 Wir hoffen, in den nächsten Tagen die amtliche Sterbeurkunde für Klassen zu erhalten. Zur zweiten Gruppe gehören die Strafsachen Kirchhöfer, jun. und Blunck. Bei Kirchhöfer, jun. haben wir das Datum der Ausweisung mitge- teilt, bei Blunck wandten wir uns an Gen. Jagoda mit einer entsprechenden An-frage. 5. Von dem oben Dargelegten ausgehend meinen wir, dass alle Haftsachen, die deutsche Staatsbürger betreffen, nur in Moskau behandelt werden dürfen, in erster Linie angesichts der Komplexität jedes einzelnen Falles und eingedenk dessen, dass eine positive Entscheidung nicht von dem guten Willen des NKID abhängt; zweitens aber aufgrund dessen, dass unsere Bevollmächtigte Vertretung nicht über jeden einzelnen Fall unterrichtet ist. So schrieben wir beispielsweise wiederholt in unseren Gesprächsaufzeichnungen über den Fall Klassen, wobei aus diesen Auf-zeichnungen klar hervorging, dass Klassen bereits vor langer Zeit verstorben war. Die Mitarbeiter der Bevollmächtigten Vertretung aber, die die Verhandlungen in 3 Vgl. Dok. 316. 4 Das Wort ist mit Tinte über die Zeile geschrieben. 5 Das Wort ist über die Zeile geschrieben. 6 Vgl. Dok. 362, 379. 7 Vgl. Aufzeichnung der Unterredung Šterns mit Botschafter Graf von der Schulenburg am 8.1.1936. In: AVP RF, f. 082, op. 19, p. 83, d. 2, l. 3.
Nr. 359 19. 1. 1936 988 dieser Sache führten, berücksichtigten dies offenbar nicht, weil aus dem Gespräch der Genossen Bessonov und Pozdnjakov mit Hencke ersichtlich ist, dass es um eine eventuelle Ausweisung von Klassen ging. Weiter. Im Fall von Viktor Panzer8 wurde zum Beispiel von einer Steuerangelegenheit gesprochen, während Panzer wegen konterrevolutionärer Propaganda und der Unterschlupfgewährung für den aus dem Leningrader Gefängnis geflohenen Spion Kirillov angeklagt war. Zugleich ist unbedingt zu berücksichtigen, dass die Deutschen systematisch versuchen, sich auf die Unstimmigkeit, die angeblich zwischen dem NKID und Be-vollmächtigter Vertretung in Berlin besteht, zu berufen. Ein krasses Beispiel dafür ist der Fall Bergmann, als Schulenburg aufgrund der Mitteilung des Auswärtigen Amtes zu beweisen versuchte, dass Gen. Bessonov eine andere Formulierung für die Gründe der Ausweisung Bergmanns gebraucht hatte9. Unlängst griff Schulen-burg erneut diese Frage auf, als er mich fragte, ob ich Klarheit in dieser Angelegen-heit geschaffen hätte. Schließlich ist unbedingt zu berücksichtigen, dass die Ver-handlungsführung in Berlin zu den deutschen Haftfällen und Konflikten die Bevollmächtigte Vertretung in eine schwierige Lage bringt, deren Tätigkeit er-schwert und bei derartig unangenehmen Fällen in einen Kontrahenten des Ministe-riums verwandelt. Abschließend möchte ich lediglich unterstreichen, dass die Abteilung den Haftfällen und Konflikten von deutschen Staatsbürgern nicht nur maximale Auf-merksamkeit angedeihen lässt, sondern genötigt ist, für diese Fälle einen bedeu-tenden Teil ihrer Zeit und Energie aufzuwenden. Wenn es bei einigen Fällen zu Verzögerungen bei der Unterrichtung der Deutschen gibt, so ist dies durchaus nicht auf eine Nachlässigkeit der Abteilung, sondern auf den spezifischen Charakter der Fälle und auf Hindernisse zurückzuführen, die jenseits der Kompetenz des Volks-kommissariats liegen. Eine Verhandlungsführung in Berlin zu diesen Fällen er-leichtert die Situation keineswegs. Mit kameradschaftlichem Gruß Štern Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:3Expl. Das 1. [Exemplar] an die Adresse, das 2. an Gen. Krestinskij, das 3. zu den Akten. AVP RF, f. 082, op. 19, p. 83, d. 2, l. 16–15. Kopie. 8 Vgl. Dok. 244. 9 Vgl. AVP RF, f. 082, op. 19, p. 83, d. 2, l. 5–4.
20. 1. 1936 Nr. 360989 Nr. 360 Bericht des Leiters der sowjetischen Handelsvertretung in Berlin Kandelaki an den Generalsekretär des ZK der VKP (B) Stalin, den Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare Molotov und den Volkskommissar für Außenhandel Rozengol’c Nr.360 20. 1. 193620. 1. 1936Ganz geheim[20.1.1936] **Eingangs-Nr. 15 25/I.36**1An Gen. STALIN Gen. MOLOTOV *Gen. ROZENGOL’C*2Ich möchte Sie darüber informieren, wie die Deutschen auf den Teil der Rede des Gen. Molotov3, in dem er über einen neuen Kredit sprach, reagiert haben. Die deutsche Presse hat in ihren Kommentaren diesen Teil der Rede mit völli-gem Schweigen bedacht. Wir haben erfahren, dass ihr in dieser Hinsicht vom Pro-pagandaministerium und vom Auswärtigen Amt spezielle Weisungen erteilt wor-den sind.4 Dagegen zeigten die deutschen Kreise, mit denen wir inoffiziell zu diesem Thema sprechen konnten, sichtliche Nervosität und Unzufriedenheit mit der Rede des Gen. Molotov.5 Die Vorhaltungen, die die Deutschen zu diesem Teil der Rede des Gen. Molotov vortrugen, können wie folgt gruppiert werden: 1. Nach Auffassung der Deutschen hätte Molotov Schacht nicht Hitler gegen-überstellen dürfen. Die Stellung Schachts, dem man in Deutschland permanent den Vorwurf macht, dass er eine Politik betreibt, die sich von derjenigen Hitlers unter-scheidet, sei ohnehin schon recht schwierig. Die Rede Molotovs stelle die Wirt-schaftspolitik Schachts in Bezug auf die UdSSR der allgemeinen Politik Hitlers ge-genüber und stärke damit die Gegner Schachts in ihrem Kampf gegen diese Politik des letzteren. Dieses Argument trugen mir Göring, der Bruder des Ministers6 und Referent Schachts, sowie der Stellvertreter Schachts für die Reichsbank Dreyse vor. Außerdem sah sich Schacht selbst unlängst in seiner Rede in Stettin am 18. Januar 1936 veranlasst, offenbar als direkte Reaktion auf die Rede des Gen. Molotov, einige Male zu betonen, dass seine Politik die Politik Hitlers sei und in keiner Weise Hit-ler entgegengestellt sein könne. 2. Molotov hätte nach Meinung der Deutschen nicht den Inhalt der eben erst begonnenen Wirtschaftsverhandlungen preisgeben dürfen, weil dies den allgemein üblichen Gepflogenheiten widerspräche. Die Verhandlungen befänden sich noch in einem Stadium, in dem eine öffentliche Mitteilung über ihren Inhalt nicht ohne Einfluss auf ihren weiteren Verlauf bleiben könne. Dieses Motiv wurde insbesonde-1 Der Text ist mit Tinte geschrieben. 2 Der Name ist mit rotem Farbstift geschrieben. 3 Vgl. Dok. 346. 4 Vgl. Dok. 348, Anm. 6. 5 Vgl. Dok. 354. 6 So im Dokument. Herbert Göring war der Cousin Hermann Görings.
Nr. 360 20. 1. 1936 990 re von dem Leiter der Ostabteilung des Auswärtigen Amtes Roediger7 und vom Stellvertreter Schachts für die Reichsbank Dreyse hervorgehoben. 3. Molotov hätte die Initiative für neue Kredite angeblich nicht richtig darge-legt. Er habe die Angelegenheit so hingestellt, als läge die Initiative für einen neuen Kredit gänzlich auf deutscher Seite, während seinerzeit vereinbart worden sei, über einen neuen Kredit als eine Sache zu sprechen, die sich im Prozess der bilateralen Gespräche zu diesem Thema ergeben habe. Dieses Motiv trugen alle meine Gesprächspartner vor. Darauf ging auch eine einzige deutsche Zeitung ein, die diesen Teil der Rede des Gen. Molotov kommentierte. Es handelt sich um die „Deutschen Briefe“ vom 15. Januar 368, das Organ des Bundes der Deutschen In-dustriellen, eine Zeitung, die allerdings nur in einer begrenzten Auflagenhöhe er- scheint. 4. Molotovs Rede, in der er erklärte, dass die sowjetische Regierung bereit wäre, sachliche Vorschläge der Deutschen für einen neuen Kredit zu prüfen, trüge ein Element der Verunsicherung in die Verhandlungen hinein. Die Deutschen hät-ten bis jetzt angenommen, dass die sowjetische Regierung ihre Haltung zum Kredit positiv entschieden habe, während aus der Rede Molotovs der Schluss gezogen werden könnte, dass es diese Entscheidung auf sowjetischer Seite noch nicht gebe. Dieses Argument brachte der Stellvertreter Schachts für die Reichsbank Dreyse vor. Auf jeden dieser Vorwürfe haben ich und meine Genossen, die an diesen Ge-sprächen beteiligt waren, selbstverständlich eine Reihe von Einwänden vorgetra-gen, die ich hier nicht wiedergeben möchte. Ich möchte in diesem Zusammenhang lediglich bemerken, dass sich die Deutschen, die mit uns über dieses Thema spra-chen, ausnahmslos zu den Motiven der Kreditfrage in der Rede des Gen. Molotov ausließen. Dreyse äußerte die Vermutung, dass wir diese Rede offenbar dafür ge-braucht hätten, um einen gewissen Druck auf die französischen und englischen Fi-nanzkreise auszuüben, mit denen wir, ihren Informationen zufolge, derzeit Kredit-verhandlungen führen würden. Neben den von den Deutschen vorgetragenen Vorwürfen klangen auch einige drohende Töne an. Sämtliche Gesprächspartner bemerkten, dass die Rede des Gen. Molotov nicht ohne Folgen für den Verlauf und eventuell für den Inhalt der Wirt-schaftsverhandlungen bleiben könne. Der Direktor der Reichsbank Dreyse gab zu verstehen, dass die Rede des Gen. Molotov zweifellos gewisse Schwierigkeiten bei der Umsetzung jener Auftragsliste, die wir zu Beginn der Verhandlungen vorgelegt haben9, auslösen werde. „Es wird jetzt wohl kaum gelingen“, sagte er, „diese Liste im vollen Umfang umzusetzen.“ Der Referent Schachts für die russischen Angele-genheiten, Mossdorf, spielte recht durchsichtig darauf an, dass die Deutschen bei den Verhandlungen zu einer Verzögerungstaktik greifen könnten, bei der wir ge-zwungen wären, in der Zwischenzeit unsere gegenwärtigen Verbindlichkeiten ge-genüber Deutschland in Valuta und in Gold zu bezahlen, ohne Abschluss eines wie 7 So im Dokument. Roediger war der Leiter des Referats Osteuropa und Skandinavien im AA. 8 „Sehr geehrter Herr...“ [Zur Rede Molotovs]. In: Deutsche Briefe vom 15. Januar 1936, S. 1. Die „Deutschen Briefe“ erschienen zweimal wöchentlich, bis Juni 1935 unter dem Titel „Deutsche Führerbriefe“. 9 Vgl. Dok. 297, Anm. 9.
20. 1. 1936 Nr. 360991 auch immer gearteten Vertrags mit uns. Mossdorf nahm sogleich in sehr unbe-stimmter und nebulöser Form diese Erklärung zurück und deutete an, dass die Möglichkeit einer Kündigung des sowjetisch-deutschen Handelsvertrages von 1925 durch die Deutschen nicht ausgeschlossen wäre. Im Übrigen erinnere ich daran, dass die Deutschen, wenn sie tatsächlich diesen Weg beschreiten und diese Dro-hung wahrmachen sollten, am 12. April d. J. die Möglichkeit haben, den Vertrag zu kündigen10. Wenn man jedoch diese vagen Drohungen beiseite lässt und sich der gegen-wärtigen tatsächlichen Lage der Dinge zuwendet, so zeichnet sich folgendes Bild ab: 1. Die Kreise um Schacht empfinden nach wie vor eine große Unzufriedenheit mit der Rede des Gen. Molotov. Soeben erhielten wir Informationen darüber, dass Schachts Stimmung an Empörung grenze, weil Schacht den eigenen Worten zufol-ge „aus dem Feld geschlagen“ sei und in diesem Zusammenhang neue Attacken seitens seiner Gegner erwarte. Vorerst sind die Verhandlungen, die Mitte der ver-gangenen Woche wieder aufgenommen werden sollten, von Schacht mindestens noch um eine Woche verschoben worden, wobei Schacht die Mitteilung über diese Vertagung mit der bemerkenswerten Formulierung versah: „Im Übrigen hat jetzt Herr Molotov die Initiative in seine Hände genommen.“11 Den Andeutungen Moss-dorfs war zu entnehmen, dass Schacht vor seinem Treffen mit mir gezwungen sein werde, Hitler um zusätzliche Weisungen zu bitten. 2. Die Industriellen, die von Prestigefragen wenig berührt sind, sind relativ op-timistisch gestimmt. Wilmowsky, der Mitinhaber von Krupp, begrüßte im Namen vieler Industrieller in einem Gespräch jenen Teil der Rede des Gen. Molotov, in dem er von dem Wunsch sprach, mit Deutschland enge Wirtschaftsbeziehungen herzu-stellen. Einen sachlichen Eindruck machte auf mich auch unlängst der Besuch von Zeiss, der mir mitteilte, dass das ihm von uns seinerzeit gemachte Angebot im Gro-ßen und Ganzen für ihn annehmbar wäre, obgleich er für die vollständige Vertragser- füllung unbedingt die Zustimmung des Kriegsministeriums benötigen werde. Aus allem Gesagten ist ersichtlich, dass der Teil der Rede des Gen. Molotov, der sich auf die Kredite bezog, bei interessierten deutschen Kreisen einen starken Eindruck hinterlassen hat. Ob dieser Eindruck eine Verschlechterung ernsthafter Natur in den zukünftigen Wirtschaftsverhandlungen nach sich ziehen wird, kann zurzeit noch nicht gesagt werden. Die ersten Treffen mit Schacht, so sie denn statt-finden, werden jedoch die tatsächliche Taktik der Deutschen in dieser Frage zeigen. Vorerst haben wir es mit einer gewissen Vertagung der Verhandlungen zu tun, de-ren Dauer wir ebenfalls nicht genau bestimmen können. In diesem Zusammenhang ist unbedingt die Aufmerksamkeit darauf zu richten, dass die Deutschen uns jetzt in einigen Punkten ins Visier nehmen werden. Ich habe zum Beispiel erfahren, dass sie damit drohen, den Korrespondenten der „Pravda“, Gen. Gofman, als Gegenreaktion auf die Ablehnung, den deutschen Journalisten Görbing wieder in die UdSSR einreisen zu lassen12, auszuweisen. Die hiesigen Deut-schen erwähnten sogar die Möglichkeit eines neuen Journalistenkonfliktes in der Art 10 Vgl. Artikel 8 „Allgemeine Bestimmungen“. In: Reichsgesetzblatt 1926, Teil II, S. 4–5; DVP, Bd. VIII, Dok. 342, S. 584. 11 Vgl. dazu auch Dok. 358, Anm. 3. 12 Vgl. Dok. 350.
Nr. 361 20. 1. 1936 992 der Auseinandersetzungen von 1933. Andererseits haben die Deutschen im Zusam-menhang mit einem Gerichtsprozess, den wir in Königsberg führten, jetzt das Konto der Handelsvertretung bei der Garkrebo gesperrt. Und schließlich darf man die in letzter Zeit sich verstärkende Aktivität der Deutschen hinsichtlich der Haftsachen von deutschen Staatsbürgern in der UdSSR nicht außer Acht lassen. Freilich hatten wir auch früher wiederholt mit ähnlichen Vorkommnissen zu tun gehabt; in der jet-zigen Situation kann jedoch ein beliebiges Vorkommnis dieser Art zum Ausgangs- punkt für eine neue Verschlechterung der Beziehungen werden. D. Kandelaki Berlin, den 20. Januar 1936 Vermerk von A.P. Rozengol’c mit rotem Farbstift am linken Seitenrand des Dokuments:An M. Levin. Sprechen Sie mit mir. AR[ozengol’c]. Vermerk mit Bleistift: Erhalten am 25/I., 11.20 Uhr. Am Endes des Dokuments ist die Anzahl der Exemplare vermerkt: 4 E[xemplare]. RGAĖ, f. 413, op. 12, d. 2210, l. 103–107. Original. Veröffentlicht in: SSSR-Germanija: 1933–1941, Dok.78, S.137–139. Nr. 361 Aktennotiz des Gruppenleiters der Referate Wirtschaft im AA Ritter Nr.361 20. 1. 193620. 1. 1936Berlin, den 20. Januar 1936 Über Abteilung IV dem Herrn Staatssekretär1 vorzulegen. Ich habe durch die Aufzeichnung W. IV Ru. 53 vom 6. Januar 19362 zum ers-ten Mal davon erfahren, dass Herr Reichswirtschaftsminister Schacht Russland ei-nen zehnjährigen Obligationen-Kredit geben will und dies Herrn Kandelaki schon mehr oder weniger konkret in Aussicht gestellt hat. Ich halte die Gewährung eines Obligationen-Kredits an Russland aus zwei Gründen für falsch. 1.) Wenn die Russland bisher gewährten Kredite – nach meiner Schätzung et-was über 4 Milliarden RM – bisher im Großen und Ganzen ohne Schwierigkeiten zurückgezahlt worden sind, so nur, weil wir bisher Finanzkredite immer abgelehnt, sondern nur kaufmännische Kredite, d.h. nur gegen Warenwechsel gegeben haben. Die gleiche Sicherheit besteht bei einem Obligationen-Kredit, d.h. einem Finanz-kredit nicht. Ich fürchte im Gegenteil, dass wir bei der Rückzahlung eines solchen Finanzkredits in Zukunft Schwierigkeiten haben werden, wenn wir das Geld nicht überhaupt ganz verlieren. Das Reich ist daran unmittelbar beteiligt, denn die In-dustrie verlangt natürlich wieder eine Reichsgarantie, und zwar bei einem zehnjäh-rigen Kredit sogar noch einen höheren Hundertsatz als früher. 2.) Noch wichtiger nehme ich den zweiten Grund. Mit Ausnahme eines klei-nen Obligationenkredits der Tschechoslowakei hat Russland bisher trotz seiner 1 Bernhard von Bülow. 2 Vgl. Dok. 341.
20. 1. 1936 Nr. 362993 fortgesetzten Bemühungen von keinem Land einen Finanzkredit erhalten. Ich glau-be, dass bei dieser Haltung der anderen Länder die deutsche Haltung eine aus-schlaggebende Rolle gespielt hat. Wenn wir als erstes großes Land Russland jetzt einen Finanzkredit geben, ist das Eis gebrochen. Andere Länder werden zur Ge-währung von Finanzkrediten mehr oder weniger gezwungen sein, wenn sie sich nicht aus dem Geschäft drängen lassen wollen. Andere Länder können Russland dabei aber mehr bieten als wir. Wir werden Russland also gewissermaßen nur als Schrittmacher bei anderen Ländern dienen. Der Herr Reichsfinanzminister, Graf Schwerin von Krosigk, ist der gleichen Auffassung wie ich. Nachdem Herr Präsident Schacht schon eine mehr oder weni-ger konkrete Zusage gemacht hat, möchte ich jedoch nicht dazu raten, etwa nach-träglich formell zu widersprechen. Bei der weiteren Behandlung der Einzelheiten sollte sich aber Gelegenheit geben, auch ohne grundsätzlichen Widerspruch eine abweichende Auffassung zur Geltung zu bringen. Ritter Eigenhändige Unterschrift. An der Seite Stempel: Hat dem Herrn RM vorgelegen Ko[tze] 22[.1.] und Paraphe von R[oediger] 22/1. PA AA, R 31477, Bl.H 097925-097927. Veröffentlicht in: ADAP, Ser. C, Bd.IV/2, Dok.505, S.991–992. Nr. 362 Bericht des Gesandtschaftsrats II. Kl. in Moskau Hensel an das AA Nr.362 20. 1. 193620. 1. 1936Moskau, den 20. Januar 1936 An das Auswärtige Amt in BerlinTgb.Nr. C IV a Fuchs 1 Anlage nebst 1 Unteranlage und 4 Durchdrucken11 Anlage (vierfach)2Anschluss an den Bericht vom 11. Januar 1936 – C IV a Fuchs –3Inhalt: Haftfall *Kurt Fuchs*4. Im Auftrage des Herrn Botschafters begab sich der unterzeichnete Leiter der Konsulatsabteilung der Botschaft, begleitet von dem verantwortlichen Referenten 1 Brief Hensels an den Vater Adolf Fuchs vom 18.1.1936, in dem er von dem Besuch bei Kurt Fuchs berichtet, und als Unteranlage eine Abschrift eines Briefes von Kurt Fuchs an die Eltern und an Charlotte Hehle. In: PA AA, R 83893, Bl. K 227299-227301. 2 Verbalnote der Deutschen Botschaft an das NKID, 20.1.1936. In: PA AA, R 83893, Bl. K 227302-227304. 3 Hierzu die handschriftliche Notiz: IV Ru 228. In dem Bericht wurde das Eintreffen von Fuchs in Jaroslavl’ bestätigt und der Besuch bei Fuchs angekündigt. Vgl. PA AA, R 83893, o. P. 4 Der Name ist unterstrichen.
Nr. 362 20. 1. 1936 994 im Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten, Herrn Lewin, in der Nacht vom 15. zum 16. Januar d. J. in siebenstündiger Bahnfahrt nach dem 280 km von Moskau entfernten Jaroslawl zum Besuch des dort seine Strafthaft verbüßenden deutschen Reichsangehörigen Ingenieur Kurt Fuchs. Der Leiter der dortigen Ver-waltung des Innenkommissariats5, der von Moskau aus auf den Besuch vorbereitet war, ließ den Unterzeichneten durch den Vertreter des Außenkommissariats6 als-bald nach Ankunft wissen, dass dem Besuch bei Fuchs, der hierzu aus dem Ge-fängnis in das Verwaltungsgebäude gebracht werden würde, um 12 Uhr mittags nichts im Wege stünde. In Bezug auf den Inhalt der Unterredung bat er nur, eine Kritik des gegen Fuchs gefällten Urteils zu vermeiden. Ich erklärte mich hiermit einverstanden. Im Übrigen stellte mir der Chef der Innenverwaltung für die ganze Dauer meines Aufenthaltes in Jaroslawl ein Dienstauto und einen Begleiter mit Of-fiziersrang zur Verfügung. Bei meinem Eintreffen im Gebäude der Inneren Verwaltung empfing mich de-ren Chef gleichzeitig mit Herrn Lewin zunächst in Abwesenheit von Fuchs. Er machte einen besonders korrekten und höflichen Eindruck. Da er des Deutschen nicht mächtig war, bat er um Übersetzung der ganzen mit Fuchs geführten Unterre-dung. Ich begründete meinen Besuch bei Fuchs besonders mit der begreiflichen Sorge der Angehörigen des Fuchs um dessen Schicksal angesichts der Tatsache, dass seit nunmehr 11 Monaten kaum ein Lebenszeichen von Fuchs zu erlangen war, und erbat und erhielt die Genehmigung für Fuchs, in meiner Gegenwart einen Brief an seine Eltern zu schreiben und mir zur Weiterleitung zu übergeben. Sodann wurde Fuchs vorgeführt. Sein Aussehen war besser als am Tage der Urteilsverkündung, an dem ich ihn in Leningrad das erste Mal besuchte, aber er war bleich. Auf meine Frage nach seinem Gesundheitszustand klagte Fuchs über Herz-, Magen- und Nierenbeschwerden, fügte hinzu, dass er sich seit seiner An-kunft in Jaroslawl bereits wesentlich erholt hätte und vom Skorbut, an dem er im Norden gelitten hätte, bereits völlig geheilt sei. Bei dieser Gelegenheit stellte es sich erst heraus, *dass Fuchs nach einmonatiger Reisedauer bereits am 20. Oktober in Jaroslawl eingetroffen war*7. Fuchs schilderte insbesondere die Ernährung im Gefängnis in Jaroslawl als sehr gut, bat aber mit Rücksicht auf seinen schwachen Magen um Bewilligung einer besonderen Diät nach Vorschrift des Arztes. Der Chef der Innenbehörde sagte ihm dies ohne weiteres zu und teilte mir mit, dass ein guter Anstaltsarzt vorhanden sei, nach dessen Vorschrift Fuchs jederzeit besondere Diät und im Falle der Notwendigkeit auch Behandlung im Hospital erhalten könne. Da Fuchs um Geld zur Beschaffung von Milch bat, übergab ich dem Chef der Innenbe-hörde gegen eine mir sofort erteilte Quittung 200.- Rbl. und sicherte mir die Mög-lichkeit weiterer fortlaufender Geldunterstützungen für Fuchs. Außerdem übergab ich ein größeres Lebensmittelpaket für Fuchs. Ich hatte sodann ausgiebig Gelegenheit die Frage der künftigen regelmäßigen brieflichen Verbindung zwischen Fuchs und seinen Angehörigen zu besprechen und erhielt die Zusicherung, dass einem sich ausschließlich auf private Angelegenheiten beziehenden Schriftwechsel zwischen Fuchs *und seinen Angehörigen nichts in 5 Petr Semenovič Raevskij. 6 Vladimir L’vovič Levin. 7 Der Text ist unterstrichen.
20. 1. 1936 Nr. 362995 den Weg gelegt werden würde. Fuchs bemerkte, dass er seit seiner Ankunft in Jaros-lawl jeden Monat Post von seinen Angehörigen erhalten hätte. Auch der Empfang von Paketen mit Lebensmitteln und Kleidungsstücken von der Botschaft und von seinen Angehörigen wurde Fuchs für die Zukunft gestattet. Seine diesbezüglichen*8Wünsche, soweit sie die Angehörigen betreffen, habe ich in dem der Anlage mit der Bitte um Kenntnisnahme und Weiterleitung beigefügten Schreiben an seinen Vater zum Ausdruck gebracht; Durchdruck dieses Schreibens für die dortigen Akten ist gleichfalls beigefügt. – Fuchs war sehr erfreut über die guten Nachrichten, die ich ihm von seinen Eltern und von Fräulein Charlotte Hehle vom Dezember 1935 über-mitteln konnte. Als ich ihm Kenntnis von den Anfragen von Fräulein Lisa Rätz gab und ihn fragte, ob er auch ihr schreiben wolle, bat er mich um Übermittlung seines Dankes für diese Anfragen und für den ihm zugegangenen Woll-Pullover an Fräulein Rätz mit dem Bemerken, dass er sich in seinem Briefverkehr auf seine Eltern und auf seine Braut, Fräulein Charlotte Hehle, beschränken wolle. Zu einer längeren Erörterung führte meine Frage an Fuchs, ob ihm daran liege, die bisherige Einzelhaft im Gefängnis durch Arbeit auf seinen Spezialgebieten zu ergänzen. Fuchs erzählte von seinen diesbezüglichen Erfahrungen im Nordgebiet, wo ihm auf seine Bitte zwar Arbeitsmöglichkeit gegeben worden wäre; er wäre hierbei einem Arbeitsgruppenführer zugeteilt worden, der krimineller Sträfling war und ihn als Faschisten auf Strafarbeit unter Tage geschickt hätte. Diese Arbeit hätte er nicht ausgehalten; auch sei er von den übrigen Arbeitskameraden, die sämtlich schwere Kriminalverbrecher gewesen seien, misshandelt worden. Auf seine Be-schwerde hin hätte der dortige Beamte der inneren Verwaltung ihn zwar von dieser Arbeit entbunden, ihm aber erklärt, dass er gegen die an den Misshandlungen Schuldigen nicht vorgehen könne, weil zu befürchten wäre, dass sie ihn sonst tot-schlagen würden. Der Leiter der Innenbehörde in Jaroslawl ließ Fuchs durch mich fragen, ob er arbeiten wolle und unter welchen Bedingungen. Fuchs erwiderte in höflicher und geschickter Weise, er wäre dankbar, wenn ihm Gelegenheit zur Ar-beit gegeben werden würde. Bedingungen wolle er nicht stellen; er bäte nur, ihm eine seinem Gesundheitszustande entsprechende Arbeit wie Automontage oder Traktorenführung zu übertragen und ihn hierbei nicht mit Schwerverbrechern in Berührung kommen zu lassen. Der Leiter der Innenbehörde nahm diese Wünsche, die ich mir zu eigen machte, zur Kenntnis, bemerkte aber, dass eine Entscheidung hierüber nicht ihm, sondern den Zentralbehörden in Moskau zustände. (Die Bot-schaft hat hierauf diese Wünsche des Fuchs zum Gegenstand der in der Anlage abschriftlich beigefügten Verbalnote an das Volkskommissariat für Auswärtige An-gelegenheiten vom heutigen Tage gemacht.) Zum Schluss ermahnte ich Fuchs, die Nerven nicht zu verlieren und sich sein Los nicht selbst zu erschweren. Ich hatte Gelegenheit, unbeanstandet zu bemerken, dass Fuchs sich über das Schicksal der Heimat nicht zu beunruhigen brauche; seit einem Jahr sei die Saar auf Grund ihres überwältigenden Bekenntnisses zum Deutschtum in der Volksabstimmung9 wieder deutsch; am 16. März 1935 habe der Führer die deutsche Wehrhoheit wieder hergestellt10, sodass Deutschland den von 8 Der Absatz ist am Seitenrand angestrichen. 9 Am 13.1.1935. Vgl. Dok. 60, Anm. 3. 10 Vgl. Dok. 84, Anm. 1.
Nr. 362 20. 1. 1936 996 ihm erstrebten Frieden selbst wahren könne; im Juni v. J. habe der Führer ein auch dem Frieden dienendes Abkommen mit England über die Begrenzung der Seerüs-tung abgeschlossen und im September 1935 habe in Nürnberg der Parteitag der deutschen Freiheit stattgefunden. Fuchs könne persönlich wie er aus meinem Be-suche ersehe, davon überzeugt sein, dass er nicht vergessen werde. Fuchs erwider-te, dass er sich immer ruhig und höflich gegenüber den Beamten der Gewahrsams-behörden verhalte. Er hätte ihrerseits immer ein nicht zu beanstandendes korrektes Verhalten ihm gegenüber gefunden. Für meinen Besuch bedankte sich Fuchs in warmen Worten und bat mich, auch dem Herrn Botschafter und Herrn Generalkon-sul Sommer für alle ihm erwiesene ideelle und materielle Unterstützung wärms-tens zu danken. Sodann wurde Fuchs Gelegenheit gegeben, den in der Unteranlage in Urschrift und Abschrift beigefügten Brief an seine Eltern zu schreiben und mir nach erfolgter mündlicher Übersetzung zu geben. Fuchs bat mich um Übermittlung seiner herzlichsten Grüße an seine Eltern, Fräulein Charlotte Hehle und alle Kame-raden und Freunde in Deutschland. Die Unterredung dauerte insgesamt eine Stunde und 10 Minuten. Nach erfolgter Abführung des Fuchs bedankte ich mich beim Chef der Innen-behörde für sein entgegenkommendes und korrektes Verhalten und erbat und er-hielt von ihm die Zusicherung, dem Fuchs die weitere Verbüßung seine Einzelhaft in Jaroslawl im Rahmen der bestehenden Vorschriften der bei diesem Besuch ge-troffenen Vereinbarungen nach Möglichkeit zu erleichtern. Zusammenfassend darf ich feststellen, dass *Fuchs es nach meinem Eindruck und nach seinen eigenen Feststellungen in Jaroslawl bedeutend besser als vorher im Norden hat und keine Befürchtung für sein Leben und Wohlergehen besteht, so-lang kein weiterer Wechsel der Gewahrsamsbehörde und keine Änderung des Ge-fängnisregimes erfolgt. Für die Botschaft wird es nunmehr darauf ankommen, Fuchs*11 im Rahmen des Möglichen und unter Berücksichtigung seines Gesund-heitszustandes Arbeitsmöglichkeit zu erwirken, ihn weiter fortlaufend mit Zusatz-nahrungsmitteln und Geld zu versorgen sowie darüber zu wachen, dass die Zusa-gen der Gewahrsamsbehörde über seine ärztliche Betreuung u.s.w. eingehalten werden.12Herr Generalkonsul Sommer in Leningrad erhält Durchdruck dieses Berichts. Im Auftrag Dr. Hensel Eigenhändige Unterschrift. Auf erstem Blatt Stempel des AA: IV Ru 370, Eing. 22. Jan. 1936. Unten Stempel: Wiedervorgelegt am 18/2 Büro IV Ru und ab: 25. Jan. 1936. Außerdem: R 15 Ru Fuchs. Am Seitenrand H[err]n Baum H[encke] 25/I mit nicht entzif-ferten Bemerkungen von Baum und Abzeichnung von R[oediger] [23/3]. Auf Kopfbogen der Deutschen Botschaft geschrieben. In drei Durchschlägen gefertigt.PA AA, R 83893, Bl.K 227292-227298. 11 Der Absatz ist am Seitenrand angestrichen. 12 Zu dem Bericht von Levin über den Besuch bei Fuchs vgl. Dok. 378.
21. 1. 1936 Nr. 363997 Nr. 363 Aufzeichnung der Unterredung des Leiters der 2. Westabteilung im NKID Štern mit dem Legationsrat in Moskau Hilger Nr.363 21. 1. 193621. 1. 1936GEHEIM[21.1.1936] Nr. 8103 23.1.361AUFZEICHNUNG DER UNTERREDUNG DES Gen. ŠTERN MIT HILGER, 21. Januar 1936 Hilger kam mit folgender Bitte zu mir. Twardowski hätte seinerzeit mit mir über die Ausreisegenehmigung für Bischof Malmgren aus der UdSSR2 gesprochen. Zum gleichen Thema habe Twardowski am 1. August3 und Schulenburg am 15. August4 mit Gen. Krestinskij gesprochen. Gen. Krestinskij hätte Schulenburg geantwortet, dass die Ausreise Malmgrens aufgrund der vorliegenden Informationen nicht genehmigt wer-den könne, jedoch versprochen, sich noch einmal für diese Frage zu interessieren. Ge-genwärtig erlange die Frage nach dem Schicksal von Malmgren eine besondere Schär-fe. Es gehe darum, dass es 1934 in der UdSSR 62 evangelische Pastoren gegeben habe, zurzeit seien insgesamt 13 verblieben, davon seien 3 Finnen, 1 Lette, die übrigen 9 sei-en Deutsche, wobei es auf dem gesamten Territorium der Sowjetunion von Moskau bis Vladivostok keinen einzigen Pastor mehr gebe. Der letzte Pastor, den es in Vladivostok gab, sei dieser Tage verhaftet worden. Verblieben seien noch: 2 Pastoren in Leningrad, 1 Pastor in Char’kov, 1 in Moskau, 1 in Odessa, 2 im Kaukasus, 1 in Mittelasien, 1 in Ordžonikidze. Somit hätte Malmgren hier faktisch gar nichts mehr zu tun, außerdem sei er 76 Jahre alt und krank und in letzter Zeit würden die Leningrader Innenbehör-den ihn fortwährend einbestellen und ihn nach seinen Existenzquellen, der Art seiner Beschäftigung usw. befragen, H[ilger] bitte mich, die Ausreiseangelegenheit für Malmgren erneut aufzugreifen, wobei er vor allem unterstreiche, dass sich für Malmgren durchaus nicht Regierungskreise interessierten, die sich dem evangeli-schen Geistlichen gegenüber recht gleichgültig verhielten, sondern gerade die uns früher freundschaftlich gesonnenen Kreise, darunter Kriege. Außerdem verstünde H. nicht, warum aus Malmgren ein Märtyrer gemacht werden müsse. Wenn man ihn ir-gendwohin verbanne und er dort verstürbe, so käme dabei nichts Positives für uns heraus. Die Deutsche Botschaft wäre bereit, mit uns ein Gentlemen’s Agreement abzu-schließen, wonach sich Malmgren im Falle einer Ausreise jeglicher Äußerungen über die Sowjetunion enthalten würde. H. bat sehr darum, der Bitte der Botschaft in dieser Angelegenheit entgegenzukommen. H. beklagte sich sodann über das große Durcheinander bezüglich der Registrie-rung von Firmenvertretern. Der Beschluss über die Registrierung sei nach wie vor nicht veröffentlicht. Das Narkomvneštorg verspreche jedes Mal, dass dies demnächst erfolgen werde; inzwischen seien aber bereits 9 Monate vergangen. Außerdem hätten 1 Die Ausgangsnummer und das Datum sind mit Tinte geschrieben. 2 Vgl. Dok. 20. 3 Vgl. Dok. 206. 4 Vgl. AVP RF, f. 05, op. 15, p. 107, d. 32, l. 47.
