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»Unser moderner Dichter« - Thomas Manns Buddenbrooks. Verfall einer Familie (1901)

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FOTISJANNIDIS»Unser moderner Dichter« – Thomas Manns Buddenbrooks. Verfall einer Familie(1901)Thomas Manns (1875–1955) ersten Roman Buddenbrooks in einem Sam-melband über den modernen Roman zu finden, ist nicht ganz selbstver-ständlich und offensichtlich mit einer Vorentscheidung darüber verbun-den, was unter modernem Roman zu verstehen ist. Wenn man in Don Quichotte den ersten modernen Roman sieht, dann ergibt sich ein anderes Bild, als wenn man den modernen Roman vor allem in Werken wie Finne-gan’s Wake oder Der Mann ohne Eigenschaften verwirklicht sieht. Der moderne Roman ist, so der Stand der Diskussion, der Roman der Moderne, nur ist notorisch unklar, was unter ›Moderne‹ zu verstehen ist.1Die anhaltende Diskussion über den Begriff der Moderne hat in den letz-ten Jahrzehnten eine Reihe von sehr unterschiedlichen Vorschlägen her-vorgebracht, wie dieser Begriff bestimmt werden kann. Schon die zeitliche Eingrenzung ist höchst unterschiedlich vorgenommen worden. Für einige beginnt die Moderne mit der Neuzeit oder mit der Romantik, für andere Mitte des 19. Jahrhunderts oder erst in den 1890er Jahren.2 Auch die in-haltliche Füllung des Epochenbegriffs gerät ausgesprochen unterschied-lich. Anlass genug, den eigenen Moderne-Begriff zu explizieren. Mir scheint es produktiver, von einem engeren und damit informati-onsreicheren Begriff der Moderne auszugehen, also von einem Beginn der literaturwissenschaftlichen Moderne mit der Selbstthematisierung als ›mo-dern‹ ab 1885.3 Nur dann ist es auch möglich, ›Moderne‹ wie andere Epo-_____________ 1 Vgl. dazu paradigmatisch die materialreichen Darstellungen von Vietta und Kiesel, die mit gänzlich unterschiedlichen Modernekonzepten arbeiten; Silvio Vietta: Die literarische Mo-derne. Eine problemgeschichtliche Darstellung der deutschsprachigen Literatur von Höl-derlin bis Thomas Bernhard. Stuttgart 1992 – Helmuth Kiesel: Die Geschichte der literari-schen Moderne. Sprache, Ästhetik, Dichtung im zwanzigsten Jahrhundert. München 2004. 2 Vgl. etwa die Zusammenstellung bei Vietta: Die literarische Moderne, S. 17ff. 3 Ich folge hiermit Schönert: »Eine literaturgeschichtliche Explikation des Begriffs Modernewird von dem historischen Faktum dieser ›selbsternannten Moderne‹ [...] auszugehen ha-ben.« (Jörg Schönert: Gesellschaftliche Modernisierung und Literatur der Moderne, in:

FOTISJANNIDIS»Unser moderner Dichter« – Thomas Manns Buddenbrooks. Verfall einer Familie(1901)Thomas Manns (1875–1955) ersten Roman Buddenbrooks in einem Sam-melband über den modernen Roman zu finden, ist nicht ganz selbstver-ständlich und offensichtlich mit einer Vorentscheidung darüber verbun-den, was unter modernem Roman zu verstehen ist. Wenn man in Don Quichotte den ersten modernen Roman sieht, dann ergibt sich ein anderes Bild, als wenn man den modernen Roman vor allem in Werken wie Finne-gan’s Wake oder Der Mann ohne Eigenschaften verwirklicht sieht. Der moderne Roman ist, so der Stand der Diskussion, der Roman der Moderne, nur ist notorisch unklar, was unter ›Moderne‹ zu verstehen ist.1Die anhaltende Diskussion über den Begriff der Moderne hat in den letz-ten Jahrzehnten eine Reihe von sehr unterschiedlichen Vorschlägen her-vorgebracht, wie dieser Begriff bestimmt werden kann. Schon die zeitliche Eingrenzung ist höchst unterschiedlich vorgenommen worden. Für einige beginnt die Moderne mit der Neuzeit oder mit der Romantik, für andere Mitte des 19. Jahrhunderts oder erst in den 1890er Jahren.2 Auch die in-haltliche Füllung des Epochenbegriffs gerät ausgesprochen unterschied-lich. Anlass genug, den eigenen Moderne-Begriff zu explizieren. Mir scheint es produktiver, von einem engeren und damit informati-onsreicheren Begriff der Moderne auszugehen, also von einem Beginn der literaturwissenschaftlichen Moderne mit der Selbstthematisierung als ›mo-dern‹ ab 1885.3 Nur dann ist es auch möglich, ›Moderne‹ wie andere Epo-_____________ 1 Vgl. dazu paradigmatisch die materialreichen Darstellungen von Vietta und Kiesel, die mit gänzlich unterschiedlichen Modernekonzepten arbeiten; Silvio Vietta: Die literarische Mo-derne. Eine problemgeschichtliche Darstellung der deutschsprachigen Literatur von Höl-derlin bis Thomas Bernhard. Stuttgart 1992 – Helmuth Kiesel: Die Geschichte der literari-schen Moderne. Sprache, Ästhetik, Dichtung im zwanzigsten Jahrhundert. München 2004. 2 Vgl. etwa die Zusammenstellung bei Vietta: Die literarische Moderne, S. 17ff. 3 Ich folge hiermit Schönert: »Eine literaturgeschichtliche Explikation des Begriffs Modernewird von dem historischen Faktum dieser ›selbsternannten Moderne‹ [...] auszugehen ha-ben.« (Jörg Schönert: Gesellschaftliche Modernisierung und Literatur der Moderne, in:

Chapters in this book

  1. Frontmatter i
  2. Inhalt vii
  3. Singularität und Typik – Epische Planspiele zwischen Adel und Bürgertum in Theodor Fontanes Effi Briest (1894/95) 1
  4. Sicherheit ist nirgends. Arthur Schnitzlers Monologerzählungen Leutnant Gustl (1900) und Fräulein Else (1924) 19
  5. »Unser moderner Dichter« - Thomas Manns Buddenbrooks. Verfall einer Familie (1901) 47
  6. Der Entwicklungsroman als Farce. Robert Walser: Jakob von Gunten. Ein Tagebuch (1909) 73
  7. Der Beginn der Moderne im Roman. Rainer Maria Rilkes Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge (1910) 87
  8. Carl Einstein: Bebuquin (1912) als Anti-Prometheus oder Plädoyer für das »zerschlagene Wort« 110
  9. Jäger der verlorenen Pace. Robert Müller: Tropen. Der Mythos der Reise. Urkunden eines deutschen Ingenieurs (1915) 128
  10. Kein romanhafter Leitartikel. Zur Virulenz der ästhetischen Moderne in Heinrich Manns Roman Der Untertan (1918) 154
  11. Anspruch auf Modernität und traditionelle Gebundenheit. Thomas Mann: Der Zauberberg (1924) 179
  12. Franz Kafka: Der Process (1925) - Gerichtstag über die Moderne 211
  13. Endlich besiegte Zeit. Hermann Hesses Roman Der Steppenwolf (1927) 238
  14. Faszination und Faschismus in Alfred Döblins ›Epos der Moderne˓ Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf (1929) 263
  15. Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften (1930/32) und der Modernismus aus englischer Sicht 308
  16. Ein Mann ohne Eigenschaften im Wartesaal Europas. Erich Kästners Fabian. Die Geschichte eines Moralisten (1931) 332
  17. Kultur der Oberfläche, Glanz der Moderne. Irmgard Keuns Roman Das kunstseidene Mädchen (1932) 349
  18. Wirklichkeit mit goldenem Firnis. Hans Fallada: Kleiner Mann - was nun? (1932) 368
  19. Späte Moderne. Joseph Roths Radetzkymarsch (1932) 391
  20. Backmatter 419
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