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Erster Teil: Keime des Bösen

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Das Böse
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Erster Teil: Keime des BösenI 1 Impulse zum Bösen und die menschliche FreiheitDie Keime des Bösen bleiben für die Menschen gewöhnlich nur Fantasien, Impulse und schwache Versuchungen. Sie führen vielleicht zur Vorberei-tung von Straftaten oder zu kriminellen Versuchen, die nicht zu Ende ge-führt werden. Sie manifestieren sich als Bagatellen und Nadelstiche, wie sie Menschen ausüben, die einer Spinne Beine ausreißen oder ihren Nachbarn einen Streich spielen. Solcher Schabernack wäre kaum der Rede wert, wenn die Bosheit nicht zur Maßlosigkeit neigte und die Grenzen zwischen Fanta-sie und Realität immer klar und deutlich wären. Impulse zum Bösen sind erste Regungen, denen ein Mensch nachgeben kann oder nicht. Ich empfi nde die Regung, meinen Nachbarn zu ärgern, indem ich nach Mitternacht einen Nagel einschlage. Ich gebe dieser Regung nicht nach, ich kann ihr widerstehen. Die kleine Bosheit fi ndet nur in mei-ner Fantasie statt, sie wird nicht umgesetzt. Ich bin kein Wesen, das jedem Impuls nachgeben muss. Nicht jeder Impuls ist für mich ein unwiderstehli-cher Impuls. Dass ich meine Impulse beurteilen, zu ihnen Stellung nehmen kann, sie als gut oder schlecht, wichtig oder unwichtig, schön oder hässlich etc. einstufen kann, ist ein Aspekt der menschlichen Freiheit. So erlebe ich Freiheit, gelegentlich aber auch meine Unfreiheit. Dieses Gefühl ist kein Beweis der Freiheit. Vielmehr spreche ich von einem Selbstbild mit starker emotionaler und metaphorischer Resonanz. Ich lasse mich von einer Me-tapher leiten, die besagt: Ich führe einen Krieg gegen meine Impulse, zum Teil mit der Vernunft, zum Teil mit anderen Impulsen – einen Krieg, den ich manchmal gewinne und manchmal verliere.Das Erlebnis, über einen Impuls bestimmen zu können, erweckt das Gefühl, zumindest zeitweise (wenn ich nicht schlafe, unter Drogeneinfl uss stehe oder jähzornig bin) Herr im eigenen Seelenhaushalt zu sein. Ich las-se mich leiten von der Metapher des dominus, der seinen Haushalt unter Kontrolle hat – ein Selbstbild, das nach einem bekannten Ausspruch von Sigmund Freud durch die Psychoanalyse teilweise erschüttert wurde. Wenn die Entscheidung gegen einen Impuls einem anderen Impuls entspringt (ich bin zum Beispiel zu faul, um nochmals aus dem Bett aufzustehen und einen Nagel in die Wand zu schlagen), dann ist der Sieg über den boshaften Im-puls leicht; wenn ich allerdings einen sehr starken Impuls empfi nde und nur die Klugheit dagegen spricht (z. B. die Überlegung, dass ich mit Retorsio-nen meines Nachbarn rechnen muss und sich in der Zukunft eine lange und

Erster Teil: Keime des BösenI 1 Impulse zum Bösen und die menschliche FreiheitDie Keime des Bösen bleiben für die Menschen gewöhnlich nur Fantasien, Impulse und schwache Versuchungen. Sie führen vielleicht zur Vorberei-tung von Straftaten oder zu kriminellen Versuchen, die nicht zu Ende ge-führt werden. Sie manifestieren sich als Bagatellen und Nadelstiche, wie sie Menschen ausüben, die einer Spinne Beine ausreißen oder ihren Nachbarn einen Streich spielen. Solcher Schabernack wäre kaum der Rede wert, wenn die Bosheit nicht zur Maßlosigkeit neigte und die Grenzen zwischen Fanta-sie und Realität immer klar und deutlich wären. Impulse zum Bösen sind erste Regungen, denen ein Mensch nachgeben kann oder nicht. Ich empfi nde die Regung, meinen Nachbarn zu ärgern, indem ich nach Mitternacht einen Nagel einschlage. Ich gebe dieser Regung nicht nach, ich kann ihr widerstehen. Die kleine Bosheit fi ndet nur in mei-ner Fantasie statt, sie wird nicht umgesetzt. Ich bin kein Wesen, das jedem Impuls nachgeben muss. Nicht jeder Impuls ist für mich ein unwiderstehli-cher Impuls. Dass ich meine Impulse beurteilen, zu ihnen Stellung nehmen kann, sie als gut oder schlecht, wichtig oder unwichtig, schön oder hässlich etc. einstufen kann, ist ein Aspekt der menschlichen Freiheit. So erlebe ich Freiheit, gelegentlich aber auch meine Unfreiheit. Dieses Gefühl ist kein Beweis der Freiheit. Vielmehr spreche ich von einem Selbstbild mit starker emotionaler und metaphorischer Resonanz. Ich lasse mich von einer Me-tapher leiten, die besagt: Ich führe einen Krieg gegen meine Impulse, zum Teil mit der Vernunft, zum Teil mit anderen Impulsen – einen Krieg, den ich manchmal gewinne und manchmal verliere.Das Erlebnis, über einen Impuls bestimmen zu können, erweckt das Gefühl, zumindest zeitweise (wenn ich nicht schlafe, unter Drogeneinfl uss stehe oder jähzornig bin) Herr im eigenen Seelenhaushalt zu sein. Ich las-se mich leiten von der Metapher des dominus, der seinen Haushalt unter Kontrolle hat – ein Selbstbild, das nach einem bekannten Ausspruch von Sigmund Freud durch die Psychoanalyse teilweise erschüttert wurde. Wenn die Entscheidung gegen einen Impuls einem anderen Impuls entspringt (ich bin zum Beispiel zu faul, um nochmals aus dem Bett aufzustehen und einen Nagel in die Wand zu schlagen), dann ist der Sieg über den boshaften Im-puls leicht; wenn ich allerdings einen sehr starken Impuls empfi nde und nur die Klugheit dagegen spricht (z. B. die Überlegung, dass ich mit Retorsio-nen meines Nachbarn rechnen muss und sich in der Zukunft eine lange und
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