Nr. 364 24. 1. 1936 998 die Firmen ein Rundschreiben erhalten, in dem den Firmenvertretern vorgeschlagen werde, sich nicht beim Narkomvneštorg, sondern beim Narkomfin registrieren zu lassen. H. hätte dies zum Anlass genommen, um mit Gen. Levin (Narkomvneštorg) darüber zu sprechen, und dieser habe sich bezüglich des Rundschreibens verwun-dert gezeigt. Ein sehr unerfreuliches Bild gebe es auch bei den Einreisegenehmigun- gen für Firmenvertreter, von denen zurzeit nur 4 in Moskau verblieben seien. LEITER DER 2. WESTABTEILUNG Štern Vermerk D.G. Šterns mit Tinte: Für mich eine Kopie für den Vortrag bei N.N.5 Š[tern]. Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:4Expl. Das 1. [Exemplar] an Gen. Litvinov, das 2. an Gen. Krestinskij, das 3. nach Berlin, das 4. zu den Akten. AVP RF, f. 082, op. 19, p. 83, d. 2, l. 18–17. Original. 5Nr. 364 Aufzeichnung der Geschäftsführung des Russland-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft Nr.364 24. 1. 193624. 1. 1936Abschrift24.1.1936 Vertraulich!Russische Bestellungen auf Kriegsgerät Nachstehenden uns heute zugegangenen Aktenvermerk einer Besprechung der Abteilung Ausfuhrgemeinschaft für Kriegsgerät der Reichsgruppe Industrie mit Korvettenkapitän Rieve am 21.1. ds. Js. beehren wir uns, ergebenst zur Kenntnis zu bringen: „Der Führer und Reichskanzler hat fortab alle Geschäfte mit Russland in Kriegsgerät untersagt. Das R[eichs]K[riegs]M[inisterium] ist jedoch der Auffassung, dass unter Kriegsgerät nur das im Gesetz vom 6.11.19351 festgesetzte zu verstehen ist. Die derzeit bestehenden Verhandlungen über Rüstungsmaschinen sollen des-halb nicht unterbrochen werden. Dagegen werden Verhandlungen wegen U-Boot-Batterien und Geräten der Firma Zeiss nicht fortgeführt. Die seinerzeitigen Abschlüsse auf Scherenfernrohre bleiben von der neuen Be-stimmung unberührt.“ Heil Hitler! Russland-Ausschuss der deutschen Wirtschaft Die Geschäftsführung PA AA, R 31477, Bl.H 097958. Veröffentlicht in: ADAP, Ser. C, Bd.IV/2, Dok.518, S.1013. 5 Krestinskij. 1 Vgl. „Gesetz über Aus- und Einfuhr von Kriegsgerät“, 6.11.1935. In: Reichsgesetzblatt 1935, Teil I, S. 1337.
27. 1. 1936 Nr. 365999 Nr. 365 Aufzeichnung des Geschäftsführers des Russland-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft Tschunke Nr.365 27. 1. 193627. 1. 193627.1.1936 Aktennotizüber die am 24. Januar 1936 im Hotel „Esplanade“ stattgehabte Unterredung über schwebende Fragen des beabsichtigten neuen deutsch-russischen Wirtschaftsabkommens 1936 Anwesend: der Leiter der Handelsvertretung der UdSSR in Berlin, Herr Kandelaki, der stellvertretende Leiter Dir. Friedrichson, der Direktor der handelspolitischen Abteilung Gassjuk, der Vorsitzende des Russland-Ausschusses Direktor Dr. Reyß und der Geschäftsführer. Angesichts der stockenden Verhandlungen mit dem Reichswirtschaftsministe-rium (Verstimmung des Präsidenten Schacht durch Molotows Rede in Moskau1, Differenzen bei der restlichen Schuldentilgung, russische Ausfuhrsperre2 usw.) bat der Leiter der Handelsvertretung Herrn Dr. Reyß und mich zum 24. Januar 1936 ins Hotel „Esplanade“. Es war offensichtlich das Bestreben der Russen, Herrn Dr. Reyß als Vermittler zwischen ihnen und Dr. Schacht bei den Verhandlungen einzuschal-ten. Die Russen sprachen wiederholt ihr Bedauern über das Missverständnis in Angelegenheit Rede Molotows aus und versicherten, dass ihnen sehr daran gelegen sei, möglichst rasch zum Abschluss der Verhandlungen zu kommen, und dass sie sich nach wie vor mit allen Kräften für gute deutsch-russische Wirtschaftsbezie-hungen einsetzten. Herr Reyß möchte möglichst bald, und zwar noch vor dem für den 29. **bzw. 30.**3 Januar 1936 in Aussicht genommenen Besuch Kandelakis bei Dr. Schacht Gelegenheit nehmen, Herrn Präsidenten Schacht persönlich Auf-klärung zu geben über nachstehende Zugeständnisse und Wünsche der russischen Regierung: 1. Die restlichen Schulden im Jahre 1936 betragen etwa 55 Millionen RM, von denen über die Zahlung von 5 Millionen in Angelegenheiten Kalisyndikat Rege-lung bereits getroffen sei. Die verbleibenden 50 Millionen Reichsmark sollen teils in Gold und Devisen, teils mit Einfuhrerzeugnissen bezahlt werden. Was die Quote anbetrifft, so gelang es Dr. Reyß, die Russen dazu zu bewegen, in Gold zu zahlen, mit Ausnahme von 12 Millionen RM. Diese 12 Millionen sollen für deutsche Schiffsfrachten, technische Hilfeleistung, Montagegebühren, den Zinsendienst, Botschafts- und Handelsvertretungs-Unterhaltungskosten verwandt werden. 1 Vgl. Dok. 346. 2 Vgl. Dok. 357, Anm. 2. 3 Der Text ist eingefügt.
Nr. 365 27. 1. 1936 1000 2. Das vom Präsidenten Schacht geforderte laufende Geschäft im Verhältnis 1:1 bereite Schwierigkeiten. Russischerseits will man einen Präzedenzfall gegen-über England vermeiden, wo erst 1938 ein Verhältnis von 1,1 zu 1 vereinbart wor-den ist. Die Russen erwähnen auch, dass das Verhältnis 1:1 deswegen undurch-führbar sei, weil die Barverkäufe zeitlich nicht den Bezahlungen für Bestellungen entsprechen (Lieferfristen!). Die Russen wollen minimal für 110 Millionen Reichsmark nach Deutschland einführen, und zwar das, was deutscherseits gewünscht wird, also Naphtha, Man-ganerze, Holz, Flachs usw. Hier wurde sofort eingewendet, dass 110 Millionen zu wenig seien, wir müssten mindestens auf 150 Millionen bestehen. Russischerseits wurde geantwortet, dass man darüber verhandeln kann. Man betone aber noch einmal, dass über die Verkaufserlöse frei verfügt werden muss, also zur Schuldenbezahlung und zu Bestellungen. 3. Die Russen sind einverstanden mit einem 500 Millionen Kredit auf Basis Obligationen für 10 Jahre. Sie sind bemerkenswerterweise bereit, für 250 Millionen Reichsmark solche Aufträge an die deutsche Industrie zu geben, die von ihr ge-wünscht werden. Andererseits aber wollen sie für 250 Millionen RM das bestellen, was sie wünschen, darunter hauptsächlich Kriegsmaterial (Kriegsschiffe, Flugzeuge und sonstige für sie interessante Dinge). *Wenn dieser Wunsch nicht erfüllt werden kann, so hätten sie an dem 500-Millionen-Kredit kein Interesse.*4Hier liegt meines Erachtens die Hauptschwierigkeit, zu einer Verständigung zu gelangen. Über die unter Ziffer 1 genannte Schuldenzahlungs-Regelung dürfte hin-wegzukommen sein. Jedenfalls sollte an diesen 12 Millionen das Abkommen nicht scheitern. Ganz allgemein sollen Zahlungsbedingungen, Zinsen, Abschluss in Reichs-mark usw. wie bisher im 200 Millionen Kredit5 gültig bleiben. Herr Dr. Reyß versprach den russischen Herren, die obigen Wünsche zu über-mitteln, betonte aber ausdrücklich, dass er weder beauftragt noch in der Lage sei, zu den einzelnen Punkten Stellung zu nehmen. Er werde sich sofort ins Reichs-wirtschaftsministerium begeben und dort berichten und gleichzeitig um eine Au-dienz beim Präsidenten Schacht einkommen.6Dr. Reyß und ich berichteten um 5 Uhr nachmittags Herrn Ministerialrat Mossdorf und Regierungsrat Dr. v. Spindler. Ministerialrat Mossdorf übernahm die Anmeldung bei Präsident Schacht und will am 27. bzw. 28.1.1936 Bescheid geben. Tschunke Eigenhändige Unterschrift. Oben handschriftlich: Vertraulich. Unten: H 13 Ru B und IV Ru 512/36. PAAA, R 31477, Bl.H 097955-097957. Veröffentlicht in: ADAP, Ser. C, Bd.IV/2, Dok.524, S.1020–1021. 4 Der Satz ist unterstrichen. 5 Vgl. Dok. 116. 6 Ein Vermerk Dittmanns vom 30.1.1936 zu dieser Vorlage lautete folgendermaßen: „Nach Mitteilung des Reichswirtschaftsministeriums ist es Kandelaki durch einen unmittelbaren te-lefonischen Anruf bei dem Herrn Präsidenten Schacht im Reichsbankdirektorium (unter Um-gehung des Wirtschaftsministeriums) gelungen, sich für heute (30.1.) eine Audienz beim Prä-sidenten Schacht zu verschaffen.“ In: ADAP, Ser. C, Bd. IV/2, Dok. 524, Anm. 1, S. 1020.
27. 1. 1936 Nr. 3661001 Nr. 366 Aufzeichnung von Unterredungen des Rates der Bevollmächtigten Vertretung in Berlin Bessonov mit dem Ministerialrat im Reichswirtschaftsministerium Mossdorf Nr.366 27. 1. 193627. 1. 1936GeheimExpl. Nr. 1 Berlin, den 27. Januar 1936 Tagebuch S. Bessonovs 17.–27. Januar Nr. 25/s1DIE WIRTSCHAFTSVERHANDLUNGEN(Unterredungen mit Mossdorf) Als ich am 22. Januar mit Mossdorf über den Fall Prinz sprach2, berührte ich die Wirtschaftsverhandlungen. M[ossdorf] sagte, dass die Rede Molotovs3 in den Kreisen um Schacht eine gewisse Gereiztheit ausgelöst habe. Dazu käme noch die Unklarheit hinsichtlich des Dekrets über das Exportverbot in Länder mit Devisen-beschränkungen.4 Die Deutschen glauben, dass sich dieses Dekret vor allem gegen Deutschland richte und ein Druckmittel gegen Deutschland bei den Verhandlungen darstelle, was in den deutschen Kreisen erneut eine Unzufriedenheit hervorrufe. Ich machte Mossdorf darauf aufmerksam, dass es im Dekret nichts Unerwartetes gebe, da es lediglich die Lage für jene Fälle fixiere, in denen wir mit diesem oder jenem Land kein spezielles Abkommen über den Warenverkehr haben. Wenn wir also mit Deutschland ein Warenverkehrsabkommen erzielten, verlöre das Dekret für die Dauer der Laufzeit dieses Abkommens seine Gültigkeit und werde durch das Abkommen ersetzt. Mossdorf sagte, die Deutschen hätten das Dekret im Gegen-teil als eine Zurücknahme der von Kandelaki im Dezember unterbreiteten Vor-schläge5 verstanden. Kandelaki hätte doch vorgeschlagen, einen Teil der Verbind-lichkeiten in Gold zu bezahlen, während das Dekret nur eine Zahlung in Form einer Warendeckung vorsieht. Ich wies M. darauf hin, dass, soweit mir bekannt sei, die von Kandelaki im Dezember unterbreiteten Vorschläge vollständig in Kraft blieben, worüber er sicherlich schon von Fridrichson informiert worden ist. M. war mit dieser Bekräftigung sehr zufrieden und verwies darauf, dass es dann um die praktische Abstimmung hinsichtlich der Summe gehe. Ich sagte, dass die Initiative jetzt bei den Deutschen liege, weil sie aus mir unverständlichen Gründen die Wie-deraufnahme der Verhandlungen verzögerten. M. antwortete mir nicht, und wir vereinbarten, uns am 27. zu einem ausführlichen Gespräch zu all diesen Themen zu treffen. 1 Die Ausgangsnummer ist mit Tinte geschrieben. 2 Zur Klage der Firma Prinz gegen die Handelsvertretung und den Unterredungen Besso-novs in dieser Angelegenheit vgl. AVP RF, f. 010, op. 11, p. 68, d. 31, l. 26–23. 3 Vgl. Dok. 346. 4 Vgl. Dok. 357, Anm. 2. 5 Vgl. Dok. 334.
Nr. 366 27. 1. 1936 1002 Am 27. Januar konnte ich beim Frühstück im Gespräch mit Mossdorf folgen-des feststellen: 1. Laut M. gibt es bei den Deutschen keine „psychologischen“ Hemmnisse für eine Wiederaufnahme der Abschlussverhandlungen. Es liegen lediglich materielle Meinungsverschiedenheiten mit uns vor. 2. Die größte Meinungsverschiedenheit besteht darin, dass wir unsere sämtli-chen Verbindlichkeiten für 1936 in Gold bezahlen sollen. Die Deutschen könnten sich jedoch mit dem Vorschlag Kandelakis einverstanden erklären, wonach wir den Teil, der nach Abzug der 5,5 Mio. Mark der Zahlungen des Kalisyndikats verbleibt, in Gold bezahlen, was sie gern zur Begleichung unserer Verbindlichkeiten anneh-men werden, und wir den Teil unserer Verbindlichkeiten, der sich nach Abzug der obigen Verbindlichkeiten ergibt, in Mark zum Zeitpunkt des Abkommens bezahlen werden. Übrigens beträgt nach den Berechnungen Kandelakis der verbleibende Teil ungefähr 37,5 Mio. Mark. 3. Die nächste Meinungsverschiedenheit besteht hinsichtlich der Summe und des Charakters unseres Exports nach Deutschland. Das Hauptinteresse der Deut-schen am Abschluss des Abkommens mit uns besteht darin, für Deutschland die Rohstofflieferungen durch die UdSSR sowie die Beibehaltung des laufenden Wa-renverkehrs mit der UdSSR auf einem bestimmten Niveau zu gewährleisten. Die Deutschen würden gern von uns die Zusicherung bekommen, dass wir im Jahr 1936 Waren in einer Summe von 150 Mio. Mark nach Deutschland exportieren, wobei das Warensortiment mit uns abgestimmt werden müsste. Ich sagte, dass da-von überhaupt keine Rede sein könne.6 Wir hätten bereits im Dezember erklärt, dass wir nichts gegen ein Verhältnis unseres Exports zum Import aus Deutschland von 1:1 einzuwenden hätten, nachdem unser Export unsere Ausgaben für unsere Organisationen in Deutschland, für die deutschen Frachtkosten und für die Zins-zahlungen für den 200-Millionenkredit abgedeckt hat. Somit wird die Zahlungsbi-lanz bei dem laufenden Handelsumsatz immer zu unseren Gunsten sein, unabhän-gig davon, ob wir den Proporz von 1:1 annehmen. Jedoch gehört die Fixierung einer bestimmten Summe unseres Exports nach Deutschland und folglich auch die Summe unserer laufenden Einkäufe in Deutschland nicht zu den Plänen der sowje-tischen Seite und wird von ihr mit Sicherheit abgelehnt werden. 4. Die nächste Meinungsverschiedenheit besteht hinsichtlich unserer Auftrags-liste. Mossdorf ist der Meinung, dass wir von Schacht eine Erklärung bekommen würden, wonach sich Deutschland nicht in der Lage sehe, uns militärische Ausrüs-tungen und Munition zu liefern.7 Ich sagte, dass damit das gesamte Abkommen in-frage gestellt werde, weil für uns diese Liste den Schwerpunkt des gesamten Ab-kommens bilde. M. verhehlte nicht, dass wir nach Ansicht der Deutschen an dem Abkommen hauptsächlich wegen seiner Form, d.h. der Form eines Kreditabkom-mens, sowie seiner Laufzeit interessiert seien. Ich musste ihn darauf hinweisen, dass, wenn auch diese Momente für uns von wesentlicher Bedeutung sind, den-noch das Schwergewicht in erster Linie bei unserer Auftragsliste liege, dank derer wir den Industrialisierungsprozess in unserem Land beschleunigen und unsere In-6 Das ursprüngliche Komma wurde mit Tinte in einen Punkt korrigiert und das Wort „dass“ durchgestrichen. 7 Vgl. Dok. 364.
27. 1. 1936 Nr. 3661003 dustrie auf ein höheres Niveau anheben können. Die negative Haltung der Deut-schen in der Listenfrage könne zum Scheitern des gesamten Abkommens führen. Darauf gab mir M. zu verstehen, dass die Deutschen versuchen würden, in einer Reihe von Fällen Kompromisse zu finden, um einigen unserer **militärischen**8Bestellungen sozusagen eine zivile Form zu verleihen. 5. Die Deutschen sehen das Junktim zwischen dem Abkommen für ’36 und dem 500-Millionenkredit als völlig natürlich an. 6. Weil für die Deutschen der Schwerpunkt auf einer Erhöhung unseres lau-fenden Exports und unserer laufenden Aufträge liegt, ist nicht auszuschließen, wie ich das aus verschiedenen Äußerungen von M. verstanden habe, dass sie uns vor-schlagen könnten, die Inanspruchnahme des 500-Millionenkredits auf einige Jahre auszudehnen. Ich erklärte, dass eine derartige Wendung der Angelegenheit unan-nehmbar sei. 7. Ich verstand M. in dem Sinne, dass die Deutschen eine zweite Verhand-lungspause für möglich erachten, wenn Gen. Kandelaki nach Moskau fahren sollte, um zusätzliche Weisungen zu bekommen. M. erwartet dies wegen der Unstimmig-keiten bei der Bestellliste. M. bat mich eindringlich, dieses Gespräch als absolut vertraulich zu betrachten. Seinen Worten zufolge sei die Lage angesichts des Widerstandes der Regierung gegen unsere Auftragsliste nach wie vor sehr schwierig. „Sie müssen verstehen“, sagte er mir, „dass in dem heutigen Deutschland alles von Personen abhängt. Deshalb möchte ich Sie sehr bitten, bei den künftigen Verhandlungen den wirtschaftlichen Inhalt dieser Verhandlungen nicht zu sehr zu politisieren. Schacht wird es leichter fallen, diese ganze Angelegenheit zum Abschluss zu bringen, wenn weniger die politische Seite hervorgekehrt wird, die jetzt in unserer Auftragsliste in **aller**9schärfster Form ihren Niederschlag gefunden hat, und stärker die rein wirtschaftliche Seite des Abkommens zum Tragen kommt.“ Seinen Gedanken konkretisierend sagte er, dass Schacht es vorziehen würde, uns Teile eines Kriegsschiffes statt eines kompletten Schiffes mit Bewaffnung zu liefern. Ich antwortete ihm darauf, wenn dies aus pro-duktionstechnischer Sicht machbar wäre, so könnte die Handelsvertretung den Wünschen Schachts sicherlich entgegenkommen. Jedoch dürfe eine Veränderung in der Form in keiner Weise den Inhalt des Auftrages berühren. Im Prinzip müssten wir alles das bekommen, was in der Liste aufgeführt sei. Wir verabschiedeten uns und vereinbarten, dass alles das, was in diesem Ge-spräch gesagt wurde, den Charakter eines inoffiziellen und für beide Seiten unver-bindlichen vertraulichen Meinungsaustauschs zu Fragen der Verhandlungen hatte. S. Bessonov **P.S.: Zur Vermeidung von Missverständnissen, die es im vergangenen Jahr gegeben hat, bitte ich darum, dem NKVT diese Aufzeichnung nicht zur Kenntnis zu bringen. S. B.**108 Das Wort ist mit Tinte über die Zeile geschrieben. 9 Das Wort ist mit Tinte über die Zeile geschrieben. 10 Der Text ist mit Tinte geschrieben.
Nr. 367 27. 1. 1936 1004 Vermerke mit blauem Farbstift: M.M.11; zur Akte. Oben links befindet sich der Stempel des Sekretariats des Volkskommissars des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 277 vom 29.1.1936. Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:7Expl. 4 an Gen. Litvinov, 2 an Gen. Krestinskij, 1 [Exemplar] zu den Akten. 27.1.36. AVP RF, f. 05, op. 16, p. 118, d. 49, l. 14–15. Original. 11Nr. 367 Schreiben des Bevollmächtigten Vertreters in Berlin Suric an den Stellv. Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten Krestinskij Nr.367 27. 1. 193627. 1. 1936GEHEIMExpl. Nr. 1 [27.1.1936] 29/s1Lieber Nikolaj Nikolaevič! Seit meinem letzten Schreiben2 hatte ich bei Essen und Empfängen Gelegen-heit, viele Leute zu treffen, darunter Deutsche „der Gesellschaft“, die wir unter normalen Umständen fast kaum zu Gesicht bekommen. Besonders viele Leute hatte aus irgendeinem Grund Bülow zum Mittagessen geladen, **einem Essen**3, das er zu unseren und zu Ehren des amerikanischen Botschafters4 (so stand es in der Ein-ladungskarte) gab. Beim Mittagessen bei Neurath habe ich viele unbekannte Deut-sche getroffen. Ich machte mich zum ersten Mal mit General Seeckt, mit Justizmi-nister Frank5, mit dem Leipziger Bürgermeister6 u.a. bekannt. Alle Gespräche, die ich bei diesen Gelegenheiten mit den Deutschen führen konnte, drehten sich um ein und dasselbe Thema, das Thema der Anormalität der jetzigen deutsch-sowjetischen Beziehungen, wobei es sehr aufschlussreich war, dass fast alle meine Gesprächspartner eingestanden, dass die Hauptschuld dafür die deutsche Seite trage, **und**7 sie sich auffällig von dem momentanen anti-sowjetischen Kurs distanzierten. In diesem Sinne sprach auch General Massow mit mir, der einen offiziellen Posten im Amt Rosenberg8 bekleidet. Er erging sich in ei-nigen Ausfällen gegen seine jetzigen Vorgesetzten, nannte die Balten „Fremde“, die wegen lokaler Gruppeninteressen Zwietracht in die deutsch-sowjetischen Bezie- 11 Litvinov. 1 Die Ausgangsnummer ist mit Tinte geschrieben. 2 Vgl. das Schreiben von Suric an Litvinov vom 12.1.1936. In: AVP RF, f. 05, op. 16, p. 118, d. 45, l. 6–10. 3 Das Wort ist über die Zeile geschrieben. 4 William Dodd. 5 So im Dokument. Frank war von 1933 bis 1934 Justizminister in Bayern, seit Dezember 1934 Reichsminister ohne Geschäftsbereich. 6 Carl Friedrich Goerdeler. 7 Das Wort ist mit Tinte über die Zeile geschrieben. 8 Gemeint ist das Außenpolitische Amt der NSDAP.
27. 1. 1936 Nr. 3671005 hungen tragen würden. Als ehemaliger Befehlshaber sprach er mit großer Anerken-nung über die Stärke unserer Armee (das Gespräch fand einige Tage nach der Rede Tuchačevskijs9 statt) und bezeichnete den Gedanken eines militärischen Zusam-menstoßes zwischen uns als absurd und unheilvoll. Er leitet jetzt in der Partei die Abteilung für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland10. In dieser Eigenschaft bot **er**11 sich an, eine Reise von deutschen Studenten zu uns und von sowjeti-schen Studenten nach Deutschland zu organisieren. Dabei sagte er, dass er sich nicht davor fürchte, auf Ablehnung oder Unwillen von Seiten Hitlers zu stoßen, weil er von der Nützlichkeit eines solchen Vorhabens überzeugt und sicher sei, schließlich auch den Führer davon überzeugen zu können. Großes Interesse an uns zeigte auch Frank, der mich ausführlich über den Zu-stand unserer Gerichte, zum Jurastudium bei uns usw. befragte. Er äußerte auch den Wunsch, zwischen **unseren**12 Rechtsinstituten engere Informations- und Arbeitsverbindungen herzustellen. Obgleich die Mehrzahl meiner Treffen mit den Deutschen nach der Rede Molotovs auf der Tagung des CIK13 stattfand, äußerte fast keiner meiner Ge-sprächspartner, mit Ausnahme Neuraths und teilweise von Bülow, Unzufrieden-heit hinsichtlich des Inhalts der Rede. Im Gegenteil, einige, zum Beispiel der Miteigentümer der Firma Krupp, Wilmowsky, und ein Direktor der Deutschen Bank, **Vejnacht**14, begrüßten diese Rede sogar als einen offenen Appell zur Verbesserung der politischen und zur Erweiterung der wirtschaftlichen Beziehun-gen. Die Passage der Rede Molotovs über die deutsche Initiative, die Schacht und seine Umgebung (Mossdorf und andere) so schmerzlich berührte15, ging an den unabhängigeren Industriellen entweder vollkommen spurlos vorüber, oder sie trat angesichts unserer Bereitschaft, ein großes Wirtschaftsabkommen abzuschließen, in den Hintergrund. Relativ zurückhaltend und ruhig sprachen nacheinander Bü-low und Neurath mit mir über die Molotov-Rede. Bülow ging mehr auf den mili-tärischen Teil der Rede Molotovs ein und beklagte, dass Molotov die Rüstungs-steigerung in der Sowjetunion in Verbindung zur deutschen Politik gegenüber der UdSSR gebracht habe. Er sagte, dass ein eigentümlicher Teufelskreis geschaffen werde, aus dem man nicht ausbrechen könne. Jede Seite begründe ihre Aufrüs-tung mit dem Aufrüstungstempo der anderen Seite. Praktisch aber gerate Deutsch-land angesichts des starken Übergewichtes an Ressourcen bei der UdSSR und an-gesichts des französisch-sowjetischen Abkommens in eine sehr schwierige Lage, in die Lage eines Landes, das sich in einer eisernen Umklammerung befindet. Was Neurath betrifft, so erkannte er an, dass Molotov seine Rede mit einer sehr verantwortungsvollen und versöhnlichen Erklärung begonnen habe, aber „leider“ 9 Am 15.1.1936 auf der 2. Tagung des CIK der UdSSR der 7. Legislaturperiode. Vgl. Iz-vestija vom 16. Januar 1936, S. 1. Ein Auszug der Rede in: Osteuropa 11 (1935/36), H. 5, S. 356–359. 10 So im Dokument. Massow war Präsident des Deutschen Akademischen Austausch-dienstes. 11 Das Wort ist mit Bleistift anstelle des durchgestrichenen „und“ über die Zeile ge-schrieben. 12 Das Wort ist mit Tinte über die Zeile geschrieben; ursprünglich: unserem. 13 Am 10.1.1936. Vgl. Dok. 346. 14 Der Name ist mit Bleistift über die Zeile korrigiert; ursprünglich: Vejnachd. 15 Vgl. Dok. 358.
Nr. 367 27. 1. 1936 1006 diesen Ton nicht beibehalten und im nächsten Teil seiner Rede die „gewohnten und abgedroschenen“ Ausfälle gegen Deutschland wiederholt hätte. Auch Neurath äußerte sich zur „Indiskretion“, die Molotov in der Kreditfrage begangen hätte. Er verwies darauf, dass dies den Traditionen widerspräche **und**16, insofern die Initiative der deutschen Seite zugeschrieben werde, nicht der Wahrheit entspräche. Er verhehlte nicht, dass letzterer Umstand bei Schacht große Gereiztheit verursacht hätte, und er erwähnte unvorsichtig, dass Molotov mit diesem Teil der Rede zusätz-liche Schwierigkeiten für Schacht bei seinen Verhandlungen in Basel17 verursacht hätte. Es steht außer Frage, und darüber sprachen einige Kollegen offen mit mir, dass die Reden Molotovs und Tuchačevskijs große Verwirrung in den deutschen Reihen gestiftet haben. Die in beiden Reden angeführten Angaben zu unseren Rüstungen waren für die offiziellen Kreise Deutschlands vielleicht keine große Überraschung, insbesondere nicht für die Reichswehr, doch sie beeinflussten die Stimmung brei-ter gesellschaftlicher Kreise, die bereits seit einiger Zeit aufmerksam das riskante Spiel beobachten, das hier gegen den starken „russischen Nachbarn“ betrieben wird. In dieser Hinsicht erzielte unsere Veröffentlichung der Angaben zweifellos eine ernüchternde **Wirkung**18 und erschwerte im Land erheblich die Propagie-rung der Idee, Krieg gegen uns zu führen. Das ist die eine Seite des Problems. Die andere Seite berührt die englisch-deutschen Beziehungen, die letzten Endes mit dem Grad der Bereitschaft Deutschlands, die eigenen Rüstungen zu begrenzen, ver-knüpft sind. Es steht außer Frage, dass das jetzt von uns offiziell benannte Niveau unserer Rüstungen19 es Deutschland erschwert, auf irgendeine Begrenzung einzu-gehen, und damit die Grundlage für ein Abkommen zwischen Deutschland und England einengt. Auch die Offenlegung der Doppelzüngigkeit der deutschen Politik uns gegenüber, die Molotov vornahm, versetzte die Deutschen vor der ganzen Welt in eine nicht weniger schwierige Lage. Auf der einen Seite steht die prinzipielle Unnachgiebigkeit, die Ablehnung jedweder Kompromisse und auf der anderen Sei-te steht der Wunsch, die Wirtschaftsbeziehungen bis hin zu Angeboten für neue und große Kredite zu verstärken. Der Schlag traf ins Schwarze. Die Deutschen konnten ihn nicht mehr in der Form auffangen, das Kreditangebot zu leugnen. Aber eine Polemik rund um die Ini-tiative vom Zaun zu brechen, hielten sie offenbar für zu kleinlich und nicht für Er-folg versprechend. Deshalb verwundert es nicht, dass fast die gesamte deutsche Presse die Passage über die Kredite generell mit Stillschweigen bedachte und alle Angriffe gegen die Rede Molotovs auf den roten Militarismus und seine Rolle im Dienste der Weltrevolution konzentrierte. Dieses Moment hat dann auch Goebbels in seiner nächsten Rede hervorgehoben20. Von den Spekulationen über Gemein- 16 Das Wort ist mit Tinte geschrieben. 17 Gemeint sind die Verhandlungen Schachts mit der Bank für Internationalen Zahlungs-ausgleich in Basel. 18 Das Wort ist maschinenschriftlich korrigiert; ursprünglich: Einfluss. 19 Tu c h ačevskij hatte in seiner Rede (vgl. Anm. 9) die zahlenmäßige Stärke der RKKA An-fang 1936 mit 1.300.000 Mann beziffert. 20 Am 24.1.1936 in Köln. Vgl. „Goebbels-Kundgebung in Köln. Große Rede des Reichs-propagandaleiters vor 15000 Volksgenossen in der Rheinlandhalle“. In: Völkischer Beobachter vom 26. Januar 1936, S. 7.
27. 1. 1936 Nr. 3671007 samkeit und Übereinstimmung zwischen Komintern und Sowjetmacht versprach man sich bei der bevorstehenden Erörterung des sowjetisch-uruguayischen Kon- fliktes21 in Genf22 besonders effektive Ergebnisse. Die Deutschen rechneten damit, dass sich diese Erörterung in ein Strafgericht über die Komintern und über Moskau verwandeln würde und, waren, wie einige meiner Kollegen23 meinten, schaden-froh, dass die Sowjetmacht von sich aus in die Falle getappt sei. Wie groß aber war die Enttäuschung, als aus der Genfer Erörterung24 allein Uruguay blamiert hervor-ging und vor der ganzen Welt wegen der offenen Verleumdung der UdSSR und als geheimer Handlanger der Mächte, die sich hinter seinem Rücken versteckten, bloß-gestellt wurde. Dass die Sowjetunion einen unstrittigen Sieg in Genf davongetragen hatte, musste selbst die deutsche Presse anerkennen. Scheffer zum Beispiel führte in sei-ner Korrespondenz aus Genf melancholisch aus, dass Litvinov als der wahre Sieger aus dem Streit in Genf hervorgegangen sei25. Der Umstand, dass in Genf niemand das Risiko einging, offen gegen die UdSSR Partei zu ergreifen, und weder Polen, noch Italien, das in der Rede Litvi-novs26 direkt angesprochen wurde, dazu entschlossen waren – all das zeigte den Deutschen ein weiteres Mal auf, in welch einem Maße das internationale Ansehen und das Gewicht der Sowjetunion gestiegen ist und welch eine hohe Wertschät-zung nunmehr die Zusammenarbeit mit unserer Union genießt. Vor dem Hinter-grund der Ereignisse, die sich just in den Tagen zuvor zugetragen hatten, machte sich diese für die Deutschen traurige Erkenntnis besonders alarmierend bemerk- bar. Die Deutschen zeigten sich sehr besorgt über die Erörterung bezüglich der Danzig-Frage.27 Die Deutschen waren sich sehr wohl darüber im Klaren, dass die 21 Am 27.12.1935 brach die Regierung Uruguays die diplomatischen Beziehungen zur UdSSR ab mit der Begründung, dass die Mission in Montevideo ein „Zentrum kommunisti-scher Tätigkeit“ in Südamerika sei. Vgl. „Dekret der Regierung von Uruguay über den Ab-bruch der Beziehungen zur Sowjetunion vom 27.12.1935“ in: Osteuropa 11 (1935/36), H. 5, S. 354–356; DVP, Bd. XVIII, Dok. 456, S. 603–605. 22 Am 30.12.1935 richtete Litvinov an den Generalsekretär des Völkerbundes Avenol ein Schreiben, in dem er vorschlug, für die nächste Tagung des Völkerbundes den Verstoß Uru- guays als Mitglied des Völkerbundes gegen das Statut des Völkerbundes, Artikel 2, Punkt 12, in die Tagesordnung aufzunehmen. Vgl. DVP, Bd. XVIII, Dok. 458, S. 607–608. 23 Das nachfolgende Wort „und“ ist gestrichen. 24 In der vom Völkerbund am 24.1.1936 verabschiedeten Resolution zu den Ergebnissen der Erörterung des uruguayisch-sowjetischen Konflikts wurde festgestellt, dass die uruguayi-sche Regierung es abgelehnt habe, „Beweise für die gegen die sowjetische Mission in Monte-video vorgebrachten Anschuldigungen beizubringen“. In: Vnešnjaja politika SSSR. Sbornik dokumentov (Außenpolitik der UdSSR. Dokumentenband), Bd. IV (1935–ijun’ 1941), Moskva 1946, Dok. 72, S. 93. 25 Paul Scheffer: „Die schwarze Krawatte“. In: Berliner Tageblatt vom 26. Januar 1936, S. 1–2. 26 Vgl. „Vystuplenie tov. Litvinova po voprosu o razryve Urugvaem otnošenij s SSSR“ [am 23.1.1936] (Rede des Gen. Litvinov zur Frage des Abbruchs der Beziehungen mit der UdSSR durch Uruguay). In: Izvestija vom 24. Januar 1936, S. 1, 4. 27 Es geht um den Gegensatz im Danziger Senat zwischen den nationalsozialistischen Abgeordneten, die die Mehrheit stellten, und den Abgeordneten der Oppositionsparteien, die gegen die fortschreitenden antidemokratischen Praktiken in der Freien Stadt protestierten und ihren Protest an den Völkerbund richteten, der de jure als Garant für die Verfassung Dan-zigs galt. Zur Haltung der deutschen Regierung hinsichtlich der Erörterung der Situation in Danzig im Völkerbundsrat vgl. ADAP, Ser. C, Bd. IV/2, Dok. 499, S. 986.
Nr. 367 27. 1. 1936 1008 Berliner Herren Danzigs im Prinzip auf die Anklagebank gesetzt worden waren. Die Deutschen rechneten allem Anschein nach damit, dass Polen, mit dem sie ein spe-zielles Abkommen zu Danzig haben, in einer für sie günstigen Form eingreifen werde. Diese in Polen gesetzten Hoffnungen gingen nur zum Teil in Erfüllung. Beck ist es zweifellos gelungen, die Resolution etwas zu entschärfen, er konnte die ein-stimmige Verurteilung der Handlungen des Danziger Senats durch den Völker-bundsrat dennoch nicht verhindern. Die Resolution zur Danzig-Frage war nicht nur eine Warnung an die Adresse Berlins, sondern zeigte außerdem, dass die entscheidenden Mächte nach einigem Zögern bedeutend entschiedener für eine Stärkung des Ansehens des Völkerbundes und der kollektiven Organisierung des Friedens eintraten. Noch klarer spiegelte sich diese Tendenz in der englischen Note über gegenseitigen Beistand und **deren**28 Aufnahme durch die Mittelmeer-Mächte wider. Unter diesem Ge-sichtspunkt ist es für Deutschland besonders wichtig, dass Frankreich die Schwan-kungen aufgegeben hat und Deutschland in allernächster Zeit mit einer englisch-französischen Zusammenarbeit rechnen muss. Der Rücktritt Lavals29 und seine Er-setzung durch solch eine offenkundig anglophile Figur wie Flandin30 bietet die Gewähr, dass diese Zusammenarbeit stabiler sein wird und sich die Objekte der Zusammenarbeit stark erweitern können. Damit gerät einer der Grundpfeiler der deutschen Taktik, die bekanntlich darin besteht, einen Keil zwischen England und Frankreich zu treiben, ins Schwanken. Nicht von ungefähr verstärkt sich deshalb in den letzten Tagen erneut der Flirt mit Italien. Neben dem Hervorkehren von kolonialen Ansprüchen (darüber werde ich irgendwann gesondert schreiben), nimmt die These von der Freundschaft mit Italien in letzter Zeit einen immer größeren Platz in den Reden der „Führer“ ein. Dazu, inwieweit das alles ernst ist, bin ich ausführlicher in meinem letzten Schreiben eingegangen.31 Auch jetzt halte ich an meinem früheren Standpunkt fest, denn ich glaube nach wie vor, dass sich Deutschland niemals dazu entschließen wird, die Wahl zugunsten Italiens zu treffen. Genau die gleiche Meinung vertritt übrigens auch die Mehrheit meiner Kollegen. Bis vor kurzem hat sich selbst Attoli-co in dieser Hinsicht skeptisch geäußert, doch nachdem er jetzt aus Rom zurückge-kehrt ist, hat er offenbar von Mussolini die Weisung erhalten, uns alle hier mit dem Schreckgespenst einer italienisch-deutschen Annäherung einzuschüchtern. In dem Gespräch, das ich unlängst mit ihm hatte, erzählte er mir, dass die „öffentliche Meinung“ Italiens auf eine enge Zusammenarbeit mit Deutschland bestehe. Diese These verfolgend versuchte er mir zu beweisen, dass, wenn die Zusammenarbeit zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch noch kein stabiles materielles Fundament be-sitze („wir können jetzt Deutschland nicht helfen, und Deutschland befindet sich uns gegenüber in genau der gleichen Lage“), nach einer gewissen Zeit die Angele-genheit einen ganz anderen Verlauf nehmen könne, „wenn Deutschland sein Mili-tärprogramm abschließt“ und Italien sich in Abessinien festsetze, woran er nicht zweifle. Es ist bezeichnend, dass es Attolico, der ähnliche Stimmungen gegenüber 28 Das Wort ist über die Zeile geschrieben. 29 Die Regierung Laval trat am 24.1.1936 zurück. 30 So im Dokument. Sarraut löste 24.1.1936 Laval als Ministerpräsident Frankreichs ab, Flandin wurde Außenminister. 31 Vgl. Anm. 2.
