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1. Der Diener als Herr in Strindbergs Fräulein Julie (1888)

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III.Grenzfälle: Aufhebung und Umkehrung von Herr- und Knechtschaft (Strindberg, Tolstoi)In den letzten Kapiteln sind zwei konfliktäre Modelle interdependenter Herrschaft vorgestellt worden: zum einen Koalitionen zwischen Herr und Knecht, anhand derer Diderot und nach ihm Brecht und Braun die jewei-ligen politischen Systeme ihrer Zeit dialektisch negieren und ihre Leser dazu auffordern, eigenständig eine Alternative zu den von ihnen proble-matisierten Formen menschlichen Zusammenlebens zu entwickeln. Zum anderen sind widerständige Subalterne fokussiert worden, die von ihren Herren Humanität und moralische Integrität fordern. Sie sollen genauso wie die Rezipienten zu einem Bewusstseinswandel animiert werden, durch den die bestehenden politischen und sozialen Missstände beseitigt werden sollen. Bevor im zweiten Teil der Arbeit zwei konsensuelle Modelle inter-dependenter Herrschaft profiliert werden, sollen im Folgenden zwei Son-derfälle konfliktreicher Machtbeziehungen in den Blick genommen wer-denSonderfälle insofern, als die dargestellten Herrschaftsverhältnisse im Handlungsverlauf durch den Tod des Herrn bzw. der Herrin aufgehoben werden. Diese eher seltenen, aber nicht singulären Machtkonstellationen liegen in August Strindbergs Theatertext Fräulein Julie(1888) und in Leo N. Tolstois Erzählung Herr und Knecht (1895) vor. Beide Texte haben die literarische Diskussion stark geprägt. So hat sich etwa Brecht in Herr Punti-la und sein Knecht Matti mit Strindbergs Drama auseinandergesetzt, während Braun im Hinze-Kunze-Romanauf Tolstois Erzählung rekurriert (vgl. I.2.3, I.2.4). Strindberg und Tolstoi nehmen in ihren Texten wiederum auf sozi-alphilosophische Debatten Bezug, die breit rezipiert worden sind und in die literarische Diskussion Eingang gefunden haben (vgl. IV.2.2, V.1). Während sich Strindberg nämlich mit Friedrich Nietzsches (und Hegels) Ausführungen zur Herr- und Knechtschaft auseinandersetzt, entwickelt Tolstoi seine philosophische Position in Abgrenzung zu Arthur Schopen-hauers Metaphysik. Anhand der Texte von Strindberg und Schopenhauer werden im Fol-genden zwei gegensätzliche Grenzfälle interdependenter Herrschaft vor-gestellt: die Umkehrung und daraus resultierende Beendigung bestehender Machtbeziehungen durch die ps ychische Vernichtung der Herrin durch
© 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Munich/Boston

III.Grenzfälle: Aufhebung und Umkehrung von Herr- und Knechtschaft (Strindberg, Tolstoi)In den letzten Kapiteln sind zwei konfliktäre Modelle interdependenter Herrschaft vorgestellt worden: zum einen Koalitionen zwischen Herr und Knecht, anhand derer Diderot und nach ihm Brecht und Braun die jewei-ligen politischen Systeme ihrer Zeit dialektisch negieren und ihre Leser dazu auffordern, eigenständig eine Alternative zu den von ihnen proble-matisierten Formen menschlichen Zusammenlebens zu entwickeln. Zum anderen sind widerständige Subalterne fokussiert worden, die von ihren Herren Humanität und moralische Integrität fordern. Sie sollen genauso wie die Rezipienten zu einem Bewusstseinswandel animiert werden, durch den die bestehenden politischen und sozialen Missstände beseitigt werden sollen. Bevor im zweiten Teil der Arbeit zwei konsensuelle Modelle inter-dependenter Herrschaft profiliert werden, sollen im Folgenden zwei Son-derfälle konfliktreicher Machtbeziehungen in den Blick genommen wer-denSonderfälle insofern, als die dargestellten Herrschaftsverhältnisse im Handlungsverlauf durch den Tod des Herrn bzw. der Herrin aufgehoben werden. Diese eher seltenen, aber nicht singulären Machtkonstellationen liegen in August Strindbergs Theatertext Fräulein Julie(1888) und in Leo N. Tolstois Erzählung Herr und Knecht (1895) vor. Beide Texte haben die literarische Diskussion stark geprägt. So hat sich etwa Brecht in Herr Punti-la und sein Knecht Matti mit Strindbergs Drama auseinandergesetzt, während Braun im Hinze-Kunze-Romanauf Tolstois Erzählung rekurriert (vgl. I.2.3, I.2.4). Strindberg und Tolstoi nehmen in ihren Texten wiederum auf sozi-alphilosophische Debatten Bezug, die breit rezipiert worden sind und in die literarische Diskussion Eingang gefunden haben (vgl. IV.2.2, V.1). Während sich Strindberg nämlich mit Friedrich Nietzsches (und Hegels) Ausführungen zur Herr- und Knechtschaft auseinandersetzt, entwickelt Tolstoi seine philosophische Position in Abgrenzung zu Arthur Schopen-hauers Metaphysik. Anhand der Texte von Strindberg und Schopenhauer werden im Fol-genden zwei gegensätzliche Grenzfälle interdependenter Herrschaft vor-gestellt: die Umkehrung und daraus resultierende Beendigung bestehender Machtbeziehungen durch die ps ychische Vernichtung der Herrin durch
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