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Qualitative Methoden

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Lars RinsdorfQualitative Methoden1 Was ist qualitative Forschung?Bevor wir uns mit der qualitativen Forschungslogik beschäftigen, sollten wir zunächst klären, was genau wir unter qualitativen Methoden verstehen. In einer ersten abgren-zenden Definition ließen sich alle Verfahren der Erhebung von Daten als qualitativ bezeichnen, die nicht dem Grundprinzip quantitativer Forschung entsprechen: einem kritisch-rationalistischen Wissenschafts verständnis, in dem Hypothesen und Theo-rien über gesellschaftliche Zusammenhänge von einem unabhängigen Standpunkt mit Hilfe der formalen Logik und der Mathematik getestet bzw. entwickelt werden.Auf diese Weise lässt sich jedoch aus dem vielfältigen Angebot qualitativer Ver-fahren kein Kern an Regeln und Vorgehensweisen herausarbeiten, über den sich die wissenschaftliche Community soweit einig ist, dass man an ihm entlang die Aussagekraft qualitativer Studien beurteilen könnte. Gerade dies ist aber erforder-lich, wenn qualitative Methoden einen eigenständigen Beitrag zur Verbreitung wis-senschaftlichen Wissens liefern sollen. Kommen wir zunächst zur Abgrenzung zum quantitativen Paradigma: Hier war und ist der Hauptkritikpunkt qualitativ arbeiten-der Forschung, dass quantitative Methoden weniger denn je geeignet seien, moderne Gesellschaften in ihrer zunehmenden Komplexität und Differenziertheit zu begrei-fen. Die quantitative Forschung, bilanziert etwa Flick¹, stehe vor folgendem Dilemma: Einerseits müsse man die Erhebungs- und Auswertungsmethoden stetig verfeinern, um gesellschaftliche Zusammenhänge angemessen zu beschreiben. Andererseits trete bei dieser methodischen Feinarbeit zunehmend in den Hintergrund, ob die Verfahren dem jeweiligen Forschungsgegenstand angemessen seien. Man kann z.B. problemlos brillante Vorträge über Strukturgleichungsmodelle zur Erklärung des Mediennutzungsverhaltens von Migranten halten und muss sich gleichzeitig die berechtigte Frage stellen lassen, wie viel die wenigen Variablen aus einer soziolo-gischen Querschnittserhebung, die diesem Modell zugrunde liegen, mit dem unter-suchten Phänomen zu tun haben. Zentraler Treiber für diese Distanz zwischen Gegen-stand und dessen quantitativer Beschreibung ist ihr Anspruch, soziale Realität mit quasi-naturwissenschaftlichen Methoden wenn nicht objektiv, so doch intersubjektiv nachvollziehbar zu fassen. Dieser Anspruch ist in den Augen der Kritiker aber unein-lösbar, weil sich die Gegenstände natur- und sozialwissenschaftlicher Forschung grundsätzlich unterscheiden: Während man etwa in der Physik oder Chemie wenigs-tens näherungsweise von überzeitlich gültigen Zusammenhängen ausgehen kann, ist 1 Flick 2007: 25.

Lars RinsdorfQualitative Methoden1 Was ist qualitative Forschung?Bevor wir uns mit der qualitativen Forschungslogik beschäftigen, sollten wir zunächst klären, was genau wir unter qualitativen Methoden verstehen. In einer ersten abgren-zenden Definition ließen sich alle Verfahren der Erhebung von Daten als qualitativ bezeichnen, die nicht dem Grundprinzip quantitativer Forschung entsprechen: einem kritisch-rationalistischen Wissenschafts verständnis, in dem Hypothesen und Theo-rien über gesellschaftliche Zusammenhänge von einem unabhängigen Standpunkt mit Hilfe der formalen Logik und der Mathematik getestet bzw. entwickelt werden.Auf diese Weise lässt sich jedoch aus dem vielfältigen Angebot qualitativer Ver-fahren kein Kern an Regeln und Vorgehensweisen herausarbeiten, über den sich die wissenschaftliche Community soweit einig ist, dass man an ihm entlang die Aussagekraft qualitativer Studien beurteilen könnte. Gerade dies ist aber erforder-lich, wenn qualitative Methoden einen eigenständigen Beitrag zur Verbreitung wis-senschaftlichen Wissens liefern sollen. Kommen wir zunächst zur Abgrenzung zum quantitativen Paradigma: Hier war und ist der Hauptkritikpunkt qualitativ arbeiten-der Forschung, dass quantitative Methoden weniger denn je geeignet seien, moderne Gesellschaften in ihrer zunehmenden Komplexität und Differenziertheit zu begrei-fen. Die quantitative Forschung, bilanziert etwa Flick¹, stehe vor folgendem Dilemma: Einerseits müsse man die Erhebungs- und Auswertungsmethoden stetig verfeinern, um gesellschaftliche Zusammenhänge angemessen zu beschreiben. Andererseits trete bei dieser methodischen Feinarbeit zunehmend in den Hintergrund, ob die Verfahren dem jeweiligen Forschungsgegenstand angemessen seien. Man kann z.B. problemlos brillante Vorträge über Strukturgleichungsmodelle zur Erklärung des Mediennutzungsverhaltens von Migranten halten und muss sich gleichzeitig die berechtigte Frage stellen lassen, wie viel die wenigen Variablen aus einer soziolo-gischen Querschnittserhebung, die diesem Modell zugrunde liegen, mit dem unter-suchten Phänomen zu tun haben. Zentraler Treiber für diese Distanz zwischen Gegen-stand und dessen quantitativer Beschreibung ist ihr Anspruch, soziale Realität mit quasi-naturwissenschaftlichen Methoden wenn nicht objektiv, so doch intersubjektiv nachvollziehbar zu fassen. Dieser Anspruch ist in den Augen der Kritiker aber unein-lösbar, weil sich die Gegenstände natur- und sozialwissenschaftlicher Forschung grundsätzlich unterscheiden: Während man etwa in der Physik oder Chemie wenigs-tens näherungsweise von überzeitlich gültigen Zusammenhängen ausgehen kann, ist 1 Flick 2007: 25.
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