27. 1. 1936 Nr. 3671009 Japan verneinte, dennoch nicht versäumte, mir gegenüber den Satz fallenzulassen, dass Italien einen großen Fehler begangen hätte, als es in der Vergangenheit gegen-über Japan eine unfreundliche Haltung eingenommen habe. Dass sich Attolico die größte Mühe gibt, um sich bei den Deutschen einzuschmeicheln, ist eine Tatsache. Es ist hier allen bekannt, dass er dafür **auch**32 zu solchen Mitteln greift wie Verbreitung von Dokumenten, die die Tatsache der Existenz eines französisch-englischen Militärabkommens bestätigen sollen, dessen Bestimmungen sich auch auf Deutschland erstrecken. Es bleibt allerdings fraglich, ob aus diesem ganzen ita-lienischen Spiel irgendetwas Ernsthaftes und Vernünftiges herauskommen wird. Bei den Deutschen herrscht allgemein die Überzeugung, dass Italien nicht in der Lage ist, den Krieg in Abessinien33 zu gewinnen, und früher oder später zu kapitu-lieren gezwungen sein wird. Bei solch einer Haltung ist ein Komplott34 der Deut-schen mit den Italienern wenig wahrscheinlich. Meine Überlegungen zu einigen neuen Tendenzen (vielmehr Nuancen) in der deutschen Außenpolitik werde ich in einem der nächsten Schreiben darlegen.35Mit kameradschaftlichem Gruß Ja. Suric Vermerk N.N. Krestinskijs mit blauem Farbstift: MM36 [.] Zu den Akten.Oben in der Mitte befindet sich der Stempel des Sekretariats des Volkskommissars des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 279 vom 29.1.1936. Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt: 7 Expl. 4 an Gen. Litvinov, 2 an Gen. Krestinskij, 1 [Exemplar] zu den Akten. 27.1.36. AVP RF, f. 05, op. 16, p. 118, d. 45, l. 14–20. Original. Veröffentlicht in: DVP, Bd.XIX, Dok.29, S.44–4937. 32 Das Wort ist mit Bleistift über die Zeile geschrieben. 33 Der Krieg begann am 3.10.1935 mit der Invasion der italienischen Armee in Äthiopien und wurde am 5.5.1936 beendet. Am 7.5.1936 annektierte Italien Äthiopien. 34Das nachfolgende Wort „zwischen“ ist gestrichen. 35 Vgl. Dok. 383. 36Litvinov. 37Die Veröffentlichung in DVP erfolgte ohne Legende und nach eigenen Redaktionsricht-linien.
Nr. 368 27. 1. 1936 1010 Nr. 368 Aufzeichnung der Unterredung des Rates der Bevollmächtigten Vertretung in Berlin Bessonov mit dem Leiter des Referats Russland in der II. Abteilung im AA Hencke Nr.368 27. 1. 193627. 1. 1936GeheimExpl. Nr. 5 27.1.1936 Tagebuch S. Bessonovs 27. Januar 36 Berlin Nr. 26/s1HAFTSACHENAm 17. Januar ging ich, wie in dem Telegramm von N.N. Krestinskij aufgefor-dert, zu Hencke und erklärte ihm, dass alle Haftsachen künftig in Moskau direkt zwischen der Deutschen Botschaft und dem NKID behandelt werden müssen. Die Behandlung dieser Fälle hier über die Sowjetische Botschaft anhängig zu machen, sei nicht zielführend, da die Bevollmächtigte Vertretung nicht über die erforderli-chen Materialien verfüge und alle Strafsachen ohnehin nach Moskau geschickt würden, wo sie auch abschließend entschieden werden könnten.2Hencke entgegnete, er habe niemals in Zweifel gezogen, dass die Entscheidung der von ihm aufgeworfenen Fragen nur in Moskau getroffen würde. Deshalb ver-stünde er nicht ganz, was ich mit meiner Erklärung sagen wolle. Bedeute das etwa, dass die Bevollmächtigte Vertretung es ablehne, jegliche Wünsche und Bitten des Auswärtigen Amtes hinsichtlich solcher Fälle anzuhören? Ich antwortete, dass solch ein Verständnis nicht richtig sei. Wenn das Auswär-tige Amt aufgrund von Erwägungen es für erforderlich erachte, über die Sowjeti-sche Botschaft in Berlin auf den einen oder anderen Fall aufmerksam zu machen, so könne niemand es daran hindern, dies zu tun. Die Antwort auf die vorgetragene Erklärung werde jedoch direkt vom NKID in Moskau gegeben. S. Bessonov Vermerk N.N. Krestinskijs mit blauem Farbstift: N.K. Oben rechts befindet sich der Stempel des Sekretariats des Stellvertretenden Volks-kommissars des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 442 vom 29.1.1936.Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:7Expl. 4 an Gen. Litvinov, 2 an Gen. Krestinskij, 1 [Exemplar] zu den Akten. AVP RF, f. 010, op. 11, p. 68, d. 31, l. 27. Kopie. 1 Die Ausgangsnummer ist mit Tinte geschrieben. 2 Vgl. auch Dok. 359.
27. 1. 1936 Nr. 3691011 Nr. 369 Schreiben des Bevollmächtigten Vertreters in Berlin Suric an den Stellv. Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten Krestinskij Nr.369 27. 1. 193627. 1. 1936GEHEIMExpl. Nr. 1 27. Januar 1936 Nr. 27/s1AN DEN STELLV[ERTRETENDEN] VOLKSKOMMISSAR N.N. KRESTINSKIJ Werter Nikolaj Nikolaevič, in letzter Zeiten tauchten in den sowjetisch-deutschen Beziehungen einige neue Momente auf, die eine eingehende Beachtung verdienen. Aus meinen Telegrammen und aus unseren Tagebüchern ist ersichtlich, dass einige deutsche Kreise, zum Bei-spiel und insbesondere Schacht nahestehende Kreise und Schacht selbst, recht emp-findlich auf den Teil der Rede des Gen. Molotovs2 reagierten, in dem er über neue deutsche Kredite sprach. Jedoch gab die Tatsache, dass dieser Unmut der Kreise um Schacht überhaupt keinen Niederschlag in der Presse gefunden hat, der es untersagt war, auf dieses Thema einzugehen3, zu der Vermutung Anlass, dass die Deutschen nicht die Absicht verfolgen, deswegen die Verhandlungen abzubrechen, obgleich sie es sich wahrscheinlich nicht nehmen lassen werden, uns im Zusammenhang mit den Verhandlungen zusätzliche Unannehmlichkeiten zu bereiten. Davon, dass die Deut-schen allem Anschein nach nicht beabsichtigen, die Verhandlungen abzubrechen, überzeugten mich auch die Äußerungen einflussreicher deutscher Industrieller, mit denen ich sprach und die keine Unzufriedenheit mit der Rede des Gen. Molotov zum Ausdruck brachten, sondern mit einer höchst lebhaften Genugtuung über die Erklä-rung des Gen. Molotov sprachen, wonach die UdSSR die wirtschaftlichen und poli-tischen Beziehungen mit Deutschland verbessern wolle. Die letzte Information, die uns vorliegt, kündet davon, dass die Verhandlungen in allernächster Zeit wieder auf-genommen werden, obgleich sie wahrscheinlich nicht nur betont offizieller und tro-ckener verlaufen werden, als dies im Dezember der Fall war4, sondern vermutlich auch deswegen schwieriger sein werden, weil die Deutschen Hindernisse errichten und Forderungen hinsichtlich unserer Auftragsliste und bezüglich des Volumens sowie des Sortiments unseres Export nach Deutschland stellen werden.5Wenn somit die Gefahr eines Schlages von deutscher Seite gegen die Wirt-schaftsverhandlungen jetzt zwar offenbar entfällt, so nehmen dafür die Symptome für ein aggressives Auftreten der Deutschen in einigen anderen Fragen bedrohlich zu. Ich gehe jetzt nicht auf den Fall Prinz6 und auf die wegen dieses Falles verfügte 1 Die Ausgangsnummer ist mit Tinte geschrieben. 2 Vgl. Dok. 346. 3 Vgl. Dok. 348, Anm. 6. 4 Vgl. Dok. 330, 338. 5 Vgl. Dok. 365. 6 Vgl. Dok. 366, Anm. 2.
Nr. 369 27. 1. 1936 1012 Kontensperrung der Handelsvertretung bei der Garkrebo ein. Durch starken Druck auf die Deutschen ist es gelungen, in diesem Fall, wenn nicht einen ehrenhaften, so doch zumindest einen praktisch vollkommen annehmbaren Kompromiss mit dem gleichzeitigen Abschluss eines Abkommens zu erreichen, das in Zukunft Fälle die-ser Art ausschließt. Viel ernster scheint mir der Fall Görbing7 zu sein, oder viel-mehr die Wendung, die die Deutschen ihm gegeben haben. Ich stimme Ihnen voll-kommen zu, dass jegliches Zugeständnis an die Deutschen in dieser Frage nicht mit unserer Würde vereinbar ist. Andererseits haben sich die Deutschen meiner Ansicht nach bereits in dieser Frage derartig engagiert, dass es ihnen schwerfallen wird, ihre Drohung bezüglich Gofman zurückzunehmen. Natürlich könnte man versuchen, den Deutschen den Rückzug zu erleichtern, indem man ihnen zum Fall Görbing noch einmal das mitteilt, was Sie Schulenburg schon einmal gesagt ha-ben8. Es ist nicht auszuschließen, dass sie sich damit einverstanden erklären, dies als Schuldeingeständnis Görbings zu betrachten, welches sie erreichen wollen, dies umso mehr, als wir ihm ein befristetes Visum für die Erledigung der [persönlichen] Angelegenheiten erteilen werden. Nichtsdestotrotz wird es ratsamer sein abzuwar-ten, ob sie ihre Drohung gegen Gofman wahr machen werden. In diesem Fall erge-ben sich für uns zwei Möglichkeiten: entweder wir lassen uns auf einen Konflikt ein und verlangen umgekehrt die Rückkehr Gofmans, indem wir eine entsprechen-de Zeitungskampagne betreiben, oder wir gehen darauf ein, Gofman durch einen anderen Korrespondenten der „Pravda“ zu ersetzen, weil sich die deutsche Dro-hung, nach allem zu urteilen, nicht gegen den Korrespondenten der „Pravda“ an sich richtet, sondern gegen Gen. Gofmann persönlich. Ich komme nicht umhin, Sie auf die außerordentliche Belebung und Zunahme des deutschen Interesses an den Verhaftungen von deutschen Staatsbürgern in der UdSSR aufmerksam zu machen. Neben den Demarchen, die die Deutschen uns hier deswegen vorgetragen haben und die **im**9 NKID als ein völlig unbegründeter Versuch gewertet werden, hier Verhandlungen über die Haftsachen zu eröffnen, ne-ben diesen Demarchen müssen wir uns also fast in jeder Unterredung mit den Deutschen Hinweise auf eine wachsende Anzahl von Verhaftungen deutscher Staatsbürger in der UdSSR und auf die damit verbundene Erregung anhören, wel-che diese Verhaftungen in den verschiedenen deutschen Kreisen hervorrufen. Die Andeutungen, die man uns in dieser Hinsicht mitunter macht, geben Anlass zu ei-ner gewissen Besorgnis. Zum Beispiel hören wir manchmal, dass das Zentrum der deutschen Unzufriedenheit bezüglich der Verhaftungen in der UdSSR bei den deutschen Innenbehörden liege, die sicherlich bald genötigt sein würden, eigene Maßnahmen als Antwort auf die Moskauer Verhaftungen zu ergreifen. Wenn also Agenten der Gestapo plötzlich bei Intourist erscheinen, wie das zum Beispiel am 23., 24. und 25. Januar der Fall war, und Informationen über den deutschen Mitarbeiterbestand von Intourist verlangen, so müssen wir zwangsläufig damit rechnen, dass sich diese Angelegenheit nicht mit der Anforderung von In-formation über den Mitarbeiterbestand erschöpft, sondern zu irgendwelchen neuen 7 Vgl. Dok. 350. Vgl. auch die Aufzeichnung der Unterredung Bessonovs mit Aschmann am 22.1.1936. In: AVP RF, f. 010, op. 11, p. 68, d. 31, l. 29–28. 8 Vgl. Aufzeichnung der Unterredung Krestinskijs mit Graf von der Schulenburg am 23.1.1936. In: AVP RF, f. 082, op. 19, p. 83, d. 1, l. 12–11. 9 Das Wort ist mit Tinte über die Zeile geschrieben.
27. 1. 1936 Nr. 3691013 Repressalien gegen Intourist führen wird, dem übrigens in diesen Tagen das Recht auf Reklame in Unterhaltungsbetrieben amtlich entzogen worden ist. Es ist nicht auszuschließen, dass die Vorbereitung von Repressalien gegen Intourist damit in Verbindung steht, dass die Frage bezüglich des Erwerbs von Eisenbahnfahrkarten in die UdSSR durch Deutsche nicht geregelt ist.10Ich kann auch nicht die Tatsache verschweigen, dass mir von Berliner evange-lischen Kreisen ein umfangreicher Bericht über die Lage der evangelischen Kirche in der UdSSR und insbesondere der evangelischen Pastoren, von denen insgesamt ungefähr ein Dutzend übrig geblieben sind, während es früher über einhundert wa-ren, übergeben worden ist. Ich habe verständlicherweise keine Möglichkeit, mich in das Wesen dieser Angelegenheit zu vertiefen, weil ich sie überhaupt nicht ken-ne. Jedoch ist zu bemerken, dass alle unsere sogenannten Freunde hier im einen oder anderen Grade mit den evangelischen Kreisen verbunden sind oder selbst der evangelischen Kirche angehören, so dass diese Frage in diesen Kreisen eine gewis-se Erregung hervorrufen und sich auf unsere Beziehungen niederschlagen muss. Ich werfe jetzt alle diese Fragen in der Überzeugung auf, dass unsere Politik gegenüber Deutschland im Wesentlichen durch die Erklärung des Gen. Molotov auf der Tagung des CIK bestimmt wird, wonach die sowjetische Regierung es wün-schen würde, die Beziehungen mit Deutschland zu verbessern, obgleich diese Fra-ge11 nicht allein von der Regierung der UdSSR abhängt. Die von mir angeführten Fakten berühren zum Teil ein Gebiet von Fragen, deren Lösung auch von uns ab-hängen kann, wie das zum Beispiel hinsichtlich der Verhaftungen der Fall ist. Ich halte es für an der Zeit, die Frage aufzuwerfen, durch eine Überprüfung einer Reihe von Haftsachen12 zu einer gewissen Entspannung der Atmosphäre in dieser **Richtung**13 zu gelangen. Mir scheint, dass man hier etwas machen könnte, ohne dass unsere Interessen dabei irgendeinen Schaden nehmen würden. Bei den Deutschen würde dies indes rasch eine positive Reaktion auslösen. Ja. Suric Vermerk N.N. Krestinskijs mit blauem Farbstift: Gen. Štern vorzutragen. Danach in die Post. Krest[inskij]. Vermerk [des Sekretärs] mit Bleistift gegenüber dem Familienname von Štern: Ist krank. Gelesen haben die Gen. Bežanov und Levin. Oben in der Mitte befindet sich der Stempel des Sekretariats des Stellvertretenden Volkskommissars des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 443 vom 29.1.1936.Oben rechts von der Mitte befindet sich der Stempel der 2. Politischen Westabteilung des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 228 vom 31.1.1936.Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:2Expl. 1 [Exemplar] an den Adressaten, 1 zu den Akten. Auf Kopfbogen der Bevollmächtigten Vertretung der UdSSR in Deutschland geschrieben.AVP RF, f. 010, op. 11, p. 68, d. 34, l. 28–27. Original. 10 Anfang 1936 war das Verfahren für Ausländer verändert worden, Eisenbahnfahrkarten bis zur Grenze der UdSSR und darüber hinaus zu kaufen, was entsprechende Vorstellungen u.a. seitens der deutschen Diplomaten nach sich zog. Vgl. Aufzeichnungen der Unterredun-gen Šterns mit Hilger am 8. und 15.1.1936. In: AVP RF, f. 082, op. 19, p. 83, d. 2, l. 2–1, 14–13. Vgl. dazu auch Dok. 379. 11 Das nachfolgende Wort „und“ ist mit Tinte durchgestrichen. 12 Vgl. auch Dok. 350, 359. 13 Das Wort ist über die Zeile anstelle des ursprünglichen Wortes „Frage“ geschrieben.
Nr. 370 27. 1. 1936 1014 Nr. 370 Aufzeichnung der Unterredung des Rates der Bevollmächtigten Vertretung in Berlin Bessonov anlässlich des Frühstücks bei dem Leiter der Presseabteilung im AA Aschmann Nr.370 27. 1. 193627. 1. 1936GeheimExpl. Nr. 5 27. Januar 1936 Tagebuch S. Bessonovs 17.–27. Januar 36 Berlin Nr. 23/s1DER FALL GÖRBINGAm 22. Januar lud mich Aschmann zu einem Frühstück ein, an dem außer-dem sein Referent für die russischen Angelegenheiten Schönberg und der deut-sche Korrespondent in Moskau Just teilnahmen. Das Gespräch drehte sich haupt-sächlich um den Fall Görbing2, dem die Deutschen laut Aschmann eine sehr große Bedeutung beimessen. Es geht darum, dass Görbing auf die Frage deutscher Behörden zu den gegen ihn in der UdSSR erhobenen Anschuldigungen seine Schuld kategorisch geleugnet und erklärt habe, dass die Bekanntschaften, die er und seine Frau zu russischen Kreisen hatten, völlig harmlos gewesen seien und nichts mit einer wie auch immer gearteten antisowjetischen Tätigkeit zu tun ge-habt hätten. Aufgrund der derart bestimmten Erklärung Görbings sieht sich die deutsche Seite veranlasst, die sowjetische Seite zu bitten, ihr wenigstens einen Teil der Beweise für die Schuld Görbings vorzulegen, weil es anderenfalls für das Auswärtige Amt angesichts dessen, dass die deutschen Behörden unwiderlegbare Beweise für Gofmans Kontakte zu staatsfeindlichen Elementen in Deutschland be-sitzen, völlig unmöglich werde, die Verlängerung des Visums für den Korrespon-denten der „Pravda“ Gofman, das übrigens am 3. Februar ausläuft, zu erwirken. Auf meine Bitte um Präzisierung dieser Erklärung sagte Schönberg, wobei ihm Aschmann beipflichtete, dass diese seine Erklärung als eine offizielle zu betrachten sei, d.h., falls bis zum 3. n. M. die Deutsche Botschaft in Moskau vom NKID keine Bestätigung und keine Beweise für die Schuld Görbings bekomme, werde das Visum für Gofman nicht verlängert und ihm nichts anderes übrig bleiben, als Deutschland zu verlassen. Ich sagte, dass ich nicht berechtigt sei, eine Meinung zu dieser Frage zu äu-ßern, da es sich **3 um eine offizielle Angelegenheit handele, ich könne lediglich versprechen, dass das, was mir gesagt wurde, nach Moskau zu übermitteln. Inoffiziell aber könne ich den Deutschen nur empfehlen, diesen Fall nicht zu-zuspitzen, weil erstens die Vorlage von Beweisen mit der Souveränität eines Lan-des unvereinbar sei, und zweitens Gen. Krestinskij in seiner Unterredung mit 1 Die Ausgangsnummer ist mit Tinte geschrieben. 2 Vgl. Dok. 340, 344. 3 Das an dieser Stelle stehende Wort „lediglich“ ist durchgestrichen.
27. 1. 1936 Nr. 3711015 Schulenburg zu dieser Frage4 mehr als genug ausgeführt hätte, um den Deutschen vor Augen zu führen, dass die Forderung Görbings nach Rückkehr in die UdSSR unangebracht sei. Ein Konflikt in dieser Sache werde wohl kaum für Deutschland von Vorteil sein, weil trotz der entschiedenen Erklärung Schönbergs bezüglich Gofmans weder ich noch irgendjemand anderes der sowjetischen Seite daran zwei-fele, dass Gofman überhaupt nicht mit Görbing zu vergleichen sei. Sie auf eine Stu-fe zu stellen, wie dies die deutsche Seite offenbar zu tun geneigt sei, bedeute, sich vor der Weltöffentlichkeit zu blamieren. S. Bessonov P.S. Übrigens sagte mir Just bei der Verabschiedung, dass er am 25./26. Januar nach Moskau fahren wollte, dies aber bis Anfang Februar aufschiebe, um die Ergebnisse hinsichtlich der Klärung des Falls Görbing5 abzuwarten. Er sagte, wenn ein neuer Journalistenkonflikt ausbrechen sollte, hätte es vor dessen Beilegung sowieso kei-nen Sinn, nach Moskau zu fahren. Vermerk N.N. Krestinskijs mit blauem Farbstift: NK. Oben rechts befindet sich der Stempel des Sekretariats des Stellvertretenden Volks-kommissars des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 442 vom 29.1.1936.Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:7Expl. 4 Expl. an Gen. Litvinov, 2 an Gen. Krestinskij, 1 [Exemplar] zu den Akten. 27.I.36. AVP RF, f. 010, op. 11, d. 68, d. 31, l. 29–28. Kopie. 45Nr. 371 Brief des Gesandtschaftsrats II. Kl. in Moskau Hensel an den Leiter des Referats Russland in der II. Abteilung im AA Hencke Nr.371 27. 1. 193627. 1. 1936Moskau, den 27. Januar 1936 Mein lieber Andor, heute darf ich Dir mit Genehmigung des Herrn Botschafters ein Problem un-terbreiten, das hier im Zusammenhang mit der Behandlung des Haftfalles Fuchs sowjetischerseits und meinem Besuch bei Fuchs entstanden ist. Als die Botschaft erfuhr, dass Fuchs bereits am 20. Oktober v. J. in Jaroslawl eingetroffen war, während wir trotz aller wirklich unablässigen und nachdrück-lichsten Demarchen des Herrn Botschafters, Herrn von Tippelskirchs und meiner Wenigkeit in den letzten drei Monaten erst am 8. Januar d. J. hiervon Kenntnis er-hielten, lief uns die Galle über, und zwar ganz abgesehen von der darin liegenden Vertragsverletzung1, vielmehr schon wegen der unglaublichen Nichtachtung ge- 4 Am 23.1.1936. Vgl. Dok. 373, Anm. 2. 5 Vgl. Dok. 379. 1 Vgl. Dok. 21, Anm. 7.
8. 1. 1936 Nr. 342955 Nr. 342 Bericht des Marinegehilfen des Militärattachés in Moskau von Baumbach an das AA und das Reichskriegsministerium Nr.342 8. 1. 19368. 1. 1936Deutsche Botschaft Der Marinegehilfe des Militärattachés Moskau, den 8. Januar 1936 Nr. 1/36An das Reichskriegsministerium, Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Berlin, An das Auswärtige Amt, Berlin. Die sowjetrussische Marine an der Jahreswende 1935/36[...]1V. Operative Verwendung der SeestreitkräfteDas rasche Anwachsen der U-Bootbestände lässt die Annahme zu, dass der Ostseeflotte neben den bisherigen defensiven Aufgaben künftig auch offensive Operationen übertragen werden. Als solche kommen in Frage a) Handelskriegführung in der Ostsee b) Verhinderung einer schwedisch-finnischen militärischen Zusammenarbeit. Die Alandinseln spielen in der zu b) genannten Aufgabe eine wichtige Rolle und werden möglicherweise ein sowjetrussisches Operationsgebiet bilden. Schon jetzt ist das Interesse der Sowjetpresse für die Auslandsfrage unverkennbar. Nähere Ausführungen hierzu enthält Anlage 3. VI. Gesamtbeurteilung der Sowjetmarine.Die strenge Geheimhaltung aller Flottenübungen, an denen seit Jahren kein ausländischer Fachmann teilgenommen hat, erschwert die Urteilsbildung. So- weit sich aus verschiedenen Anhaltspunkten schließen lässt, ist der militärische Aufbau auf dem richtigen Wege. Man ist in vieler Hinsicht zu altbewährten, militärischen Erziehungsgrundsätzen zurückgekehrt und führt mit System und nicht ohne Umsicht ein Ausbildungs- und Aufbauprogramm durch, dem auf die Dauer der Erfolg nicht versagt bleiben kann. Das Urteil der „Übersicht über die russische Marine“, dass die russischen Seestreitkräfte als durchgebildet und kriegsverwendungsfähig angesehen werden müssen, kann nur unterstrichen wer- den. Die Frage nach der Kriegsleistungsfähigkeit der Sowjetmarine lässt sich aber erst beantworten, wenn man die Frage untersucht, welche Rolle die Sowjetmarine im Rahmen der sowjetrussischen Wehrmacht spielen kann, und dies führt unmit-telbar zu der Grundfrage der Kriegskapazität des gesamten Sowjetstaates. Ebenso wie die Armee und Luftwaffe, so hängt die Marine einzig und al- lein von der Gesamtkampffähigkeit des sowjetischen Staatsorganismus ab, von der 1 Ausgelassen sind die Punkte I. Kriegsschiffbau, II. Kriegsschiffbestand, III. Personal, IV. Geheimhaltungsmethoden (Bl. 246–257).
Nr. 342 8. 1. 1936 956 Rüstungsindustrie, der Rohstoffversorgung, der Ernährung, der Bevölkerung, dem Transportwesen und der Finanzkraft. Wie die folgenden Ausführungen zeigen sol-len, ist die Rohstofflage des Landes zwar nicht ungünstig, die Industriebasis ist aber noch nicht genügend entwickelt, es fehlen Reserveindustrien für die Erweite-rung der militärischen Produktion im Kriegsfalle, das Transportwesen hält mit der allgemeinen Entwicklung nicht Schritt und die Überbürokratisierung des Landes hemmt die Ausnutzung aller Kapazitäten für die Kriegsführung. [...]2VIII. Zusammenfassung*Es ist kaum zweifelhaft, dass die sowjetrussische Wehrmacht auf dem Wege ist, ein gefährlicher Gegner zu werden.*3 Der Rahmen für die Weiterentwicklung ist geschaffen. Gegenstand von Meinungsverschiedenheiten ist nur der Zeitpunkt, zu dem der Aufbau abgeschlossen und die Armee schlag- und angriffsbereit der Sow-jetregierung zur Verfügung steht. Vergleicht man die Einzelfaktoren, aus denen sich der Kriegsapparat der Sow-jetunion zusammensetzt, so scheint es, dass die stehende Wehrmacht (Armee, Kriegsmarine, Luftflotte) im Kriegsfalle noch am besten funktionieren wird und dass sie voll in Rechnung gestellt werden kann. Die in ihr stetig heranwachsende Gefahr für Mitteleuropa wird jedoch vorläufig noch durch die geschilderten Tatbe-stände gemildert, die bei einer Untersuchung der Kriegskapazität der Sowjetwehr-macht nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Die Schwächen der Kriegsbevorra-tung, des Nachschubes, der Rüstungsindustrie, des Transportwesens und der Organisation des Hinterlandes sind so offenkundig, dass sie die Schlagkraft der Wehrmacht noch auf lange Zeit schwer beeinträchtigen müssen. Vielleicht ist das Bewusstsein dieser Schwächen die Ursache zahlreicher lauttönender Lobreden auf die Unbesieglichkeit der Sowjetwehrmacht und die Ursache der demonstrativen Paradevorführungen mit unzähligen Tanks, Flugzeugen und anderen neuzeitli-chen Truppenverbänden. Eine gewisse, allerdings beschränkte Kriegsbereitschaft besteht indessen schon heute. Schwächemomente der geschilderten Art mögen ein hochentwickeltes, fein organisiertes Staatswesen in Kriegszeiten zum Zusam-menbruch bringen. Die robuste Natur des hiesigen Staates und seiner Bewohner verträgt jedoch stärkere Belastungen, wie der Verlauf der Intervention4, während der noch keine Ansätze der inzwischen geschaffenen Kriegsfaktoren vorhanden waren, und die Verwindung der schweren Hungersnot von 1933 gezeigt haben. Die Zeit arbeitet, wenn auch in langsamen Tempo, für die Ausfüllung der vor- handenen Lücken. Von der Zeit hängt es ab, wann dieser Prozess beendet sein wird. von Baumbach 2 Ausgelassen ist Punkt VII. Militärische Kapazitäten des Sowjetstaates (Bl. 259–267). 3 Der Satz ist unterstrichen. 4 Gemeint sind militärischen Interventionen der Ententemächte, aber auch deutscher und japanischer Einheiten zur Unterstützung der Weißgardisten gegen die Rote Armee während des Bürgerkrieges 1917/18 bis 1922.
9. 1. 1936 Nr. 343957 Eigenhändige Unterschrift. Auf erstem Blatt Stempel des AA: II M 397g, Eing. 16. Jan. 1936. Stempel: Geheim und Gesehen: Schulenburg (eigenhändige Unterschrift). PA AA, R 30101b, Bl.246–268, hier Bl.246, 257–259, 267–268. Nr. 343 Bericht des Botschafters in Moskau Graf von der Schulenburg an das AA Nr.343 9. 1. 19369. 1. 1936E/16 Moskau, den 9. Januar 1936 Vertraulich.An das Auswärtige Amt Berlin Im Anschluss an Bericht E/26 vom 21. Januar 19351. Inhalt: Weihnachten 1935 in Moskau. Verfolgung der Kirche. Zulassung des „Neujahrsbaumes“. Weihnachtsfeier der deutschen Kolonie. Schon im vorigen Jahre war die antireligiöse Propaganda, die in der UdSSR unmittelbar vor großen kirchlichen Feiertagen früher mit besonderem Nachdruck betrieben wurde, verhältnismäßig wenig in Erscheinung getreten. Wenn die gleiche Beobachtung auch anlässlich des Weihnachtsfestes 1935 gemacht werden konnte, *so wäre es falsch, daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, dass Partei und Regie-rung der UdSSR ihren Standpunkt gegenüber der Religion geändert hätten und an-stelle der bisherigen Verfolgungen Toleranz und Nachsicht üben wollten. Tatsache ist vielmehr, dass die Sowjetregierung ihr Zerstörungswerk an der Kirche weiter systematisch fortsetzt, indem in Stadt und Land ein kirchliches Gebäude nach dem anderen niedergerissen oder weltlichen Zwecken zugeführt wird, die Verhaftungen unter den Geistlichen aller Konfessionen unentwegt fortdauern und durch Schlie-ßung der Predigerseminare die Heranbildung eines Nachwuchses unterbunden wird*2. Wie die Verhältnisse in der evangelischen Kirche in der UdSSR liegen, er-hellt allein aus der Tatsache, dass gegenwärtig in der UdSSR nur noch 15 evangelische Pastoren (davon 11 deutschstämmige) amtieren, die sich auf Mos-kau, Leningrad, die Ukraine und den Kaukasus verteilen, während in westöstlicher *Richtung auf einer Entfernung von 10.000 km von Moskau bis zum Stillen Ozean kein einziger evangelischer Pastor im Amte ist. Ähnlich liegen die Verhältnisse in der griechisch-katholischen, der früheren russischen Staatskirche; die Zahl ihrer Gotteshäuser in Moskau beträgt gegenwärtig kaum noch ein Zwanzigstel von der Zahl, die vor der Revolution bestanden hat*3. 1 Handschriftlich dazu: IV Ru 258/35. Der Bericht befindet sich in PA AA, R 83836, o. P. 2 Der Text ist unterstrichen. 3 Der Text ist am Seitenrand angestrichen.
Nr. 343 9. 1. 1936 958 Nachdem die Sowjetregierung ihrem Endziel, das auf eine Ausrottung der Religion und eine Vernichtung der Kirche gerichtet ist, in den letzten Jahren in einem beträchtlichen Umfange näher gekommen ist, kann sie auf eine antireligi-öse Propaganda nach außen hin gern verzichten, zumal sie damit in den falsch oder ungenügend informierten Kreisen des Auslandes leicht den ihr willkom- menen Eindruck erweckt, als ob eine Verfolgung der Kirche in der UdSSR nicht mehr stattfindet. Dabei ist das Gefühl der Anhänglichkeit, das die gläubigen Tei-le der hiesigen Bevölkerung ihrer Kirche entgegenbringen, nach wie vor recht stark, was aus der Tatsache des regen Kirchenbesuches anlässlich des Neujahrs-festes geschlossen werden kann. Über den Verlauf des Weihnachtsgottesdienstes in der Moskauer evangelischen Kirche ist unter E/6 vom 28. Dezember 19354 be- reits berichtet worden. Dem kann heute hinzugefügt werden, dass auch die ortho-doxen Kirchen anlässlich des russischen Weihnachtsfestes (6.–8. Januar) überfüllt waren, ohne dass Störungen der gottesdienstlichen Handlungen bekannt geworden wären. Ein besonderes Ereignis während der diesjährigen russischen Weihnachten bildete die *Wiederzulassung des Tannenbaumes*5 unter der Bezeichnung des „Neujahrsbaumes für die Kinder der Sowjetunion“. Bekanntlich war seit der Revo-lution der Weihnachtsbaum in der UdSSR verpönt, weil die Partei darin ein gefähr-liches Überbleibsel religiöser und bürgerlicher Sitten erblickte. Wenn sie heute durch den Mund eines ihrer einflussreichsten Führer, des ukrainischen Parteisek-retärs Postyschew, erklären lässt, dass der Bevölkerung niemals untersagt worden sei, ihre Kinder durch einen „Neujahrsbaum“ zu erfreuen, und gleichzeitig allen einschlägigen Organisationen zur Pflicht macht, Neujahrsbäume für die Kinder zu beschaffen, so bedeutet diese Maßnahme nicht etwa eine Rückkehr zum Alten oder ein Zugeständnis gegenüber entsprechenden Wünschen der Bevölkerung, *sondern lediglich den raffinierten Versuch der Machthaber, sich als Beglücker der sowjeti-schen Kinder aufzuspielen, die bisher niemals einen strahlenden Weihnachtsbaum zu Gesichte bekommen haben und nun in ihrer Naivität allen Ernstes die Sowjet-machthaber für die Erfinder dieser herrlichen Errungenschaft halten*. Unter dem Deckmantel einer Maßnahme, die im Auslande *fälschlicherweise als ein Zeichen fortschreitender „Verbürgerlichung“*6 der Sowjetregierung aufgefasst wird, erfolgt somit in Wirklichkeit nichts anderes, als einer der üblichen heuchlerischen Propa-gandatricks, deren sich die Sowjetregierung mit Vorliebe bedient, um als Beglücke-rin des Volkes zu erscheinen. Um die deutsche Kolonie in dieser Atmosphäre zynischer Negierung und ge-schmackloser Taschenspielerkünste für das Fehlen der weihnachtlichen Stimmung zu entschädigen, wurde auch in diesem Jahre in der Dienstwohnung des Bot-schaftsrates7 das traditionelle Krippenspiel aufgeführt, an dem die Zöglinge der Moskauer reichsdeutschen Schule teilnahmen. Außerdem wurde am 29. Dezember von der Botschaft im hiesigen Grand-Hotel die übliche Weihnachtsfeier für die 4 Der Bericht befindet sich in PA AA, R 83836, o. P. 5 Der Text ist unterstrichen. 6 Die beiden Textstellen sind unterstrichen. 7 Werner von Tippelskirch.
9. 1. 1936 Nr. 344959 deutsche Kolonie veranstaltet. Zu dieser Feier hatten sich jedoch einschließlich der Botschaftsmitglieder diesmal kaum 100 Personen eingefunden, da die Kolonie im Verlaufe des letzten Jahres durch Abwanderung eine weitere starke Einbuße erlitten hat. Ich begrüßte die Anwesenden durch eine Ansprache, in der ich der Heimat und ihres großen Führers gedachte. Sodann folgten musikalische Darbietungen und das Absingen deutscher Weihnachtslieder. Auf diese Weise konnte unseren hiesi-gen deutschen Landsleuten – soweit sie zum Dritten Reich und zur Botschaft hal-ten – ein Teil der Stimmung vermittelt werden, von der das deutsche Volk zu Weih-nachten erfasst war. Schulenburg Eigenhändige Unterschrift. Auf erstem Blatt Stempel des AA: IV Ru 212, Eing. 15. Jan. 1936. Am Seitenrand: H[errn] Baum, H[encke] 17/I, Kenntnisnahme von R[oediger] 15/I und weitere, nicht entzifferte Bemerkungen. Unten Po 16 Ru. PA AA, R 83836, o. P., 4 Bl. Nr. 344 Aufzeichnung der Unterredung des Volkskommissars für Auswärtige Angelegenheiten Litvinov mit dem Botschafter in Moskau Graf von der Schulenburg Nr. 3449. 1. 19369. 1. 1936Geheim Expl. Nr. 4 [9.1.1936] AUS DEM TAGEBUCH M.M. LITVINOVS EMPFANG SCHULENBURGS, 9.1.36 Schulenburg suchte mich heute erstmals nach seiner Rückkehr aus Deutsch-land auf. Er äußerte Genugtuung darüber, dass es ihm gelungen sei, sich mit ein-flussreichen Personen zu treffen, darunter mit Hitler1, Blomberg und Schacht. Hitler ist seiner Meinung nach gegenüber der UdSSR offensichtlich sehr vernünf-tig gewesen. Hitler hätte ihm gesagt, dass die Lage in Europa höchst unbestimmt sei und deshalb nichts unternommen werden könne. Ich bemerkte, dass jeder Staat natürlich die allgemeine internationale Lage berücksichtigen müsse, daraus folge jedoch nicht, dass er keine eigenständige Politik führe. Deshalb wäre es für mich interessant zu erfahren, ob sich in der politischen Grundhaltung Hitlers et-was verändert habe. Sch[ulenburg] antwortete, dass Hitler nichts Entscheidendes gegen Wirtschaftsbeziehungen mit uns einzuwenden habe, und im Grunde ge- nommen bleibe die Lage in Deutschland, wie auch bei uns, unverändert. Ich ant- 1 Vgl. Dok. 306, Anm. 8.
