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Zur Galanterie im Frankreich des 17. Jahrhunderts

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Die Kunst der Galanterie
Ein Kapitel aus dem Buch Die Kunst der Galanterie
Alain Montandon (Clermont-Ferrand)Zur Galanterie im Frankreich des 17. JahrhundertsI.Ich möchte mich dem Problem der Galanterie in aller Bescheidenheit inForm eines allgemeinen Überblicks, einer Synthese nähern aus dem ›so-ziopoetischen‹ Blickwinkel heraus, den ich mir zu Eigen gemacht habe.Ausgehen möchte ich von der ›Instabilität‹ dieses Begriffs, dessen Be-deutung sich im Laufe der Jahrhunderte verändert hat und der seineeigenen Widersprüche in sich trägt. Tatsächlich bin ich selbst keineswegsein Experte für das 17. Jahrhundert und beanspruche in keiner Weise,mit den gelehrten Analysen zu konkurrieren, durch die Alain Viala,Delphine Denis, Jörn Steigerwald und andere sich hervorgetan haben.›Galanterie‹ ist ein Begriff, der zahlreiche Konnotationen aufweist.Jeder von ihnen kommt zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlicheBedeutung zu, denn der Begriff deckt zugleich den ethischen, den äs-thetischen und den erotischen Bereich ab. Diese drei Felder sind es, die jenach Zeit, sozialem Stand und Epoche in unterschiedlichem Verhältniszueinander stehen. Ich werde daher zunächst von Bekanntem ausgehen,d. h. von den ersten Bedeutungen des Begriffs ›galant‹ – bevor das Sub-stantiv ›Galanterie‹ in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts aufge-taucht ist. Der Ausdruck ›galant‹ erscheint erstmals im 14. Jahrhundert,und seine erste Bedeutung wird in Zusammenhang mit dem Verbgalergebracht, im 13. Jahrhundert ein Synonym für ›vergnügt sein‹. Auf eineentsprechende etymologische Herkunft hat Voltaire in seinem Artikel imDictionnaire philosophiquefrüh hingewiesen: »Ce mot vient degal,quid’abord signifiagaiete ́etre ́jouissance,ainsi qu’on le voit dans AlainChartier et dans Froissard.«1So verweistgaler, das ›heiterer Stimmung sein‹, ›sich amüsieren‹, ›sicheine schöne Zeit machen‹ bedeutet, auch auf eine dynamische Kraft,wach und lebendig, die gleichermaßen in Gutem wie in Schlechtemwirkt. Tatsächlich kann man ebensogutse re ́galer(es sich schmeckenlassen) wiefaire des gale ́jades(schwindeln), oder sogar eingalapiat, einTaugenichts, sein. Auch beinhaltet der Begriff von Anfang an zwei mög-1Voltaire: Œuvres comple`tes. Bd. 38: Dictionnaire philosophique IV. Paris21784,S. 399 [Erstausgabe 1764].

