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Einleitung Der sogenannte historische Jesus und der Jesus der Evangelien

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Mirjams Sohn – Gottes Gesalbter
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15EinleitungDer sogenannte historische Jesus und der Jesus der Evangelien1. Zuerst ist die Eigenart der Evangelien zu bedenken.In seinem berühmten Vortrag von 1892: »Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus« nennt Martin Kähler »die Bescheidenheit« als »die erste Tugend echter Geschichtsforschung«. Er fährt fort: »Bescheidenheit kommt von Bescheid wissen; und wer Be-scheid weiß mit geschichtlichen Tatsachen und Quellen, der lernt Be-scheidenheit sowohl im Wissen als im Verstehen.« Er hat dabei die Evan-gelien im Blick, die sich gegenüber der Rückfrage nach dem »historischen« Jesus als sehr widerständig erweisen. Man kann sie literarisch in die Gat-tung des bíos bzw. der vita, also einer Lebensbeschreibung, einordnen. Aber damit ist das Entscheidende noch nicht gesagt. An markanten Stel-len unterscheiden sie sich auch formal von dieser Gattung, nämlich vor allem am Anfang und am Ende. Im Markus- und Johannesevangelium werden nicht einmal Geburt und Herkunft Jesu erwähnt. In keinem Evan-gelium ist von einer Entwicklung Jesu vom Kind über den Jugendlichen zum Mann die Rede. Er tritt sozusagen fertig vor uns. Bei Matthäus und Lukas finden sich zwar legendarische Geburtsgeschichten, bei Letzterem auch eine Erzählung über den Zwölfjährigen. Diese Geburtsgeschichten sind unter historischen Gesichtspunkten völlig unvereinbar miteinander und auch je für sich voller historischer Unwahrscheinlichkeiten. Sie brin-gen historisch nichts und lassen sich nur in Krippenspielen harmonisie-ren. Sie haben eine andere als historische Funktion, die den Anfängen 1. Zuerst ist die Eigenart der Evangelien zu bedenkenWengst_Mirjams_Sohn_Inhalt.indd 1501.07.2016 12:32:03
© 2016 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh

15EinleitungDer sogenannte historische Jesus und der Jesus der Evangelien1. Zuerst ist die Eigenart der Evangelien zu bedenken.In seinem berühmten Vortrag von 1892: »Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus« nennt Martin Kähler »die Bescheidenheit« als »die erste Tugend echter Geschichtsforschung«. Er fährt fort: »Bescheidenheit kommt von Bescheid wissen; und wer Be-scheid weiß mit geschichtlichen Tatsachen und Quellen, der lernt Be-scheidenheit sowohl im Wissen als im Verstehen.« Er hat dabei die Evan-gelien im Blick, die sich gegenüber der Rückfrage nach dem »historischen« Jesus als sehr widerständig erweisen. Man kann sie literarisch in die Gat-tung des bíos bzw. der vita, also einer Lebensbeschreibung, einordnen. Aber damit ist das Entscheidende noch nicht gesagt. An markanten Stel-len unterscheiden sie sich auch formal von dieser Gattung, nämlich vor allem am Anfang und am Ende. Im Markus- und Johannesevangelium werden nicht einmal Geburt und Herkunft Jesu erwähnt. In keinem Evan-gelium ist von einer Entwicklung Jesu vom Kind über den Jugendlichen zum Mann die Rede. Er tritt sozusagen fertig vor uns. Bei Matthäus und Lukas finden sich zwar legendarische Geburtsgeschichten, bei Letzterem auch eine Erzählung über den Zwölfjährigen. Diese Geburtsgeschichten sind unter historischen Gesichtspunkten völlig unvereinbar miteinander und auch je für sich voller historischer Unwahrscheinlichkeiten. Sie brin-gen historisch nichts und lassen sich nur in Krippenspielen harmonisie-ren. Sie haben eine andere als historische Funktion, die den Anfängen 1. Zuerst ist die Eigenart der Evangelien zu bedenkenWengst_Mirjams_Sohn_Inhalt.indd 1501.07.2016 12:32:03
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