Nr. 344 9. 1. 1936 960 wortete, dass, solange es keine Veränderungen seitens Deutschlands gäbe, keine Veränderungen unserer Haltung, die in diesem Fall eine Gegenreaktion sei, erwar-tet werden dürfe. Nachdem mir Sch. zugestimmt hatte, beklagte er sich über das Verhalten unserer Presse2, in der angeblich in letzter Zeit die antideutschen Aus-fälle zugenommen hätten. Unter anderem verwies er auf das „Journal de Mos-cou“, die „DZZ“ und auf das gestrige Interview von Dimitrov3. Ich sagte, dass ich bereit sei, das Gewicht, die Anzahl und den Umfang der antisowjetischen Ver-öffentlichungen der deutschen Presse und die antifaschistischen Veröffentlichun-gen unserer Presse gegeneinander abzuwiegen, und äußerte meine Überzeugung, dass Sch. den Preis für seine Presse in jeder Hinsicht in Anspruch nehmen könn- te. Sch. sprach auch über die sich häufenden Ausweisungen und Verhaftungen von deutschen Staatsbürgern. Dabei hob er den Fall Bergmann, den man **wohl**4unnötigerweise einer terroristischen Tätigkeit beschuldige5, und die Visumverwei-gerung für Görbing hervor. Er erwähnte aus welchem Grund auch immer Konsul Großkopf in Novosibirsk, wobei sich herausstellte, dass nicht er sich über uns be-klage, sondern wir uns über Großkopf beklagen würden, was nach Auffassung Schulenburgs nicht gerechtfertigt sei. Er, Schulenburg, hätte diesen Brief viel-leicht nicht wie Großkopf in diesem Ton geschrieben, halte ihm zugute, dass letz-terer sich bereits seit 10–12 Jahren an dem gleichen Ort in einer höchst ungünsti-gen Lage befände, sich mit niemandem treffe, was eine gewisse Nervosität hervorrufen könne. Sch. gedenke Großkopf nach Kiev zu versetzen. Ich sagte, dass mir diese Fälle von Ausweisungen und Verhaftungen unbekannt seien, wäh-rend der Abwesenheit von Gen. Krestinskij hätte ich jedoch in Erfahrung ge-bracht, dass diese Verhaftungen ein großes Ausmaß annähmen, und ich interes-sierte mich für diese Angelegenheit als eine allgemeine Erscheinung, nicht aber für jeden einzelnen Fall. Mir sei gesondert nur der Fall Görbing vorgetragen wor-den, und ich erinnerte mich daran, dass wir seine Ehefrau, die aus der sowjeti-schen Staatsbürgerschaft ausgetreten sei, zuerst nicht weglassen wollten, und als er sich einverstanden erklärt habe, ohne Ehefrau zu fahren, hätten wir an den Fall seines Sekretärs erinnert, der Görbing verleumdet hatte, und wir im Interesse von Görbing entschieden, ihm anzuraten, nicht mehr hierher zurückzukehren. Wir be-fürchteten sowohl für das NKID als auch für die Deutsche Botschaft Scherereien. Es sei zu berücksichtigen, dass unsere Gesellschaft und unsere Amtspersonen, die Tag für Tag in der Presse läsen, dass sich Hitler-Deutschland auf einen Überfall auf die UdSSR vorbereite, uns mit unseren Freunden entzweie, unsere Feinde un-terstütze usw., mitunter dazu neigten, in jedem Deutschen einen Agenten Hitler-Deutschlands zu sehen, der nach Kräften ein Teilchen dieser Ränke darstelle. Sowohl diese Verhaftungen als auch das Verhalten der Presse dürften nicht losge- löst von den politischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern gewertet wer-den. 2 Vgl. Dok. 351. 3 Vgl. „Otvet gospodinu Ribbentropu. Interv’ju, dannoe G. Dimitrovym predstavitel’jam pečati“ (Antwort an Herrn Ribbentrop. Interview G. Dimitrovs für Vertreter der Presse). In: Pravda vom 8. Januar 1936, S. 4. 4 Das Wort ist über die Zeile geschrieben. 5 Vgl. Dok. 296, 302.
9. 1. 1936 Nr. 344961 Sch. erinnerte mich an mein früheres Versprechen, bei ihm zu frühstücken. Ich sagte, dass ich mich an das Versprechen erinnere und es sehr gern nach meiner Rückkehr aus Genf oder bei einer Nichtreise6 dorthin einlösen werde. Sch. berührte auch die Frage bezüglich Italiens und der Erdölsanktionen.7 Ich äußerte meine Bedenken hinsichtlich einer Erweiterung der Sanktionen auf das Erdöl, und zwar aus dem Grund, dass erstens Amerika die Erdölausfuhr nicht völ-lig verbiete und es schwierig sein werde, deren Transit nach Italien durch andere Länder zu kontrollieren, und zweitens, weil solange über diese Sanktionen gespro-chen worden sei, dass es Italien in der Zwischenzeit vermutlich gelungen sei, sich auf viele Monate hinaus mit Erdöl zu bevorraten. England werde wohl kaum in dieser Sache die Initiative ergreifen, und die anderen Staaten umso weniger. Wenn sich herausstelle, dass es in der Sanktionsfrage keine neue Bewegung gebe, und die Verhandlung unserer Klage gegen Uruguay8 vertagt werde, würde ich wohl kaum nach Genf fahren. Sch. äußerte sich skeptisch zu einem möglichen italienisch-deutschen Ab-kommen. Ich stimmte ihm zu, indem ich die abwartende Haltung Hitlers guthieß, weil im Falle eines missglückten Ausgang des Abessinienkrieges Italien derartig viel von seinem internationalen Ansehen verliere, dass es als Partner für Deutsch-land nicht besonders anziehend sein werde, und im Falle eines siegreichen Kriegsausganges würden die italienisch-deutschen Gegensätze in der Österreich- und Balkanfrage erneut an Schärfe gewinnen. Sch. erzählte mir von der Popularität von Madame Attolico9 in Berlin. LITVINOV Vermerk M.M. Litvinovs mit blauem Farbstift: an Gen. Štern.Vermerk D.G. Šterns mit Tinte: zu den Akten. Š[tern]. 12-1-3710. Oben rechts in der Mitte befindet sich der Stempel der 2. Politischen Westabteilung des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 90 vom 11.1.1936. Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:5Expl. Das 1. [Exemplar] ins Archiv, das 2. an Gen. Krestinskij, das 3. an Gen. Stomo- njakov, das 4. an *Gen. Štern*11, das 5. nach Berlin. AVP RF, f. 082, op. 19, p. 83, d. 1, l. 4–2. Kopie. 6 So im Dokument. 7 Am 18.12.1935 fasste das „Komitee der 18“ des Völkerbundes des Beschluss, dass die erlassenen Wirtschaftssanktionen gegen Italien nicht auf die Lieferung von Erdöl ausgedehnt werden sollten. 8 Vgl. Dok. 367, Anm. 21. 9 Eleonora Attolico. 10 So im Dokument; richtig: 12-1-36. 11 Der Name ist mit blauem Farbstift unterstrichen.
Nr. 345 10. 1. 1936 962 Nr. 345 Aktenvermerk des Generalbevollmächtigten der Firma Otto Wolff Siedersleben Nr.345 10. 1. 193610. 1. 1936Köln den 10. Januar 1936 Aktenvermerk.Betr.: RusslandBei den Unterredungen, die Herr Wolff, Herr Baron von Swieykowski und ich in Herrn Wolffs Berliner Wohnung Lützowufer 33 gestern Abend ab 20 Uhr mit dem Handelsvertreter der UdSSR Herrn Kandelaki und seinem Vertreter Friedrich-son hatten, wurden bis zu meiner Abreise nach Köln (22.30 Uhr) folgende Fragen behandelt: 1.) Die Russen stellten große Aufträge für die Deschimag1 in Aussicht, wobei von über RM 100 Millionen schon für absehbare Zeit gesprochen und die angeblich bereits erteilte Zustimmung der deutschen Behörde vorgetragen wurde. 2.) Dem Plane einer Anleihe bis 19 Jahre Laufzeit (Durchschnittslaufzeit 10 Jahre), die zur allmählichen Bezahlung der zusätzlichen Bestellungen in Deutschland dienen soll, stimmten die Russen, wie bereits in früheren Verhand-lungen mit dem Herrn Reichswirtschaftsminister2, grundsätzlich zu. Jedoch ließ sich wegen der Wertgrundlage (Wertmesser) eine Einigkeit nicht erzielen. Herr Kandelaki lehnte wiederholt und in ultimativer Form jede Gold- oder Valutaklausel ab, obwohl, wie zugegeben wurde, Goldklauseln bei derart langfristigen internatio-nalen Geschäften schon in der Vorkriegszeit selbstverständlich gewesen sind. Wir betonten den theoretischen Charakter dieser Frage. Herr Wolff bemerkte mehrfach, dass er keinerlei amtlichen Auftrag habe, sondern rein als privater Ge-schäftsmann verhandele und nicht wisse, welche Genehmigung die Regierung schließlich geben werde. 3.) Wegen des Fischer-Benzin-Verfahrens3 gab Herr Friedrichson, den ich frag-te, positive Erklärungen nicht ab. Siedersleben Urschrift: H.A. Russland Durchschlag: H.A. Ruhrchemie Eigenhändige Unterschrift. RWWA, 72-48-6, o.P., 2 Bl. 1 Die Deutsche Schiff- und Maschinenbau Aktiengesellschaft (1928–1945) war ein Zu-sammenschluss von acht norddeutschen Werften und hatte ihren Sitz in Bremen. Die De-schimag war auch im Flugzeugbau tätig. 2 Hjalmar Schacht. 3 Gemeint ist die 1925 entwickelte Fischer-Tropsch-Synthese der Kohleverflüssigung zur Herstellung synthetischer Kraftstoffe und Motoröle.
10. 1. 1936 Nr. 346963 Nr. 346 Auszug aus dem Vortrag des Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare Molotov auf der II. Tagung des CIK der UdSSR Nr.346 10. 1. 193610. 1. 193610. Januar 1936 [...] Ich sage es rundheraus, die sowjetische Regierung würde sich die Herstellung besserer Beziehungen mit Deutschland als die jetzigen wünschen. Uns scheint dies unter dem Aspekt der Interessen der Völker sowohl der UdSSR als auch Deutsch-lands unbestritten zweckdienlich zu sein. Aber die Umsetzung dieser Politik hängt nicht allein von uns ab, sondern auch von der Regierung Deutschlands. Worin besteht aber die Außenpolitik der jetzigen deutschen Regierung? Über die Hauptrichtung dieser Außenpolitik habe ich auf dem VII. Sowjetkongress1 ge-sprochen, als ich aus dem programmatischen Buch Hitlers „Mein Kampf“, das in Deutschland in Millionen von Exemplaren verbreitet wird, zitierte. In diesem Buch spricht Hitler direkt von der Notwendigkeit, „zur Politik territorialer Eroberungen“ überzugehen. Dabei erklärt Hitler unumwunden: „Wenn wir aber heute in Europa von neuem Grund und Boden reden, können wir in erster Linie nur an Russland und die ihm untertanen Randstaaten denken.“ Seitdem diese Erklärung Hitlers von der Tribüne des Sowjetkongresses vorge-tragen wurde, hat die deutsche Regierung keinen einzigen Versuch unternommen, diesen Eroberungsplänen gegenüber der Sowjetunion eine Absage zu erteilen. Im Gegenteil, sie hat mit ihrem Schweigen vollauf bekräftigt, dass die zitierte Erklä-rung Hitlers in Kraft bleibt. Das war für uns keine Überraschung. Die Herren Natio-nalsozialisten, die in ihren Plänen jedes Maß verloren haben, betreiben, wie allen bekannt ist, die Vorbereitung auf Eroberung gerade in diese Richtung, wenn auch nicht allein in diese Richtung. Diese verbrecherische Propaganda zur Eroberung fremder Territorien hat auch schon neue Anhänger außerhalb Deutschlands. Es gibt bereits alle möglichen Nachbeter des deutschen Kapitals auch im benachbarten Polen, vom Typ des Herrn Studnicki und der kopflosen Herren der Krakower Zeitung „Czas“, die dermaßen über die Stränge schlagen, dass sie in der Presse offen von der Eroberung einiger Territorien der UdSSR faseln, wovon einige Sonderlinge schon wiederholt im Al-koholrausch geträumt haben. Solche Wahnvorstellungen sind auch einigen Ele-menten des mit uns benachbarten Finnland nicht fremd, die sich immer mehr an den aggressivsten imperialistischen Staaten orientieren. Allen ist bekannt, dass sich der deutsche Faschismus nicht darauf beschränkt, Eroberungspläne nur zu schmieden, sondern sich zum Handeln in nächster Zeit vorbereitet. Vor unser aller Augen verwandelten die deutschen Faschisten das in ihre Verfügungsgewalt geratene Land in ein Kriegslager, das wegen seiner Lage im Zentrum Europas auch keineswegs nur eine Bedrohung für die Sowjetunion dar-stellt. Selbst wenn man von den anderen Ländern absieht, so weiß doch jeder-mann, dass zum Beispiel der Tschechoslowakei, die keinen ihrer Nachbarn bedroht 1 Am 28.1.1935. Vgl. Dok. 19.
Nr. 346 10. 1. 1936 964 und ihrer friedlichen Arbeit nachgeht, bereits die Finsternis des deutschen Fa-schismus droht, welcher mit Bajonetten und Kanonenrohren strotzt, der alle mögli-chen und bis gestern noch für unmöglich gehaltenen chemischen Kampfstoffe be-sitzt, um Menschen zu vergiften und zu vernichten, der mit einer schnellen und mit einer lautlosen Luftwaffe für den unerwarteten Überfall ausgerüstet ist und über all das verfügt, was einen jetzigen Krieg in eine Massentötung nicht nur von Soldaten an der Front, sondern auch von einfachen Zivilisten, von Frauen und Kindern verwandelt. All das stellt eine wachsende Gefahr für den Frieden nicht nur in Europa dar. Wie widersprüchlich die Lage gegenwärtig in Deutschland ist, wird aus dem Folgenden ersichtlich. Neben der rücksichtslosen antisowjetischen Außenpolitik bestimmter deut-scher Regierungskreise wurde der Sowjetunion auf Initiative der deutschen Re- gierung der am 9. April 1935 unterzeichnete Vertrag zwischen Deutschland und der UdSSR über einen Kredit von 200 Millionen Mark mit einer Laufzeit von fünf Jahren vorgeschlagen.2 Dieser Kredit wird von uns im Großen und Ganzen erfolg-reich umgesetzt, wie auch der Fünfjahreskredit über 250 Millionen Kronen, den uns die Tschechoslowakei im vergangenen Jahr gewährt hat.3 In den letzten Mona-ten konfrontierten uns deutsche Regierungsvertreter mit der Frage eines neuen, größeren Kredits, nun bereits mit einer Laufzeit von 10 Jahren.4 Obgleich wir aus-ländischen Krediten nicht nachjagen und im Unterschied zur Vergangenheit in ei-nem bedeutenden Umfang dazu übergegangen sind, die Einkäufe im Ausland in bar zu bezahlen und nicht über Kredit zu tätigen, haben wir es nicht abgelehnt und lehnen es nicht ab, auch diesen Geschäftsvorschlag der deutschen Regierung zu prüfen. Die Entwicklung von Handels- und Wirtschaftsbeziehungen mit anderen Staa-ten, unabhängig davon, welche politische Kraft zeitweilig die Herrschaft in ihnen ausübt, entspricht der Politik der Sowjetmacht. Wir glauben, dass dies auch den In-teressen des deutschen Volkes entspricht. Daraus praktische Schlussfolgerungen zu ziehen, ist selbstverständlich Sache der Regierung Deutschlands. [...] Veröffentlicht in: DVP, Bd.XIX, Anlage 1, S. 695-705, hier S.697–699. 2 Vgl. Dok. 116. 3 Vgl. Dok. 92, Anm. 5. 4 Vgl. Dok. 166.
11. 1. 1936 Nr. 347965 Nr. 347 Schreiben des Stellv. Volkskommissars für Auswärtige Angelegenheiten Krestinskij an den Bevollmächtigten Vertreter in Berlin Suric Nr.347 11. 1. 193611. 1. 1936GeheimExpl. Nr. 5 11. Januar [1936] 4002 An den Bevollmächtigten Vertreter der UdSSR in Deutschland Gen. Suric Lieber Jakov Zacharovič, Sie kennen bereits den Text der gestrigen Rede des Gen. Molotov zur interna-tionalen Lage. Obgleich er in dem Deutschland betreffenden Teil1 Bezug auf sein Referat auf dem Sowjetkongress2 nahm und feststellte, dass die deutsche Regierung seitdem keinerlei Erklärungen abgegeben hat, dass sich die Außenpolitik Deutschlands von den Programmerklärungen Hitlers in dem Buch „Mein Kampf“ distanziert, schlug Gen. Molotov dennoch in seiner Rede gegenüber Deutschland einen etwas milde-ren Ton als in der vorjährigen an.3 Denn er sprach direkt unseren Wunsch aus, mit der deutschen Regierung bessere als die jetzigen Beziehungen zu haben, und unse-re Bereitschaft, mit Deutschland auf der Grundlage eines uns gewährten Kredites Handel zu treiben und ihn sogar auszubauen. Ich meine deshalb, dass die Rede des Gen. Molotov von den deutschen Regierungskreisen nicht als besonders feindselig aufgenommen werden wird. Das schließt selbstverständlich nicht aus, dass die deutsche Presse mit dem Segen der deutschen Regierung in den gewohnten feindseligen und verleumderi-schen Tönen auf die Rede antworten wird. Gestern habe ich auf dem Kongress ein paar Worte mit Gen. Pjatakov gewech-selt. Er erwartet von Tag zu Tag die Mitteilung Kandelakis, dass die Deutschen be-reit sind, die Verhandlungen fortzusetzen. Wenn er diese Mitteilung erhält, reist er unverzüglich ab. Bezugnehmend auf die letzten Schreiben und Tagebücher von Ihnen und Gen. Bessonov4 scheint mir, dass wir uns hinsichtlich dieses 500-Millionenkredits mit den Deutschen verständigen werden. Was jedoch die Frage einer Veränderung der politischen Haltung der Deutschen uns gegenüber betrifft, so sind in dieser Rich-tung weder in Berlin, noch in Moskau, noch an anderen Ort des Erdballs Anzei-chen irgendwelcher Veränderungen zu bemerken. 1 Vgl. Dok. 346. 2 Vgl. Dok. 19. 3 Nach Auffassung von Graf von der Schulenburg habe sich der Ton der Rede Molotovs gegenüber Deutschland eher verschärft. Vgl. Dok. 348. 4 Vgl. Dok. 330, 331, 338.
Nr. 348 11. 1. 1936 966 Im Gegenteil, es gibt immer mehr Anzeichen für eine Konsolidierung der deutsch-japanischen Beziehungen, einer Konsolidierung, die eine klare antisowje-tische Stoßrichtung aufweist. Mit kameradschaftlichem Gruß N. Krestinskij Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:5E[xemplare]. Das 1. [Exemplar] an den Adr[essaten], das 2. an Gen. Litvinov, das 3. an Gen. Stomonjakov, das 4. an Gen. Štern, das 5. zu den Akten. AVP RF, f. 010, op. 11, p. 68, d. 34, l. 9–8. Kopie. Veröffentlicht in: DVP, Bd.XIX, Dok.12, S.25–265. 5Nr. 348 Telegramm des Botschafters in Moskau Graf von der Schulenburg an das AA Nr.348 11. 1. 193611. 1. 1936Telegramm (Geh. Ch. V.) Moskau, den 11. Januar 1936 23.15 Uhr Ankunft, den 12. Januar 1936 0.30 Uhr Nr. 8 vom 11.11.Über außenpolitischen Teil Rede Molotows1 hat Deutsches Nachrichtenbüro Meldungen Moskauer Vertreters und von TASS erhalten. Verglichen mit Rede *Molotows vor dem VII. Sowjetkongress im Januar 1935*2 ist verstärktes überhebliches Auftrumpfen festzustellen, das durch Ankün-digung wesentlicher Erhöhung Militäretats unterstützt wird. Deutschland gegenüber hat sich Ton eher verschärft. Zwar erklärt Molotow einleitend, er wünsche Verbesserung Beziehungen zwischen beiden Staaten, ande-rerseits erhebt Molotow besonders scharfe direkte und indirekte Angriffe gegen Deutschland. *Er spricht von „verbrecherischer Propaganda für Eroberung fremden Bodens“*3, welche Nationalsozialisten betrieben und die Nachahmer in Polen und Finnland fände. Auf seinen vor VII. Sowjetkongress erfolgten Hinweis betr. Äuße-rungen in „Mein Kampf“, die gegen Russland gerichtet seien, habe deutsche Regie-rung geschwiegen. Hierdurch würde bestätigt, dass diese Äußerungen in Kraft blie-ben. Deutsches Argument, dass Deutschland und Sowjetunion keine gemeinsame Grenze hätten, sei nicht stichhaltig, da Deutschland fieberhaft Beherrschung Ostsee vorbereite und zu Polen besondere Beziehungen entwickelt hätte. Deutsches Ex-5 Die Veröffentlichung in DVP erfolgte ohne Legende und nach eigenen Redaktionsricht-linien. 1 Vgl. Dok. 346. 2 Der Text ist unterstrichen. Dazu am Seitenrand, aber durchgestrichen: „Akten betr. Kom.Kongress. In diesen ist über eine Rede Molotoffs nichts zu ermitteln.“ Vgl. Dok. 19. 3 Der Text ist unterstrichen.
11. 1. 1936 Nr. 348967 pansionsstreben bedrohe nicht nur Sowjetunion. *Deutscher Faschismus be-schränke sich nicht auf Pläne, sondern bereite sich vor, in nächster Zeit zu han-deln. Faschismus habe „in seine Hand gefallenes“ Deutschland in Kriegslager ver-wandelt, welches friedlichen Nachbarn, wie Tschechoslowakei, mit allem Schreck modernen Luft- und Gaskriegs bedrohe.*4 Etwas unvermittelt kommt Molotow dann auf deutsch-sowjetisches Kreditabkommen vom April 19355, das er als Be-weis für „widerspruchsvolle Lage in Deutschland“ anführt. Trotz deutscher Anti-sowjetkampagne sei auf „Initiative Deutschlands“ Abkommen geschlossen worden und werde erfolgreich realisiert. Im letzten Monat habe deutsche Regierung Sow-jetunion noch größeren Kredit auf 10 Jahre vorgeschlagen.6 Sowjetunion nachlaufe nicht ausländischen Krediten, aber ablehne auch nicht, geschäftlichen Vorschlag zu erörtern. Entwicklung Wirtschaftsbeziehungen zu anderen Ländern, unabhängig von ihren zeitweiligen Regierungssystem, entspreche sowjetischer Politik. Damit werde auch Interessen deutschen Volkes gedient. Praktische Schlussfolgerung müs-se jedoch deutsche Regierung ziehen. Neben heftigen Angriffen, welche Nervosität angesichts wachsenden politi-schen Schwergewichts Deutschlands verraten, tritt somit Erklärung, zur wirtschaft-lichen Zusammenarbeit bereit zu sein. Hierbei bleibt offen, inwieweit es sich um taktischen Schritt handelt, der auf andere Staaten einwirken soll.7Schulenburg Auf erstem Blatt oben der Stempel des AA: IV Ru 165, Eing. 13. Jan. 1936. Am Seiten-rand Stempel: R.K./ P.K. vorgelegt. Tel Kentn. sowie Stempel über die Verteilung. Gefer-tigt in 15 Exemplaren. Unten zdA H[encke] 14/1 und Po 2 Ru. PA AA, R 83399, Bl.H 047398-047399. Veröffentlicht in: ADAP, Ser. C, Bd.IV/2, Dok.489, S.965–966. 4 Der Text ist unterstrichen. 5 Vgl. Dok. 116. 6 Einen ersten Hinweis auf den Vorschlag findet sich im Tagebuch Bessonovs vom Mai 1935; vgl. Dok. 166. Hier wird Bezug genommen auf das Gespräch Schachts mit Kandelaki am 16.12.1935; vgl. Dok. 329. Am 11.1.1936 rief ein Redakteur der „Frankfurter Zeitung“ bei Dittmann an und fragte wegen des Kreditangebotes nach. Nach telefonischer Rücksprache mit dem Reichswirtschaftsministerium informierte Dittmann die Redaktion noch am glei- chen Tage, dass dazu „jede Veröffentlichung der Presse dringend unerwünscht sei“. PA AA, R 31477, Bl. H 097938-097939, hier H 097939. In den Presseanweisungen vom 13.1.1936 hieß es: „Die Molotow-Rede soll groß aufgemacht werden, und zwar möglichst in der ausführli-chen Fassung des DNB.“ Dagegen lautete die Anweisung am 14.1.1936: „Die Debatte über Mo-lotow soll nunmehr abgeschlossen werden.“ In: NS-Presseanweisungen, Bd. 4/I, S. 35 und S. 40. 7 Schulenburg verfasste über den außenpolitischen Teil der Rede Molotovs einen ausführ-lichen Bericht, der unter der Nummer A/48 am 13.1.1936 an das AA geschickt wurde. Darin hieß es zu der Kreditfrage: „Beim Hinweis Molotows auf die Verhandlungen über einen künf-tigen deutschen Zehn-Jahres-Kredit für die Sowjetunion liegt der Gedanke nahe, dass der Ne-benzweck, auf Verhandlungen mit anderen Staaten zu drücken, dafür maßgeblich war, wenn Molotow eine Mitteilung über jene Kreditverhandlungen, dazu unter Entstellung der Initiativ-Frage, an die große Glocke hing.“ PA AA, Moskau 59, Bl. 375277-375284, hier Bl. 375282-375283.
Nr. 349 11. 1. 1936 968 Nr. 349 Aufzeichnung von Unterredungen des Rates der Bevollmächtigten Vertretung in Berlin Bessonov Nr.349 11. 1. 193611. 1. 1936GEHEIMExpl. Nr. 1 Berlin, den 11. Januar 1936 Tagebuch S. Bessonovs **2.–12. Januar Nr. 6/s**1DIE WIRTSCHAFTSVERHANDLUNGEN(Gespräche mit Bräutigam, Mossdorf und Hencke) Die Deutschen führten am 4. Januar eine Vorbesprechung zu den Wirtschafts-verhandlungen mit uns durch.2 Auf dieser Besprechung sind keine greifbaren Be-schlüsse gefasst worden. Es wurden folgende Fragen erörtert: 1. Zum Zahlungsmodus für unsere Verbindlichkeiten im Jahr 1936.*In dieser Frage dominiert bislang die Haltung Schachts, der bereits in den Gesprächen mit Gen. Kandelaki forderte, sämtliche Verbindlichkeiten im Jahr 1936 in Gold oder in Devisen zu bezahlen.3 Während des Frühstücks, das die Bevoll-mächtigte Vertretung am 6. Januar zu Ehren von Bräutigam anlässlich seiner Abrei-se gab4, stellte sich jedoch heraus, dass in dem Gespräch Kandelakis mit Mossdorf, das einige Tage vor diesem Treffen stattgefunden hatte, Mossdorf von der anfängli-chen Haltung Schachts bereits abgerückt war und durchblicken ließ, dass es mög-lich wäre, nur 40 Mio. Mark in Gold und in Valuta zu bezahlen.*52. Zum Rohstoffimport aus der UdSSR.Die Besprechung beschäftigte sich mit der sehr merkwürdigen Berechnung, welche Rohstoffe möglichst regelmäßig aus der Sowjetunion zu beziehen wären. Dazu ist eine Liste in Höhe von 160–200 Mio. Mark für den jährlichen Rohstoffim-port aus der UdSSR erstellt worden. Laut Erklärung der Deutschen würden sie mit dieser Liste zwei Ziele verfol-gen. Einerseits käme es für Deutschland angesichts des Misserfolges, Rohstoffe aus anderen Quellen zu beziehen, darauf an, den Bezug der erforderlichen Rohstoffe gerade aus der UdSSR sicherzustellen. Andererseits könnte die UdSSR auf diese Weise gezwungen werden, in Deutschland die laufenden Aufträge zu tätigen oder Waren in bar zu kaufen, was für die Deutschen von ganz bestimmter Bedeutung wäre*6, da zwischen dem Auslaufen der Zahlungen bezüglich unserer alten Ver-1 Der Text ist mit Tinte geschrieben. 2 Vgl. Dok. 341. 3 Vgl. Dok. 329. 4 Bräutigam wurde an die Deutsche Botschaft in Frankreich versetzt. 5 Der Text ist am linken Seitenrand mit blauem Farbstift angestrichen. 6 Der Text ist am linken Seitenrand mit blauem Farbstift angestrichen.
11. 1. 1936 Nr. 349969 bindlichkeiten und der Zahlungsaufnahme für unsere neuen Verbindlichkeiten eine Zeitspanne von 3–4 Jahren liegt, die mit unseren laufenden Aufträgen ausge-füllt werden muss. In dieser Frage sind wir sehr einträchtig über die Deutschen hergefallen und haben erklärt, dass überhaupt keine Rede davon sein könne, unseren Export nach Deutschland zu fixieren, mit Ausnahme jenes Teils, der für die Deckung der jährli-chen Zahlungen im Rahmen des 500-Millionenkredits erforderlich sein wird. *Wir machten die Deutschen weiterhin darauf aufmerksam, dass sie weit über das hinausgingen, worüber Schacht gesprochen hätte, als er vorschlug, lediglich jene Summe zu fixieren, die für die Deckung unserer Verpflichtungen erforderlich sei, und alles das, was darüber hinausgehe, keiner Begrenzung zu unterwerfen. Er machte lediglich den Vorbehalt, dass wir die durch den Export erzielten Erlöse in Deutschland ausgeben müssten.*73. Die oben angeführte Besprechung beschäftigt sich nur mit diesen zwei Fra-gen. Im Allgemeinen sind alle Verhandlungen bis zum 10. Januar, an diesem Tag wird Schacht aus dem Urlaub erwartet, unterbrochen. In der Zwischenzeit zeich-nete sich jedoch in dem Gespräch Kandelakis mit Wolff8 sowie in meinen Ge-sprächen mit Bräutigam und Mossdorf ab, dass die Deutschen möglicherweise die Garantiefrage für das Abkommen in Gold oder in einer beliebigen anderen Wäh-rung aufwerfen werden. *Wolff erklärte die Forderung nach einem Goldkurs in unseren Obligationen damit, dass die Deutschen dank dieses Goldkurses in Eng-land Kredite bekommen können.*9 Mossdorf und Bräutigam sprachen darüber, dass der Goldkurs zumindest für Teile unserer Obligationen notwendig sei, damit die Deutschen ausländische Kredite für jene Rohstoffe bekommen könnten, die für die Herstellung von Waren benötigt werden, die für die Lieferung an die UdSSR bestimmt sind. So oder so ist sicherlich damit zu rechnen, dass die Frage eines garantierten Markkurses in den bevorstehenden Abkommen zur Sprache gebracht werden wird. Im Übrigen sind sich alle meine Gesprächspartner sicher, dass es bereits im Januar gelingen werde, das Gesamtabkommen zu unterzeichnen. S. Bessonov Vermerk mit blauem Farbstift: M.M.10Oben links von der Mitte befindet sich der Stempel des Sekretariats des Volks- kommissars des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 163 vom 14.1.1936. Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:7Expl. 4 an Litvinov, 2 an Krestinskij, 1 [Exemplar] zu den Akten. 11.1.36. AVP RF, f. 05, op. 16, p. 118, d. 49, l. 11–11R. Original. 7 Der Text ist am linken Seitenrand mit blauem Farbstift angestrichen. 8 Vgl. Dok. 345. 9 Der Text ist am linken Seitenrand mit blauem Farbstift angestrichen. 10 Litvinov.
Nr. 350 11. 1. 1936 970 Nr. 350 Schreiben des Bevollmächtigten Vertreters in Berlin Suric an den Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten Litvinov Nr.350 11. 1. 193611. 1. 1936GEHEIMExpl. Nr. 1 11. Januar 19351Nr. 4/s2AN DEN VOLKSKOMMISSAR Gen. M.M. LITVINOV Lieber Maksim Maksimovič. *In letzter Zeit stellen wir vermehrt Anzeichen dafür fest, dass die Deut-schen zu Repressalien gegenüber sowjetischen Bürgern in Deutschland greifen könnten. Beamte des Ministeriums deuteten uns unlängst an (im Zusammenhang mit der Verweigerung des Rückreisevisums für den deutschen Journalisten Gör-bing3), dass die deutschen Innenbehörden gegen Gen. Gofman einige Repressa-lien anwenden könnten.*4 Außerdem hat das Ministerium unlängst noch einmal bei uns demarchiert wegen der bedrohlichen Zunahme von Verhaftungen deut-scher Staatsbürger in der UdSSR5; man habe über das Schicksal einer recht be-deutenden Anzahl von Inhaftierten keinerlei Informationen. Zum Beispiel wurde darauf verwiesen, dass in zwei oder drei Fällen, obwohl die Deutsche Botschaft in Moskau vom NKID vor langer Zeit die Benachrichtigung über die Ausweisung von inhaftierten deutschen Staatsbürgern erhalten hätte, diese deutschen Staats-bürger jedoch bis jetzt nicht in Deutschland erschienen seien und über ihren Aufenthaltsort auch niemand etwas wisse. In diesem Zusammenhang wurden erneut dahingehend Andeutungen gemacht, dass die deutschen Innenbehörden auf solch eine Lage der Dinge in der Sowjetunion mit gewissen Repressalien ge-gen sowjetische Bürger in Deutschland antworten könnten. Inwiefern das alles ernst gemeint ist, lässt sich vorerst schwer sagen. Aber es gibt bereits einige Fak-ten. Zum Beispiel wurde ein Mitarbeiter der Derunapht, der aufgrund seines Dienstpasses die Aufenthaltserlaubnis für Deutschland erhalten hatte, dieser Tage zur Polizei einbestellt, wo man ihm anstelle einer langfristigen Aufenthaltserlaub-nis eine kurz befristete anbot. *Wir meinen hier, dass deutsche Repressalien gegen unsere Bürger, wenn sie in nächster Zeit in Anwendung kommen sollten, einen negativen Einfluss auf den Charakter und auf das Tempo der jetzt geführten Wirtschaftsverhandlungen neh-men können.* In diesem Zusammenhang erachten wir es als zweckmäßig, die An- 1 So im Dokument; richtig: 11. Januar 1936. 2 Die Ausgangsnummer ist mit Tinte geschrieben. 3 Vgl. Dok. 340, 344. 4 Der hier und im Folgenden so gekennzeichnete Text wurde von Litvinov am linken Sei-tenrand mit blauem Farbstift angestrichen. 5 Vgl. Dok. 339.
11. 1. 1936 Nr. 350971 lässe für deren Entstehung in der nächsten Zeit wenn nicht vollständig zu beseiti-gen, so doch wenigstens zu verringern. Mir scheint, in diesem Zusammenhang wäre es richtig: erstens, den Deutschen zu allen Inhaftierten, über die wir bis jetzt den Deutschen nichts mitgeteilt haben, eine Information über deren Aufenthaltsort und Schicksal zu geben, zweitens, darauf einzugehen, die Gefängnishaft der wegen Steuersachen Inhaftierten in eine Ausweisung umzuwandeln, wenn keine besonde-ren erschwerenden Umstände vorliegen. *Obgleich ich in Ermangelung jeglicher Informationen nicht in der Lage bin, mich zu äußern, so halte ich es, was Görbing betrifft, dennoch für möglich, der Frau Görbings eine Kurzreise nach Moskau zu erlauben, um die Wohnung und den Besitz aufzulösen.* Mit kameradschaftlichem Gruß Ja. Suric Vermerk M.M. Litvinovs mit blauem Farbstift: *An N.N.6, Umanskij*7, Štern und darüber ist mit Bleistift durchgestrichen: umgehend Štern vorzulegen. Vermerk D.G. Šterns mit Tinte: An Gen. Lev[in], Gen. Kant[er], mit Bitte um Rück- sprache. 17.1.36 Š[tern]. Oben in der Mitte befindet sich der Stempel des Sekretariats des Volkskommissars des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 165 vom 14.1.1936. Oben rechts von der Mitte befindet sich der Stempel des Sekretariats des Stellvertre- tenden Volkskommissars des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 233 vom 15.1.1936. Oben in der Mitte befindet sich der Stempel der 2. Politischen Westabteilung des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 139 vom 16.1.1936. Oben links befindet sich der Stempel des Geheimarchivs der Presseabteilung des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 35 vom 16.1.1936. Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:2Expl. 1 [Exemplar] an den Adressaten, 1 zu den Akten. 11.1.36. Auf Kopfbogen der Bevollmächtigten Vertretung der UdSSR in Deutschland geschrieben. AVP RF, f. 082, op. 19, p. 83, d. 4, l. 17–17R. Original. 6 Krestinskij. 7 Der Text ist mit Bleistift geschrieben.