Alain Montandon (Clermont-Ferrand)Zur Galanterie im Frankreich des 17. JahrhundertsI.Ich möchte mich dem Problem der Galanterie in aller Bescheidenheit inForm eines allgemeinen Überblicks, einer Synthese nähern aus dem ›so-ziopoetischen‹ Blickwinkel heraus, den ich mir zu Eigen gemacht habe.Ausgehen möchte ich von der ›Instabilität‹ dieses Begriffs, dessen Be-deutung sich im Laufe der Jahrhunderte verändert hat und der seineeigenen Widersprüche in sich trägt. Tatsächlich bin ich selbst keineswegsein Experte für das 17. Jahrhundert und beanspruche in keiner Weise,mit den gelehrten Analysen zu konkurrieren, durch die Alain Viala,Delphine Denis, Jörn Steigerwald und andere sich hervorgetan haben.›Galanterie‹ ist ein Begriff, der zahlreiche Konnotationen aufweist.Jeder von ihnen kommt zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlicheBedeutung zu, denn der Begriff deckt zugleich den ethischen, den äs-thetischen und den erotischen Bereich ab. Diese drei Felder sind es, die jenach Zeit, sozialem Stand und Epoche in unterschiedlichem Verhältniszueinander stehen. Ich werde daher zunächst von Bekanntem ausgehen,d. h. von den ersten Bedeutungen des Begriffs ›galant‹ – bevor das Sub-stantiv ›Galanterie‹ in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts aufge-taucht ist. Der Ausdruck ›galant‹ erscheint erstmals im 14. Jahrhundert,und seine erste Bedeutung wird in Zusammenhang mit dem Verbgalergebracht, im 13. Jahrhundert ein Synonym für ›vergnügt sein‹. Auf eineentsprechende etymologische Herkunft hat Voltaire in seinem Artikel imDictionnaire philosophiquefrüh hingewiesen: »Ce mot vient degal,quid’abord signifiagaiete ́etre ́jouissance,ainsi qu’on le voit dans AlainChartier et dans Froissard.«1So verweistgaler, das ›heiterer Stimmung sein‹, ›sich amüsieren‹, ›sicheine schöne Zeit machen‹ bedeutet, auch auf eine dynamische Kraft,wach und lebendig, die gleichermaßen in Gutem wie in Schlechtemwirkt. Tatsächlich kann man ebensogutse re ́galer(es sich schmeckenlassen) wiefaire des gale ́jades(schwindeln), oder sogar eingalapiat, einTaugenichts, sein. Auch beinhaltet der Begriff von Anfang an zwei mög-1Voltaire: Œuvres comple`tes. Bd. 38: Dictionnaire philosophique IV. Paris21784,S. 399 [Erstausgabe 1764].

Kapitel in diesem Buch

  1. Frontmatter i
  2. Inhalt v
  3. Einleitung 1
  4. I Galanterie: Entstehung und Ausdifferenzierung eines ambivalenten Konzepts
  5. Zur Galanterie im Frankreich des 17. Jahrhunderts 19
  6. II Traditionen: Modelle höfisch-geselliger Interaktion in Mittelalter und Renaissance
  7. Ritual, Fiktion und ästhetische Erfahrung. Wandlungen des höfischen Diskurses zwischen Roman und Minnesang 51
  8. Liebe und Geselligkeit. Geschlechterkommunikation in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Erzähltexten 93
  9. Die dunkle Seite der Galanterie. Ausgrenzungen bei Castiglione, Della Casa und Graciań 127
  10. Baldassare Castiglione und Madeleine de Scudéry oder das Verhaltenskonzept der Galanterie im Vergleich mit dem idealen Hofmann 149
  11. III Ästhetische Vermittlungen der galanterie française im 17. und frühen 18. Jahrhundert
  12. Affekt-Erzählungen: Die galanten Novellen Scudérys und Villedieus 179
  13. Novellistik im Mercure Galant oder Die Zeitschrift als galantes Gespräch 197
  14. Antoine Watteau – peintre de fêtes galantes? 223
  15. IV Vorbild Frankreich: Aspekte des französisch-deutschen Kulturtransfers um 1700
  16. Die Scudéry-Rezeption im Pegnesischen Blumenorden. Galanterietransfer aus genderkritischer Perspektive 251
  17. Tanzen als Schule galanten Gebarens 275
  18. Musiktheater und galanter Diskurs 301
  19. Wurde der deutsche Adel galant? Vorüberlegungen zu den unerforschten Wegen des Galanterietransfers in der Adelserziehung des frühen 18. Jahrhunderts 317
  20. V Roman und galante Conduite in Deutschland 1680–1740
  21. Romane als Verhaltenslehren. Zur galanten Poetik von Christian Thomasius und Erdmann Neumeister 341
  22. Galanterie als Text. Methodologische Überlegungen zu Funktion und Status galanter Textproduktion 355
  23. Thesen zum galanten Roman 377
  24. »Von dem übrigen ist nichts zu gedencken« – An der Grenze des Erlaubten in Schnabels Roman Der im Irr=Garten der Liebe herum taumelnde Cavalier 393
  25. VII Kontinuitäten: Spuren des Galanten in der deutschsprachigen Literatur des 18. Jahrhunderts
  26. Galanterie und Anakreontik: Optionen der Lyrik im Zeitalter der Aufklärung 413
  27. Galants hommes und schöne Seelen – zur prekären Allianz zweier verwandter Konzepte 433
  28. Zitierte Forschungsliteratur 467
  29. Register 495
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