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Christlicher Glaube In Zeiten Digitaler Kommunikation

Published/Copyright: October 4, 2018
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263Christlicher Glaube in Zeiten digitaler KommunikationVon Horst Gorski1. Von Nullen und Einsen – und den FolgenAm Anfang sind Nullen und Einsen. Binärcodes sind nicht neu. Ein bekannter Code dieser Artist das Morse-Alphabet, das mit zwei verschiedenen Impulsen auskommt, z.B. einem kurzenund einem langen Lichtzeichen. In der Mitte des 20. Jahrhunderts wurden – maßgeblich beein-flusst von dem US-amerikanischen Mathematiker Claude Shannon – Binärcodes in die elektro-nische Informationstechnologie eingeführt. Die im Laufe der Zeit entwickelten Programmier-sprachen beruhen auf der Zuweisung von Nullen und Einsen zu Zahlen, Buchstaben oder Zei-chen. Um nun nicht für alle denkbaren Begriffe eine jeweils eigene Abfolge von Nullen undEinsen kreieren zu müssen, fasst man bestimmte Folgen zu Codes zusammen, aus denen manneue Codes formt. Am Beispiel des Morse-Alphabets lässt sich dies einfach nachvollziehen:Statt jedem denkbaren Begriff einzeln eine Abfolge von kurzen und langen Lichtzeichen zuzu-weisen, was das Erlernen der Sprache außerordentlich schwierig machen würde, werden dieLichtzeichen zu 26 Codes, nämlich den Buchstaben des Alphabets, zusammengefasst, mit de-nen sich alle denkbaren Begriffe darstellen lassen.1Für den hier vorgelegten Gedankengang ist entscheidend, dass die Zuweisung beliebig ist. Ichkann – wenn ich ein schwarz-weißes Bild programmieren will – die Null ebenso gut der Farbeweiß wie der Farbe schwarz zuordnen. Für die Kommunikation ist nichts anderes erforderlich,als dass ich dies tue und dabei beobachtet werde. Es gibt keine ontologisch oder anders alszwingend anzusehende Verbindung zwischen der Ziffer und der mit ihr bezeichneten Farbe. DerBeobachter – wir nennen ihn Beobachter 1. Ordnung, da wir es nachher mit Beobachtern höhe-rer Ordnungen zu tun haben werden – beobachtet die Zuweisung und versteht die mitgeteilteInformation. Dieser schlichte Vorgang hat Folgen. Denn an die Stelle der alten Leitdifferenzwahr/falsch tritt nun die Leitdifferenz »eigene Beobachtung«/Fremdbeobachtung. Weil es eineandere Verbindung als die beliebige Zuweisung zwischen dem Zeichen und dem Bezeichnetennicht gibt, läuft die Frage nach wahr/falsch ins Leere bzw. endet an der Grenze dessen, was sichbeobachten lässt. Die These ist: Die kommunikativen Probleme mit der Leitdifferenz wahr/falsch, die unserer Gesellschaft derzeit zu schaffen machen, lassen sich zurückverfolgen zu demGrundprinzip und Anfang aller digitalen Kommunikation: Der beliebigen Zuweisung von Nul-len und Einsen zu Gegenständen, Sachverhalten oder Begriffen. Während ontologische Systemeannehmen, zwischen Sein und Nichtsein unterscheiden zu können, die Aufklärung sich auf einVernunftinteresse als gemeinsamen Haltepunkt von Kommunikation bezog und die Transzen-dentaltheorie ein allgemeines Apriori der Subjektheit unterstellte, beruht die Kommunikationmit dem Binärcode der Nullen und Einsen allein auf der Beobachtung von Kommunikation, d.h.1.Tatsächlich enthält das Morsealphabet einige Codes mehr, nämlich zusätzlich für Ziffern und Sonderzeichen. Eswird auch laufend aktualisiert, zuletzt um einen Code für @. Am Prinzip ändert das nichts.Zeitschrift für Evangelische Ethik, 62. Jg., S. 263 – 278, ISSN 0044-2674© 2018 by Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Online erschienen: 2018-10-04
Erschienen im Druck: 2018-10-01

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