Nr. 351 13. 1. 1936 972 Nr. 351 Bericht des Botschafters in Moskau Graf von der Schulenburg an das AA Nr.351 13. 1. 193613. 1. 1936Moskau, den 13. Januar 1936 **1 Tgb.Nr. A/43 Durchschlag An das Auswärtige Amt BerlinInhalt: Protest gegen die Haltung der sowjetischen Presse und des Sowjetrund-funks gegenüber Deutschland Im Anschluss an die Berichte von 19.12.1935 – A/27632 – und vom 6.1.1935 – A/313Am 9. Januar habe ich beim Volkskommissar Litwinow gegen folgende Deutsch- land und seine führenden Staatsmänner beleidigende Äußerungen der Sowjetpresse und des sowjetischen Rundfunks nachdrücklich protestiert: 1) gegen den Artikel des „Journal de Moscou“ vom 3. Dezember 19354, der schwere Beleidigungen des Führers und Reichskanzlers im Zusammenhang mit dem Interview an die United Press5 enthielt; 2) gegen eine Sendung des Komintern-Senders vom 4. Dezember 1935, die den obenerwähnten Artikel des „Journal de Moscou“ zum Inhalt hat; 3) gegen das in der „Prawda“ vom 8. Januar 19366 und in der „Deutsche Zent-ral-Zeitung“ vom 9. Januar 19367 erschienene Interview Dimitroffs, in dem sich dieser mit dem Briefe des Botschafters von Ribbentrop an Lord Allen8 auseinander-setzte und das schwere Angriffe gegen die deutsche Rechtsordnung enthielt; 4) gegen eine Reihe von besonders ausfallenden und unflätigen Karikaturen der Moskauer und der Provinzpresse, in denen führende *deutsche Persönlichkei-ten*9 verunglimpft wurden. 1 Handschriftlich eingefügt: zu. 2 Vgl. PA AA, Moskau 212, Bl. 429145. Inhalt: Protest gegen Verunglimpfungen des Füh-rers und Reichskanzlers in der Sowjetunion. 3 So im Dokument; richtig: 6.1.1936. Vgl. PA AA, Moskau 212, Bl. 429160-429162. Inhalt: Angriff des Journal de Moscou auf die angeblichen „Auslandsagenturen“ des Nationalsozia-lismus. 4 Vgl. Dok. 308, Anm. 4. 5 Anlässlich der Einweihung der Deutschlandhalle am 29.11.1935 erklärte Hitler gegen-über der United Press, die Nürnberger Rassegesetze seien pro-deutsch, nicht anti-jüdisch. 6 „Otvet gospodinu Ribbentropu. Interv’ju, dannoe tov. G. Dimitrovym predstaviteljam pečati“ (Eine Antwort an Ribbentrop. Interview, das Gen. Dimitrov Pressevertretern gab). In: Pravda vom 8. Januar 1936, S. 4. 7 „Antwort an Herrn Ribbentrop. Interview von Pressevertretern mit Genossen G. Di-mitroff“. In: Deutsche Zentral-Zeitung vom 9. Januar 1936, S. 2. 8 „Ein Brief an Lord Allen. Botschafter Ribbentrop antwortet auf eine englische Eingabe“. In: Völkischer Beobachter vom 17. Dezember 1935, S. 1–2. Ribbentrop lehnte darin die von Allen und anderen geforderte Freilassung Hans Littens ab. 9 Der Text ist unterstrichen.
13. 1. 1936 Nr. 352973 Ich habe Herrn Litwinow bei dieser Gelegenheit erneut und sehr energisch auf die Unzulässigkeit derartiger beleidigender Angriffe gegen ein fremdes Staatsober-haupt hingewiesen sowie den besonders gehässigen Ton der Presseveröffentlichung unterstrichen, in denen noch dazu unwahre Anwürfe gegen Deutschland und seine führenden Männer vorgebracht worden seien. Als Herr Litwinow einwandte, dass auch in der deutschen Presse Angriffe gegen die Sowjetunion und ihre leitenden Männer erschienen, erwiderte ich ihm, dass die deutschen Zeitungen niemals derart grobschlächtige Angriffe, wie sie in der Sowjetpresse enthalten seien, gebracht hätte. Abschließend versprach mir Herr Litwinow, dass er mäßigend auf die Sowjet-presse einwirken wolle.10gez. Schulenburg Auf erstem Blatt oben: A/ 582 36 und zdA 14/1, am Seitenrand: ab 13.I Gü[nther]. Gefer-tigt in vier Durchschlägen.PA AA, Moskau 212, Bl.429165-429166. 10Nr. 352 Aufzeichnung der Unterredung des Gehilfen des Leiters der Presseabteilung im NKID Mironov mit dem Korrespondenten der „Münchener Neuesten Nachrichten“ in Moskau Mehnert Nr.352 13. 1. 193613. 1. 1936Geheim [13.1.1936] Nr. 245061GESPRÄCH des Gen. MIRONOV mit MEHNERT Heute suchte mich MEHNERT („Münchener Neueste Nachrichten“ und einige andere Provinzzeitungen) auf und händigte mir ein Schreiben aus, mit dem er die Presseabteilung davon unterrichtet, dass er in Abstimmung mit seinen Redaktionen seine Tätigkeit in Moskau zeitweilig unterbricht und abreist. Mündlich ergänzte M[ehnert], dass er deshalb abreise, weil es vollkommen unmöglich geworden wäre, in der deutschen Presse irgendetwas Positives über die Sowjetunion zu veröffentli-chen. Das Fass seiner Geduld hätten zwei Tatsachen, die jüngst zu beobachten wa-ren, zum Überlaufen gebracht: 1) das Organ der Hitlerjugend (M. ist bekanntlich Fachmann für die Jugendbewegung) habe eine komplette antisowjetische Nummer herausgebracht – bis jetzt sei dieses Organ nicht für die Rosenbergsche Lehre zu-gänglich gewesen, und 2) habe Just wegen des Artikels über die Einführung der Neujahrstanne in der UdSSR2 vom Propagandaministerium große Unannehmlich-10 Eine Aufzeichnung unmittelbar nach dem Gespräch vom 9.1.1936 befindet sich auch in PA AA, Moskau 212, Bl. 429163-429164. Vgl. auch Dok. 344. 1 Die Ausgangsnummer ist mit Tinte geschrieben. 2 An der Jahreswende zu 1936 wurde in der UdSSR die Tanne offiziell zum Symbol des Neujahrsfestes deklariert. Vgl. auch Dok. 343.
Nr. 353 14. 1. 1936 974 keiten bekommen. Wenn man nicht einmal über die Neujahrstanne schreiben dür-fe, worüber könne man denn sonst noch schreiben?! Ich habe die Erklärung Mehnerts lediglich zur Kenntnis genommen. B. Mironov 13. Januar 1936 Vermerk D.G. Šterns mit Tinte: An Gen. Lev[in], Gen. Kant[er] 14.I.36. Š[tern]. Oben rechts von der Mitte befindet sich der Stempel der 2. Politischen Westabteilung des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 99 vom 14.1.1936.Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:5Expl. 1 [Exemplar] an Gen. Lit[vinov], 1 an Gen. Kr[estinskij], 1 an Gen. Štern, 1 nach Berlin, 1 zu den Akten. AVP RF, f. 082, op. 19, p. 85, d. 26, l. 7. Kopie. Nr. 353 Brief des Leiters des Referats Russland in der II. Abteilung im AA Hencke an den Botschafter in Tokio von Dirksen Nr.353 14. 1. 193614. 1. 1936Berlin, den 14. Januar 1936 Vertraulich!Hochzuverehrender Herr Botschafter, Zunächst muss ich wieder um Entschuldigung bitten, dass ich erst diesen Ku-rier dazu benutze, um Euer Hochwohlgeboren für das gütige Schreiben vom 14. Ok-tober1 zu danken, das für mich wie stets eine ganz besondere Freude und Ehre bedeutet hat. Jetzt, nachdem ich nun schon einige Wochen in dem neuen Arbeits-gebiet tätig bin, bin ich auch besser in der Lage, Ihnen, hochverehrter Herr Bot-schafter, sachlich antworten zu können. Ich muss gestehen, dass die Leitung des Referats IV Ru zwar recht interessant, aber unter den gegebenen Verhältnissen doch noch wesentlich schwieriger ist, als ich es mir gedacht habe. Für den gegenwärtigen Stand unserer Beziehungen zur Sowjetunion ist die letzte Rede Molotows auf der ZIK-Sitzung2 in Moskau recht bezeichnend. Wenn sie auch schlecht sind, so besteht *doch immerhin nicht mehr der Zustand der Stagna-tion*, der noch vor einigen Monaten herrschte. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Sowjetregierung seit *etwa 2 Monaten ein besseres Verhältnis zu uns anstrebt*. Der Grund für diesen Wunsch dürfte – abgesehen von unserer militärischen Erstar-kung – ebenso sehr in gewissen *Enttäuschungen* an *Frankreich* (Haltung La-vals) als auch in der Absicht liegen, sich *England zu nähern*. Dazu drängt offen-bar das gemeinsame Interesse an einer *politischen Abwehr des japanischen Expansionsdranges*. Für die Engländer sind die Russen wohl aber nur dann inte-ressant, wenn ihr Rücken im Westen einigermaßen frei ist. So erklärt sich jedenfalls 1 Vgl. Dok. 256. 2 Vgl. Dok. 346.
14. 1. 1936 Nr. 353975 für uns der russische Versuch, eine Entspannung der deutsch-russischen Beziehun-gen herbeizuführen. Nachdem sich die Lage im Laufe der letzten Jahre so verschärft hat, ist es für die *Sowjetunion natürlich schwierig und unbequem, ihre Propagan-da umzustellen*, wofür die schon erwähnte recht herausfordernde Molotow-Rede einen deutlichen Beweis gibt. Auch bei uns stößt der an sich zweifellos vorhande-ne Wunsch nach einer Realisierung der Entspannung so lange auf Schwierigkeiten, als die Sowjetunion nicht wirkungsvollere Beweise ihres guten Willens als nur schöne Worte gibt. *Das ewige Herumreiten auf dem für uns untragbaren Ostpakt* ist, ganz abgesehen von den weltanschaulichen Gegensätzen, das *Haupthindernis für eine Normalisierung der Beziehungen, – mehr kommt nicht in Frage –, weil nun einmal unser Ausgleich mit den Westmächten durch diese russische Politik immer wieder gestört wird*3. Die Russen wollen sich aber nicht von dem Glauben abbringen lassen, dass wir Angriffsabsichten gegen sie haben, und ziehen alle ent-sprechenden amtlichen Erklärungen hierüber in Zweifel. Es mag für die Russen nicht einfach sein, sich über die außenpolitischen Kräfteverhältnisse in Deutsch-land ein zuverlässiges Bild zu machen. Diese Schwierigkeit rechtfertigt aber doch nicht ihr Misstrauen, insbesondere im Hinblick auf die Tatsache, dass sie über ei-nen Stab von guten Deutschlandkennern verfügen. In letzter Zeit scheint allerdings die *russische Gespensterseherei etwas nach-zulassen*, nachdem *Schacht in großzügige Besprechungen über die Gewährung einer* verhältnismäßig großen und *sehr langfristigen Obligationsanleihe (500 Mill. RM auf 10 Jahre)*4 mit den Russen eingetreten ist. Während für uns die Bedeutung dieses Abkommens in erster Linie auf wirtschaftlichem Gebiet liegt, – wir beziffern unseren Rohstoffbedarf aus der Sowjetunion auf rund 160 Mill. RM jährlich, – neigt die Sowjetregierung dazu, dieses Projekt vor allem politisch auszuwerten, und zwar in erster Linie gegen dritte Staaten. Gewissen einflussreichen Sowjetkreisen, zu de-nen auch *Stalin gehört, erscheint die deutsche Anleihebereitschaft offenbar wie eine Art getarnter Nichtangriffspakt*. Ob das Geschäft nun zustande kommt, ist heute noch in keiner Weise zu übersehen. Die Angelegenheit ist hier ganz vertrau-lich behandelt worden. *Umso illoyaler war die Bekanntgabe durch Molotow auf dem ZIK-Kongress.5* Der 200 Millionen Kredit wickelt sich übrigens jetzt ganz nor-mal ab. Im Ganzen gilt die *Instruktion des Herrn* Staatssekretärs6: „Viel Geduld haben, die Wasser *langsam steigen*7 lassen.“ Für die *Prognose* Euer Hochgeboren bezüglich der Entwicklung der *rus- sisch-japanischen Beziehungen* war ich außerordentlich *dankbar*. Für uns ist es hier außerordentlich schwer, ein klares Bild über diese so komplizierte Seite der internationalen Politik zu gewinnen. Es *hat allerdings den Anschein, dass die gegenseitigen Reibungen neuerdings wieder*8 zunehmen. Dass es deshalb aber in absehbarer Zeit nicht zu einer dramatischen Entwicklung zu kommen braucht, ist mir angesichts des japanischen Engagements in der Mandschurei und Nordchina völlig einleuchtend. Ich glaube, dass bei uns vielfach die Möglichkeiten eines bal-3 Die neun Textstellen des Absatzes sind unterstrichen. 4 Die drei Textstellen sind unterstrichen. 5 Vgl. Dok. 346. 6 Bernhard von Bülow. 7 Die vier Textstellen sind unterstrichen. 8 Die drei Textstellen des Absatzes sind unterstrichen.
Nr. 353 14. 1. 1936 976 digen militärischen Konflikts zwischen Russland und Japan falsch beurteilt wer-den. Von den Interna im Amt steht die bevorstehende Neuorganisation im Mittel-punkt des Interesses. Genaues darüber, wie das Amt nach dem 1. April aussehen wird, weiß vorläufig niemand.9 *Sicher ist nur, dass unter Herrn Dieckhoff die Po-litische Abteilung gebildet wird*, die von allen wirtschaftlichen Fragen völlig ent-lastet werden soll (für Russland ist das allerdings sehr schwierig). Es heißt, dass unter Herrn Dieckhoff zwei Gesandte erster Klasse als Dirigenten fungieren sollen, dann kämen etwa 8 Vortragende Räte als Generalreferenten für größere Länder-gruppen, während Hilfsarbeiter die einzelnen Staaten etwa so wie die jetzigen Re-ferenten bearbeiten sollen. Aber, wie gesagt, kein Mensch weiß etwas Genaues. Ich würde es lebhaft bedauern, wenn auf diese Weise meine Arbeit unter Herrn Roedi-ger eine Veränderung erfahren würde. *Herr R[oediger] hat sich glänzend in die Leitung der Abteilung hineingefunden und*10 ist auch in menschlicher Hinsicht ein besonders angenehmer Chef. Bräutigam ist vorgestern auf seinen Pariser Posten abgereist. Sein Fortgang be-deutet für die Abteilung einen schweren Verlust. Bis zum Eintreffen von Balser be-arbeitet unter mir Herr Dittmann aus Moskau kommissarisch die Wirtschaftsfra- gen. – Tippelskirch ist auf Urlaub in Berlin. Er muss sich im Westsanatorium einer kleinen Operation unterziehen, wird das Krankenhaus aber schon in einigen Tagen verlassen dürfen. Twardowski beginnt, soweit ich das übersehe, allmählich Geschmack an sei-ner neuen Arbeit mit den Minderheiten zu gewinnen. Am kommenden Samstag wird Gerda heiraten. *Wir haben in der Friedrichsruher Str. eine ganz*11 nette kleine Wohnung ge-funden und richten uns nun hier für einige Jahre ein. Darf ich dieses Schreiben mit dem aufrichtigen Wunsch schließen, dass es Ih-nen, hochverehrter Herr Botschafter, vergönnt ist, auch im Jahre 1936 so erfolgreich arbeiten zu können wie bisher. Dass meine aufrichtigsten Wünsche in alter Dank-barkeit und Anhänglichkeit Ihnen immer in persönlicher wie dienstlicher Bezie-hung gelten, bitte ich nicht betonen zu brauchen. **Ich darf mir erlauben, den direkten Kurier jetzt regelmäßig zu Informationen auszunutzen.12Für heute bitte ich mit der Versicherung meiner alten Verehrung verbleiben zu dürfen Euer Hochwohlgeboren stets gehorsamster Hencke 9 Die Reorganisation trat am 15.5.1936 in Kraft; vgl. auch die Einleitung. 10 Die beiden Textstellen des Absatzes sind unterstrichen. 11 Der Text ist unterstrichen. 12 Dirksen antwortete darauf am 1.2.1936 aus Tokio: „Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Absicht, mich auch mit den kommenden Kurieren über die Entwicklung der deutsch-russischen Beziehungen auf dem Laufenden halten zu wollen; Sie wissen, wie lebhaft sie mich interessieren und wie wichtig diese Kenntnis für mich hier ist.“ Er informierte Hencke seinerseits über die sowjetisch-japanischen Beziehungen. In: Mundt, Ostasien im Spiegel, S. 189-192, hier S. 191. Das Original befindet sich in PA AA, R 27443, Bl. 450891-450896.
16. 1. 1936 Nr. 354977 PS.: Görbing ist ausgewiesen, Just hat ziemliche Schwierigkeiten – hier und in Moskau.**13PA AA, NL Dirksen, Bd.2, Bl.M 014712-014717. Veröffentlicht in: Mund, Ostasien im Spiegel der deutschen Diplomatie, Dok.25, S.187–189. 13Nr. 354 Aufzeichnung von Unterredungen des Rates der Bevollmächtigten Vertretung in Berlin Bessonov Nr.354 16. 1. 193616. 1. 1936GEHEIMExpl. Nr. 1 Berlin, den 16. Januar 1936 Tagebuch S. Bessonovs 12.–16. Januar 36 Nr. 17/s1DIE REDE DES Gen. MOLOTOV UND DIE WIRTSCHAFTSVERHANDLUNGEN(Gespräche mit den Referenten Schachts Brinkmann, Göring, Blessing, mit dem Direktor der Reichsbank Dreyse und dem Dirigenten des Aus[wärtigen] Amtes Roediger). Wir telegrafierten bereits nach Moskau, dass die deutsche Presse bei ihrer Ein-schätzung der Rede des Gen. Molotov2 die Fragen nach neuen Krediten wohl be-dacht umgeht. Von einem Mitarbeiter des „Der Ost-Express“3 erfuhren wir, dass dieses Schweigen der deutschen Presse auf eine spezielle Anweisung des Auswär-tigen Amtes und des Propagandamin[isteriums] zurückzuführen ist. Erst am 15. des Monats ist **in**4 den sogenannten „Führerbriefen“5, die nur einer begrenzten Anzahl von Abonnenten zugänglich sind, dieses Thema zur Sprache gekommen, allerdings in einer äußerst vorsichtigen Form. (Siehe das Bulletin unserer Presseab-teilung zu dieser Frage). Am 13. Januar habe ich gemeinsam mit Kandelaki, Fridrichson und Gasjuk mit den oben genannten Referenten Schachts – Göring, Brinkmann, Blessing – zu Abend gegessen. Obwohl an diesem Tag die Rede des Gen. Molotov in den deut-schen Zeitungen ausführlich wiedergegeben wurde, ist keiner der Referenten 13 Der gesamte Text ist handschriftlich hinzugefügt. Zu Görbing vgl. Dok. 374, Anm. 5. 1 Die Ausgangsnummer ist mit Tinte geschrieben. 2 Vgl. Dok. 346. 3 Dieser Informationsdienst erschien in drei Serien: Der Ost-Express. Artikeldienst: Poli-tisch-wirtschaftlicher Nachrichtendienst aus Russland, Polen und Oststaaten, Berlin 1920–1943; Der Ost-Express. Politische Ausgabe: Sowjetunion, Polen, Finnland, Baltische Staaten, Berlin 1920–1942; Der Ost-Express. Wirtschaftsausgabe: Nachrichtendienst für Politik, Wirt-schaft, Kultur; Russland, Finnland für die Baltischen Staaten, Berlin 1920–1941. 4 Das Wort ist mit Tinte über die Zeile geschrieben. 5 Vgl. Dok. 360, Anm. 8.
Nr. 354 16. 1. 1936 978 Schachts auf sie eingegangen. Im Gegenteil, das ganze Benehmen und alle Äuße-rungen dieser Personen während des Abendessens lassen darauf schließen, dass es bei den Deutschen in der Politik keine Veränderungen bezüglich der Wirtschafts-verhandlungen gibt, die man als Reaktion auf die Rede des Gen. Molotov werten könnte. Alle drei zeigten sich vollkommen davon überzeugt, dass die Verhandlun-gen in nächster Zeit zum glücklichen Abschluss gebracht werden und von deut-scher Seite keine gravierenden Einwände bestehen würden, **darunter**6 auch zur Liste der Objekte. Am 14. des Monats hatten Gen. Kandelaki und ich mit dem Direktor der Reichsbank Dreyse (der Stellvertreter Schachts) und mit dem Dirigenten des Aus-wärtigen Amtes Roediger7 ein sehr ausführliches Gespräch zum Thema der Rede des Gen. Molotov. Beide reagierten sehr nervös auf die Rede des Gen. Molotov und insbesondere auf den Teil, bei dem es um die Kredite geht. Ihrer Meinung nach hät-te Gen. Molotov nicht über die Verhandlungen, die noch nicht beendet seien, son-dern sich erst in ihrem Anfangsstadium befänden, sprechen dürfen, weil das den allgemeingültigen Regeln widerspräche. Da es bei diesen Verhandlungen um sehr diffizile und delikate Dinge gehe, könne der Umstand, die Verhandlungen verfrüht in die Öffentlichkeit **zu bringen**8, nicht ohne Folgen für deren weiteren Gang bleiben. Nach Ansicht Roedigers ist in der Rede des Gen. Molotov angeblich die bestehende Klausel verletzt worden, diese Verhandlungen nicht vor ihrem Ab-schluss öffentlich zu machen. Dreyse äußerte die Vermutung, dass die Motive, die Molotov dazu bewogen haben, auf die deutschen Kredite einzugehen, von dem Wunsch der sowjetischen Seite getragen wären, auf diese Weise auf die französische und englische öffentli-che Meinung in der Hoffnung einzuwirken, die dort geführten Verhandlungen über die Gewährung eines Kredits an die UdSSR zu beschleunigen. Ein anderer Vorwurf, den unsere beiden Gesprächspartner bezüglich dieses Teil der Rede des Gen. Molotov vortrugen, bestand darin, dass in der Rede Molo-tovs die Kreditinitiative und der tatsächliche Stand der Verhandlungen angeblich nicht richtig dargelegt worden seien. Sie meinen, dass Molotov in seiner Rede die Initiative für die Kredite der deutschen Seite zuschreibe9, während doch im Zuge der Verhandlungen vereinbart worden sei, die Kreditfrage im gegenseitigen Wunsch und Einvernehmen aufzuwerfen. Dreyse meint außerdem, dass Gen. Molotov in seiner Rede den Verhandlungsstand nicht richtig dargestellt hätte, als er erklärte, dass die sowjetische Regierung bereit sei, die von den Deutschen unterbreiteten Vorschläge zu prüfen. Diese Erklärung könnte, wie Dreyse meint, in dem Sinne in-terpretiert werden, dass die sowjetische Regierung noch nicht ihre Haltung zur Kreditfrage festgelegt hätte und es deshalb aus Sicht der deutschen Seite logisch wäre, jetzt die Verhandlungen zu unterbrechen und eine Entscheidung der sowjeti-schen Regierung abzuwarten. Unterdessen hatten sich die Deutschen aufgrund des Treffens Schachts mit Kandelaki im Dezember10 die Vorstellung zu eigen gemacht, 6 Das Wort ist mit Tinte über die Zeile anstelle von „ebenso“ geschrieben. 7 Vgl. Dok. 355. 8 Das Wort ist mit Tinte über die Zeile korrigiert; ursprünglich: vorzustellen. 9 Vgl. Dok. 166. 10 Vgl. Dok. 329.
16. 1. 1936 Nr. 354979 die sowjetische Seite hätte ihre positive Haltung zum Kredit endgültig vorent-schieden und beabsichtige, ein konkretes Gespräch zu dieser Frage zu führen. Dreyse vertritt die Meinung, dass das Referat Molotovs somit ein Element der Un-sicherheit in die Verhandlungen hineintrage und nicht ohne Auswirkungen auf de-ren weiteren Verlauf bleiben könne. Ich und Gen. Kandelaki schätzten die Nervosität unserer Gesprächspartner als eine Widerspiegelung der Gespräche ein, die in den interessierten deutschen Krei-sen stattgefunden haben. Zugleich ließen die vorgetragenen deutschen Bemerkun-gen zur Rede des Gen. Molotov darauf schließen, dass die Deutschen noch keine Entscheidung in Bezug auf die Rede getroffen haben. Wir machten unsere Ge-sprächspartner darauf aufmerksam, dass es keinerlei Absprache darüber gibt, dass wir nichts zur Frage dieser Kredite sagen dürfen, dies gab es nicht und daher sind wir auch keinerlei Verpflichtung eingegangen, Stillschweigen zu bewahren. Die deutsche Nervosität in dieser Frage verstünden wir nicht, weil sie so interpretiert werden könnte, dass die Deutschen entweder diese Verhandlungen leichtfertig auf-genommen haben (wenn sie derart deren Veröffentlichung fürchten) oder dass sie das alles konsequent in absoluter Geheimhaltung bewerkstelligen wollten, was wohl kaum möglich und wahrscheinlich sei. In der Rede des Gen. Molotov habe es keine Entstellung **bezüglich der Initiative**11 gegeben, weil Gen. Molotov wört-lich gesagt habe, dass die deutsche Seite uns mit der Frage nach neuen großen Kre-diten konfrontiert habe; auf Russisch könne man nicht anders über den tatsächli-chen Stand der Dinge sprechen, weil die Deutschen uns, und nicht umgekehrt, Kredite gewähren. Es ist anzumerken, dass Roediger im Gesprächsverlauf erklärte, dass in der Rede Molotovs **angeblich**12 das Volumen der neuen Kredite in einer Höhe von 500 Mio. angegeben worden sei. Davon hätten sie aufgrund der Meldungen von TASS, der Nachrichten des sowjetischen Rundfunks und der Telegramme ihrer Botschaft Kenntnis. Ich **bestritt**13 kategorisch diese Behauptung. Am nächsten Morgen bat mich Roediger telefonisch um Entschuldigung und erklärte, er hätte sich in der Tat geirrt. Da die Deutschen im Gesprächsverlauf einige Male auf mögli-che Auswirkungen der Rede des Gen. Molotov auf den weiteren Gang der Verhand-lungen hinwiesen, habe ich sie mit Nachdruck gefragt, was sie damit meinen. Roe-diger erschrak und sagte, dass er überhaupt nichts gemeint und lediglich seine persönliche Meinung geäußert hätte. Dreyse gab zu verstehen, dass es, obgleich **die Rede**14 wohl kaum Einfluss auf den Gang der Verhandlungen nehmen kön-ne, nichtsdestoweniger in der Liste der von uns bestellten Objekte15 zu Verände-rungen kommen könnte. S. Bessonov Vermerk mit blauem Farbstift: Zu den Akten.Oben in der Mitte befindet sich der Stempel des Sekretariats des Volkskommissars des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 237 vom 20.1.1936. 11 Der Text ist über die Zeile geschrieben. 12 Das Wort ist mit Tinte über die Zeile geschrieben. 13 Das Wort ist mit Tinte über die Zeile geschrieben; ursprünglich: bekämpfte. 14 Das Wort ist mit Tinte über die Zeile anstelle von „das“ geschrieben. 15 Vgl. Dok. 297, Anm. 9.
Nr. 355 16. 1. 1936 980 Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:7Expl. 4 an Gen. Litvinov, 1 [Exemplar] an Gen. Krestinskij, 1 an Gen. Stomonjakov, 1 zu den Akten. AVP RF, f. 05, op. 16, p. 118, d. 49, l. 12–13. Original. Nr. 355 Aufzeichnung von Unterredungen des Rates der Bevollmächtigten Vertretung in Berlin Bessonov mit dem Leiter der Gruppe Osteuropa und Skandinavien in der II. Abteilung im AA Roediger und dem Direktor der Reichsbank Dreyse Nr.355 16. 1. 193616. 1. 1936GeheimExpl. Nr. 5 Berlin, den 16. Januar 1936 Tagebuch S. Bessonovs 12.–16. Januar 1936 Nr. 16/s1REAKTIONEN DER DEUTSCHEN AUF DIE REDE DES Gen. MOLOTOV(Gespräche mit dem Dirigenten des Auswärtigen Amtes Roediger und dem Direktor der Reichsbank Dreyse 14.1.) Im Unterschied zur Presse, die sich bei ihrer Einschätzung der Rede des Gen. Molotov2 auf die Zunahme der sowjetischen Rüstungen, den sog. roten Imperialis-mus, und den Vergleich der Rede Molotovs mit den Reden auf dem letzten Kon-gress der Komintern3 konzentrierten, hoben meine Gesprächspartner4 vor allem die Unzulässigkeit hervor, jetzt gegen Hitler Beschuldigungen vorzubringen, die sich auf sein Buch aus dem Jahr 19235 beziehen. Damals sei Hitler noch in der Opposi-tion gewesen. Unter solchen Bedingungen sei es unmöglich, einem Staatsmann das vorzuhalten, was er noch in der Opposition gesagt oder geschrieben habe. Es sei völlig klar, dass man von Hitler nicht fordern dürfe, sein Buch zu desavouieren, zumal, laut Dreyse, 9/10 der Menschen es in ihrer Bibliothek, aber nicht gelesen hätten und es für sie ein Buch mit sieben Siegeln sei. Außerdem würden wir offen-bar eine recht geringe Meinung von den intellektuellen Fähigkeiten der Deutschen haben, wenn wir annehmen, dass der deutsche Leser des Buches von Hitler nicht zwischen den Thesen dieses Buches und der tatsächlichen Ausrichtung der deut-schen Außenpolitik unterscheiden6 könne. Nachdem Hitler an die Macht gekom-men ist, habe er einige Erklärungen abgegeben, die praktisch ein Abrücken von den Thesen des Buches „Mein Kampf“ bedeuten würden. Dazu gehörten: die Verlänge- 1 Die Ausgangsnummer ist mit Tinte geschrieben. 2 Vgl. Dok. 346. 3 Vgl. Dok. 204, Anm. 1. 4 Vgl. auch Dok. 354. 5 So im Dokument. „Mein Kampf“ erschien im Juli 1925. 6 Das nachfolgende Wort Unterschiede ist durchgestrichen.
16. 1. 1936 Nr. 355981 rung des Berliner Protokolls7; die gegenüber Chinčuk abgegebene Erklärung8; die Rede vor dem Reichstag9; die Erklärung über Bereitschaft zur Unterzeichnung, des Nichtangriffspaktes vom 21. Mai 193510 sowie die Erklärung in der Rede auf dem Nürnberger Parteitag, dass es keine aggressiven Absichten gibt11. Diesen zahlreichen friedfertigen Erklärungen stünde aber die militante Poli-tik der Sowjetunion gegenüber, die eine klare Ausrichtung gegen Deutschland trüge. Roediger gab mir zu verstehen, dass die Deutschen im Besitz entsprechen-der französischer Erklärungen wären, denen zufolge wir, d.h. die UdSSR, die ganze Zeit danach streben würden, dem sowjetisch-französischen Beistandspakt einen militärisch-aggressiven, antideutschen Charakter zu verleihen, und offenbar gegen den Widerstand der Franzosen. Die Beschlüsse des Plenums des CIK, die Haushaltsmittel der UdSSR für das Militär auf 14 Mrd. [Rubel] zu erhöhen, lös-ten in diesem Zusammenhang bei den Deutschen große Befürchtungen aus. Ich machte Reodiger und Dreyse darauf aufmerksam12, dass es neben den von ihnen erwähnten Erklärungen Hitlers noch dutzende, bei weitem gewichtigere Erklä-rungen von ihm und einer Reihe seiner engsten Mitarbeiter gebe, die davon zeu-gen, dass die herrschenden Kreise der deutschen Nationalsozialisten nicht nur nicht an den Ostplänen festhalten, die Hitler in „Mein Kampf“ entwickelt hat, sondern diese weiterentwickeln und vertiefen. Die zahlreichen und immer wie-derkehrenden scharfen antisowjetischen Kampagnen in der deutschen Presse werden im Geiste der in „Mein Kampf“ entwickelten Ideen geführt. Und schließ- lich sind die deutschen Schulen, die deutsche Armee und der deutsche Rund-funk sämtlich von diesen Ideen durchdrungen. Angesichts solcher Bedingungen davon zu sprechen, dass die Ideen von „Mein Kampf“ ihre Bedeutung in Deutsch- land verloren hätten, wäre wohl eher für einen uninformierten Gesprächspartner bestimmt. Was die französischen Erklärungen betrifft, in deren Besitz angeblich das Auswärtige Amt sei, so könne ich dazu selbstverständlich nichts sagen, weil mir solche Erklärungen unbekannt sind. In diesem Rahmen zog sich die fruchtlose Polemik ziemlich lange hin. Im Übrigen fragte ich zum Abschluss Roediger, was er von dem Teil der Rede des Gen. Molotov halte, wo er von der Existenz des deutsch-japanischen Bündnis-ses sprach. Roediger zeigte sich sehr verlegen und sagte, dass ihm nichts über 7 Das Protokoll über die Verlängerung des Berliner Vertrags vom 24.4.1926 aus dem Jahre 1931 wurde am 5.5.1933 ratifiziert. 8 Hitler erklärte am 28.4.1933 gegenüber Chinčuk unter anderem von dem Bestreben, „die deutsch-russischen Beziehungen dauernd freundschaftlich zu gestalten“. In: ADAP, Ser. C, Bd. I/1, Dok. 194. S. 352. Vgl. auch die Aufzeichnung Chinčuks über dieses Treffen in: Deutschland und die Sowjetunion 1933–1941, Bd. 1, Dok. 79, S. 345–347. 9 Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich um die Rede Hitlers im Reichstag am 23.3.1933, in der er gesagt hatte: „Gegenüber der Sowjetunion ist die Reichsregierung gewillt, freundschaftliche, für beide Teile nutzbringende Beziehungen zu pflegen. Gerade die Regie-rung der nationalen Revolution sieht sich zu einer solchen positiven Politik gegenüber Sow-jetrussland in der Lage.“ In: Domarus, Hitler. Reden und Proklamationen, Bd. I/2, S. 229–237, hier S. 236. 10 Vgl. ebd., S. 512. 11 Vgl. Dok. 248, Anm. 3. 12 Das nachfolgende Wort ist durchgestrichen.
Nr. 356 16. 1. 1936 982 dieses Bündnis bekannt sei, und dass er, offen gesagt, nicht verstünde, warum Deutschland diesen Punkt nicht dementiere. S. Bessonov Vermerk N.N. Krestinskijs mit Bleistift: NK. Oben links von der Mitte befindet sich der Stempel des Sekretariats des Stellvertreten-den Volkskommissars des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 298 vom 19.1.1936. Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:7Expl. 4 an Gen. Litvinov, 1 [Exemplar] an Gen. Krestinskij, 1 an Gen. Stomonjakov, 1 zu den Akten. AVP RF, f. 010, op. 11, p. 68, d. 31, l. 16–14. Kopie. Nr. 356 Aufzeichnung der Unterredung des Rates der Bevollmächtigten Vertretung in Berlin Bessonov mit dem Staatssekretär im Reichsluftfahrtministerium Milch Nr.356 16. 1. 193616. 1. 1936GEHEIMExpl. Nr. 1 Berlin, den 16. Januar 1936 Tagebuch S. Bessonovs 12.–16. Januar Nr. 18/s1DAS LUFTFAHRTMINISTERIUM UND UNSERE AUFTRÄGE(Unterredung mit Staatssekretär Milch) Am 13. Januar hatte ich mit Milch ein Gespräch über unsere Aufträge und über die Haltung des Luftministeriums2 dazu. Milch teilte mir Folgendes mit: Das Luftmin[inister]ium habe, wie auch die anderen deutschen Ministerien, eine Liste von Objekten, die für den Export verboten sind. Diese Liste werde von Zeit zu Zeit sowohl hinsichtlich einer Kürzung als auch hinsichtlich von Ergänzungen über-prüft und sei formal gleichermaßen für den Export nach einem beliebigen Land bindend. Wenn das Wirtschaftsministerium oder das Auswärtige Amt aus wirt-schaftlichen oder politischen Erwägungen eine Freigabe von Objekten für den Ex-port in dieses oder jenes Land fordere, so komme das Luftmin[inister]ium, wie auch die anderen Kriegsmin[inister]ien, in der Regel dieser Forderung entgegen. Zusätzlich zu den Verboten komme es sehr oft vor, dass es faktisch unmöglich sei, die einen oder anderen Objekte zu exportieren, da das Luftmin[inister]ium sie selbst in hoher Anzahl anfordere. So verhalte es sich zum Beispiel bei vielen Flugzeuginstrumenten. Aber auch in diesen Fällen käme es vor, dass das Luft- 1 Das Datum und die Ausgangsnummer sind mit Tinte geschrieben. 2 So im Dokument. Gemeint ist das Reichsluftfahrtministerium.
16. 1. 1936 Nr. 356983 min[inister]ium auf Anfrage des Wirtschaftsministeriums und des Auswärtigen Amtes einen Teil der von ihnen selbst bestellten Objekte für das entsprechende Land bewilligte. Deshalb könne er, (Milch), bezüglich der Haltung des Luftministe-riums zu unseren Aufträgen nur Folgendes sagen. Wenn Schacht und Neurath aus wirtschaftlichen und politischen Erwägungen zu dem Schluss gelangten, dass es erforderlich wäre, der UdSSR diese oder jene Flugobjekte zu liefern, so würde es seitens des Luftmin[inister]iums dazu keine Einwände geben. Die Rolle des Luft-min[inister]iums sei in dieser Frage rein dienstlich. Das Luftmin[inister]ium würde sich in diesen Fällen den größeren gesellschaftspolitischen oder wirtschaftlichen Erfordernissen unterordnen. Was die Situation bei der Vergabe von Aufträgen à Konto des 200-Millionen- kredits betrifft, so äußerte Milch aufgrund der ihm vorliegenden Informationen die Annahme, dass es inzwischen bedeutend leichter geworden sei, diese Aufträge un-terzubringen. Er gab mir zu verstehen, dass zu dieser Frage entsprechende Weisun-gen vorliegen, darunter auch für sein Ministerium. Zum Abschluss äußerte Milch den großen Wunsch, sich den Film „Die Vertei-digung Kievs“3 anzuschauen, es gebe in deutschen Luftfahrtkreisen auch ein brei-tes Interesse an [dem Film] „Luftlandetruppen“4. S. Bessonov Vermerk N.N. Krestinskijs mit blauem Farbstift: Zu den Akten. Oben links von der Mitte befindet sich der Stempel des Sekretariats des Volkskommis-sars des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 238 vom 20.1.1936. Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:7Expl. 4 an Gen. Litvinov, 1 [Exemplar] an Gen. Krestinskij, 1 an Gen. Stomonjakov, 1 zu den Akten. AVP RF, f. 05, op. 16, p. 118, d. 45, l. 13–13R. Original. 3 So im Dokument; richtig: „Bor’ba za Kiev“ (Der Kampf um Kiev, 1935, Ukrainfil’m-Ukrinochronika), Regie: Samuil D. Bubrik und Lazar’ J. Anci-Polovskij. Dokumentarfilm über die Truppenmanöver des Kiever Militärbezirks im September 1935. 4 „Vozdušnyj desant“ (Mostechfil’m, 1935), Kameramann: Grigorij A. Mogilevskij.
Nr. 357 17. 1. 1936 984 Nr. 357 Schreiben des Stellv. Volkskommissars für Auswärtige Angelegenheiten Krestinskij an den Bevollmächtigten Vertreter in Berlin Suric Nr.357 17. 1. 193617. 1. 1936GEHEIM17. Januar 1936 UdSSR–NKID Nr. 931021AN DEN BEVOLLMÄCHTIGTEN VERTRETER DER UdSSR IN DEUTSCHLAND Gen. SURIC In den heutigen Nummern von „Izvestija“ und „Pravda“ ist das Dekret über die Exportbeschränkung nach einigen Ländern veröffentlicht.2 Dieses Dekret zielt in erster Linie auf Deutschland ab und ist vom NKVT eingebracht worden3, um auf Schacht einen gewissen Druck auszuüben, der in den Verhandlungen mit uns for-dert, unsere sämtlichen Verbindlichkeiten nicht aus dem Exporterlös zu bezahlen, sondern mit Gold und Devisen. Den Ausländern werden wir das Dekret folgendermaßen erläutern: In einigen Ländern Europas, so in Mitteleuropa, in erster Linie in Deutsch-land, in den Balkanstaaten, im Baltikum usw., ist ein Verfahren eingeführt worden, bei dem der Erlös aus dem Export auf ein Sperrkonto eingezahlt wird und diese Summen nicht für den Aufkauf von Waren für die Ausfuhr und für die Bezahlung der alten Schulden verwendet werden dürfen. Unter diesen Bedingungen wird sich unser Export in diese Länder als unzweckmäßig erweisen. Wir können in solche Länder exportieren, wenn wir auf der Grundlage von Abkommen mit den entspre-chenden Regierungen unseren Erlös für den Aufkauf von Waren für den Export und für die Bezahlung der alten Schulden frei verwenden können, wie das zum Bei-spiel in Griechenland und in Lettland der Fall ist. STELLV. VOLKSKOMMISSAR Krestinskij Vermerk D.G. Šterns mit Tinte: an Gen. Beža[nov], Gen. Lev[in], Gen. Kant[er]. Š[tern]. 20.1.36. Oben in der Mitte befindet sich der Stempel der 2. Politischen Westabteilung des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 163 vom 20.1.1936. Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:8Expl. 1 [Exemplar] an die Adresse, 1 an Gen. *Štern*4, 1 an Gen. Krestinskij, 1 an Gen. 1 Die Ausgangsnummer ist mit Tinte geschrieben. 2 Vgl. „Ob ograničenii ėksporta v nekotorye strany. Postanovlenie Soveta narodnych ko-missarov SSSR“ (Über die Exportbeschränkung nach einigen Ländern. Beschluss des Rates der Volkskommissare der Sowjetunion). In: Pravda vom 17. Januar 1936, S. 2; Izvestija vom 17. Januar 1936, S. 4. 3 Vgl. das Schreiben von Rozengol’c vom 27.12.1935 an Stalin und Molotov. In: RGASPI, f. 17, op. 166, d. 556, l. 22. 4 Der Familienname ist mit Tinte unterstrichen.
18. 1. 1936 Nr. 358985 Rubinin, 1 an Gen. Potemkin, 1 an Gen. Majskij, 1 an Gen. Davtjan, 1 zu den Akten der Wirtschaftsabteilung. AVP RF, f. 082, op. 19, p. 83, d. 1, l. 7. Beglaubigte Kopie. Nr. 358 Telegramm des Leiters der Gruppe Osteuropa und Skandinavien in der II. Abteilung im AA Roediger an die Botschaft in Moskau Nr.358 18. 1. 193618. 1. 1936Telegramm in Ziffern (Geh. Chiffr.Verf.) Berlin, den 18. Januar 1936 **zu II Ru 287**1Diplogerma MoskauNr. 9 Auf Telegramm Nr. 14 vom 17. Januar.2In Hinblick auf Indiskretion Molotows bei Erwähnung deutschen Kreditange-bots in Zik-Rede hat Reichsbankpräsident Schacht Herrn Kandelaki, der zwecks Weiterführung eingeleiteter Kreditbesprechung um Empfang nachgesucht hat, mit-teilen lassen, dass er einstweilen keine Möglichkeit sehe, mit ihm zu sprechen. Präsident ließ dabei bemerken, dass „Herr Molotow Angelegenheit offenbar selbst in Hand genommen habe“.3 Kandelaki war stark beeindruckt, äußerte aber Hoff-nung, dass durch Rede entstandene Verstimmung vorübergehender Natur sei und neue Verhandlungen Ende nächster Woche möglich sein würden. Ob Verordnung Rats der Volkskommissare vom 16. Januar4 hiermit in Zusam-menhang steht, hier nicht zu übersehen. Präsident Schacht teilt aber dortige Auf-fassung, dass ihr rein demonstrativer Charakter zukommt, als unter Anwendung Außenhandelsmonopols bereits seit Anfang Januar Sowjetregierung Lieferungen nach Deutschland mit Ausnahme von Naphta völlig eingestellt hatte. Präsident Schacht beabsichtigt, vorläufig von sich aus nichts zu unternehmen und neue Initiative Sowjetseite abzuwarten. 1 Der Text ist handschriftlich korrigiert; ursprünglich: e.o. W IV Ru 293 pr. 18.1.1936. 2 Vgl. PA AA, R 94659, Bl. E 665017. In dem Telegramm fragte Schulenburg an, ob die Verordnung des Rats der Volkskommissare vom 16.1.1936, den Export in einige Länder einzu-schränken, im Zusammenhang mit den deutsch-sowjetischen Wirtschaftsgesprächen stehen könnte. 3 Schacht behauptete nach der Rede Molotovs im Gespräch mit Mossdorf, dass nicht er, sondern die Sowjetunion die Initiative für ein neues Kreditgeschäft ergriffen hätte. „Präsident Schacht“, so Dittmann in einer Aufzeichnung vom 14.1.1936, „bitte jedoch, von irgendwel-chen Vorstellungen auf dem diplomatischen Wege Abstand zu nehmen. Er selbst werde aus dem Verhalten Molotows nur die Konsequenz ziehen, dass er von sich aus, nachdem Herr Molotow ‚die Verhandlungen nunmehr in die Hand genommen habe‘, an Herrn Kandelaki wegen der Weiterführung der Verhandlungen vorläufig nicht mehr herantreten werde.“ In: ADAP, Ser. C, Bd. IV/2, Dok. 489, Anm. 4, S. 966. 4 Vgl. Dok. 357, Anm. 2.
Nr. 359 19. 1. 1936 986 Bitte dort nach Möglichkeit Erklärungen deutschen Standpunkt zu Verord-nung ausweichen, erforderlichenfalls darauf hinweisen, dass uns in Hinblick auf Außenhandelsmonopol ihr juristischer und praktischer Zweck nicht einleuchtet. Roediger Auf erster Seite am Seitenrand maschinenschriftlich: Vermerk: Wortlaut mit Hrn. M.D. Mossdorf (R.Wi.M.) vereinbart. Stempel: Hat Herrn R.M. vorgelegen und aus dem Büro R.M. 20. Jan. 1936 Ko[tze]20. Außerdem: bei W. mit [?] Bitte um Mit[teilun]g. Unten:H11 Ru. und Stempel: Abgesandt. 18/1. Am Schluss Paraphen von Hencke, Roediger und Clodius mit Datum vom 18.1. PA AA, R 94659, Bl.E 665018-665019. Nr. 359 Schreiben des Leiters der 2. Westabteilung im NKID Štern an den Bevollmächtigten Vertreter in Berlin Suric Nr.359 19. 1. 193619. 1. 1936GEHEIM19. Januar 1936 UdSSR NKID 2. Westabteilung Nr. 024/1/ **8081**1AN DEN BEVOLLMÄCHTIGTEN VERTRETER DER UdSSR IN DEUTSCHLAND Gen. JA.Z. SURIC Sehr geehrter Jakov Zacharovič, ich möchte Sie im Zusammenhang mit Ihrem Schreiben vom 11. Januar2 über den Stand der deutschen Haftfälle und Konflikte informieren und einige meiner Überlegungen mitteilen: 1. Wir sind uns der Bedeutung und des Ernstes der Konflikte und Haftfälle von deutschen Staatsbürgern völlig bewusst. Welch ernste Bedeutung wir diesen Fällen beimessen, wird daraus ersichtlich, dass auf Initiative der Abteilung gegen-über der Leitung des Volkskommissariats die Frage bezüglich des Bearbeitungs-durchlaufs dieser Fälle aufgeworfen wurde. Es wurde der sehr gewichtige Be-schluss gefasst, die Verfahrensweise hinsichtlich der Überstellung ausländischer Staatsbürger an Gerichte zu vereinfachen und die relativ oft stattfindenden Ge-richtsverfahren durch eine administrative Ausweisung zu ersetzen. 2. Diese Konfliktfälle tragen ausnahmslos einen außerordentlich komplizierten rechtlichen und politischen Charakter. Zu jedem Fall führen wir einen umfangrei-chen Schriftwechsel nicht nur mit der Deutschen Botschaft, sondern auch mit un-1 Die gekennzeichnete Ziffer ist mit Tinte geschrieben. 2 Vgl. Dok. 350.
19. 1. 1936 Nr. 359987 seren Organen des Inneren. Angesichts der allgemeinpolitischen Lage und der stark zunehmenden antisowjetischen Tätigkeit der Deutschen bei uns gelingt es uns mit großer Mühe, positive Ergebnisse zu erzielen. Ein sehr kompliziertes Problem be-steht für uns darin, die Urteile zu den Fällen, die von dem Militärtribunal verhan-delt werden3, der Botschaft auszuhändigen. In der Mehrheit der Fälle erwirken wir die Aushändigung der Urteile nur mit großer Mühe, wobei die Urteile **häufig**4in einem derartigen Ton abgefasst sind, dass wir sie nicht der Botschaft übergeben können, während der Wortlaut der Urteile jedoch, wie Sie wissen, nicht verändert werden darf. 3. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt zeichnet sich zu den die Deutschen interes-sierenden Fällen folgendes Bild ab: a) Haegele und Kaiser sollten in nächster Zeit **ausgewiesen**5 werden, wo-bei wir deren Ausweisung nicht auf dem üblichen Vollzugswege, wie vorgesehen, sondern auf eine andere, für sie günstigere Weise durchsetzten; b) zwecks Ausweisung werden die Fälle Gil’bert und Pfeil geprüft. Bei den Strafsachen Krupenskij, Hurtig und Langeljutke gibt es eine ähnliche Vorgehens-weise. Vorerst darf den Deutschen darüber selbstverständlich nichts gesagt werden, weil diese Frage noch nicht entschieden ist; c) wir setzten ein Treffen eines Vertreters der Deutschen Botschaft mit Fuchs durch, das bereits stattgefunden hat.64. Bezüglich der deutschen Staatsbürger, über die die Deutsche Botschaft mit-teilte, dass sie keine Informationen über deren Schicksal habe, ging es um folgen-de zwei Gruppen von Fällen. Zur ersten Gruppe gehören die Strafsachen Fuchs und Klassen, wobei, worauf ich bereits hinwies, die Angelegenheit mit Fuchs be-reits geregelt ist; um die Angelegenheit Klassen steht es sehr ernst, weil Klassen bereits seit einigen Jahren tot ist. Dies habe ich Schulenburg inoffiziell bereits mitgeteilt.7 Wir hoffen, in den nächsten Tagen die amtliche Sterbeurkunde für Klassen zu erhalten. Zur zweiten Gruppe gehören die Strafsachen Kirchhöfer, jun. und Blunck. Bei Kirchhöfer, jun. haben wir das Datum der Ausweisung mitge- teilt, bei Blunck wandten wir uns an Gen. Jagoda mit einer entsprechenden An-frage. 5. Von dem oben Dargelegten ausgehend meinen wir, dass alle Haftsachen, die deutsche Staatsbürger betreffen, nur in Moskau behandelt werden dürfen, in erster Linie angesichts der Komplexität jedes einzelnen Falles und eingedenk dessen, dass eine positive Entscheidung nicht von dem guten Willen des NKID abhängt; zweitens aber aufgrund dessen, dass unsere Bevollmächtigte Vertretung nicht über jeden einzelnen Fall unterrichtet ist. So schrieben wir beispielsweise wiederholt in unseren Gesprächsaufzeichnungen über den Fall Klassen, wobei aus diesen Auf-zeichnungen klar hervorging, dass Klassen bereits vor langer Zeit verstorben war. Die Mitarbeiter der Bevollmächtigten Vertretung aber, die die Verhandlungen in 3 Vgl. Dok. 316. 4 Das Wort ist mit Tinte über die Zeile geschrieben. 5 Das Wort ist über die Zeile geschrieben. 6 Vgl. Dok. 362, 379. 7 Vgl. Aufzeichnung der Unterredung Šterns mit Botschafter Graf von der Schulenburg am 8.1.1936. In: AVP RF, f. 082, op. 19, p. 83, d. 2, l. 3.
Nr. 359 19. 1. 1936 988 dieser Sache führten, berücksichtigten dies offenbar nicht, weil aus dem Gespräch der Genossen Bessonov und Pozdnjakov mit Hencke ersichtlich ist, dass es um eine eventuelle Ausweisung von Klassen ging. Weiter. Im Fall von Viktor Panzer8 wurde zum Beispiel von einer Steuerangelegenheit gesprochen, während Panzer wegen konterrevolutionärer Propaganda und der Unterschlupfgewährung für den aus dem Leningrader Gefängnis geflohenen Spion Kirillov angeklagt war. Zugleich ist unbedingt zu berücksichtigen, dass die Deutschen systematisch versuchen, sich auf die Unstimmigkeit, die angeblich zwischen dem NKID und Be-vollmächtigter Vertretung in Berlin besteht, zu berufen. Ein krasses Beispiel dafür ist der Fall Bergmann, als Schulenburg aufgrund der Mitteilung des Auswärtigen Amtes zu beweisen versuchte, dass Gen. Bessonov eine andere Formulierung für die Gründe der Ausweisung Bergmanns gebraucht hatte9. Unlängst griff Schulen-burg erneut diese Frage auf, als er mich fragte, ob ich Klarheit in dieser Angelegen-heit geschaffen hätte. Schließlich ist unbedingt zu berücksichtigen, dass die Ver-handlungsführung in Berlin zu den deutschen Haftfällen und Konflikten die Bevollmächtigte Vertretung in eine schwierige Lage bringt, deren Tätigkeit er-schwert und bei derartig unangenehmen Fällen in einen Kontrahenten des Ministe-riums verwandelt. Abschließend möchte ich lediglich unterstreichen, dass die Abteilung den Haftfällen und Konflikten von deutschen Staatsbürgern nicht nur maximale Auf-merksamkeit angedeihen lässt, sondern genötigt ist, für diese Fälle einen bedeu-tenden Teil ihrer Zeit und Energie aufzuwenden. Wenn es bei einigen Fällen zu Verzögerungen bei der Unterrichtung der Deutschen gibt, so ist dies durchaus nicht auf eine Nachlässigkeit der Abteilung, sondern auf den spezifischen Charakter der Fälle und auf Hindernisse zurückzuführen, die jenseits der Kompetenz des Volks-kommissariats liegen. Eine Verhandlungsführung in Berlin zu diesen Fällen er-leichtert die Situation keineswegs. Mit kameradschaftlichem Gruß Štern Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:3Expl. Das 1. [Exemplar] an die Adresse, das 2. an Gen. Krestinskij, das 3. zu den Akten. AVP RF, f. 082, op. 19, p. 83, d. 2, l. 16–15. Kopie. 8 Vgl. Dok. 244. 9 Vgl. AVP RF, f. 082, op. 19, p. 83, d. 2, l. 5–4.
20. 1. 1936 Nr. 360989 Nr. 360 Bericht des Leiters der sowjetischen Handelsvertretung in Berlin Kandelaki an den Generalsekretär des ZK der VKP (B) Stalin, den Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare Molotov und den Volkskommissar für Außenhandel Rozengol’c Nr.360 20. 1. 193620. 1. 1936Ganz geheim[20.1.1936] **Eingangs-Nr. 15 25/I.36**1An Gen. STALIN Gen. MOLOTOV *Gen. ROZENGOL’C*2Ich möchte Sie darüber informieren, wie die Deutschen auf den Teil der Rede des Gen. Molotov3, in dem er über einen neuen Kredit sprach, reagiert haben. Die deutsche Presse hat in ihren Kommentaren diesen Teil der Rede mit völli-gem Schweigen bedacht. Wir haben erfahren, dass ihr in dieser Hinsicht vom Pro-pagandaministerium und vom Auswärtigen Amt spezielle Weisungen erteilt wor-den sind.4 Dagegen zeigten die deutschen Kreise, mit denen wir inoffiziell zu diesem Thema sprechen konnten, sichtliche Nervosität und Unzufriedenheit mit der Rede des Gen. Molotov.5 Die Vorhaltungen, die die Deutschen zu diesem Teil der Rede des Gen. Molotov vortrugen, können wie folgt gruppiert werden: 1. Nach Auffassung der Deutschen hätte Molotov Schacht nicht Hitler gegen-überstellen dürfen. Die Stellung Schachts, dem man in Deutschland permanent den Vorwurf macht, dass er eine Politik betreibt, die sich von derjenigen Hitlers unter-scheidet, sei ohnehin schon recht schwierig. Die Rede Molotovs stelle die Wirt-schaftspolitik Schachts in Bezug auf die UdSSR der allgemeinen Politik Hitlers ge-genüber und stärke damit die Gegner Schachts in ihrem Kampf gegen diese Politik des letzteren. Dieses Argument trugen mir Göring, der Bruder des Ministers6 und Referent Schachts, sowie der Stellvertreter Schachts für die Reichsbank Dreyse vor. Außerdem sah sich Schacht selbst unlängst in seiner Rede in Stettin am 18. Januar 1936 veranlasst, offenbar als direkte Reaktion auf die Rede des Gen. Molotov, einige Male zu betonen, dass seine Politik die Politik Hitlers sei und in keiner Weise Hit-ler entgegengestellt sein könne. 2. Molotov hätte nach Meinung der Deutschen nicht den Inhalt der eben erst begonnenen Wirtschaftsverhandlungen preisgeben dürfen, weil dies den allgemein üblichen Gepflogenheiten widerspräche. Die Verhandlungen befänden sich noch in einem Stadium, in dem eine öffentliche Mitteilung über ihren Inhalt nicht ohne Einfluss auf ihren weiteren Verlauf bleiben könne. Dieses Motiv wurde insbesonde-1 Der Text ist mit Tinte geschrieben. 2 Der Name ist mit rotem Farbstift geschrieben. 3 Vgl. Dok. 346. 4 Vgl. Dok. 348, Anm. 6. 5 Vgl. Dok. 354. 6 So im Dokument. Herbert Göring war der Cousin Hermann Görings.
Nr. 360 20. 1. 1936 990 re von dem Leiter der Ostabteilung des Auswärtigen Amtes Roediger7 und vom Stellvertreter Schachts für die Reichsbank Dreyse hervorgehoben. 3. Molotov hätte die Initiative für neue Kredite angeblich nicht richtig darge-legt. Er habe die Angelegenheit so hingestellt, als läge die Initiative für einen neuen Kredit gänzlich auf deutscher Seite, während seinerzeit vereinbart worden sei, über einen neuen Kredit als eine Sache zu sprechen, die sich im Prozess der bilateralen Gespräche zu diesem Thema ergeben habe. Dieses Motiv trugen alle meine Gesprächspartner vor. Darauf ging auch eine einzige deutsche Zeitung ein, die diesen Teil der Rede des Gen. Molotov kommentierte. Es handelt sich um die „Deutschen Briefe“ vom 15. Januar 368, das Organ des Bundes der Deutschen In-dustriellen, eine Zeitung, die allerdings nur in einer begrenzten Auflagenhöhe er- scheint. 4. Molotovs Rede, in der er erklärte, dass die sowjetische Regierung bereit wäre, sachliche Vorschläge der Deutschen für einen neuen Kredit zu prüfen, trüge ein Element der Verunsicherung in die Verhandlungen hinein. Die Deutschen hät-ten bis jetzt angenommen, dass die sowjetische Regierung ihre Haltung zum Kredit positiv entschieden habe, während aus der Rede Molotovs der Schluss gezogen werden könnte, dass es diese Entscheidung auf sowjetischer Seite noch nicht gebe. Dieses Argument brachte der Stellvertreter Schachts für die Reichsbank Dreyse vor. Auf jeden dieser Vorwürfe haben ich und meine Genossen, die an diesen Ge-sprächen beteiligt waren, selbstverständlich eine Reihe von Einwänden vorgetra-gen, die ich hier nicht wiedergeben möchte. Ich möchte in diesem Zusammenhang lediglich bemerken, dass sich die Deutschen, die mit uns über dieses Thema spra-chen, ausnahmslos zu den Motiven der Kreditfrage in der Rede des Gen. Molotov ausließen. Dreyse äußerte die Vermutung, dass wir diese Rede offenbar dafür ge-braucht hätten, um einen gewissen Druck auf die französischen und englischen Fi-nanzkreise auszuüben, mit denen wir, ihren Informationen zufolge, derzeit Kredit-verhandlungen führen würden. Neben den von den Deutschen vorgetragenen Vorwürfen klangen auch einige drohende Töne an. Sämtliche Gesprächspartner bemerkten, dass die Rede des Gen. Molotov nicht ohne Folgen für den Verlauf und eventuell für den Inhalt der Wirt-schaftsverhandlungen bleiben könne. Der Direktor der Reichsbank Dreyse gab zu verstehen, dass die Rede des Gen. Molotov zweifellos gewisse Schwierigkeiten bei der Umsetzung jener Auftragsliste, die wir zu Beginn der Verhandlungen vorgelegt haben9, auslösen werde. „Es wird jetzt wohl kaum gelingen“, sagte er, „diese Liste im vollen Umfang umzusetzen.“ Der Referent Schachts für die russischen Angele-genheiten, Mossdorf, spielte recht durchsichtig darauf an, dass die Deutschen bei den Verhandlungen zu einer Verzögerungstaktik greifen könnten, bei der wir ge-zwungen wären, in der Zwischenzeit unsere gegenwärtigen Verbindlichkeiten ge-genüber Deutschland in Valuta und in Gold zu bezahlen, ohne Abschluss eines wie 7 So im Dokument. Roediger war der Leiter des Referats Osteuropa und Skandinavien im AA. 8 „Sehr geehrter Herr...“ [Zur Rede Molotovs]. In: Deutsche Briefe vom 15. Januar 1936, S. 1. Die „Deutschen Briefe“ erschienen zweimal wöchentlich, bis Juni 1935 unter dem Titel „Deutsche Führerbriefe“. 9 Vgl. Dok. 297, Anm. 9.
20. 1. 1936 Nr. 360991 auch immer gearteten Vertrags mit uns. Mossdorf nahm sogleich in sehr unbe-stimmter und nebulöser Form diese Erklärung zurück und deutete an, dass die Möglichkeit einer Kündigung des sowjetisch-deutschen Handelsvertrages von 1925 durch die Deutschen nicht ausgeschlossen wäre. Im Übrigen erinnere ich daran, dass die Deutschen, wenn sie tatsächlich diesen Weg beschreiten und diese Dro-hung wahrmachen sollten, am 12. April d. J. die Möglichkeit haben, den Vertrag zu kündigen10. Wenn man jedoch diese vagen Drohungen beiseite lässt und sich der gegen-wärtigen tatsächlichen Lage der Dinge zuwendet, so zeichnet sich folgendes Bild ab: 1. Die Kreise um Schacht empfinden nach wie vor eine große Unzufriedenheit mit der Rede des Gen. Molotov. Soeben erhielten wir Informationen darüber, dass Schachts Stimmung an Empörung grenze, weil Schacht den eigenen Worten zufol-ge „aus dem Feld geschlagen“ sei und in diesem Zusammenhang neue Attacken seitens seiner Gegner erwarte. Vorerst sind die Verhandlungen, die Mitte der ver-gangenen Woche wieder aufgenommen werden sollten, von Schacht mindestens noch um eine Woche verschoben worden, wobei Schacht die Mitteilung über diese Vertagung mit der bemerkenswerten Formulierung versah: „Im Übrigen hat jetzt Herr Molotov die Initiative in seine Hände genommen.“11 Den Andeutungen Moss-dorfs war zu entnehmen, dass Schacht vor seinem Treffen mit mir gezwungen sein werde, Hitler um zusätzliche Weisungen zu bitten. 2. Die Industriellen, die von Prestigefragen wenig berührt sind, sind relativ op-timistisch gestimmt. Wilmowsky, der Mitinhaber von Krupp, begrüßte im Namen vieler Industrieller in einem Gespräch jenen Teil der Rede des Gen. Molotov, in dem er von dem Wunsch sprach, mit Deutschland enge Wirtschaftsbeziehungen herzu-stellen. Einen sachlichen Eindruck machte auf mich auch unlängst der Besuch von Zeiss, der mir mitteilte, dass das ihm von uns seinerzeit gemachte Angebot im Gro-ßen und Ganzen für ihn annehmbar wäre, obgleich er für die vollständige Vertragser- füllung unbedingt die Zustimmung des Kriegsministeriums benötigen werde. Aus allem Gesagten ist ersichtlich, dass der Teil der Rede des Gen. Molotov, der sich auf die Kredite bezog, bei interessierten deutschen Kreisen einen starken Eindruck hinterlassen hat. Ob dieser Eindruck eine Verschlechterung ernsthafter Natur in den zukünftigen Wirtschaftsverhandlungen nach sich ziehen wird, kann zurzeit noch nicht gesagt werden. Die ersten Treffen mit Schacht, so sie denn statt-finden, werden jedoch die tatsächliche Taktik der Deutschen in dieser Frage zeigen. Vorerst haben wir es mit einer gewissen Vertagung der Verhandlungen zu tun, de-ren Dauer wir ebenfalls nicht genau bestimmen können. In diesem Zusammenhang ist unbedingt die Aufmerksamkeit darauf zu richten, dass die Deutschen uns jetzt in einigen Punkten ins Visier nehmen werden. Ich habe zum Beispiel erfahren, dass sie damit drohen, den Korrespondenten der „Pravda“, Gen. Gofman, als Gegenreaktion auf die Ablehnung, den deutschen Journalisten Görbing wieder in die UdSSR einreisen zu lassen12, auszuweisen. Die hiesigen Deut-schen erwähnten sogar die Möglichkeit eines neuen Journalistenkonfliktes in der Art 10 Vgl. Artikel 8 „Allgemeine Bestimmungen“. In: Reichsgesetzblatt 1926, Teil II, S. 4–5; DVP, Bd. VIII, Dok. 342, S. 584. 11 Vgl. dazu auch Dok. 358, Anm. 3. 12 Vgl. Dok. 350.
Nr. 361 20. 1. 1936 992 der Auseinandersetzungen von 1933. Andererseits haben die Deutschen im Zusam-menhang mit einem Gerichtsprozess, den wir in Königsberg führten, jetzt das Konto der Handelsvertretung bei der Garkrebo gesperrt. Und schließlich darf man die in letzter Zeit sich verstärkende Aktivität der Deutschen hinsichtlich der Haftsachen von deutschen Staatsbürgern in der UdSSR nicht außer Acht lassen. Freilich hatten wir auch früher wiederholt mit ähnlichen Vorkommnissen zu tun gehabt; in der jet-zigen Situation kann jedoch ein beliebiges Vorkommnis dieser Art zum Ausgangs- punkt für eine neue Verschlechterung der Beziehungen werden. D. Kandelaki Berlin, den 20. Januar 1936 Vermerk von A.P. Rozengol’c mit rotem Farbstift am linken Seitenrand des Dokuments:An M. Levin. Sprechen Sie mit mir. AR[ozengol’c]. Vermerk mit Bleistift: Erhalten am 25/I., 11.20 Uhr. Am Endes des Dokuments ist die Anzahl der Exemplare vermerkt: 4 E[xemplare]. RGAĖ, f. 413, op. 12, d. 2210, l. 103–107. Original. Veröffentlicht in: SSSR-Germanija: 1933–1941, Dok.78, S.137–139. Nr. 361 Aktennotiz des Gruppenleiters der Referate Wirtschaft im AA Ritter Nr.361 20. 1. 193620. 1. 1936Berlin, den 20. Januar 1936 Über Abteilung IV dem Herrn Staatssekretär1 vorzulegen. Ich habe durch die Aufzeichnung W. IV Ru. 53 vom 6. Januar 19362 zum ers-ten Mal davon erfahren, dass Herr Reichswirtschaftsminister Schacht Russland ei-nen zehnjährigen Obligationen-Kredit geben will und dies Herrn Kandelaki schon mehr oder weniger konkret in Aussicht gestellt hat. Ich halte die Gewährung eines Obligationen-Kredits an Russland aus zwei Gründen für falsch. 1.) Wenn die Russland bisher gewährten Kredite – nach meiner Schätzung et-was über 4 Milliarden RM – bisher im Großen und Ganzen ohne Schwierigkeiten zurückgezahlt worden sind, so nur, weil wir bisher Finanzkredite immer abgelehnt, sondern nur kaufmännische Kredite, d.h. nur gegen Warenwechsel gegeben haben. Die gleiche Sicherheit besteht bei einem Obligationen-Kredit, d.h. einem Finanz-kredit nicht. Ich fürchte im Gegenteil, dass wir bei der Rückzahlung eines solchen Finanzkredits in Zukunft Schwierigkeiten haben werden, wenn wir das Geld nicht überhaupt ganz verlieren. Das Reich ist daran unmittelbar beteiligt, denn die In-dustrie verlangt natürlich wieder eine Reichsgarantie, und zwar bei einem zehnjäh-rigen Kredit sogar noch einen höheren Hundertsatz als früher. 2.) Noch wichtiger nehme ich den zweiten Grund. Mit Ausnahme eines klei-nen Obligationenkredits der Tschechoslowakei hat Russland bisher trotz seiner 1 Bernhard von Bülow. 2 Vgl. Dok. 341.
20. 1. 1936 Nr. 362993 fortgesetzten Bemühungen von keinem Land einen Finanzkredit erhalten. Ich glau-be, dass bei dieser Haltung der anderen Länder die deutsche Haltung eine aus-schlaggebende Rolle gespielt hat. Wenn wir als erstes großes Land Russland jetzt einen Finanzkredit geben, ist das Eis gebrochen. Andere Länder werden zur Ge-währung von Finanzkrediten mehr oder weniger gezwungen sein, wenn sie sich nicht aus dem Geschäft drängen lassen wollen. Andere Länder können Russland dabei aber mehr bieten als wir. Wir werden Russland also gewissermaßen nur als Schrittmacher bei anderen Ländern dienen. Der Herr Reichsfinanzminister, Graf Schwerin von Krosigk, ist der gleichen Auffassung wie ich. Nachdem Herr Präsident Schacht schon eine mehr oder weni-ger konkrete Zusage gemacht hat, möchte ich jedoch nicht dazu raten, etwa nach-träglich formell zu widersprechen. Bei der weiteren Behandlung der Einzelheiten sollte sich aber Gelegenheit geben, auch ohne grundsätzlichen Widerspruch eine abweichende Auffassung zur Geltung zu bringen. Ritter Eigenhändige Unterschrift. An der Seite Stempel: Hat dem Herrn RM vorgelegen Ko[tze] 22[.1.] und Paraphe von R[oediger] 22/1. PA AA, R 31477, Bl.H 097925-097927. Veröffentlicht in: ADAP, Ser. C, Bd.IV/2, Dok.505, S.991–992. Nr. 362 Bericht des Gesandtschaftsrats II. Kl. in Moskau Hensel an das AA Nr.362 20. 1. 193620. 1. 1936Moskau, den 20. Januar 1936 An das Auswärtige Amt in BerlinTgb.Nr. C IV a Fuchs 1 Anlage nebst 1 Unteranlage und 4 Durchdrucken11 Anlage (vierfach)2Anschluss an den Bericht vom 11. Januar 1936 – C IV a Fuchs –3Inhalt: Haftfall *Kurt Fuchs*4. Im Auftrage des Herrn Botschafters begab sich der unterzeichnete Leiter der Konsulatsabteilung der Botschaft, begleitet von dem verantwortlichen Referenten 1 Brief Hensels an den Vater Adolf Fuchs vom 18.1.1936, in dem er von dem Besuch bei Kurt Fuchs berichtet, und als Unteranlage eine Abschrift eines Briefes von Kurt Fuchs an die Eltern und an Charlotte Hehle. In: PA AA, R 83893, Bl. K 227299-227301. 2 Verbalnote der Deutschen Botschaft an das NKID, 20.1.1936. In: PA AA, R 83893, Bl. K 227302-227304. 3 Hierzu die handschriftliche Notiz: IV Ru 228. In dem Bericht wurde das Eintreffen von Fuchs in Jaroslavl’ bestätigt und der Besuch bei Fuchs angekündigt. Vgl. PA AA, R 83893, o. P. 4 Der Name ist unterstrichen.
Nr. 362 20. 1. 1936 994 im Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten, Herrn Lewin, in der Nacht vom 15. zum 16. Januar d. J. in siebenstündiger Bahnfahrt nach dem 280 km von Moskau entfernten Jaroslawl zum Besuch des dort seine Strafthaft verbüßenden deutschen Reichsangehörigen Ingenieur Kurt Fuchs. Der Leiter der dortigen Ver-waltung des Innenkommissariats5, der von Moskau aus auf den Besuch vorbereitet war, ließ den Unterzeichneten durch den Vertreter des Außenkommissariats6 als-bald nach Ankunft wissen, dass dem Besuch bei Fuchs, der hierzu aus dem Ge-fängnis in das Verwaltungsgebäude gebracht werden würde, um 12 Uhr mittags nichts im Wege stünde. In Bezug auf den Inhalt der Unterredung bat er nur, eine Kritik des gegen Fuchs gefällten Urteils zu vermeiden. Ich erklärte mich hiermit einverstanden. Im Übrigen stellte mir der Chef der Innenverwaltung für die ganze Dauer meines Aufenthaltes in Jaroslawl ein Dienstauto und einen Begleiter mit Of-fiziersrang zur Verfügung. Bei meinem Eintreffen im Gebäude der Inneren Verwaltung empfing mich de-ren Chef gleichzeitig mit Herrn Lewin zunächst in Abwesenheit von Fuchs. Er machte einen besonders korrekten und höflichen Eindruck. Da er des Deutschen nicht mächtig war, bat er um Übersetzung der ganzen mit Fuchs geführten Unterre-dung. Ich begründete meinen Besuch bei Fuchs besonders mit der begreiflichen Sorge der Angehörigen des Fuchs um dessen Schicksal angesichts der Tatsache, dass seit nunmehr 11 Monaten kaum ein Lebenszeichen von Fuchs zu erlangen war, und erbat und erhielt die Genehmigung für Fuchs, in meiner Gegenwart einen Brief an seine Eltern zu schreiben und mir zur Weiterleitung zu übergeben. Sodann wurde Fuchs vorgeführt. Sein Aussehen war besser als am Tage der Urteilsverkündung, an dem ich ihn in Leningrad das erste Mal besuchte, aber er war bleich. Auf meine Frage nach seinem Gesundheitszustand klagte Fuchs über Herz-, Magen- und Nierenbeschwerden, fügte hinzu, dass er sich seit seiner An-kunft in Jaroslawl bereits wesentlich erholt hätte und vom Skorbut, an dem er im Norden gelitten hätte, bereits völlig geheilt sei. Bei dieser Gelegenheit stellte es sich erst heraus, *dass Fuchs nach einmonatiger Reisedauer bereits am 20. Oktober in Jaroslawl eingetroffen war*7. Fuchs schilderte insbesondere die Ernährung im Gefängnis in Jaroslawl als sehr gut, bat aber mit Rücksicht auf seinen schwachen Magen um Bewilligung einer besonderen Diät nach Vorschrift des Arztes. Der Chef der Innenbehörde sagte ihm dies ohne weiteres zu und teilte mir mit, dass ein guter Anstaltsarzt vorhanden sei, nach dessen Vorschrift Fuchs jederzeit besondere Diät und im Falle der Notwendigkeit auch Behandlung im Hospital erhalten könne. Da Fuchs um Geld zur Beschaffung von Milch bat, übergab ich dem Chef der Innenbe-hörde gegen eine mir sofort erteilte Quittung 200.- Rbl. und sicherte mir die Mög-lichkeit weiterer fortlaufender Geldunterstützungen für Fuchs. Außerdem übergab ich ein größeres Lebensmittelpaket für Fuchs. Ich hatte sodann ausgiebig Gelegenheit die Frage der künftigen regelmäßigen brieflichen Verbindung zwischen Fuchs und seinen Angehörigen zu besprechen und erhielt die Zusicherung, dass einem sich ausschließlich auf private Angelegenheiten beziehenden Schriftwechsel zwischen Fuchs *und seinen Angehörigen nichts in 5 Petr Semenovič Raevskij. 6 Vladimir L’vovič Levin. 7 Der Text ist unterstrichen.
20. 1. 1936 Nr. 362995 den Weg gelegt werden würde. Fuchs bemerkte, dass er seit seiner Ankunft in Jaros-lawl jeden Monat Post von seinen Angehörigen erhalten hätte. Auch der Empfang von Paketen mit Lebensmitteln und Kleidungsstücken von der Botschaft und von seinen Angehörigen wurde Fuchs für die Zukunft gestattet. Seine diesbezüglichen*8Wünsche, soweit sie die Angehörigen betreffen, habe ich in dem der Anlage mit der Bitte um Kenntnisnahme und Weiterleitung beigefügten Schreiben an seinen Vater zum Ausdruck gebracht; Durchdruck dieses Schreibens für die dortigen Akten ist gleichfalls beigefügt. – Fuchs war sehr erfreut über die guten Nachrichten, die ich ihm von seinen Eltern und von Fräulein Charlotte Hehle vom Dezember 1935 über-mitteln konnte. Als ich ihm Kenntnis von den Anfragen von Fräulein Lisa Rätz gab und ihn fragte, ob er auch ihr schreiben wolle, bat er mich um Übermittlung seines Dankes für diese Anfragen und für den ihm zugegangenen Woll-Pullover an Fräulein Rätz mit dem Bemerken, dass er sich in seinem Briefverkehr auf seine Eltern und auf seine Braut, Fräulein Charlotte Hehle, beschränken wolle. Zu einer längeren Erörterung führte meine Frage an Fuchs, ob ihm daran liege, die bisherige Einzelhaft im Gefängnis durch Arbeit auf seinen Spezialgebieten zu ergänzen. Fuchs erzählte von seinen diesbezüglichen Erfahrungen im Nordgebiet, wo ihm auf seine Bitte zwar Arbeitsmöglichkeit gegeben worden wäre; er wäre hierbei einem Arbeitsgruppenführer zugeteilt worden, der krimineller Sträfling war und ihn als Faschisten auf Strafarbeit unter Tage geschickt hätte. Diese Arbeit hätte er nicht ausgehalten; auch sei er von den übrigen Arbeitskameraden, die sämtlich schwere Kriminalverbrecher gewesen seien, misshandelt worden. Auf seine Be-schwerde hin hätte der dortige Beamte der inneren Verwaltung ihn zwar von dieser Arbeit entbunden, ihm aber erklärt, dass er gegen die an den Misshandlungen Schuldigen nicht vorgehen könne, weil zu befürchten wäre, dass sie ihn sonst tot-schlagen würden. Der Leiter der Innenbehörde in Jaroslawl ließ Fuchs durch mich fragen, ob er arbeiten wolle und unter welchen Bedingungen. Fuchs erwiderte in höflicher und geschickter Weise, er wäre dankbar, wenn ihm Gelegenheit zur Ar-beit gegeben werden würde. Bedingungen wolle er nicht stellen; er bäte nur, ihm eine seinem Gesundheitszustande entsprechende Arbeit wie Automontage oder Traktorenführung zu übertragen und ihn hierbei nicht mit Schwerverbrechern in Berührung kommen zu lassen. Der Leiter der Innenbehörde nahm diese Wünsche, die ich mir zu eigen machte, zur Kenntnis, bemerkte aber, dass eine Entscheidung hierüber nicht ihm, sondern den Zentralbehörden in Moskau zustände. (Die Bot-schaft hat hierauf diese Wünsche des Fuchs zum Gegenstand der in der Anlage abschriftlich beigefügten Verbalnote an das Volkskommissariat für Auswärtige An-gelegenheiten vom heutigen Tage gemacht.) Zum Schluss ermahnte ich Fuchs, die Nerven nicht zu verlieren und sich sein Los nicht selbst zu erschweren. Ich hatte Gelegenheit, unbeanstandet zu bemerken, dass Fuchs sich über das Schicksal der Heimat nicht zu beunruhigen brauche; seit einem Jahr sei die Saar auf Grund ihres überwältigenden Bekenntnisses zum Deutschtum in der Volksabstimmung9 wieder deutsch; am 16. März 1935 habe der Führer die deutsche Wehrhoheit wieder hergestellt10, sodass Deutschland den von 8 Der Absatz ist am Seitenrand angestrichen. 9 Am 13.1.1935. Vgl. Dok. 60, Anm. 3. 10 Vgl. Dok. 84, Anm. 1.
Nr. 362 20. 1. 1936 996 ihm erstrebten Frieden selbst wahren könne; im Juni v. J. habe der Führer ein auch dem Frieden dienendes Abkommen mit England über die Begrenzung der Seerüs-tung abgeschlossen und im September 1935 habe in Nürnberg der Parteitag der deutschen Freiheit stattgefunden. Fuchs könne persönlich wie er aus meinem Be-suche ersehe, davon überzeugt sein, dass er nicht vergessen werde. Fuchs erwider-te, dass er sich immer ruhig und höflich gegenüber den Beamten der Gewahrsams-behörden verhalte. Er hätte ihrerseits immer ein nicht zu beanstandendes korrektes Verhalten ihm gegenüber gefunden. Für meinen Besuch bedankte sich Fuchs in warmen Worten und bat mich, auch dem Herrn Botschafter und Herrn Generalkon-sul Sommer für alle ihm erwiesene ideelle und materielle Unterstützung wärms-tens zu danken. Sodann wurde Fuchs Gelegenheit gegeben, den in der Unteranlage in Urschrift und Abschrift beigefügten Brief an seine Eltern zu schreiben und mir nach erfolgter mündlicher Übersetzung zu geben. Fuchs bat mich um Übermittlung seiner herzlichsten Grüße an seine Eltern, Fräulein Charlotte Hehle und alle Kame-raden und Freunde in Deutschland. Die Unterredung dauerte insgesamt eine Stunde und 10 Minuten. Nach erfolgter Abführung des Fuchs bedankte ich mich beim Chef der Innen-behörde für sein entgegenkommendes und korrektes Verhalten und erbat und er-hielt von ihm die Zusicherung, dem Fuchs die weitere Verbüßung seine Einzelhaft in Jaroslawl im Rahmen der bestehenden Vorschriften der bei diesem Besuch ge-troffenen Vereinbarungen nach Möglichkeit zu erleichtern. Zusammenfassend darf ich feststellen, dass *Fuchs es nach meinem Eindruck und nach seinen eigenen Feststellungen in Jaroslawl bedeutend besser als vorher im Norden hat und keine Befürchtung für sein Leben und Wohlergehen besteht, so-lang kein weiterer Wechsel der Gewahrsamsbehörde und keine Änderung des Ge-fängnisregimes erfolgt. Für die Botschaft wird es nunmehr darauf ankommen, Fuchs*11 im Rahmen des Möglichen und unter Berücksichtigung seines Gesund-heitszustandes Arbeitsmöglichkeit zu erwirken, ihn weiter fortlaufend mit Zusatz-nahrungsmitteln und Geld zu versorgen sowie darüber zu wachen, dass die Zusa-gen der Gewahrsamsbehörde über seine ärztliche Betreuung u.s.w. eingehalten werden.12Herr Generalkonsul Sommer in Leningrad erhält Durchdruck dieses Berichts. Im Auftrag Dr. Hensel Eigenhändige Unterschrift. Auf erstem Blatt Stempel des AA: IV Ru 370, Eing. 22. Jan. 1936. Unten Stempel: Wiedervorgelegt am 18/2 Büro IV Ru und ab: 25. Jan. 1936. Außerdem: R 15 Ru Fuchs. Am Seitenrand H[err]n Baum H[encke] 25/I mit nicht entzif-ferten Bemerkungen von Baum und Abzeichnung von R[oediger] [23/3]. Auf Kopfbogen der Deutschen Botschaft geschrieben. In drei Durchschlägen gefertigt.PA AA, R 83893, Bl.K 227292-227298. 11 Der Absatz ist am Seitenrand angestrichen. 12 Zu dem Bericht von Levin über den Besuch bei Fuchs vgl. Dok. 378.
21. 1. 1936 Nr. 363997 Nr. 363 Aufzeichnung der Unterredung des Leiters der 2. Westabteilung im NKID Štern mit dem Legationsrat in Moskau Hilger Nr.363 21. 1. 193621. 1. 1936GEHEIM[21.1.1936] Nr. 8103 23.1.361AUFZEICHNUNG DER UNTERREDUNG DES Gen. ŠTERN MIT HILGER, 21. Januar 1936 Hilger kam mit folgender Bitte zu mir. Twardowski hätte seinerzeit mit mir über die Ausreisegenehmigung für Bischof Malmgren aus der UdSSR2 gesprochen. Zum gleichen Thema habe Twardowski am 1. August3 und Schulenburg am 15. August4 mit Gen. Krestinskij gesprochen. Gen. Krestinskij hätte Schulenburg geantwortet, dass die Ausreise Malmgrens aufgrund der vorliegenden Informationen nicht genehmigt wer-den könne, jedoch versprochen, sich noch einmal für diese Frage zu interessieren. Ge-genwärtig erlange die Frage nach dem Schicksal von Malmgren eine besondere Schär-fe. Es gehe darum, dass es 1934 in der UdSSR 62 evangelische Pastoren gegeben habe, zurzeit seien insgesamt 13 verblieben, davon seien 3 Finnen, 1 Lette, die übrigen 9 sei-en Deutsche, wobei es auf dem gesamten Territorium der Sowjetunion von Moskau bis Vladivostok keinen einzigen Pastor mehr gebe. Der letzte Pastor, den es in Vladivostok gab, sei dieser Tage verhaftet worden. Verblieben seien noch: 2 Pastoren in Leningrad, 1 Pastor in Char’kov, 1 in Moskau, 1 in Odessa, 2 im Kaukasus, 1 in Mittelasien, 1 in Ordžonikidze. Somit hätte Malmgren hier faktisch gar nichts mehr zu tun, außerdem sei er 76 Jahre alt und krank und in letzter Zeit würden die Leningrader Innenbehör-den ihn fortwährend einbestellen und ihn nach seinen Existenzquellen, der Art seiner Beschäftigung usw. befragen, H[ilger] bitte mich, die Ausreiseangelegenheit für Malmgren erneut aufzugreifen, wobei er vor allem unterstreiche, dass sich für Malmgren durchaus nicht Regierungskreise interessierten, die sich dem evangeli-schen Geistlichen gegenüber recht gleichgültig verhielten, sondern gerade die uns früher freundschaftlich gesonnenen Kreise, darunter Kriege. Außerdem verstünde H. nicht, warum aus Malmgren ein Märtyrer gemacht werden müsse. Wenn man ihn ir-gendwohin verbanne und er dort verstürbe, so käme dabei nichts Positives für uns heraus. Die Deutsche Botschaft wäre bereit, mit uns ein Gentlemen’s Agreement abzu-schließen, wonach sich Malmgren im Falle einer Ausreise jeglicher Äußerungen über die Sowjetunion enthalten würde. H. bat sehr darum, der Bitte der Botschaft in dieser Angelegenheit entgegenzukommen. H. beklagte sich sodann über das große Durcheinander bezüglich der Registrie-rung von Firmenvertretern. Der Beschluss über die Registrierung sei nach wie vor nicht veröffentlicht. Das Narkomvneštorg verspreche jedes Mal, dass dies demnächst erfolgen werde; inzwischen seien aber bereits 9 Monate vergangen. Außerdem hätten 1 Die Ausgangsnummer und das Datum sind mit Tinte geschrieben. 2 Vgl. Dok. 20. 3 Vgl. Dok. 206. 4 Vgl. AVP RF, f. 05, op. 15, p. 107, d. 32, l. 47.
Nr. 364 24. 1. 1936 998 die Firmen ein Rundschreiben erhalten, in dem den Firmenvertretern vorgeschlagen werde, sich nicht beim Narkomvneštorg, sondern beim Narkomfin registrieren zu lassen. H. hätte dies zum Anlass genommen, um mit Gen. Levin (Narkomvneštorg) darüber zu sprechen, und dieser habe sich bezüglich des Rundschreibens verwun-dert gezeigt. Ein sehr unerfreuliches Bild gebe es auch bei den Einreisegenehmigun- gen für Firmenvertreter, von denen zurzeit nur 4 in Moskau verblieben seien. LEITER DER 2. WESTABTEILUNG Štern Vermerk D.G. Šterns mit Tinte: Für mich eine Kopie für den Vortrag bei N.N.5 Š[tern]. Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:4Expl. Das 1. [Exemplar] an Gen. Litvinov, das 2. an Gen. Krestinskij, das 3. nach Berlin, das 4. zu den Akten. AVP RF, f. 082, op. 19, p. 83, d. 2, l. 18–17. Original. 5Nr. 364 Aufzeichnung der Geschäftsführung des Russland-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft Nr.364 24. 1. 193624. 1. 1936Abschrift24.1.1936 Vertraulich!Russische Bestellungen auf Kriegsgerät Nachstehenden uns heute zugegangenen Aktenvermerk einer Besprechung der Abteilung Ausfuhrgemeinschaft für Kriegsgerät der Reichsgruppe Industrie mit Korvettenkapitän Rieve am 21.1. ds. Js. beehren wir uns, ergebenst zur Kenntnis zu bringen: „Der Führer und Reichskanzler hat fortab alle Geschäfte mit Russland in Kriegsgerät untersagt. Das R[eichs]K[riegs]M[inisterium] ist jedoch der Auffassung, dass unter Kriegsgerät nur das im Gesetz vom 6.11.19351 festgesetzte zu verstehen ist. Die derzeit bestehenden Verhandlungen über Rüstungsmaschinen sollen des-halb nicht unterbrochen werden. Dagegen werden Verhandlungen wegen U-Boot-Batterien und Geräten der Firma Zeiss nicht fortgeführt. Die seinerzeitigen Abschlüsse auf Scherenfernrohre bleiben von der neuen Be-stimmung unberührt.“ Heil Hitler! Russland-Ausschuss der deutschen Wirtschaft Die Geschäftsführung PA AA, R 31477, Bl.H 097958. Veröffentlicht in: ADAP, Ser. C, Bd.IV/2, Dok.518, S.1013. 5 Krestinskij. 1 Vgl. „Gesetz über Aus- und Einfuhr von Kriegsgerät“, 6.11.1935. In: Reichsgesetzblatt 1935, Teil I, S. 1337.
27. 1. 1936 Nr. 365999 Nr. 365 Aufzeichnung des Geschäftsführers des Russland-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft Tschunke Nr.365 27. 1. 193627. 1. 193627.1.1936 Aktennotizüber die am 24. Januar 1936 im Hotel „Esplanade“ stattgehabte Unterredung über schwebende Fragen des beabsichtigten neuen deutsch-russischen Wirtschaftsabkommens 1936 Anwesend: der Leiter der Handelsvertretung der UdSSR in Berlin, Herr Kandelaki, der stellvertretende Leiter Dir. Friedrichson, der Direktor der handelspolitischen Abteilung Gassjuk, der Vorsitzende des Russland-Ausschusses Direktor Dr. Reyß und der Geschäftsführer. Angesichts der stockenden Verhandlungen mit dem Reichswirtschaftsministe-rium (Verstimmung des Präsidenten Schacht durch Molotows Rede in Moskau1, Differenzen bei der restlichen Schuldentilgung, russische Ausfuhrsperre2 usw.) bat der Leiter der Handelsvertretung Herrn Dr. Reyß und mich zum 24. Januar 1936 ins Hotel „Esplanade“. Es war offensichtlich das Bestreben der Russen, Herrn Dr. Reyß als Vermittler zwischen ihnen und Dr. Schacht bei den Verhandlungen einzuschal-ten. Die Russen sprachen wiederholt ihr Bedauern über das Missverständnis in Angelegenheit Rede Molotows aus und versicherten, dass ihnen sehr daran gelegen sei, möglichst rasch zum Abschluss der Verhandlungen zu kommen, und dass sie sich nach wie vor mit allen Kräften für gute deutsch-russische Wirtschaftsbezie-hungen einsetzten. Herr Reyß möchte möglichst bald, und zwar noch vor dem für den 29. **bzw. 30.**3 Januar 1936 in Aussicht genommenen Besuch Kandelakis bei Dr. Schacht Gelegenheit nehmen, Herrn Präsidenten Schacht persönlich Auf-klärung zu geben über nachstehende Zugeständnisse und Wünsche der russischen Regierung: 1. Die restlichen Schulden im Jahre 1936 betragen etwa 55 Millionen RM, von denen über die Zahlung von 5 Millionen in Angelegenheiten Kalisyndikat Rege-lung bereits getroffen sei. Die verbleibenden 50 Millionen Reichsmark sollen teils in Gold und Devisen, teils mit Einfuhrerzeugnissen bezahlt werden. Was die Quote anbetrifft, so gelang es Dr. Reyß, die Russen dazu zu bewegen, in Gold zu zahlen, mit Ausnahme von 12 Millionen RM. Diese 12 Millionen sollen für deutsche Schiffsfrachten, technische Hilfeleistung, Montagegebühren, den Zinsendienst, Botschafts- und Handelsvertretungs-Unterhaltungskosten verwandt werden. 1 Vgl. Dok. 346. 2 Vgl. Dok. 357, Anm. 2. 3 Der Text ist eingefügt.
Nr. 365 27. 1. 1936 1000 2. Das vom Präsidenten Schacht geforderte laufende Geschäft im Verhältnis 1:1 bereite Schwierigkeiten. Russischerseits will man einen Präzedenzfall gegen-über England vermeiden, wo erst 1938 ein Verhältnis von 1,1 zu 1 vereinbart wor-den ist. Die Russen erwähnen auch, dass das Verhältnis 1:1 deswegen undurch-führbar sei, weil die Barverkäufe zeitlich nicht den Bezahlungen für Bestellungen entsprechen (Lieferfristen!). Die Russen wollen minimal für 110 Millionen Reichsmark nach Deutschland einführen, und zwar das, was deutscherseits gewünscht wird, also Naphtha, Man-ganerze, Holz, Flachs usw. Hier wurde sofort eingewendet, dass 110 Millionen zu wenig seien, wir müssten mindestens auf 150 Millionen bestehen. Russischerseits wurde geantwortet, dass man darüber verhandeln kann. Man betone aber noch einmal, dass über die Verkaufserlöse frei verfügt werden muss, also zur Schuldenbezahlung und zu Bestellungen. 3. Die Russen sind einverstanden mit einem 500 Millionen Kredit auf Basis Obligationen für 10 Jahre. Sie sind bemerkenswerterweise bereit, für 250 Millionen Reichsmark solche Aufträge an die deutsche Industrie zu geben, die von ihr ge-wünscht werden. Andererseits aber wollen sie für 250 Millionen RM das bestellen, was sie wünschen, darunter hauptsächlich Kriegsmaterial (Kriegsschiffe, Flugzeuge und sonstige für sie interessante Dinge). *Wenn dieser Wunsch nicht erfüllt werden kann, so hätten sie an dem 500-Millionen-Kredit kein Interesse.*4Hier liegt meines Erachtens die Hauptschwierigkeit, zu einer Verständigung zu gelangen. Über die unter Ziffer 1 genannte Schuldenzahlungs-Regelung dürfte hin-wegzukommen sein. Jedenfalls sollte an diesen 12 Millionen das Abkommen nicht scheitern. Ganz allgemein sollen Zahlungsbedingungen, Zinsen, Abschluss in Reichs-mark usw. wie bisher im 200 Millionen Kredit5 gültig bleiben. Herr Dr. Reyß versprach den russischen Herren, die obigen Wünsche zu über-mitteln, betonte aber ausdrücklich, dass er weder beauftragt noch in der Lage sei, zu den einzelnen Punkten Stellung zu nehmen. Er werde sich sofort ins Reichs-wirtschaftsministerium begeben und dort berichten und gleichzeitig um eine Au-dienz beim Präsidenten Schacht einkommen.6Dr. Reyß und ich berichteten um 5 Uhr nachmittags Herrn Ministerialrat Mossdorf und Regierungsrat Dr. v. Spindler. Ministerialrat Mossdorf übernahm die Anmeldung bei Präsident Schacht und will am 27. bzw. 28.1.1936 Bescheid geben. Tschunke Eigenhändige Unterschrift. Oben handschriftlich: Vertraulich. Unten: H 13 Ru B und IV Ru 512/36. PAAA, R 31477, Bl.H 097955-097957. Veröffentlicht in: ADAP, Ser. C, Bd.IV/2, Dok.524, S.1020–1021. 4 Der Satz ist unterstrichen. 5 Vgl. Dok. 116. 6 Ein Vermerk Dittmanns vom 30.1.1936 zu dieser Vorlage lautete folgendermaßen: „Nach Mitteilung des Reichswirtschaftsministeriums ist es Kandelaki durch einen unmittelbaren te-lefonischen Anruf bei dem Herrn Präsidenten Schacht im Reichsbankdirektorium (unter Um-gehung des Wirtschaftsministeriums) gelungen, sich für heute (30.1.) eine Audienz beim Prä-sidenten Schacht zu verschaffen.“ In: ADAP, Ser. C, Bd. IV/2, Dok. 524, Anm. 1, S. 1020.
27. 1. 1936 Nr. 3661001 Nr. 366 Aufzeichnung von Unterredungen des Rates der Bevollmächtigten Vertretung in Berlin Bessonov mit dem Ministerialrat im Reichswirtschaftsministerium Mossdorf Nr.366 27. 1. 193627. 1. 1936GeheimExpl. Nr. 1 Berlin, den 27. Januar 1936 Tagebuch S. Bessonovs 17.–27. Januar Nr. 25/s1DIE WIRTSCHAFTSVERHANDLUNGEN(Unterredungen mit Mossdorf) Als ich am 22. Januar mit Mossdorf über den Fall Prinz sprach2, berührte ich die Wirtschaftsverhandlungen. M[ossdorf] sagte, dass die Rede Molotovs3 in den Kreisen um Schacht eine gewisse Gereiztheit ausgelöst habe. Dazu käme noch die Unklarheit hinsichtlich des Dekrets über das Exportverbot in Länder mit Devisen-beschränkungen.4 Die Deutschen glauben, dass sich dieses Dekret vor allem gegen Deutschland richte und ein Druckmittel gegen Deutschland bei den Verhandlungen darstelle, was in den deutschen Kreisen erneut eine Unzufriedenheit hervorrufe. Ich machte Mossdorf darauf aufmerksam, dass es im Dekret nichts Unerwartetes gebe, da es lediglich die Lage für jene Fälle fixiere, in denen wir mit diesem oder jenem Land kein spezielles Abkommen über den Warenverkehr haben. Wenn wir also mit Deutschland ein Warenverkehrsabkommen erzielten, verlöre das Dekret für die Dauer der Laufzeit dieses Abkommens seine Gültigkeit und werde durch das Abkommen ersetzt. Mossdorf sagte, die Deutschen hätten das Dekret im Gegen-teil als eine Zurücknahme der von Kandelaki im Dezember unterbreiteten Vor-schläge5 verstanden. Kandelaki hätte doch vorgeschlagen, einen Teil der Verbind-lichkeiten in Gold zu bezahlen, während das Dekret nur eine Zahlung in Form einer Warendeckung vorsieht. Ich wies M. darauf hin, dass, soweit mir bekannt sei, die von Kandelaki im Dezember unterbreiteten Vorschläge vollständig in Kraft blieben, worüber er sicherlich schon von Fridrichson informiert worden ist. M. war mit dieser Bekräftigung sehr zufrieden und verwies darauf, dass es dann um die praktische Abstimmung hinsichtlich der Summe gehe. Ich sagte, dass die Initiative jetzt bei den Deutschen liege, weil sie aus mir unverständlichen Gründen die Wie-deraufnahme der Verhandlungen verzögerten. M. antwortete mir nicht, und wir vereinbarten, uns am 27. zu einem ausführlichen Gespräch zu all diesen Themen zu treffen. 1 Die Ausgangsnummer ist mit Tinte geschrieben. 2 Zur Klage der Firma Prinz gegen die Handelsvertretung und den Unterredungen Besso-novs in dieser Angelegenheit vgl. AVP RF, f. 010, op. 11, p. 68, d. 31, l. 26–23. 3 Vgl. Dok. 346. 4 Vgl. Dok. 357, Anm. 2. 5 Vgl. Dok. 334.
Nr. 366 27. 1. 1936 1002 Am 27. Januar konnte ich beim Frühstück im Gespräch mit Mossdorf folgen-des feststellen: 1. Laut M. gibt es bei den Deutschen keine „psychologischen“ Hemmnisse für eine Wiederaufnahme der Abschlussverhandlungen. Es liegen lediglich materielle Meinungsverschiedenheiten mit uns vor. 2. Die größte Meinungsverschiedenheit besteht darin, dass wir unsere sämtli-chen Verbindlichkeiten für 1936 in Gold bezahlen sollen. Die Deutschen könnten sich jedoch mit dem Vorschlag Kandelakis einverstanden erklären, wonach wir den Teil, der nach Abzug der 5,5 Mio. Mark der Zahlungen des Kalisyndikats verbleibt, in Gold bezahlen, was sie gern zur Begleichung unserer Verbindlichkeiten anneh-men werden, und wir den Teil unserer Verbindlichkeiten, der sich nach Abzug der obigen Verbindlichkeiten ergibt, in Mark zum Zeitpunkt des Abkommens bezahlen werden. Übrigens beträgt nach den Berechnungen Kandelakis der verbleibende Teil ungefähr 37,5 Mio. Mark. 3. Die nächste Meinungsverschiedenheit besteht hinsichtlich der Summe und des Charakters unseres Exports nach Deutschland. Das Hauptinteresse der Deut-schen am Abschluss des Abkommens mit uns besteht darin, für Deutschland die Rohstofflieferungen durch die UdSSR sowie die Beibehaltung des laufenden Wa-renverkehrs mit der UdSSR auf einem bestimmten Niveau zu gewährleisten. Die Deutschen würden gern von uns die Zusicherung bekommen, dass wir im Jahr 1936 Waren in einer Summe von 150 Mio. Mark nach Deutschland exportieren, wobei das Warensortiment mit uns abgestimmt werden müsste. Ich sagte, dass da-von überhaupt keine Rede sein könne.6 Wir hätten bereits im Dezember erklärt, dass wir nichts gegen ein Verhältnis unseres Exports zum Import aus Deutschland von 1:1 einzuwenden hätten, nachdem unser Export unsere Ausgaben für unsere Organisationen in Deutschland, für die deutschen Frachtkosten und für die Zins-zahlungen für den 200-Millionenkredit abgedeckt hat. Somit wird die Zahlungsbi-lanz bei dem laufenden Handelsumsatz immer zu unseren Gunsten sein, unabhän-gig davon, ob wir den Proporz von 1:1 annehmen. Jedoch gehört die Fixierung einer bestimmten Summe unseres Exports nach Deutschland und folglich auch die Summe unserer laufenden Einkäufe in Deutschland nicht zu den Plänen der sowje-tischen Seite und wird von ihr mit Sicherheit abgelehnt werden. 4. Die nächste Meinungsverschiedenheit besteht hinsichtlich unserer Auftrags-liste. Mossdorf ist der Meinung, dass wir von Schacht eine Erklärung bekommen würden, wonach sich Deutschland nicht in der Lage sehe, uns militärische Ausrüs-tungen und Munition zu liefern.7 Ich sagte, dass damit das gesamte Abkommen in-frage gestellt werde, weil für uns diese Liste den Schwerpunkt des gesamten Ab-kommens bilde. M. verhehlte nicht, dass wir nach Ansicht der Deutschen an dem Abkommen hauptsächlich wegen seiner Form, d.h. der Form eines Kreditabkom-mens, sowie seiner Laufzeit interessiert seien. Ich musste ihn darauf hinweisen, dass, wenn auch diese Momente für uns von wesentlicher Bedeutung sind, den-noch das Schwergewicht in erster Linie bei unserer Auftragsliste liege, dank derer wir den Industrialisierungsprozess in unserem Land beschleunigen und unsere In-6 Das ursprüngliche Komma wurde mit Tinte in einen Punkt korrigiert und das Wort „dass“ durchgestrichen. 7 Vgl. Dok. 364.
27. 1. 1936 Nr. 3661003 dustrie auf ein höheres Niveau anheben können. Die negative Haltung der Deut-schen in der Listenfrage könne zum Scheitern des gesamten Abkommens führen. Darauf gab mir M. zu verstehen, dass die Deutschen versuchen würden, in einer Reihe von Fällen Kompromisse zu finden, um einigen unserer **militärischen**8Bestellungen sozusagen eine zivile Form zu verleihen. 5. Die Deutschen sehen das Junktim zwischen dem Abkommen für ’36 und dem 500-Millionenkredit als völlig natürlich an. 6. Weil für die Deutschen der Schwerpunkt auf einer Erhöhung unseres lau-fenden Exports und unserer laufenden Aufträge liegt, ist nicht auszuschließen, wie ich das aus verschiedenen Äußerungen von M. verstanden habe, dass sie uns vor-schlagen könnten, die Inanspruchnahme des 500-Millionenkredits auf einige Jahre auszudehnen. Ich erklärte, dass eine derartige Wendung der Angelegenheit unan-nehmbar sei. 7. Ich verstand M. in dem Sinne, dass die Deutschen eine zweite Verhand-lungspause für möglich erachten, wenn Gen. Kandelaki nach Moskau fahren sollte, um zusätzliche Weisungen zu bekommen. M. erwartet dies wegen der Unstimmig-keiten bei der Bestellliste. M. bat mich eindringlich, dieses Gespräch als absolut vertraulich zu betrachten. Seinen Worten zufolge sei die Lage angesichts des Widerstandes der Regierung gegen unsere Auftragsliste nach wie vor sehr schwierig. „Sie müssen verstehen“, sagte er mir, „dass in dem heutigen Deutschland alles von Personen abhängt. Deshalb möchte ich Sie sehr bitten, bei den künftigen Verhandlungen den wirtschaftlichen Inhalt dieser Verhandlungen nicht zu sehr zu politisieren. Schacht wird es leichter fallen, diese ganze Angelegenheit zum Abschluss zu bringen, wenn weniger die politische Seite hervorgekehrt wird, die jetzt in unserer Auftragsliste in **aller**9schärfster Form ihren Niederschlag gefunden hat, und stärker die rein wirtschaftliche Seite des Abkommens zum Tragen kommt.“ Seinen Gedanken konkretisierend sagte er, dass Schacht es vorziehen würde, uns Teile eines Kriegsschiffes statt eines kompletten Schiffes mit Bewaffnung zu liefern. Ich antwortete ihm darauf, wenn dies aus pro-duktionstechnischer Sicht machbar wäre, so könnte die Handelsvertretung den Wünschen Schachts sicherlich entgegenkommen. Jedoch dürfe eine Veränderung in der Form in keiner Weise den Inhalt des Auftrages berühren. Im Prinzip müssten wir alles das bekommen, was in der Liste aufgeführt sei. Wir verabschiedeten uns und vereinbarten, dass alles das, was in diesem Ge-spräch gesagt wurde, den Charakter eines inoffiziellen und für beide Seiten unver-bindlichen vertraulichen Meinungsaustauschs zu Fragen der Verhandlungen hatte. S. Bessonov **P.S.: Zur Vermeidung von Missverständnissen, die es im vergangenen Jahr gegeben hat, bitte ich darum, dem NKVT diese Aufzeichnung nicht zur Kenntnis zu bringen. S. B.**108 Das Wort ist mit Tinte über die Zeile geschrieben. 9 Das Wort ist mit Tinte über die Zeile geschrieben. 10 Der Text ist mit Tinte geschrieben.
Nr. 367 27. 1. 1936 1004 Vermerke mit blauem Farbstift: M.M.11; zur Akte. Oben links befindet sich der Stempel des Sekretariats des Volkskommissars des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 277 vom 29.1.1936. Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:7Expl. 4 an Gen. Litvinov, 2 an Gen. Krestinskij, 1 [Exemplar] zu den Akten. 27.1.36. AVP RF, f. 05, op. 16, p. 118, d. 49, l. 14–15. Original. 11Nr. 367 Schreiben des Bevollmächtigten Vertreters in Berlin Suric an den Stellv. Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten Krestinskij Nr.367 27. 1. 193627. 1. 1936GEHEIMExpl. Nr. 1 [27.1.1936] 29/s1Lieber Nikolaj Nikolaevič! Seit meinem letzten Schreiben2 hatte ich bei Essen und Empfängen Gelegen-heit, viele Leute zu treffen, darunter Deutsche „der Gesellschaft“, die wir unter normalen Umständen fast kaum zu Gesicht bekommen. Besonders viele Leute hatte aus irgendeinem Grund Bülow zum Mittagessen geladen, **einem Essen**3, das er zu unseren und zu Ehren des amerikanischen Botschafters4 (so stand es in der Ein-ladungskarte) gab. Beim Mittagessen bei Neurath habe ich viele unbekannte Deut-sche getroffen. Ich machte mich zum ersten Mal mit General Seeckt, mit Justizmi-nister Frank5, mit dem Leipziger Bürgermeister6 u.a. bekannt. Alle Gespräche, die ich bei diesen Gelegenheiten mit den Deutschen führen konnte, drehten sich um ein und dasselbe Thema, das Thema der Anormalität der jetzigen deutsch-sowjetischen Beziehungen, wobei es sehr aufschlussreich war, dass fast alle meine Gesprächspartner eingestanden, dass die Hauptschuld dafür die deutsche Seite trage, **und**7 sie sich auffällig von dem momentanen anti-sowjetischen Kurs distanzierten. In diesem Sinne sprach auch General Massow mit mir, der einen offiziellen Posten im Amt Rosenberg8 bekleidet. Er erging sich in ei-nigen Ausfällen gegen seine jetzigen Vorgesetzten, nannte die Balten „Fremde“, die wegen lokaler Gruppeninteressen Zwietracht in die deutsch-sowjetischen Bezie- 11 Litvinov. 1 Die Ausgangsnummer ist mit Tinte geschrieben. 2 Vgl. das Schreiben von Suric an Litvinov vom 12.1.1936. In: AVP RF, f. 05, op. 16, p. 118, d. 45, l. 6–10. 3 Das Wort ist über die Zeile geschrieben. 4 William Dodd. 5 So im Dokument. Frank war von 1933 bis 1934 Justizminister in Bayern, seit Dezember 1934 Reichsminister ohne Geschäftsbereich. 6 Carl Friedrich Goerdeler. 7 Das Wort ist mit Tinte über die Zeile geschrieben. 8 Gemeint ist das Außenpolitische Amt der NSDAP.
27. 1. 1936 Nr. 3671005 hungen tragen würden. Als ehemaliger Befehlshaber sprach er mit großer Anerken-nung über die Stärke unserer Armee (das Gespräch fand einige Tage nach der Rede Tuchačevskijs9 statt) und bezeichnete den Gedanken eines militärischen Zusam-menstoßes zwischen uns als absurd und unheilvoll. Er leitet jetzt in der Partei die Abteilung für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland10. In dieser Eigenschaft bot **er**11 sich an, eine Reise von deutschen Studenten zu uns und von sowjeti-schen Studenten nach Deutschland zu organisieren. Dabei sagte er, dass er sich nicht davor fürchte, auf Ablehnung oder Unwillen von Seiten Hitlers zu stoßen, weil er von der Nützlichkeit eines solchen Vorhabens überzeugt und sicher sei, schließlich auch den Führer davon überzeugen zu können. Großes Interesse an uns zeigte auch Frank, der mich ausführlich über den Zu-stand unserer Gerichte, zum Jurastudium bei uns usw. befragte. Er äußerte auch den Wunsch, zwischen **unseren**12 Rechtsinstituten engere Informations- und Arbeitsverbindungen herzustellen. Obgleich die Mehrzahl meiner Treffen mit den Deutschen nach der Rede Molotovs auf der Tagung des CIK13 stattfand, äußerte fast keiner meiner Ge-sprächspartner, mit Ausnahme Neuraths und teilweise von Bülow, Unzufrieden-heit hinsichtlich des Inhalts der Rede. Im Gegenteil, einige, zum Beispiel der Miteigentümer der Firma Krupp, Wilmowsky, und ein Direktor der Deutschen Bank, **Vejnacht**14, begrüßten diese Rede sogar als einen offenen Appell zur Verbesserung der politischen und zur Erweiterung der wirtschaftlichen Beziehun-gen. Die Passage der Rede Molotovs über die deutsche Initiative, die Schacht und seine Umgebung (Mossdorf und andere) so schmerzlich berührte15, ging an den unabhängigeren Industriellen entweder vollkommen spurlos vorüber, oder sie trat angesichts unserer Bereitschaft, ein großes Wirtschaftsabkommen abzuschließen, in den Hintergrund. Relativ zurückhaltend und ruhig sprachen nacheinander Bü-low und Neurath mit mir über die Molotov-Rede. Bülow ging mehr auf den mili-tärischen Teil der Rede Molotovs ein und beklagte, dass Molotov die Rüstungs-steigerung in der Sowjetunion in Verbindung zur deutschen Politik gegenüber der UdSSR gebracht habe. Er sagte, dass ein eigentümlicher Teufelskreis geschaffen werde, aus dem man nicht ausbrechen könne. Jede Seite begründe ihre Aufrüs-tung mit dem Aufrüstungstempo der anderen Seite. Praktisch aber gerate Deutsch-land angesichts des starken Übergewichtes an Ressourcen bei der UdSSR und an-gesichts des französisch-sowjetischen Abkommens in eine sehr schwierige Lage, in die Lage eines Landes, das sich in einer eisernen Umklammerung befindet. Was Neurath betrifft, so erkannte er an, dass Molotov seine Rede mit einer sehr verantwortungsvollen und versöhnlichen Erklärung begonnen habe, aber „leider“ 9 Am 15.1.1936 auf der 2. Tagung des CIK der UdSSR der 7. Legislaturperiode. Vgl. Iz-vestija vom 16. Januar 1936, S. 1. Ein Auszug der Rede in: Osteuropa 11 (1935/36), H. 5, S. 356–359. 10 So im Dokument. Massow war Präsident des Deutschen Akademischen Austausch-dienstes. 11 Das Wort ist mit Bleistift anstelle des durchgestrichenen „und“ über die Zeile ge-schrieben. 12 Das Wort ist mit Tinte über die Zeile geschrieben; ursprünglich: unserem. 13 Am 10.1.1936. Vgl. Dok. 346. 14 Der Name ist mit Bleistift über die Zeile korrigiert; ursprünglich: Vejnachd. 15 Vgl. Dok. 358.
Nr. 367 27. 1. 1936 1006 diesen Ton nicht beibehalten und im nächsten Teil seiner Rede die „gewohnten und abgedroschenen“ Ausfälle gegen Deutschland wiederholt hätte. Auch Neurath äußerte sich zur „Indiskretion“, die Molotov in der Kreditfrage begangen hätte. Er verwies darauf, dass dies den Traditionen widerspräche **und**16, insofern die Initiative der deutschen Seite zugeschrieben werde, nicht der Wahrheit entspräche. Er verhehlte nicht, dass letzterer Umstand bei Schacht große Gereiztheit verursacht hätte, und er erwähnte unvorsichtig, dass Molotov mit diesem Teil der Rede zusätz-liche Schwierigkeiten für Schacht bei seinen Verhandlungen in Basel17 verursacht hätte. Es steht außer Frage, und darüber sprachen einige Kollegen offen mit mir, dass die Reden Molotovs und Tuchačevskijs große Verwirrung in den deutschen Reihen gestiftet haben. Die in beiden Reden angeführten Angaben zu unseren Rüstungen waren für die offiziellen Kreise Deutschlands vielleicht keine große Überraschung, insbesondere nicht für die Reichswehr, doch sie beeinflussten die Stimmung brei-ter gesellschaftlicher Kreise, die bereits seit einiger Zeit aufmerksam das riskante Spiel beobachten, das hier gegen den starken „russischen Nachbarn“ betrieben wird. In dieser Hinsicht erzielte unsere Veröffentlichung der Angaben zweifellos eine ernüchternde **Wirkung**18 und erschwerte im Land erheblich die Propagie-rung der Idee, Krieg gegen uns zu führen. Das ist die eine Seite des Problems. Die andere Seite berührt die englisch-deutschen Beziehungen, die letzten Endes mit dem Grad der Bereitschaft Deutschlands, die eigenen Rüstungen zu begrenzen, ver-knüpft sind. Es steht außer Frage, dass das jetzt von uns offiziell benannte Niveau unserer Rüstungen19 es Deutschland erschwert, auf irgendeine Begrenzung einzu-gehen, und damit die Grundlage für ein Abkommen zwischen Deutschland und England einengt. Auch die Offenlegung der Doppelzüngigkeit der deutschen Politik uns gegenüber, die Molotov vornahm, versetzte die Deutschen vor der ganzen Welt in eine nicht weniger schwierige Lage. Auf der einen Seite steht die prinzipielle Unnachgiebigkeit, die Ablehnung jedweder Kompromisse und auf der anderen Sei-te steht der Wunsch, die Wirtschaftsbeziehungen bis hin zu Angeboten für neue und große Kredite zu verstärken. Der Schlag traf ins Schwarze. Die Deutschen konnten ihn nicht mehr in der Form auffangen, das Kreditangebot zu leugnen. Aber eine Polemik rund um die Ini-tiative vom Zaun zu brechen, hielten sie offenbar für zu kleinlich und nicht für Er-folg versprechend. Deshalb verwundert es nicht, dass fast die gesamte deutsche Presse die Passage über die Kredite generell mit Stillschweigen bedachte und alle Angriffe gegen die Rede Molotovs auf den roten Militarismus und seine Rolle im Dienste der Weltrevolution konzentrierte. Dieses Moment hat dann auch Goebbels in seiner nächsten Rede hervorgehoben20. Von den Spekulationen über Gemein- 16 Das Wort ist mit Tinte geschrieben. 17 Gemeint sind die Verhandlungen Schachts mit der Bank für Internationalen Zahlungs-ausgleich in Basel. 18 Das Wort ist maschinenschriftlich korrigiert; ursprünglich: Einfluss. 19 Tu c h ačevskij hatte in seiner Rede (vgl. Anm. 9) die zahlenmäßige Stärke der RKKA An-fang 1936 mit 1.300.000 Mann beziffert. 20 Am 24.1.1936 in Köln. Vgl. „Goebbels-Kundgebung in Köln. Große Rede des Reichs-propagandaleiters vor 15000 Volksgenossen in der Rheinlandhalle“. In: Völkischer Beobachter vom 26. Januar 1936, S. 7.
27. 1. 1936 Nr. 3671007 samkeit und Übereinstimmung zwischen Komintern und Sowjetmacht versprach man sich bei der bevorstehenden Erörterung des sowjetisch-uruguayischen Kon- fliktes21 in Genf22 besonders effektive Ergebnisse. Die Deutschen rechneten damit, dass sich diese Erörterung in ein Strafgericht über die Komintern und über Moskau verwandeln würde und, waren, wie einige meiner Kollegen23 meinten, schaden-froh, dass die Sowjetmacht von sich aus in die Falle getappt sei. Wie groß aber war die Enttäuschung, als aus der Genfer Erörterung24 allein Uruguay blamiert hervor-ging und vor der ganzen Welt wegen der offenen Verleumdung der UdSSR und als geheimer Handlanger der Mächte, die sich hinter seinem Rücken versteckten, bloß-gestellt wurde. Dass die Sowjetunion einen unstrittigen Sieg in Genf davongetragen hatte, musste selbst die deutsche Presse anerkennen. Scheffer zum Beispiel führte in sei-ner Korrespondenz aus Genf melancholisch aus, dass Litvinov als der wahre Sieger aus dem Streit in Genf hervorgegangen sei25. Der Umstand, dass in Genf niemand das Risiko einging, offen gegen die UdSSR Partei zu ergreifen, und weder Polen, noch Italien, das in der Rede Litvi-novs26 direkt angesprochen wurde, dazu entschlossen waren – all das zeigte den Deutschen ein weiteres Mal auf, in welch einem Maße das internationale Ansehen und das Gewicht der Sowjetunion gestiegen ist und welch eine hohe Wertschät-zung nunmehr die Zusammenarbeit mit unserer Union genießt. Vor dem Hinter-grund der Ereignisse, die sich just in den Tagen zuvor zugetragen hatten, machte sich diese für die Deutschen traurige Erkenntnis besonders alarmierend bemerk- bar. Die Deutschen zeigten sich sehr besorgt über die Erörterung bezüglich der Danzig-Frage.27 Die Deutschen waren sich sehr wohl darüber im Klaren, dass die 21 Am 27.12.1935 brach die Regierung Uruguays die diplomatischen Beziehungen zur UdSSR ab mit der Begründung, dass die Mission in Montevideo ein „Zentrum kommunisti-scher Tätigkeit“ in Südamerika sei. Vgl. „Dekret der Regierung von Uruguay über den Ab-bruch der Beziehungen zur Sowjetunion vom 27.12.1935“ in: Osteuropa 11 (1935/36), H. 5, S. 354–356; DVP, Bd. XVIII, Dok. 456, S. 603–605. 22 Am 30.12.1935 richtete Litvinov an den Generalsekretär des Völkerbundes Avenol ein Schreiben, in dem er vorschlug, für die nächste Tagung des Völkerbundes den Verstoß Uru- guays als Mitglied des Völkerbundes gegen das Statut des Völkerbundes, Artikel 2, Punkt 12, in die Tagesordnung aufzunehmen. Vgl. DVP, Bd. XVIII, Dok. 458, S. 607–608. 23 Das nachfolgende Wort „und“ ist gestrichen. 24 In der vom Völkerbund am 24.1.1936 verabschiedeten Resolution zu den Ergebnissen der Erörterung des uruguayisch-sowjetischen Konflikts wurde festgestellt, dass die uruguayi-sche Regierung es abgelehnt habe, „Beweise für die gegen die sowjetische Mission in Monte-video vorgebrachten Anschuldigungen beizubringen“. In: Vnešnjaja politika SSSR. Sbornik dokumentov (Außenpolitik der UdSSR. Dokumentenband), Bd. IV (1935–ijun’ 1941), Moskva 1946, Dok. 72, S. 93. 25 Paul Scheffer: „Die schwarze Krawatte“. In: Berliner Tageblatt vom 26. Januar 1936, S. 1–2. 26 Vgl. „Vystuplenie tov. Litvinova po voprosu o razryve Urugvaem otnošenij s SSSR“ [am 23.1.1936] (Rede des Gen. Litvinov zur Frage des Abbruchs der Beziehungen mit der UdSSR durch Uruguay). In: Izvestija vom 24. Januar 1936, S. 1, 4. 27 Es geht um den Gegensatz im Danziger Senat zwischen den nationalsozialistischen Abgeordneten, die die Mehrheit stellten, und den Abgeordneten der Oppositionsparteien, die gegen die fortschreitenden antidemokratischen Praktiken in der Freien Stadt protestierten und ihren Protest an den Völkerbund richteten, der de jure als Garant für die Verfassung Dan-zigs galt. Zur Haltung der deutschen Regierung hinsichtlich der Erörterung der Situation in Danzig im Völkerbundsrat vgl. ADAP, Ser. C, Bd. IV/2, Dok. 499, S. 986.
Nr. 367 27. 1. 1936 1008 Berliner Herren Danzigs im Prinzip auf die Anklagebank gesetzt worden waren. Die Deutschen rechneten allem Anschein nach damit, dass Polen, mit dem sie ein spe-zielles Abkommen zu Danzig haben, in einer für sie günstigen Form eingreifen werde. Diese in Polen gesetzten Hoffnungen gingen nur zum Teil in Erfüllung. Beck ist es zweifellos gelungen, die Resolution etwas zu entschärfen, er konnte die ein-stimmige Verurteilung der Handlungen des Danziger Senats durch den Völker-bundsrat dennoch nicht verhindern. Die Resolution zur Danzig-Frage war nicht nur eine Warnung an die Adresse Berlins, sondern zeigte außerdem, dass die entscheidenden Mächte nach einigem Zögern bedeutend entschiedener für eine Stärkung des Ansehens des Völkerbundes und der kollektiven Organisierung des Friedens eintraten. Noch klarer spiegelte sich diese Tendenz in der englischen Note über gegenseitigen Beistand und **deren**28 Aufnahme durch die Mittelmeer-Mächte wider. Unter diesem Ge-sichtspunkt ist es für Deutschland besonders wichtig, dass Frankreich die Schwan-kungen aufgegeben hat und Deutschland in allernächster Zeit mit einer englisch-französischen Zusammenarbeit rechnen muss. Der Rücktritt Lavals29 und seine Er-setzung durch solch eine offenkundig anglophile Figur wie Flandin30 bietet die Gewähr, dass diese Zusammenarbeit stabiler sein wird und sich die Objekte der Zusammenarbeit stark erweitern können. Damit gerät einer der Grundpfeiler der deutschen Taktik, die bekanntlich darin besteht, einen Keil zwischen England und Frankreich zu treiben, ins Schwanken. Nicht von ungefähr verstärkt sich deshalb in den letzten Tagen erneut der Flirt mit Italien. Neben dem Hervorkehren von kolonialen Ansprüchen (darüber werde ich irgendwann gesondert schreiben), nimmt die These von der Freundschaft mit Italien in letzter Zeit einen immer größeren Platz in den Reden der „Führer“ ein. Dazu, inwieweit das alles ernst ist, bin ich ausführlicher in meinem letzten Schreiben eingegangen.31 Auch jetzt halte ich an meinem früheren Standpunkt fest, denn ich glaube nach wie vor, dass sich Deutschland niemals dazu entschließen wird, die Wahl zugunsten Italiens zu treffen. Genau die gleiche Meinung vertritt übrigens auch die Mehrheit meiner Kollegen. Bis vor kurzem hat sich selbst Attoli-co in dieser Hinsicht skeptisch geäußert, doch nachdem er jetzt aus Rom zurückge-kehrt ist, hat er offenbar von Mussolini die Weisung erhalten, uns alle hier mit dem Schreckgespenst einer italienisch-deutschen Annäherung einzuschüchtern. In dem Gespräch, das ich unlängst mit ihm hatte, erzählte er mir, dass die „öffentliche Meinung“ Italiens auf eine enge Zusammenarbeit mit Deutschland bestehe. Diese These verfolgend versuchte er mir zu beweisen, dass, wenn die Zusammenarbeit zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch noch kein stabiles materielles Fundament be-sitze („wir können jetzt Deutschland nicht helfen, und Deutschland befindet sich uns gegenüber in genau der gleichen Lage“), nach einer gewissen Zeit die Angele-genheit einen ganz anderen Verlauf nehmen könne, „wenn Deutschland sein Mili-tärprogramm abschließt“ und Italien sich in Abessinien festsetze, woran er nicht zweifle. Es ist bezeichnend, dass es Attolico, der ähnliche Stimmungen gegenüber 28 Das Wort ist über die Zeile geschrieben. 29 Die Regierung Laval trat am 24.1.1936 zurück. 30 So im Dokument. Sarraut löste 24.1.1936 Laval als Ministerpräsident Frankreichs ab, Flandin wurde Außenminister. 31 Vgl. Anm. 2.
27. 1. 1936 Nr. 3671009 Japan verneinte, dennoch nicht versäumte, mir gegenüber den Satz fallenzulassen, dass Italien einen großen Fehler begangen hätte, als es in der Vergangenheit gegen-über Japan eine unfreundliche Haltung eingenommen habe. Dass sich Attolico die größte Mühe gibt, um sich bei den Deutschen einzuschmeicheln, ist eine Tatsache. Es ist hier allen bekannt, dass er dafür **auch**32 zu solchen Mitteln greift wie Verbreitung von Dokumenten, die die Tatsache der Existenz eines französisch-englischen Militärabkommens bestätigen sollen, dessen Bestimmungen sich auch auf Deutschland erstrecken. Es bleibt allerdings fraglich, ob aus diesem ganzen ita-lienischen Spiel irgendetwas Ernsthaftes und Vernünftiges herauskommen wird. Bei den Deutschen herrscht allgemein die Überzeugung, dass Italien nicht in der Lage ist, den Krieg in Abessinien33 zu gewinnen, und früher oder später zu kapitu-lieren gezwungen sein wird. Bei solch einer Haltung ist ein Komplott34 der Deut-schen mit den Italienern wenig wahrscheinlich. Meine Überlegungen zu einigen neuen Tendenzen (vielmehr Nuancen) in der deutschen Außenpolitik werde ich in einem der nächsten Schreiben darlegen.35Mit kameradschaftlichem Gruß Ja. Suric Vermerk N.N. Krestinskijs mit blauem Farbstift: MM36 [.] Zu den Akten.Oben in der Mitte befindet sich der Stempel des Sekretariats des Volkskommissars des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 279 vom 29.1.1936. Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt: 7 Expl. 4 an Gen. Litvinov, 2 an Gen. Krestinskij, 1 [Exemplar] zu den Akten. 27.1.36. AVP RF, f. 05, op. 16, p. 118, d. 45, l. 14–20. Original. Veröffentlicht in: DVP, Bd.XIX, Dok.29, S.44–4937. 32 Das Wort ist mit Bleistift über die Zeile geschrieben. 33 Der Krieg begann am 3.10.1935 mit der Invasion der italienischen Armee in Äthiopien und wurde am 5.5.1936 beendet. Am 7.5.1936 annektierte Italien Äthiopien. 34Das nachfolgende Wort „zwischen“ ist gestrichen. 35 Vgl. Dok. 383. 36Litvinov. 37Die Veröffentlichung in DVP erfolgte ohne Legende und nach eigenen Redaktionsricht-linien.
Nr. 368 27. 1. 1936 1010 Nr. 368 Aufzeichnung der Unterredung des Rates der Bevollmächtigten Vertretung in Berlin Bessonov mit dem Leiter des Referats Russland in der II. Abteilung im AA Hencke Nr.368 27. 1. 193627. 1. 1936GeheimExpl. Nr. 5 27.1.1936 Tagebuch S. Bessonovs 27. Januar 36 Berlin Nr. 26/s1HAFTSACHENAm 17. Januar ging ich, wie in dem Telegramm von N.N. Krestinskij aufgefor-dert, zu Hencke und erklärte ihm, dass alle Haftsachen künftig in Moskau direkt zwischen der Deutschen Botschaft und dem NKID behandelt werden müssen. Die Behandlung dieser Fälle hier über die Sowjetische Botschaft anhängig zu machen, sei nicht zielführend, da die Bevollmächtigte Vertretung nicht über die erforderli-chen Materialien verfüge und alle Strafsachen ohnehin nach Moskau geschickt würden, wo sie auch abschließend entschieden werden könnten.2Hencke entgegnete, er habe niemals in Zweifel gezogen, dass die Entscheidung der von ihm aufgeworfenen Fragen nur in Moskau getroffen würde. Deshalb ver-stünde er nicht ganz, was ich mit meiner Erklärung sagen wolle. Bedeute das etwa, dass die Bevollmächtigte Vertretung es ablehne, jegliche Wünsche und Bitten des Auswärtigen Amtes hinsichtlich solcher Fälle anzuhören? Ich antwortete, dass solch ein Verständnis nicht richtig sei. Wenn das Auswär-tige Amt aufgrund von Erwägungen es für erforderlich erachte, über die Sowjeti-sche Botschaft in Berlin auf den einen oder anderen Fall aufmerksam zu machen, so könne niemand es daran hindern, dies zu tun. Die Antwort auf die vorgetragene Erklärung werde jedoch direkt vom NKID in Moskau gegeben. S. Bessonov Vermerk N.N. Krestinskijs mit blauem Farbstift: N.K. Oben rechts befindet sich der Stempel des Sekretariats des Stellvertretenden Volks-kommissars des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 442 vom 29.1.1936.Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:7Expl. 4 an Gen. Litvinov, 2 an Gen. Krestinskij, 1 [Exemplar] zu den Akten. AVP RF, f. 010, op. 11, p. 68, d. 31, l. 27. Kopie. 1 Die Ausgangsnummer ist mit Tinte geschrieben. 2 Vgl. auch Dok. 359.
27. 1. 1936 Nr. 3691011 Nr. 369 Schreiben des Bevollmächtigten Vertreters in Berlin Suric an den Stellv. Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten Krestinskij Nr.369 27. 1. 193627. 1. 1936GEHEIMExpl. Nr. 1 27. Januar 1936 Nr. 27/s1AN DEN STELLV[ERTRETENDEN] VOLKSKOMMISSAR N.N. KRESTINSKIJ Werter Nikolaj Nikolaevič, in letzter Zeiten tauchten in den sowjetisch-deutschen Beziehungen einige neue Momente auf, die eine eingehende Beachtung verdienen. Aus meinen Telegrammen und aus unseren Tagebüchern ist ersichtlich, dass einige deutsche Kreise, zum Bei-spiel und insbesondere Schacht nahestehende Kreise und Schacht selbst, recht emp-findlich auf den Teil der Rede des Gen. Molotovs2 reagierten, in dem er über neue deutsche Kredite sprach. Jedoch gab die Tatsache, dass dieser Unmut der Kreise um Schacht überhaupt keinen Niederschlag in der Presse gefunden hat, der es untersagt war, auf dieses Thema einzugehen3, zu der Vermutung Anlass, dass die Deutschen nicht die Absicht verfolgen, deswegen die Verhandlungen abzubrechen, obgleich sie es sich wahrscheinlich nicht nehmen lassen werden, uns im Zusammenhang mit den Verhandlungen zusätzliche Unannehmlichkeiten zu bereiten. Davon, dass die Deut-schen allem Anschein nach nicht beabsichtigen, die Verhandlungen abzubrechen, überzeugten mich auch die Äußerungen einflussreicher deutscher Industrieller, mit denen ich sprach und die keine Unzufriedenheit mit der Rede des Gen. Molotov zum Ausdruck brachten, sondern mit einer höchst lebhaften Genugtuung über die Erklä-rung des Gen. Molotov sprachen, wonach die UdSSR die wirtschaftlichen und poli-tischen Beziehungen mit Deutschland verbessern wolle. Die letzte Information, die uns vorliegt, kündet davon, dass die Verhandlungen in allernächster Zeit wieder auf-genommen werden, obgleich sie wahrscheinlich nicht nur betont offizieller und tro-ckener verlaufen werden, als dies im Dezember der Fall war4, sondern vermutlich auch deswegen schwieriger sein werden, weil die Deutschen Hindernisse errichten und Forderungen hinsichtlich unserer Auftragsliste und bezüglich des Volumens sowie des Sortiments unseres Export nach Deutschland stellen werden.5Wenn somit die Gefahr eines Schlages von deutscher Seite gegen die Wirt-schaftsverhandlungen jetzt zwar offenbar entfällt, so nehmen dafür die Symptome für ein aggressives Auftreten der Deutschen in einigen anderen Fragen bedrohlich zu. Ich gehe jetzt nicht auf den Fall Prinz6 und auf die wegen dieses Falles verfügte 1 Die Ausgangsnummer ist mit Tinte geschrieben. 2 Vgl. Dok. 346. 3 Vgl. Dok. 348, Anm. 6. 4 Vgl. Dok. 330, 338. 5 Vgl. Dok. 365. 6 Vgl. Dok. 366, Anm. 2.
Nr. 369 27. 1. 1936 1012 Kontensperrung der Handelsvertretung bei der Garkrebo ein. Durch starken Druck auf die Deutschen ist es gelungen, in diesem Fall, wenn nicht einen ehrenhaften, so doch zumindest einen praktisch vollkommen annehmbaren Kompromiss mit dem gleichzeitigen Abschluss eines Abkommens zu erreichen, das in Zukunft Fälle die-ser Art ausschließt. Viel ernster scheint mir der Fall Görbing7 zu sein, oder viel-mehr die Wendung, die die Deutschen ihm gegeben haben. Ich stimme Ihnen voll-kommen zu, dass jegliches Zugeständnis an die Deutschen in dieser Frage nicht mit unserer Würde vereinbar ist. Andererseits haben sich die Deutschen meiner Ansicht nach bereits in dieser Frage derartig engagiert, dass es ihnen schwerfallen wird, ihre Drohung bezüglich Gofman zurückzunehmen. Natürlich könnte man versuchen, den Deutschen den Rückzug zu erleichtern, indem man ihnen zum Fall Görbing noch einmal das mitteilt, was Sie Schulenburg schon einmal gesagt ha-ben8. Es ist nicht auszuschließen, dass sie sich damit einverstanden erklären, dies als Schuldeingeständnis Görbings zu betrachten, welches sie erreichen wollen, dies umso mehr, als wir ihm ein befristetes Visum für die Erledigung der [persönlichen] Angelegenheiten erteilen werden. Nichtsdestotrotz wird es ratsamer sein abzuwar-ten, ob sie ihre Drohung gegen Gofman wahr machen werden. In diesem Fall erge-ben sich für uns zwei Möglichkeiten: entweder wir lassen uns auf einen Konflikt ein und verlangen umgekehrt die Rückkehr Gofmans, indem wir eine entsprechen-de Zeitungskampagne betreiben, oder wir gehen darauf ein, Gofman durch einen anderen Korrespondenten der „Pravda“ zu ersetzen, weil sich die deutsche Dro-hung, nach allem zu urteilen, nicht gegen den Korrespondenten der „Pravda“ an sich richtet, sondern gegen Gen. Gofmann persönlich. Ich komme nicht umhin, Sie auf die außerordentliche Belebung und Zunahme des deutschen Interesses an den Verhaftungen von deutschen Staatsbürgern in der UdSSR aufmerksam zu machen. Neben den Demarchen, die die Deutschen uns hier deswegen vorgetragen haben und die **im**9 NKID als ein völlig unbegründeter Versuch gewertet werden, hier Verhandlungen über die Haftsachen zu eröffnen, ne-ben diesen Demarchen müssen wir uns also fast in jeder Unterredung mit den Deutschen Hinweise auf eine wachsende Anzahl von Verhaftungen deutscher Staatsbürger in der UdSSR und auf die damit verbundene Erregung anhören, wel-che diese Verhaftungen in den verschiedenen deutschen Kreisen hervorrufen. Die Andeutungen, die man uns in dieser Hinsicht mitunter macht, geben Anlass zu ei-ner gewissen Besorgnis. Zum Beispiel hören wir manchmal, dass das Zentrum der deutschen Unzufriedenheit bezüglich der Verhaftungen in der UdSSR bei den deutschen Innenbehörden liege, die sicherlich bald genötigt sein würden, eigene Maßnahmen als Antwort auf die Moskauer Verhaftungen zu ergreifen. Wenn also Agenten der Gestapo plötzlich bei Intourist erscheinen, wie das zum Beispiel am 23., 24. und 25. Januar der Fall war, und Informationen über den deutschen Mitarbeiterbestand von Intourist verlangen, so müssen wir zwangsläufig damit rechnen, dass sich diese Angelegenheit nicht mit der Anforderung von In-formation über den Mitarbeiterbestand erschöpft, sondern zu irgendwelchen neuen 7 Vgl. Dok. 350. Vgl. auch die Aufzeichnung der Unterredung Bessonovs mit Aschmann am 22.1.1936. In: AVP RF, f. 010, op. 11, p. 68, d. 31, l. 29–28. 8 Vgl. Aufzeichnung der Unterredung Krestinskijs mit Graf von der Schulenburg am 23.1.1936. In: AVP RF, f. 082, op. 19, p. 83, d. 1, l. 12–11. 9 Das Wort ist mit Tinte über die Zeile geschrieben.
27. 1. 1936 Nr. 3691013 Repressalien gegen Intourist führen wird, dem übrigens in diesen Tagen das Recht auf Reklame in Unterhaltungsbetrieben amtlich entzogen worden ist. Es ist nicht auszuschließen, dass die Vorbereitung von Repressalien gegen Intourist damit in Verbindung steht, dass die Frage bezüglich des Erwerbs von Eisenbahnfahrkarten in die UdSSR durch Deutsche nicht geregelt ist.10Ich kann auch nicht die Tatsache verschweigen, dass mir von Berliner evange-lischen Kreisen ein umfangreicher Bericht über die Lage der evangelischen Kirche in der UdSSR und insbesondere der evangelischen Pastoren, von denen insgesamt ungefähr ein Dutzend übrig geblieben sind, während es früher über einhundert wa-ren, übergeben worden ist. Ich habe verständlicherweise keine Möglichkeit, mich in das Wesen dieser Angelegenheit zu vertiefen, weil ich sie überhaupt nicht ken-ne. Jedoch ist zu bemerken, dass alle unsere sogenannten Freunde hier im einen oder anderen Grade mit den evangelischen Kreisen verbunden sind oder selbst der evangelischen Kirche angehören, so dass diese Frage in diesen Kreisen eine gewis-se Erregung hervorrufen und sich auf unsere Beziehungen niederschlagen muss. Ich werfe jetzt alle diese Fragen in der Überzeugung auf, dass unsere Politik gegenüber Deutschland im Wesentlichen durch die Erklärung des Gen. Molotov auf der Tagung des CIK bestimmt wird, wonach die sowjetische Regierung es wün-schen würde, die Beziehungen mit Deutschland zu verbessern, obgleich diese Fra-ge11 nicht allein von der Regierung der UdSSR abhängt. Die von mir angeführten Fakten berühren zum Teil ein Gebiet von Fragen, deren Lösung auch von uns ab-hängen kann, wie das zum Beispiel hinsichtlich der Verhaftungen der Fall ist. Ich halte es für an der Zeit, die Frage aufzuwerfen, durch eine Überprüfung einer Reihe von Haftsachen12 zu einer gewissen Entspannung der Atmosphäre in dieser **Richtung**13 zu gelangen. Mir scheint, dass man hier etwas machen könnte, ohne dass unsere Interessen dabei irgendeinen Schaden nehmen würden. Bei den Deutschen würde dies indes rasch eine positive Reaktion auslösen. Ja. Suric Vermerk N.N. Krestinskijs mit blauem Farbstift: Gen. Štern vorzutragen. Danach in die Post. Krest[inskij]. Vermerk [des Sekretärs] mit Bleistift gegenüber dem Familienname von Štern: Ist krank. Gelesen haben die Gen. Bežanov und Levin. Oben in der Mitte befindet sich der Stempel des Sekretariats des Stellvertretenden Volkskommissars des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 443 vom 29.1.1936.Oben rechts von der Mitte befindet sich der Stempel der 2. Politischen Westabteilung des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 228 vom 31.1.1936.Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:2Expl. 1 [Exemplar] an den Adressaten, 1 zu den Akten. Auf Kopfbogen der Bevollmächtigten Vertretung der UdSSR in Deutschland geschrieben.AVP RF, f. 010, op. 11, p. 68, d. 34, l. 28–27. Original. 10 Anfang 1936 war das Verfahren für Ausländer verändert worden, Eisenbahnfahrkarten bis zur Grenze der UdSSR und darüber hinaus zu kaufen, was entsprechende Vorstellungen u.a. seitens der deutschen Diplomaten nach sich zog. Vgl. Aufzeichnungen der Unterredun-gen Šterns mit Hilger am 8. und 15.1.1936. In: AVP RF, f. 082, op. 19, p. 83, d. 2, l. 2–1, 14–13. Vgl. dazu auch Dok. 379. 11 Das nachfolgende Wort „und“ ist mit Tinte durchgestrichen. 12 Vgl. auch Dok. 350, 359. 13 Das Wort ist über die Zeile anstelle des ursprünglichen Wortes „Frage“ geschrieben.
Nr. 370 27. 1. 1936 1014 Nr. 370 Aufzeichnung der Unterredung des Rates der Bevollmächtigten Vertretung in Berlin Bessonov anlässlich des Frühstücks bei dem Leiter der Presseabteilung im AA Aschmann Nr.370 27. 1. 193627. 1. 1936GeheimExpl. Nr. 5 27. Januar 1936 Tagebuch S. Bessonovs 17.–27. Januar 36 Berlin Nr. 23/s1DER FALL GÖRBINGAm 22. Januar lud mich Aschmann zu einem Frühstück ein, an dem außer-dem sein Referent für die russischen Angelegenheiten Schönberg und der deut-sche Korrespondent in Moskau Just teilnahmen. Das Gespräch drehte sich haupt-sächlich um den Fall Görbing2, dem die Deutschen laut Aschmann eine sehr große Bedeutung beimessen. Es geht darum, dass Görbing auf die Frage deutscher Behörden zu den gegen ihn in der UdSSR erhobenen Anschuldigungen seine Schuld kategorisch geleugnet und erklärt habe, dass die Bekanntschaften, die er und seine Frau zu russischen Kreisen hatten, völlig harmlos gewesen seien und nichts mit einer wie auch immer gearteten antisowjetischen Tätigkeit zu tun ge-habt hätten. Aufgrund der derart bestimmten Erklärung Görbings sieht sich die deutsche Seite veranlasst, die sowjetische Seite zu bitten, ihr wenigstens einen Teil der Beweise für die Schuld Görbings vorzulegen, weil es anderenfalls für das Auswärtige Amt angesichts dessen, dass die deutschen Behörden unwiderlegbare Beweise für Gofmans Kontakte zu staatsfeindlichen Elementen in Deutschland be-sitzen, völlig unmöglich werde, die Verlängerung des Visums für den Korrespon-denten der „Pravda“ Gofman, das übrigens am 3. Februar ausläuft, zu erwirken. Auf meine Bitte um Präzisierung dieser Erklärung sagte Schönberg, wobei ihm Aschmann beipflichtete, dass diese seine Erklärung als eine offizielle zu betrachten sei, d.h., falls bis zum 3. n. M. die Deutsche Botschaft in Moskau vom NKID keine Bestätigung und keine Beweise für die Schuld Görbings bekomme, werde das Visum für Gofman nicht verlängert und ihm nichts anderes übrig bleiben, als Deutschland zu verlassen. Ich sagte, dass ich nicht berechtigt sei, eine Meinung zu dieser Frage zu äu-ßern, da es sich **3 um eine offizielle Angelegenheit handele, ich könne lediglich versprechen, dass das, was mir gesagt wurde, nach Moskau zu übermitteln. Inoffiziell aber könne ich den Deutschen nur empfehlen, diesen Fall nicht zu-zuspitzen, weil erstens die Vorlage von Beweisen mit der Souveränität eines Lan-des unvereinbar sei, und zweitens Gen. Krestinskij in seiner Unterredung mit 1 Die Ausgangsnummer ist mit Tinte geschrieben. 2 Vgl. Dok. 340, 344. 3 Das an dieser Stelle stehende Wort „lediglich“ ist durchgestrichen.
27. 1. 1936 Nr. 3711015 Schulenburg zu dieser Frage4 mehr als genug ausgeführt hätte, um den Deutschen vor Augen zu führen, dass die Forderung Görbings nach Rückkehr in die UdSSR unangebracht sei. Ein Konflikt in dieser Sache werde wohl kaum für Deutschland von Vorteil sein, weil trotz der entschiedenen Erklärung Schönbergs bezüglich Gofmans weder ich noch irgendjemand anderes der sowjetischen Seite daran zwei-fele, dass Gofman überhaupt nicht mit Görbing zu vergleichen sei. Sie auf eine Stu-fe zu stellen, wie dies die deutsche Seite offenbar zu tun geneigt sei, bedeute, sich vor der Weltöffentlichkeit zu blamieren. S. Bessonov P.S. Übrigens sagte mir Just bei der Verabschiedung, dass er am 25./26. Januar nach Moskau fahren wollte, dies aber bis Anfang Februar aufschiebe, um die Ergebnisse hinsichtlich der Klärung des Falls Görbing5 abzuwarten. Er sagte, wenn ein neuer Journalistenkonflikt ausbrechen sollte, hätte es vor dessen Beilegung sowieso kei-nen Sinn, nach Moskau zu fahren. Vermerk N.N. Krestinskijs mit blauem Farbstift: NK. Oben rechts befindet sich der Stempel des Sekretariats des Stellvertretenden Volks-kommissars des NKID der UdSSR mit der Eingangs-Nr. 442 vom 29.1.1936.Am Ende des Dokuments sind die Anzahl der Exemplare und der Verteiler vermerkt:7Expl. 4 Expl. an Gen. Litvinov, 2 an Gen. Krestinskij, 1 [Exemplar] zu den Akten. 27.I.36. AVP RF, f. 010, op. 11, d. 68, d. 31, l. 29–28. Kopie. 45Nr. 371 Brief des Gesandtschaftsrats II. Kl. in Moskau Hensel an den Leiter des Referats Russland in der II. Abteilung im AA Hencke Nr.371 27. 1. 193627. 1. 1936Moskau, den 27. Januar 1936 Mein lieber Andor, heute darf ich Dir mit Genehmigung des Herrn Botschafters ein Problem un-terbreiten, das hier im Zusammenhang mit der Behandlung des Haftfalles Fuchs sowjetischerseits und meinem Besuch bei Fuchs entstanden ist. Als die Botschaft erfuhr, dass Fuchs bereits am 20. Oktober v. J. in Jaroslawl eingetroffen war, während wir trotz aller wirklich unablässigen und nachdrück-lichsten Demarchen des Herrn Botschafters, Herrn von Tippelskirchs und meiner Wenigkeit in den letzten drei Monaten erst am 8. Januar d. J. hiervon Kenntnis er-hielten, lief uns die Galle über, und zwar ganz abgesehen von der darin liegenden Vertragsverletzung1, vielmehr schon wegen der unglaublichen Nichtachtung ge- 4 Am 23.1.1936. Vgl. Dok. 373, Anm. 2. 5 Vgl. Dok. 379. 1 Vgl. Dok. 21, Anm. 7.
Chapters in this book
- Frontmatter I
- Inhalt V
- Vorwort VII
- I. Einleitung 1
- II. Dokumentenverzeichnis 49
-
III. Dokumente
- Nr. 1 - Nr. 36 155
- Nr. 37 - Nr. 82 251
- Nr. 83 - Nr. 129 351
- Nr. 130 - Nr. 165 451
- Nr. 166 - Nr. 208 551
- Nr. 209 - Nr. 253 656
- Nr. 254 - Nr. 297 753
- Nr. 298 - Nr. 341 851
- Nr. 342 - Nr. 386 955
- Nr. 387 - Nr. 433 1052
- Nr. 434 - Nr. 481 1152
- Nr. 482 - Nr. 530 1257
- Nr. 531 - Nr. 579 1353
- Nr. 580 - Nr. 630 1454
- Nr. 631 - Nr. 691 1559
- IV. Abkürzungsverzeichnis 1687
- V. Archive 1697
- VI. Veröffentlichte Dokumente und Nachschlagewerke 1699
- VII. Personenregister 1703
- VIII. Sachregister 1773
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- Frontmatter I
- Inhalt V
- Vorwort VII
- I. Einleitung 1
- II. Dokumentenverzeichnis 49
-
III. Dokumente
- Nr. 1 - Nr. 36 155
- Nr. 37 - Nr. 82 251
- Nr. 83 - Nr. 129 351
- Nr. 130 - Nr. 165 451
- Nr. 166 - Nr. 208 551
- Nr. 209 - Nr. 253 656
- Nr. 254 - Nr. 297 753
- Nr. 298 - Nr. 341 851
- Nr. 342 - Nr. 386 955
- Nr. 387 - Nr. 433 1052
- Nr. 434 - Nr. 481 1152
- Nr. 482 - Nr. 530 1257
- Nr. 531 - Nr. 579 1353
- Nr. 580 - Nr. 630 1454
- Nr. 631 - Nr. 691 1559
- IV. Abkürzungsverzeichnis 1687
- V. Archive 1697
- VI. Veröffentlichte Dokumente und Nachschlagewerke 1699
- VII. Personenregister 1703
- VIII. Sachregister 1773